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Wenn die Sache irre wird -
werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
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Laßt sie im Trüben fischen
Diskussionspapier zur Kampagne für Aussageverweigerung
Am 16.03.1989 bekam Gabi H. aus Bochum für ihre Weigerung,
der "Denunziationspflicht" nachzukommen, sechs Monate
Beugehaft aufgebrummt. Im Vorfeld zu den Zeuglnnenvorladungen nach
Karlsruhe im März kam es aufgrund der Tatsache, daß einige
der Vorgeladenen aussagen würden, dazu, daß die Kampagne
zur Aussageverweigerung in Frage gestellt wurde. Die Palette der
Argumente reichte vom Vorwurf, daß die Betroffenen gar nicht
anders handeln könnten, als zu schweigen, da sie durch den
Druck der Ansprüche in der Szene nur die Wahl zwischen Märtyrerin
oder Verräterin hätten bis hin zu der Auffassung, die
Kampagne wäre nicht "politisch".
Trotzdem - oder gerade deshalb - weil wir das für eine fatale
Entwicklung halten, wollen wir den Versuch starten, die politischen
Dimensionen und Voraussetzungen für das Gelingen einer solcher
Kampagne zu. thematisieren, denn mit der Beugehaft haben unsere
Verfolger eine neue Waffe erprobt.
Diese Waffe hat sich gegen uns bewährt, die Aussageverweigerung
konnten wir nur vereinzelt erreichen. Man muß kein Wetterfrosch
sein, um zu wissen, woher der Wind weht; um zu wissen, daß
mit der neuen Waffe Beugehaft in Zukunft vermehrt zu rechnen ist,
bei der Fahndung gegen militante Gruppen, bei der Kriminalisierung
von Veranstaltungen, bei der Verfolgung unserer Publikationen, bei
der Konstruktion neuer "terroristischer Vereinigungen".
Keine HeldInnen, keine Märtyrerlnnen! Der Ruf nach größerer
Entschlossenheit, nach Konsequenz und Opferbereitschaft vergrößert
nicht unseren Schutz, sondern produziert nur unsere "Verräterlnnen".
Wenn umgekehrt der Umgang mit der Denunziationspflicht nur eine
persönliche Entscheidung der Betroffenen ist, wenn unser Umgang
mit staatlichen Nachforschungen nur taktisch und nicht politisch
bestimmt ist, dann untergraben wir die Basis jeglichen politischen
Handelns, dann zerstören wir unsere Solidarität untereinander.
Wie wir unsere Kämpfe kollektiv führen wollen und sollten,
so muß auch unser Umgang mit der Repression ein kollektiver
sein.
Das soll nicht heißen, daß DER Verhaltenscodex entwickelt
wird. Gleiches Verhalten ist ungleich für ungleiche Menschen,
die in unterschiedlichen Lebenssituationen leben und unterschiedliche
politische Auffassungen haben. Wir können politische Grundpositionen,
die Richtung, in die unsere politische Intiative, die massenhafte
Aussageverweigerung, zielt, gemeinsam entwickeln, aber nicht detailliert
die einzelnen Handlungen.
Wenn wir die Kampagne, auf einen realistischen Boden stellen und
verbreiten, brauchen wir ein Konzept, das von allen (potentiell)
Betroffenen gemeinsam getragen werden kann. Die Unterschiedlichkeit
und Breite dieses Spektrums müssen wir dabei genauso berücksichtigen,
wie die unterschiedlichen Lebenssituationen der jeweiligen Betroffenen!
Trotz der Teilerfolge im Rhein-Main-Gebiet und im Ruhrgebiet, die
Kampagne Aussageverweigerung greift noch nicht überzeugend.
Aussagen sind die Regel, Aussageverweigerung die Ausnahme. Die -
auch bei Linksradikalen - hohe Aussagebereitschaft wird in Diskussionen,
Analysen, Kritiken und Rechtfertigungen mit vier Faktoren erklärt:
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Viele meinen, mit größerer persönlicher Entschlossenheit
ließen sich die Probleme mit der, Kampagne lösen.
Größere Entschlossenheit ist natürlich auf jeden
Fall eine gute Sache, doch Skepsis ist angebracht, ob sie allein
ausreichen wird. "Die Aussagen waren und sind nicht (nur)
Ausdruck individueller Schwächen und fehlender persönlicher
Standfestigkeit; in ihnen spiegeln sich vor allem gravierende
Fehler einer gesamten Bewegung wider. Militante Überheblichkeit
und Arroganz, patriarchale Strukturen, Fluktuation und fehlende
Eigenverantwortlichkeit, die sich besonders immer wieder in
der Nichteinhaltung von gemeinsamen Absprachen gezeigt hat -
dies sind Fehler, die schon länger diskutiert wurden, ohne
daß dies jedoch zu ernsthaften Konsequenzen geführt
hätte" (Zitat aus der Plattform zum Startbahn-Prozeß).
