Wenn die Sache irre wird -
werden die Irren zu Profis Infos und Texte zur Aussageverweigerung
und Beugehaft aus dem Jahr 1988.
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Noch 'ne Einschätzung
Seit die beiden Bochumerinnen aus dem Knast raus sind, ist es zu
einem rapiden Schrumpfen der Diskussion um Aussageverweigerung und
Beugehaft gekommen. Verständlich, zumal sich diese hauptsächlich
anläßlich der zunächst drohenden, dann eingetretenen
Beugehaft entzündet hat.
Aber mit der Freilassung der beiden Frauen ist letzendlich nur
die Zuspitzung des Konflikts - und das vermutlich nur für eine
begrenzte Zeit - ausgesetzt worden. Wenn wir es mit unserer eigenen
Einschätzung der Funktion von Zeugenaussagen im Rahmen von
§129a Verfahren ernst meinen, dann befinden wir uns nicht am
Ende einer Aussageverweigerungskampagne, sondern mittendrin (am
Anfang?).
Wir halten daher eine Zwischenbilanz der Aussageverweigerungskampagne
im Ruhrgebiet für notwendig, zum einen um die Fehler, die gemacht
wurden zu diskutieren und zum anderen, um die Diskussion nach der
Perspektive einer Aussageverweigerung weiterzuführen.
Zu Beginn ein kurzer Rückblick auf die Aussageverweigerungs
/ Anti-Beugehaft-Kampagne / im Ruhrgebiet:
nach der Razzia vom 18.12.87 war klar, daß es zu einer Menge
Zeuglnnen- Vorladungen kommen würde. Nach den Erfahrungen mit
Zeuglnnenaussagen im RheinMain- Gebiet sollte ein ähnliches
Desaster hier vermieden werden.
Die meisten ZeugInnen verweigerten ohne Angaben von Gründen
die Aussage, nur wenige machten Aussagen oder verweigerten nach
§55. Bei den direkt Betroffenen und in der linken Szene herrschte
scheinbar weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit und
die Bedeutung von Aussageverweigerung. Diese Situation setzte sich
auch noch in einer Veranstaltung vom 11.12.88 fort, die u. a. das
Ziel hatte, die Aussageverweigerung mit allen möglichen Konsequenzen
in einem über die Betroffenen hinausgehenden Rahmen zu diskutieren.
Auch da schien noch alles klar: konsequente Aussageverweigerung,
keine Kooperation mit dem Staatsschutz! Zu diesem Zeitpunkt zogen
jedoch noch wenige in Betracht, daß dies u. U. Knast bedeuten
kann, obwohl es theoretisch möglich war.
Nachdem die Staatsanwaltschaft den ersten Antrag auf Beugehaft
gestellt hatte, schreckte die Szene auf. Es bildeten sich Anti-Beugehaft-
Plena, die es sich als Ziel gesetzt hatten, die Beugehaft zu verhindern.
Auch zu diesem Zeitpunkt stellte kaum jemand die weitere konsequente
Aussageverweigerung in Frage. Verschiedene Aktionen zur Informierung
der Öffentlichkeit wurden durchgeführt, es wurde versucht,
die Diskussion um Aussageverweigerung und Beugehaft in ein möglichst
breites linkes/linksliberales Spektrum reinzutragen.
Als die Beugehaft dann angeordnet wurde und sich für die Betroffenen
die harte Alternative Aussage oder Knast stellte, da geriet mit
einem Schlag die bisherige scheinbare Klarheit bezüglich Aussageverweigerung
nicht nur bei einigen Betroffenen.ins Schwanken. Angesichts der
jetzt kaum noch abwendbaren Realität Knast, brach die Diskussion
um konsequente Aussageverweigerung, Perspektive und Durchführbarkeit
einer Aussageverweigerungskampagne, individuelle Zumutbarkeit, Bedründung
der Aussageverweigerung etc.heftigst aus. (Argumente siehe diese
Broschüre)
Diese Diskussion wurde jedoch im wesentlichen informell geführt,
d. h. sie fand kaum öffentlich statt. Ein wesentlicher Grund
dafür war die Tatsache, daß nach Bekanntgabe der Beugehaftanordnung
von Betroffenen, berichtet wurde, daß sie auch in Karlruhe
bei der 3. Vernehmung die Aussagen verweigern bzw. sich gegebenfalls
auf §55 berufen würden. Angesichts dieser scheinbar getroffenen
Entscheidung wollte niemand die grundsätzliche Diskussion aufwerfen,
um die Betroffenen nicht in Zweifel zu stürzen und um ihnen
nicht in den Rücken zu fallen. Zudem befürchteten einige,
daß eine grundsätzliche Diskussion ein weiteres Handeln
blockieren würde. Öffentlich und kontrovers wurde die
Diskussion erst dann wieder geführt, nachdem die erste Bochumerin
in Beugehaft saß und nachdem in Karlsruhe Aussagen gemacht
worden waren.
