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Klaus Viehmann
Einlassung - Entlassung?
Vorab: Kronzeugen sind Mörder
1971 wird in Hamburg ein Polizist von einem unerkannten "RAF-
Terroristen" erschossen. 1975 wird im Stammheimer Staatsschutzprozess
gegen die RAF dringend ein Kronzeuge gebraucht, denn ein Freispruch
mangels Beweise für solche "Terroristen" hätte
die Staatsraison nun wirklich beeinträchtigt. Die Bundesanwaltschaft
findet einen Verräter: Gerhard Müller, ehemaliges RAF-Mitglied,
1972 verhaftet. Müller kommt nach den gewünschten Aussagen
im Prozess frei und erhält eine neue Identität. Dumm nur,
dass Müller der Hamburger Todesschütze war und ein Mörder,
gar ein "Polizistenmörder", seinerzeit gesetzlich
zwingend "lebenslänglich" bekommen musste. Um Müller
mit baldiger Freilassung belohnen zu können, wurde er einfach
nicht wegen Mordes angeklagt. Und das, obwohl mehrere RAF-Mitglieder
öffentlich aussagten, dass er geschossen hatte - und Müller
selbst den Mord beim Staatsschutz sogar gestanden hatte. Sein Geständnis
verschwand und alle Aussagen gegen ihn wurden für unglaubwürdig
erklärt. Der SPIEGEL ging seinerzeit in einem langen Artikel
undementiert davon aus, dass BKA, Bundesanwaltschaft und auch SPD-Bundesjustizminister
Hans Jochen Vogel von dem Geständnis und seiner Unterschlagung
wussten.
Was lehrt uns das? 1. Der Sinn und das gewünschte Ergebnis
von Staatsschutzprozessen sind in ihrem Namen durchaus enthalten
- sie heißen ja nicht etwa Gerechtigkeitsschutzprozesse. 2.
Kronzeugen sind nicht durch Aussagen von ehemaligen GenossInnen
zu widerlegen. 3. Kronzeugen können sogar Morde begangen haben
- die im Staatsschutzinteresse vertuscht werden.
Taktik und Politik
Im Berliner RZ-Prozess kann immer noch viel passieren. Oder herauskommen.
Aber die Prozesssituation ist nach dem "Einlassung" genannten
Teilgeständnis [1]
zweier Angeklagter und ihrem Deal mit Gericht und Bundesanwaltschaft
schwieriger als zuvor. [2]
In gewisser Weise ist die "Einlassung" eine Folge der
bisherigen Prozesstaktik, bei der von Angeklagten und Verteidigung
auf eine politische Antwort verzichtet wurde - aus welchen Gründen
auch immer. Entsprechend ging es Monate lang um den Kronzeugen,
was er verraten oder erlogen hat, um verfahrenstaktische Dinge,
um Beweismittel, um die lange U-Haft usw. usw. In diesem Rahmen
wurden die RZ-Aktionen, um die es der Bundesanwaltschaft immer ging,
nur als strafbare Handlungen erörtert. Ihre politische Begründung
oder Berechtigung verschwand hinter der kriminalistischen Frage:
Wer war dabei? Die damals und heute herrschende Flüchtlings-
und Kriegspolitik und die politischen Ziele dieses Verfahrens wurden
nie thematisiert oder gar angegriffen. Erfolgreich im Sinne ihrer
eigenen Ziele (Freilassung der Gefangenen, Demontage des Kronzeugen)
war diese Prozesstaktik bisher nicht. (Es sei denn, jemand sähe
die Entlassungen nach den "Einlassungen" als Erfolg.)
Für die heutige antirassistische Praxis wäre ein politischer
Prozess über die RZ-Flüchtlingskampagne jedenfalls interessanter
gewesen. Immerhin kamen im vergangenen Jahr zu zehn Veranstaltungen
"Zeiten des Zorns - zur Geschichte und Politik der RZ"
über 2.000 diskussionsfreudige Leute. Das sprach dafür,
dieses politische Interesse im Prozess aufzunehmen - was auch ohne
jede falsche Lobhudelei auf die dahingeschiedenen RZ möglich
gewesen wäre. In so einem Prozess wären "Einlassungen"
zwar auch ein prozesstaktisches Problem geworden, aber alle politischen
Äußerungen, zur Flüchtlingspolitik u.a., wären
nicht beschädigt worden. Gerade im Kontrast zu einer politischen
Prozessführung wären Teilgeständnisse als offensichtlich
eigennützige Ich-Politik völlig aus dem Rahmen gefallen.
