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Daß die juristischen folgen aus dieser Einkreisung des militanten Spektrums nicht vergleichbar sind mit der Wucht, die die RAF und ihr Umfeld stets traf, liegt nicht daran, daß die Gegenseite überhaupt keine Namen hätte, die sie auf die Anklagebank zerren könnte. Es liegt vielmehr an der Aktionsform, den Aktionsmitteln, und vermutlich auch der politischen Dimension. Knapp gesagt: wenn Menschen aus den Kreisen der Machtelite getötet werden, wenn Schußwaffen und "echter" Sprengstoff (kein Selbstlaborat) benutzt wird und wenn drittens internationale Verflechtungen militanter Gruppen vermutet oder bekannt werden, etwa zu Guerillas oder fremden Geheimdiensten, dann "hört der Spaß auf". Deswegen wurde die RAF so grausam bekämpft, und nicht, weil sie eine große politische Gefahr für das System, eine bedeutende revolutionäre Gegenmacht darstellte.

Bei den Staatsschutzorganen gibt es aufgrund der jahrelangen Ermittlungen sicher umfangreiche Listen mit potentiellen Militanten; diese Leute werden z.B. in die polizeiliche Beobachtung miteinbezogen, also bei jedem amtlichen In-Erscheinung-treten registriert, ebenso wird zu beobachten versucht, wo und zu welcher politischen Thematik sie sich engagieren. Solche Listen sind zwar "juristisch unsichtbar" weil es keine Anklagen gibt, aber die Auswirkungen auf militante Gruppen sind dennoch sehr konkret (auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen). Für die jenigen, bei denen der Staatsschutz mit seiner Vermutung richtig liegt, stellt sich die Frage nach dem "wie weiter" nicht nur politisch, sondern auch technisch: kann ich überhaupt weiterhin so etwas machen, und wenn ja, wen außer mir selbst gefährde ich noch alles? In einer Zeit, wo mehr Leute aufhören als neue anfangen, ist das natürlich fatal, denn es bedeutet, das erfahrene Militante aus den Gruppen ausscheiden müssen, der Ausdünnungsprozeß so verstärkt wird und die neu gekommenen die selben Fehler wie die alten machen und darüber auch wieder schneller als nötig in das gegnerische Raster geraten. Angesichts der Rahmenbedingung, nämlich daß radikale Opposition überhaupt und militante im besonderen hierzulande eine reine Bewußtseinsentscheidung ist und nicht materiell erzwungen, ist es für viele Menschen nicht mehr sehr verlockend, sich militant zu organisieren. Soviel Risiko und soviel Streß für sowenig Ergebnis? Da mache ich doch lieber meine Ausbildung fertig und gehe wandern oder surfen. Diese Problem läßt sich nicht organisatorisch-formal lösen und auch nicht durch die militanten Gruppen selbst, sondern nur durch eine radikale Linke, die mehr Initiative und Ausstrahlung gewinnt.

Dann würde auch die Debatte über "militante Perspektiven", deren Fehlen oder deren Diskontinuität so oft beklagt wird, wieder lebendiger werden. Es ist ja nicht so, daß - wie manchmal behauptet - die böse staatliche Zensur eine solche Debatte unmöglich machte. Sondern es ist das geringe Interesse bzw. Die geringe Zahl der Interessierten, die die Debatte hemmt. Es stimmt zwar, daß ich auf einer öffentlichen Veranstaltung auch deshalb nicht große Reden über militante Organisierung schwinge, weil ich befürchten muß, dadurch (über Spitzel) im Raster der Staatsschützer festgehalten zu werden, was meine reale Organisierung in einer militanten Gruppe gefährdet. Aber das ist ein anderer Grund als die immer wieder angeführte angst vor der allgemeinen zensierenden Repression. Dies ist ein vorgeschobener Grund, der eigentlich vorallem das Gefühl der Isoliertheit ausdrückt.

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