Unter anderem auch die mangelnde Bereitschaft, sich auch auf
der persönlichen, alltäglichen Ebene (halt auch Ängste
uns Schwierigkeiten) mit der Bedrohung Knast auseinanderzusetzen.
Bevor sie uns trifft, unterschätzen wir ihre Gewalttätigkeit,
nachdem sie uns getroffen hat, unterschätzen wir unsere
Kraft und Widerstandsmöglichkeiten.
-
Politisch ist die Aussageverweigerung mit dem Kampfverhälfnis
zum Staat begründet worden. Viele der Strömungen,
die eine Kampagne mittragen müßten, haben aber gar
kein solches Verhältnis zum Staat - weder die Grünen,
noch Journalistlnnen von taz bis Emma -. Darüberhinaus:
auch viele Linksradikale verhalten sich entgegen ihren eigenen
Analysen, als hegten sie im Stillen die Hoffnung, sich taktisch
geschickt der Bedrohung entziehen zu können. Eine entsprechende
Unterwerfungsgeste ist die Berufung auf den juristisch-taktisch
ziemlich unbrauchbaren §55 StPO. Wenn unsere Verfolger
konkret an etwas interessiert sind, verzichten sie wegen einer
Unterwerfungsgeste nicht auf Repressalien; sie lassen erst ab,
wenn sie haben, was sie wollen oder wenn wir ihnen gezeigt haben,
daß sie nicht kriegen werden, worauf sie aus sind und
ihnen der politische Preis zu hoch wird.
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Die Bereitschaft zu Aussagen ist umso größer, je
mehr Distanz zu den verfolgten Taten und / oder Inhalten besteht
(siehe Startbahn): Die Aussageverweigerung wird umgekehrt bestärkt,
wenn neben der Solidarität mit den verfolgten Menschen
und Inhalten (die ja, je nach Strömung unterschiedlich
stark ausgeprägt ist) ein gemeinsamer Inhalt die Aussageverweigerung
mitbegründet und mitmotiviert: der Kampf gegen den §129a.
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Besonders fatal sind die Konsequenzen des individuellen Herangehens
an die Zeugniserpressung. Aussagen werden gemacht in dem (in
der Regel irrigen) Glauben, sie würden nicht schaden: "Ich
weiß ja nichts, warum soll ich also Zwangsgeld und Beugehaft
in Kauf nehmen?" In dieser Haltung versteckt ist die Bestärkung
zweier Vorwürfe und Vorurteile: Zum einen ist sie der heimliche
Vorwurf des "Märtyrertums" an die Leute, die
bereit sind Aussagen generell zu verweigern und die Beugehaft
auf sich zu nehmen, zum anderen bestärkt sie die in dieser
unserer Denunziantenrepublik weit verbreitete Haltung, daß
"wer nichts zu verbergen hat, auch aussagen könne"
und entsprechend "wer nicht aussagt, hat auch was zu verbergen".
So richtig und wichtig konsequente und generelle Aussabeverweigerung
ist: eine Kampagne zur Aussageverweigerung muß einen gangbaren
Weg zwischen zu hohen Ansprüchen und taktischer Beliebtheit
(Berufung auf §55, Teilaussagen, Gedächtnisschwund)
finden.
Unser Vorschlag dazu ist eine öffentliche Absichtserklärung,
grundsätzlich jedes.129a-Verfahren zu blockieren, zu verzögern
und zu behindern. Und dies u.a. durch Verweigerung jeglicher Aussage
- auch entlastender Aussage - zu tun.
Das Ziel der Kampagne, die kollektive Aussageverweigerung, wird
auch erreicht über das Verständnis und die Solidarität
legaler, linker, politischer Gruppen bis hin zum Lager des politischen
Liberalismus und sie dazu zu bewegen, sich hinter diese Absichtserklärung
zu stellen.
Für den Kampf gegen den §129a ist das Ziel der Kampagne,
die Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsmöglichkeit,
die über die hilflose Aufforderung an unsere Feinde hinausführt,
den von ihnen als Waffe gegen uns eingeführten §129a wieder
zu streichen.
In Verfahren nach diesem Gesinnungs- und Ermittlungsparagraphen,
der insbesondere ja auch soziale Beziehungen kriminalisiert (die
Kontaktschuld ersetzt mangelhafte Tatvorwürfe) kommen ZeugInnenaussagen
eine besondere Bedeutung zu. Um nicht mißverstanden zu werden:
Es geht NICHT um eine Relativierung des Ziels kollektiver Aussageverweigerung!
Es geht um eine Diskussion auf möglichst breiter Ebene, von
Verständnis, Solidarität bis hin zum konsequenten Einsatz
der Aussageverweigerung und darum, dieses Zusammenwirken als Mittel
gegen den verordneten Denunziantenzwang durchsetzen.
Laßt uns nicht die Abschaffung des §129a fordern, sondern
Aussageverweigerung und Solidarität als eine Möglichkeit
einsetzen, um ihn wirkungslos verpuffen zu lassen.
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