Ein einzelner Kronzeuge von der begrenzten Qualität eines
Mousli lässt sich grundsätzlich immer demontieren (dafür
gibt es Beispiele, auch aus Verfahren vor dem Kammergericht), ein
von Angeklagten direkt oder indirekt bestätigter Kronzeuge
ist eine härtere Nuss. Jeder Angeklagte, der keine Aussagen
macht, ist der Angeschmierte - und mit ihm die AnwältInnen,
die keine Hinterzimmerabsprachen treffen. Die zu hörende Rechtfertigung,
man/frau hätte lange genug mit seiner "Einlassung"
gewartet, ist eigentlich das Eingeständnis einer Erpressung:
"Wenn die Taktik der Mitangeklagten im Prozess nicht dafür
sorgt, dass wir raus kommen, dann machen wir unsere eigene alleine".
Schuld haben so immer die, die keine Deals machen - und alle politischen
Gefangenen, die den Knast lieber abgesessen haben, als zu dealen,
haben sich halt geirrt. Waren halt andere Zeiten.
Es gibt gute und zeitlose Gründe, die gegen Deals sprechen.
Wer sich einmal (vom Staatsschutz) hat erpressen lassen wird das
wieder tun. Wer einmal seinen persönlichen Vorteil (aus dem
Knast zu kommen) auf Kosten anderer genutzt hat, wird das wieder
tun. Was wird in vielleicht kommenden Prozessen geschehen, wenn
Zeugenaussagen verlangt werden? Wenn ehemalige Militante, die in
den siebziger oder achtziger Jahren noch mit 10, 15 Jahren Knast
rechnen mussten und dennoch als Stadtguerilla angetreten sind, heute
wegen ein, zwei Jahren Knast (nicht mal Isolationshaft) - und um
mehr als die wäre es jetzt tatsächlich nicht mehr gegangen,
denn eine Zweidrittel-Entlassung aus der U-Haft wäre so gut
wie sicher gewesen - Aussagen machen, werden sie in ein paar Monaten
oder Jahren noch schweigend sechs Monate Beugehaft oder gar eine
neue Anklage hinnehmen? Das Misstrauen ist begründet. Immerhin
werden die vertraulichen Absprachen mit BAW und Gericht nicht öffentlich
gemacht, sie werden in den "Einlassungen" nicht mal erwähnt.
Dabei sind diese Absprachen der Grund für das Rauskommen, nicht
die "Einlassungen" an sich. (Der Umkehrschluss beweist
das: Wer sich ohne Absprache und ohne kriminalistische Details zu
seiner Mitgliedschaft in den RZ äußern würde, um
dem Kronzeugen zu widersprechen - der/ die kämen deshalb ganz
sicher nicht raus.) Das wissen natürlich auch die, die gedealt
haben. Sie werden sich den Rest ihres Lebens selbstgerecht verteidigen
oder alle meiden, bei denen sie das Gefühl haben, es tun zu
müssen. Ein schlechtes Gewissen wird die Freude über die
schnelle Freiheit bald überwiegen.
Egoismus macht frei
Dass das Hemd näher ist als die Jacke und jeder sich selbst
der Nächste, gehört zu den Wahrheiten, Prinzipien und
Lernzielen der bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaft. Wer
das falsch findet, engagiert sich sozial, womöglich gar linksradikal.
Wer davon ausgeht, dass das Individuum selbstverantwortlich und
frei sein sollte, steht den Zumutungen der Obrigkeit und dem stummen
Zwang der kapitalistischen Verhältnisse ablehnend gegenüber.
Wer globale Verhältnisse wie Krieg, Ausbeutung und Hunger nicht
hinzunehmen gewillt ist, sucht nach Möglichkeiten, sie zu ändern.
Wer bemerkt, dass das nur gemeinsam geht, organisiert sich und trifft
Entscheidungen kollektiv. Vertrauen gehört zwingend dazu. Entsprechend
war und ist Solidarität eine Wahrheit, ein Prinzip und Lernziel
der Linken - sicher auch bei den RZ.
In besonderen Situationen kommt es manchen so vor, als stimme das
nicht mehr. Knast und Gerichtsverfahren sind solche Situationen.
