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Zweitens ist es der vorläufige Höhepunkt einer Serie von Repressionsschlägen der letzten zwölf Jahre, die die vorher lange relativ "erfolgsverwöhnte" Berliner Szene durchgeschüttelt haben: 1988 der VS-Bulle Benzig, der zwei GenossInnen in Sachen "Amazonen"-Anschläge in U-Haft brachte, 1992/94 der "Fall Kaindel", 1995 die Razzien in Sachen K.O.M.I.T.E.E. und Radikal mit Haftbefehlen gegen diverse Menschen, 1997 die Razzia gegen die Interim, 1999 die Razzien wegen Anti- Castor- Anschlägen, und dazwischen noch allerlei kleinere Aktivitäten z.B. gegen die Antifa- Szene ... das hinterläßt Spuren.

Drittens, und damit rücken wir vor bis zur Gegenwart, hat meiner Meinung nach auch die Reaktion der potenziell Betroffenen zum Dilemma beigetragen. Das Gegeneinander von Rede- und Denkverboten von der einen Seite und wüste Spekulationen von der anderen Seite wirkt lähmend. Es gibt faktisch keine politische Solidaritätsbewegung mit den Gefangenen, sondern im wesentlichen eine Struktur zum juristisch-technischen Umgang mit der Situation, die notwendigerweise völlig dominiert ist von den RechtsanwältInnen. Ich gehe davon aus, daß sie die Interessen ihrer MandantInnen vertreten und aus professionellen Erwägungen heraus handeln, wenn sie- wie bisher geschehen - massiv "deckeln" und politische Aspekte aus dem Verfahren auszublenden versuchen. Deswegen mache ich auch den AnwältInnen keinen Vorwurf (obwohl es durchaus auch die Position gibt, ein offensiv-öffentlicher Umgang mit dem Verfahren sei auch juristisch ein sinnvoller, was allerdings sofort im Dez.1999 hätte eingeleitet werden müssen...). Im Gegenteil: Von den AnwältInnen ist genau diese beschriebe Herangehensweise zu erwarten.

In der Zwickmühle sitzen die UnterstützerInnen und FreundInnen der Betroffenen. Sie kommen aus unterschiedlichen Bereichen und haben sicher alle Mühe damit, ihren Kreis zusammenzuhalten und sich nicht an internen Konflikten aufzureiben. Informationshierachien, Sozialprestige, Konkurrenz, Mißverständnisse, Überlastungen... und dann wird von außen erwartet, die Leute sollen politische Orientierung für eine Soli-Bewegung geben. Die Beispiele der letzten 15 Jahre zeigen, daß diese Last noch keine Soli-Gruppe schultern konnte, es sei denn , die Betroffenen kamen alle aus der selben sozialen und politischen Ecke oder es gab klare Vorgaben von Seiten der Gefangenen (wie im Falle der RAF).Angesichts der Mehrfachbelastung von Gruppen- und Plenumsstreß und der notwendigen Verknüpfung teils widersprüchlicher Interessen von Gefangenen, Angehörigen, FreundInnen, AnwältInnen, Mitbetroffenen und Politszene werden die Soli-Plena traditionell rasch kleiner und schweigsamer, und drumherum blühen allerlei Gerüchte und Mißstimmungen. Und diese Gerüchte werden überall produziert, von allen Beteiligten, oft ohne es zu merken. Ich will mich lieber gar nicht daran erinnern, wieviel Quatsch mir in den letzten Monaten auch von alten, erfahrenen GenossInnen erzählt wurde - und manches davon habe ich auch noch anderen weitererzählt...

Ich bin nicht der Meinung das sich das ändern würde, wenn die Aussagen Tareks veröffentlicht würden. Ich glaube, daß viele, die eine Offenlegung fordern (sind es überhaupt so viele?), anders reden würden, wenn ihre eigenen Namen darin die Hauptrolle spielen würden. Andererseits entsteht Solidarität nicht nur aus Wissen und Anteilnahme, sonst wird's schnell zu Gehorsam auf Grund von Disziplin - die Partei verordnet Solidarität, und wir schwenken Fähnchen... Die immer wiederkehrende Trotz-Reaktion auf diese Überlegung ist: Aber wieso denn? Weshalb müssen die Leute soviel wissen, um solidarisch zu sein? Die wollen doch nur Infos haben aus purer Neugier! Das stimmt zwar auch, aber so sind sie nun mal, die Leute. Ah, ich sehe, gerade kommt der olle Brecht ins Zimmer und flüstert mir ins Ohr: Wer das nicht aushalten kann, löse die alte Szene auf und wähle sich eine neue.

