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Diskussion

Der Fall Tarek Mousli. Die "Solidaritätsbewegung".

Und zuletzt noch ein paar Bemerkungen zu Tarek Mousli und dem ganzen Schlamassel drumrum. Da es bisher im Text um militante Gruppen allgemein und die RZ im besonderen ging, muß ich hier zuerst betonen, daß ich mir die Darstellung der Bundesanwaltschaft nicht zu eigen mache - d.h., ich meine zwar, wer in der radikalen Linken von Tarek spricht, muß auch von der RZ sprechen, dies jedoch nicht, weil ich die staatlichen Mitgliedschaft - Konstrukte unterstützen will, sondern weil der Angriff der Staatsschutzbehörden sich hier gegen das politische und strukturelle Konzept "RZ" richtet. Die RZ sind; wie oben beschrieben, im politischen Nirwana verschwunden und können sich zu dem Angriff nicht äußern - wobei damit natürlich nicht gesagt ist, daß sie es täten, wenn sie noch da wären. Die Antwort auf den Angriff muß von der radikalen Linken kommen, soweit sie irgendeinen Bezug zu militanter Politik haben oder wenigstens hatten, sei es praktisch, theoretisch, persönlich, politisch... Das verschwinden der RZ macht es dabei schwieriger, Anknüpfungspunkte für eine Diskussion zu finden; was es an Texten dazu gibt, liegt überwiegend acht Jahre zurück. Das fehlen eines erkennbaren politischen Umfelds rächt sich nun, da scheinbar (fast) niemand sich verantwortlich für die Thematik fühlt.

Eine mögliche Antwort findet sich in dem Text "Milis Tanz auf dem Eis, den die Rote Zora 1993 veröffentlichte (der im Untertitel benannte "Versuch Boden unter die Füße zu kriegen", scheiterte offenbar in der Folgezeit). Zum Repressionsschlag 1987 schreiben sie da auf Seite 30 u.a.: "Anstatt das die Themen der Antirepressionskampagne die Aktionen der Roten Zora und die Fehler oder Richtigkeit unserer Politik und die Fragen der Organisierung zentral mit eingeschlossen hätten, wurde unsere Politik ebenso totgeschwiegen, wie grundsätzlich die Fragen um Probleme und Aufgaben praktischen Frauenwiderstandes aus der Diskussion ausgegrenzt blieben." Dèja vu...!?

Doch erst einmal etwas zu Tarek Mousli.

Wenn ich im folgenden von seinem "Verrat" spreche, dann deswegen, weil der Begriff insgesamt am treffendsten Tareks Verhalten beschreibt, obwohl die Frage des Wahrheitsgehaltes seiner Aussagen ungeklärt im Raume steht. Die erkennbare Absicht und die Form und Umstände seiner Aussagen scheint mir den Begriff des "Verrats" zu rechtfertigen. Wen und was er verrät, kann und will ich hier nicht diskutieren.

Selbstverständlich müssen sich alle, die mit ihm irgendwo organisiert waren, fragen, wie gut sie ihn kannten, was sie von ihm wußten, und sie werden wahrscheinlich an ihrer Menschenkenntnis zweifeln. Aber die in diesem Zusammenhang unausgesprochen herumgeisternden Fantasien davon, wie jemand schon zehn Jahre vorher als zukünftiger Verräter identifizierbar sein soll oder wie allseitig vertrauenswürdige autonome Normalperson aussehen könnte, sind blödsinnig. Wer von euch gibt mir Brief und Siegel, wo er oder sie in zehn Jahren ist? Oder die zahlreichen Menschen, mit denen er oder sie in der Vergangenheit das eine oder andere angestellt hat? Verratsfälle der einen oder anderen Art hat es auch früher gegeben, aber wer kennt heute noch Namen wie Gerhard Müller oder Volker Speitel, oder wer weiß noch zu sagen, wer nach den Startbahnschüssen 1987, wo zwei Bullen erschossen wurden, welche Aussagen gemacht hat.? Der scheinbar "nie dagewesene Verrat" ist vorallem ein Zeichen schon immer dagewesener Vergesslichkeit Linksradikaler.

Ich gehe jede Wette ein, daß die Wahrheit ziemlich einfach ist: jemand hat mit einer Phase seines Lebens abgeschlossen, und das durchaus nicht nur im Frieden, sondern auch in Bitterkeit mit einigen Menschen gegenüber. Dann hat er sich jahrelang in anderer Richtung orientiert. Er hat keine oder fast keine Loyalitäten mehr gegenüber der Vergangenheit, weder politisch noch persönlich. Die Vergangenheit holt ihn aber unvermutet ein, sei es durch ein Konstrukt des BKA, sei es durch irgendwelche Fehler und Irrtümer, sei es, weil er einen Schritt zurück zu dieser Vergangenheit getan hat zu einem Zeitpunkt, wo er das niemals hätte tun dürfen, eben weil er schon viel zu weit weg davon war. Nun bricht der Boden unter ihm weg, und er greift nach dem letzten Halt, den er sieht (denn anderen, wie etwa sozialen und politischen Rückhalt, hat er über die Jahre selbst freiwillig aufgegeben) - ganz egoistisch, weil er nicht in den Knast will. Einmal in den Fängen des BKA, kann er nicht mehr zurück und wird jetzt von denen eingemacht. Punkt. Nein noch nicht Punkt: Es sollte nicht vergessen werden, daß Tarek in all dem auch Mensch und Subjekt ist, zum guten wie zum schlechten. Wenn von der Kronzeugen- Regelung die Rede ist, klingt das oft, als ob der Kronzeuge ein fremdgesteuertes Werkzeug ist, das nichts anderes tut, als zu unterschreiben, was ihm vorgelegt wird, und dessen einzige "selbstbestimmte" Handlung das Erfinden von Beschuldigungen ist, sobald der Liebesentzug seitens der Verhörenden droht. Ich denke, die Bundesanwaltschaft wäre froh, wenn es so wäre; wahrscheinlicher dürfte aber sein, daß die Aussagen Tareks von allerlei persönlichen Interessen und Eigenarten gefärbt sind, die nicht alle deckungsgleich mit denen von BKA und BAW sind. Sei es, daß er alte Rechnungen begleicht; sei es, daß er aus persönlicher Eitelkeit den großen Allwisser spielt; sei es, daß er sich lückenhaft und falsch an - Dinge erinnert; sei es, daß er sich in einem Spiel mit hohem Einsatz sieht und versucht, so cool wie möglich alle abzuzocken (auch Klaus Steinmetz in Wiesbaden soll ja geglaubt haben, er könne mit dem BKA spielen , wie die Maus mit der Katze). Im übrigen wird mit dem Schlagwort "Kronzeuge" zu viel herumgeworfen, wie ich meine. Dieses Gesetz hat letztlich nur etwas juristisch vereinfacht, was es in der einen oder anderen Form immer schon gab - den Strafnachlaß für Verräter und Abschwörer. Gäbe es kein Kronzeugengesetz, würde sich an der aktuellen Situation kaum etwas ändern, denn der Druck auf Tarek, nur durch umfassende Aussagen einer Anklage wegen Rädelsführerschaft in den RZ entgehen zu können, wäre derselbe.

Ich glaube, das Schockierende an dem Fall Tarek Mousli ist nicht der Verrat an sich. Vielmehr ist es erstens ein Schlag gegen den letzten überlebenden Mythos militanter Tradition, die Unverwundbarkeit der RZ und damit des Modells autonomer militanter Zellen an sich, für die die RZ Taufpate stand. Das tut weh.

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