Nun ist es mit womöglich erheblichen persönlichen Konsequenzen
verbunden, solidarisch zu sein. Nun ist das Individuum sehr unmittelbaren
und gar nicht mehr stummen Zwängen ausgesetzt. Nun wird nicht
eher abstrakt, sondern ganz unverblümt das Hemd-näher-als-Jacke-
bzw. Bluse-näher-als-Kostüm-Prinzip an eineN herangetragen.
Nun erfordert es individuelle Kraft und Hartnäckigkeit, sich
Ansinnen der Obrigkeit, denen man draußen in (Entscheidungs-)Freiheit
keine zwei Gedanken gegönnt hätte, zu erwehren. Nun wird
für ein Einlassen (!) auf Zumutungen etwas sehr reales geboten:
Einlassen - Entlassen. Wie verlockend! Das Problem ist nur: Der
geforderte Preis, der Macht ein wenig zu Gefallen zu sein, widerspricht
den eigenen (linken) Ansichten und Erkenntnissen und auch der eigenen
(linken) Praxis, weswegen man in den Knast gekommen ist. (Die "Unschuldsvermutung"
lassen wir hier mal beiseite, die interessiert Staatsschutzorgane
ohnehin nicht). Ein Deal wird mit Einzelnen auf Kosten anderer versucht,
er funktioniert nie mit Kollektiven. Das vertrauensvolle solidarische
Leben, Arbeiten und Kämpfen, was jede linke Organisierung herstellen
will, wird gesprengt und das bürgerliche eigennützige
Individuum wieder hergestellt. [3]
Üblicherweise werden unsolidarische Entscheidungen durch Diskussionen
und (selbst-)kritisches Denken verhindert. Auch das Heranziehen
historischer Erfahrungen anderer (Gefangener) in vergleichbaren
oder noch schwierigeren Situationen ist lehrreich und kann vor Fehlern
schützen. Leider kann Knast egoistisch machen, und Egoismus
macht dumm und vergesslich: Wie war das noch mit der Solidarität?
Was hatte mein eigenes Verhalten noch mal mit der linken Geschichte
zu tun? Was verbindet mich eigentlich mit diesen Antifas, die sich
da im Fernsehen immer mit den Nazis hauen? Und diese ganzen Flüchtlinge,
die kenne ich doch gar nicht. Was war das noch mal für eine
Organisation, der ich angehörte? Fand ich die nicht eigentlich
schon lange doof? Aber hätte ich mein Verhalten nicht früher
als scheußlichen Verrat gegeißelt? Ach quatsch, das
war ja früher. Heute ist alles anders. Heute ist man im Knast.
Kämpfen? Wie unvernünftig. Man kann doch eh nichts ändern.
Solche Selbstverarschungen lassen die Verbeugung vor der Macht
ganz filigran erscheinen. Eigentlich gar nicht als Rückgratverkrümmung,
sondern als schlaue Finte, als geradezu vorbildliche Taktik! Wie
unverständlich, dass manche der Ansicht sind, dass zu viel
Taktik den Charakter versaue.
Das Lichtlein, das man in gebückter Haltung bereits unter
dem Knasttor schimmern sieht, wird so gleißend, dass es alles
früher Gewusste und Gelebte ins Dunkel des Vergessenwollens
taucht. Mit der im Verhältnis zur Haltungskrümmung im
Quadrat zunehmenden Selbstgerechtigkeit werden die Aspekte und Personen
immer überzeugender, die zur Legitimation des eigenen unsolidarischen
Verhaltens taugen. Diese Aspekte sind meist juristisch-taktischer
Art und diese Personen oft die Sorte Advokaten, die einem Schwätzchen
mit der Obrigkeit nicht abgeneigt sind, sowie un- und ex-politische
Bekannte und Verwandte. Alle anderen, insbesondere alte GenossInnen,
werden vor vollendete Tatsachen gestellt.
Das Gesagte gilt prinzipiell für Verrat und für Abschwören,
auch wenn dazwischen Welten liegen. Die Welten, die zwischen beidem
und der Entscheidung, gar nichts auszusagen, liegen, sind allerdings
noch größer. Das sieht auch der Staatsschutz so. Verrat
mit einem hohen Staatsschutzfaktor (gemessen in Zahl der Verhaftungen
und Waffenfunde) wird reichlich belohnt, für Abschwören
mit mittleren Staatsschutzfaktor (gemessen in Distanzierungsweite
von der eigenen Geschichte und politischen Organisation) gibt es
einen staatlich garantierten Mindestlohn. Der Spitzenlohn besteht
aus sofortiger Entlassung nebst Geld und neuer Identität. Der
Mindestlohn beinhaltet erträgliche Haftbedingungen und eine
vorzeitige Entlassung. Andauernde Linksradikalität und Konsequenz
werden nicht entlohnt.