Fehler, die gemacht wurden:
Die Trennung zwischen politischen Unterstützerlnnengruppen
und konkret Betroffenen konnte nur im Falle der Bochumerinnen teilweise
aufgehoben werden. Sonstige Unterstützerlnnengruppen haben
von Dikussionen und Zweifeln der Betroffenen zu wenig mitgekriegt,
mit der Folge, daß das Kräfteverhältnis und die
Entschlossenheit der Einzelnen falsch eingeschätzt wurden.
Dieses hat letztendlich dazu geführt, daß die Aussagen
in Karisruhe für viele überraschend kamen und bis zuletzt
Ratosigkeit darüber bestand, wie mit dieser Tatsache umzugehen
sei. Diese vor Karlsruhe bestehende Trennung konnte nach dem 16.3.
erst recht nicht aufgehoben werden, d. h. es hat bis heute keine
gemeinsame Diskussion über den 16.3. gegeben.
Die Diskussion über individuelle und politische Gründe
zur Aussageverweigerung bzw. welches die Ursachen sind, daß
Aussagen bislang die Regel und nicht die Ausnahme sind, wurde nie
gründlich geführt.
Es wurde zwar öfter die unterschiedliche persönliche
und politische Vorstellung der Menschen, die von ZeugInnenvorladungen
betroffen sind als wichtige zu berücksichtigende Größen
genannt, es ist jedoch nur in Ansätzen gelungen, die diversen
Faktoren, die diese Unterschiedlichkeiten ausmachen, zu konkretisieren
und die jeweils daraus folgenden Konsequenzen für das Verhalten
zu diskutieren.
Angesichts der Tatsache, daß auch im Ruhrgebiet letzten Endes
deutlich mehr Aussagen und / oder - Berufung auf den §55 als
konsequente Aussageverweigerungen stattgefunden haben, stellt sich
die Frage nach dem Erfolg und der Perspektive der Aussageverweigerungskampagne.
Polemisch gefragt: War / ist die Kampagne richtig, nur die Menschen
haben versagt?
Der Erfolg der Kampagne läßt sich nicht an Zahlenverhältnissen
festmachen.
Im Rahmen der Aussageverweigerungskampagne wurden bis jetzt mehrere
Dinge erreicht:
- Die Problematik und Gefahr von Zeuglnnenaussagen ist in das
Bewußtsein einer relativ breiten linken Öffentlichkeit
gedrungen.
- Die prinzipielle Aussageverweigerung (ohne juristische Grundlage)
als eine mögliche kollektive politische Antwort auf den Angriff
der Statsschutzbehörden ist für viele linksradikale/linke
Menschen vorstellbar und machbar (?) geworden.
- Der Angriff auf die linksradikale/linke und feministische Szene
im Ruhrgebiet, der mit dem 18.12.87 offen eingeleitet wurde, konnte
zumindest teilweise abgewehrt werden. Es hat keine Aussagewelle
gegeben! Die Aussagen, die letztendlich gemacht wurden, wurden
in dem klaren Wissen um ihre möglichen Auswirkungen und dementsprechend
überlegt gemacht. Von den allermeisten ZeugInnen der ersten
Verhörrunde wurden keine Aussagen gemacht. Und beim Großteil
der "KanditatInnen" der zweiten Runde mußte die
BAW immerhin zu ihrem härtesten Druckmittel Beugehaft greifen,
um von den Leuten Aussagen zu erpressen.
- Die Androhung und Anwendung der Buegehaft hat zu einer Verbreiterung
der Diskussion um Aussageverweigerung geführt. Dieser Effekt
war sicherlich von den Staatsschutzbehörden nicht vorgesehen.
Auch der Versuch, die Diskussion um Aussageverweigerung zu kriminallisiern
(mit Hilfe des §129a) hat nicht die gewünschte Entsolidarisierung
oder Distanzierung bewirkt.
Wir meinen, daß die Aussageverweigerungskampagne fortgesetzt
werden muß. Das Ziel muß bleiben:
Keine Kooperation mit dem Staatsschutz!
Keine Aussagen!
Voraussetzung für eine möglichst breite Verankerung der
Kampagne ist jedoch auch, daß die immer wieder auftretenden
Zweifel, Bedenken und Gegenargumente innerhalb der damit befaßten
Szene offen und solidarisch diskutiert werden und auf die noch offenen
Fragen Antworten gefunden werden. Solche Fragen sind z. B.:
Gibt es eine "weiche Linie" der Aussageverweigerung für
Menschen, die prinzpiell von der Aussageverweigerung überzeugt
sind, jedoch aus bestimmten (politischen, persönlichen) Gründen
nicht Knast dafür in Kauf nehmen wollen? Wo beginnt die"
Kooperation" mit dem Staatsschutz? Wo beginnt Denunziation?
Welches sind die Kriterien, anhand derer wir gemachte Aussagen be-
oder verurteilen'?
Und es muß weiter diskutiert werden, mit welcher politischen
Zielsetzung die Kampagne verbreitert werden kann, damit Aussageverweigerung
als "alltägliches" und "massenhaft" praktiziertes
Verhalten durchgesetzt werden kann.
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