Was mich richtig nervt, ist, daß sich bei einigen Leuten plötzlich die ganze Welt um den eigenen Bauch zu drehen scheint, wodurch sich ihre persönlichen Interessen und Ängste auf irritierende Weise mit politischen Debatten vermischen. Und das gilt für Menschen aller verwickelten Fraktionen, ob sie nun für die politische "Öffnung" eintreten oder für einen defensiven Umgang. Die Unfähigkeit, andere Sichtweisen zu akzeptieren (oder überhaupt nur zu begreifen) und damit umzugehen, macht sicher einen großen Teil des Stresses aus unter dem alle leiden - auch die, die ihn selbst produzieren.

Aber die "Biographisierung" der radikalen Linken scheint ja gerade in Mode zu sein. Die Geschichte der militanten Politik v.a. der bewaffneten Gruppen, wird kaum von aktiven Gruppen oder Einzelnen Thematisiert, sondern in den persönlichen Erinnerungen einzelner abgehandelt. Diese Biographien haben ihre Berechtigung, aber das kann doch nicht alles gewesen sein!? Auf der politischen Bühne scheint sich die Parole "das Private ist politisch" so verselbstständigt zu haben, daß linksradikale Politik im wesentlichen von den persönlichen Befindlichkeiten der einzelnen gesteuert wird. Ebensowenig will ich mich damit zufrieden geben, daß - meistens in den letzten Jahren - politische Verfahren und Prozesse zur Privatangelegenheit mehr oder weniger zufällig Betroffener und ihrer AnwältInnen werden. Der Repressionsschlag rund um Tarek Mousli richtet sich wie gesagt nicht gegen den Mehringhof und nicht gegen antirassitische Arbeit, sondern gegen militante linksradikale Organisierung, völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Aussagen. Damit hat sich die radikale linke zu befassen, und - angesichts der offensichtlich angeschlagenenVerteidigungsstrategie - nicht die AnwältInnen und nicht die unmittelbaren UnterstützerInnen der Beschuldigten. Es ist auch klar, daß die im Raum stehenden Knaststrafen so hoch sind, daß gerade die Gefangenen sehr vorsichtig und gründlich jedes öffentliche Wort abwägen müssen und werden. Die Konsequenz daraus scheint mir, daß - wie erlebt bei den beiden bisherigen Veranstaltungen in Berlin, Humbold-Uni 23. März und Kato 6. Juni - jeder Versuch, alles unter einen Hut zu bringen, zu einer weiteren politischen Demobilisierung und Lähmung führt. Wer die Soli-Bewegung der letzten Jahre miterlebt hat, wendet sich mit Grausen ab angesichts des Wiederholungszwangs und denkt sich, daß jede Szene die Soli-Bewegung bekommt, die sie verdient. Es ist das selbe Prinzip wie oben beschrieben in Sachen militanter Politik: wo keine offensive, mutige politische Szene ist, ist auch kein entsprechender Ausdruck der Solidarität.

Es gab in der Vergangenheit schon einige öffentliche Stellungnahmen dazu, wobei ich vorallem die Interim 497 (23.März 2000) empfehlen möchte mit dem Text "Wo soll das alles enden?" (von "Dave Boman") und "Akte RZ ungelöst" (aus der Zeitung "Libertad"). Es gibt an beiden Texten auch manches auszusetzen, u.a. die unkritische Übernahme von Spekulationen und Kolportage etwa aus dem "Focus". Was die politische Einschätzung zum "Fall Tarek" und der Soli-Bewegung angeht, sind sie aber in meinen Augen unverändert aktuell und legen den Finger auf die richtige Wunde.

Dennoch bleibt eines klar schlaue Interim-Beiträge oder in "äußeren" Medien lancierte Veröffentlichungen (wie jüngst in Tagesspiegel und taz am 23.6.) sind nichts als bedrucktes Papier, solange dahinter nicht solidarisches Interesse und Engagement von vielen Menschen erkennbar wirken.

Die Erscheinungsform der "Soli-Bewegung" als verkniffene wortkarge Geldsammel - Agentur wird sich von selbst nicht endern.

Es liegt an allen Menschen drumrum, selbst tätig zu werden und die politische Initiative zu übernehmen!

Egon Enzian Juni 2000

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