Im RZ-Prozess arbeitet der Kronzeuge Mousli gerade seinen Spitzenlohn
ab. Das ist bekannt und die Beurteilung seines Verhaltens ist so
eindeutig, dass hier darüber nicht diskutiert werden muss.
Diskussionsbedarf besteht jedoch, wenn jemand so eine "Einlassung"
als "Widerlegung des Kronzeugen" rechtfertigen will. Wie
deutlich muss man es denn noch sagen: Um einen Kronzeugen zu widerlegen,
verhandelt man nicht mit der Bundesanwaltschaft und dem Gericht,
die diesen Kronzeugen angeschleppt haben. Das tut man nur, um den
Preis für das eigene Rauskommen auszuhandeln. Die wirkliche
Widerlegung des Kronzeugen hätte zu längerem Lamentieren
der BAW und erst später zur Entlassung geführt - dann
aber zu der aller Angeklagten.
Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Man/frau ist draußen,
wer sich nicht einlässt, sitzt weiter (oder muss eine hohe
Kaution hinterlegen, um einen lebensgefährlich verletzten Angehörigen
sehen zu können), der Kronzeuge ist nicht demontiert, Gericht
und BAW haben Breschen in die Verteidigung geschlagen. Da wurde
staatlich garantierter Mindestlohn kassiert. Unsolidarisch und eigennützig.
Wer das anders sehen will, sollte in Zukunft Knast als Kriminalitätsentsorgungspark,
die BAW als Verteidigerin der Menschenrechte, die Vorsitzende Richterin
als Mutter Teresa der Angeklagten, den Advokaten Euler als kollegialen
linken Anwalt und das Besuchertreppenhaus zum Saal 500 als frisch
gestrichen bezeichnen.
Tatsächlich hat man nun die aus unzähligen Knackiverfahren
bekannte Konstellation, dass es mehrere geständige TäterInnen
gibt, die sich darüber streiten, wer der schlimmste Täter
war: "Herr Staatsanwalt, ich war zwar dabei, aber der andere
hat viel härter zugehauen als ich!" Die Tatbeteiligung
wird gar nicht mehr bestritten, strittig ist nur der individuelle
Anteil an der Tat. [4]
Allein schon, dass man akzeptiert, dass eine "Tat" vorliegt,
und man diese als solche vor einem Staatsschutzsenat als justiziabel
anerkennt, ist ein Einlassen auf die Staatsschutzorgane, was sie
glücklich macht. (Unglücklich machen sie politische Gefangene,
die ihre Handlungen als politische Aktionen nicht der bürgerlichen
Rechtsordnung unterstellen wollen. Ihre Parole ist immer: "Die
Geschichte wird uns freisprechen" - ob das auch das Gericht
tut, ist zweitrangig.) Gestanden wird in den "Einlassungen",
dass man/frau in einer Revolutionären Zelle, also in einer
"terroristischen Vereinigung" organisiert und an Aktionen
oder ihrer vorbereitenden Diskussion beteiligt war. Punkt. Wer da
nun Motorrad fuhr, wer da nun geschossen hat, wer bei welchem Treffen
dabei war, das sind zweitrangige Widersprüche hinter dem "gemeinsamen
Tatplan", die die "freie Beweiswürdigung" eines
Staatsschutzurteils überhaupt nicht stören. Und da noch
nie - noch nie - das Urteil eines Staatsschutzsenates des Kammergerichtes
in einer Revision aufgehoben wurde, müssen sie auch nicht stören.
Auf diese juristische Knackitour wird kein Kronzeuge gekippt.
Wer das "Einlassen" durch den Verlauf des Frankfurter
OPEC-Verfahren, in dem die Anklage ja nicht durchkam, rechtfertigen
will, übersieht die andere politische Konstellation: Die Anklage
kam von einem Staatsanwalt beim Landgericht und reihte sich in die
seinerzeitige CDU-Kampagne gegen den rot-grünen Außenminister
Fischer nahtlos ein. Da der bekanntermaßen aussagewillige
Kronzeuge Klein zeitlich passend in Frankreich von einem Zielfahndungstrupp
des BKA verhaftet wurde, spekulierte die Frankfurter Rundschau,
was dieser Staatsanwalt mit seiner Lebensgefährtin, einer Zielfahnderin
beim BKA (wer lacht da?), so alles bespricht. Freigesprochen wurde
in Frankfurt, nachdem ein Bundesanwalt (!) als Zeuge aussagte, dass
die Belastungen Kleins gegen "Max" nicht den Angeklagten
Schindler meinen könnten. Sehr bemerkenswert, dass die BAW
gegen die Anklagebehörde und ihren Kronzeugen auftrat. Nur
ihre Bestätigung gab der Aussage (Einlassung) des ehemaligen
RZ-Mitglieds Gerd Schnepel, er sei der wirkliche "Max",
freisprechendes Gewicht.
