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Das wirkt jetzt ein bisschen wie Nachtreterei, aber es spielt eine Rolle, weil es eine alte Wunde der militanten Gruppen berührt: die Selbstüberschätzung. Es ist zwar seit rund zehn Jahren üblich geworden, daß militante Gruppen sich bescheiden äußern, lieber von Nadelstichen als von Machtfrage reden, aber es fragt sich, ob das in Einklang steht mit der persönlichen Gefühlswelt. Denn wer schon einmal etwas gemacht hat mit allem Drum und dran - Organisierung verdeckter Kommunikation, sichere Treffen, technische Infrastruktur klarmachen, taktische Planung usw. Usf. Bis hin zu dem Moment, wo du in einem "feindlichen" Objekt drinstehst und den Zeitzünder plazierst, oder auch bis zu dem Moment wo das BKA dir morgens um sechs Uhr die Tür eintritt und die Knarre an den Kopf hält -, weiß, daß das Leben der Beteiligten davon in einem Ausmaß absorbiert und bestimmt wird, daß sie gar nicht anders können, als die militante Ausdrucksform für sehr wichtig zu halten. Und die Antwort des Staates mag gesamtgesellschaftlich betrachtet unbedeutend sein, individuell gesehen ist sie gewaltig.

In Zeiten der Bewegung wie sie weiter oben beschrieben wurden ist, ist die Abschreckungswirkung der Repression geringer, nicht etwa, weil es weniger Repression gibt, sondern weil sie erstens ein starkes Gegenüber hat im Wir-Gefühl der Bewegten, und weil zweitens die Wahrscheinlichkeit, selbst getroffen zu werden, geringer scheint. Die militanten Gruppen haben in den Jahren danach aber das Problem, daß sie wenig Nachwuchs haben und nach und nach personell immer enger eingekreist werden von der Gegenseite. Es muß hier auch einmal aufgeräumt werden mit zwei Mythen: der erste sagt, die Staatsschutzorgane haben nie jemanden von der RZ gekriegt und die RZ-Leute waren lauter völlig unauffindbare Phantome; der zweite sagt, die Erfolglosigkeit der Staatsschutzorgane gegen die militanten autonomen Gruppen sei auf deren geschickte Konspirativität zurückzuführen.

Erstens die Geschichtsschreibung des BKA in Sachen RZ ist sicherlich eine andere. Das BKA hat 1978 durch das Folterähnliche Verhör Hermann Feilings nach dessen Bomben-Unfall etliche Namen ermittelt. Die Betroffenen mußten untertauchen. Damit war vermutlich nach BKA-Einschätzung die Ur-RZ aus dem Rhein-Main-Gebiet weitgehend zerschlagen. Des weiteren wurden in der gleichen Zeit zwei Leute als Rzler vom BKA verhaftet und später zu mehrjährigen Knaststrafen verurteilt, ein dritter tauchte ab, stellte sich 1982 und kam relativ glimpflich davon. Den aufmerksamen BKA-LeserInnen des "Revolutionären Zorn Nr. 6 (Januar 1981) ist sicher nicht entgangen, daß gleichzeitig die RZ eine Art (personellen) Bruch und Neuanfang durchmachten. Daß BKA zwischen 1978 und 1986 (als das "Wecker-Programm" anlief) untätig in Sachen RZ war, ist höchst unwahrscheinlich. Das persönliche Umfeld der als RZ-Mitglieder oder- UnterstützerInnen angesehenen Personen ist garantiert im Auge behalten worden. Ebenso dann 1986/87, als über die Markierung von Weckern und das Filmen der KäuferInnen mehrere Personen ins Raster gerieten, von denen einige abhauten, andere verhaftet wurden. Das BKA hat sicher Personen- und Umgebungsprofile angefertigt und über die Jahre so, daß Netz um die potenziellen RZ-Mitglieder immer enger gezogen. Ob sie da die richtigen im Visier hatten, ganz oder zum Teil, ist zwar eine andere Frage; daß die Schweine aber völlig im Dunkeln tappten, ist nicht mehr als ein naiver Wunschtraum. Und das selbe gilt für die autonomen Gruppen. Solange es bedeutendere Ziele wie RAF und RZ gab, hat der Sicherheitsapparat mit denen beschäftigt und die "Guerilla diffusa" eher nebenbei bearbeitet. Das hatte zur Folge, daß Durchsuchungen oft schlampig waren und Dinge unentdeckt blieben, oder daß Fehler der militanten Gruppen bei der Durchführung von Aktionen nicht auffielen. Die Spurensicherung einer lokalen Kripo ist eben etwas anderes als die des BKA, sie hat weniger Geld, weniger Mittel, weniger Leute, weniger Wissen, weniger politische Motivation. Der Berliner Staatsschutz ist (oder war) bundesweit berühmt für seine Erfolgs- und Lustlosigkeit. Andererseits wurde bei den meisten politischen Durchsuchungen der 90er Jahre, die in Sachen militante Gruppen stattfanden, belastendes Material gefundenund zwar in jeder denkbaren Konstellation: Bei Leuten mit Jahre -, jahrzehntelanger Erfahrung. Bei Leuten die wußten, die Razzia bevorsteht. An Orten, die bekanntermaßen polizeibekannt waren. Material, das seit langem hätte vernichtet sein müssen. Texte, in denen ausdrücklich stand, daß sie weg müssen. Auf Computern oder Disketten, die problemlos rechtzeitig hätten gereinigt oder gesichert werden können.....dieses Material muß deswegen noch lange nicht juristisch verwertbar sein, es muß nicht unmittelbar mit den von der Durchsuchung Betroffenen zu tun haben, und es kann die Behörden auch durchaus zu falschen Schlüssen verleiten. In der Gesamtheit fließt es aber in die Staatsschutz-Analysen mit ein, zusammen mit der Auswertung von Texten (wie auch diesem hier), Observationen, Telefonüberwachungen, Ermittlungsverfahren, Hinweisen anderer Behörden, Spitzelberichten. Auch die autonome militante Szene ist durchaus personell eingekreist. Wenn schon ein popliger Berliner Staatsschutz-Kommissar Koch im Jahr 1996 einen Bericht Abliefert, von dem er wissen muß, daß er früher oder später die autonome Szene erreichen wird, in dem über personelle und strukturelle Verflechtungen sehr detailliert (und teilweise schon eher krankhaft) spekuliert wird- wie sehen dann wohl die geheimen Analysen des Verfassungsschutzes und des BKA aus?

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