Im Berliner Prozess klagt die BAW selbst an. Der Kronzeuge ist
von ihr selbst erarbeitet worden. Kammerrichter haben ihn bereits
entlohnt. Es gibt auch keinen Minister, der entlastet werden will.
Also gibt es auch kein Interesse des Staatsschutzes, dem Kronzeugen
zu widersprechen. In Berlin kann es nur gegen das Staatsschutzinteresse
von BAW und Gericht zu einem Freispruch kommen.
Freilassung?
Hier und heute aus dem Knast zu kommen, ist nicht das Wichtigste.
Solidarität mit den Mitgefangenen ist wichtiger. Die Wirkung
des eigenen Verhaltens auf die verbliebene politische Öffentlichkeit
ist wichtiger. Eine ungebrochene Persönlichkeit und Biografie
sind wichtiger, denn sie sind ein guter Start in das Leben nach
dem Knast. Ob der ein paar Monate oder gar Jahre früher oder
später erfolgt, ist gerade bei halbwegs erträglichen Haftbedingungen
zweitrangig.
Sicher fällt es schwer, gegenüber Gefangenen so zu argumentieren,
wenn man selbst immer draußen gelebt hat. Aber die alte Parole
der KnastgegnerInnen stimmt tatsächlich: "Freiheit und
Glück!"
Das eine ist ohne das andere nichts wert.
Klaus Viehmann, 1. März 02
Fußnoten:
[1] Der Kalauer,
dass ein Geständnis eigentlich "Gesträndnis"
heißen müsste, da es nicht von "stehen" sondern
von "gestrandet" kommt, gilt auch für Teilgeständnisse.
[2] Dieser Text
war am 28.2.02, als noch ein dritter Angeklagter ein Teilgeständnis
ablegte und entlassen wurde, bereits so gut wie fertig. An seinem
Inhalt hat sich dadurch nichts geändert.
[3] Ich habe selbst
erlebt, wie Deals angeschoben werden und ich weiß, dass es
möglich ist, sie abzulehnen. Andere politische Gefangene haben
ähnliche Angebote genauso ablehnt und zum Teil noch länger
gesessen. Kurz nach meiner Verhaftung kam 1978 ein Geheimdienstler:
Entweder Verurteilung zu 15 Jahren Knast (so kam es dann auch),
oder ihm Auskünfte geben und dafür weniger als zehn Jahre,
nebst Halbstrafe, nebst vorherigem offenen Vollzug, er könne
so ein Kammergerichtsurteil garantieren. Das nächste Angebot
nach drei Jahren U-Haft während des laufenden Prozesses, dieses
mal durch die Staatsanwaltschaft an den Anwalt: Öffentliche
Distanzierung vom bewaffneten Kampf, es reichte auch ohne Belastung
anderer, als Lohn 12 Jahre und vorzeitige Entlassung nach acht Jahren
nebst vorherigem offenen Vollzug. Dann nach neun Jahren Knast Angebot
durch Knastleitung und LKA: Entlassung auf "Zweidrittel"
nach zehn Jahren. Bedingung: Leserbrief an die TAZ, in dem man sich
vom bewaffneten Kampf distanziert, sowie Abbruch der Beziehungen
zu Personen aus der "SympathisantInnenszene". Ich habe
es wirklich nie bereut, all diese Deals abgelehnt zu haben, und
ich finde es verurteilenswert und ärgerlich, wenn sich andere,
die auch aus einer linken und militanten Geschichte kommen, auf
so was einlassen.
[4] Dass man/frau
gleich mit gesteht, kultiviert und philosophisch interessiert zu
sein, ist allerdings selten bei Knackis. Aber was für eine
Kultur ist das eigentlich, in der heimliche Absprachen mit der Obrigkeit
gut angesehen sind? Und welche Philosophie legitimiert eigentlich
Egoismus? Das ist ja nicht mal christlich.
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