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Diskussion

Selbstwahrnehmung und Analyse, Tellerrand und Einkreisung

Wenn Menschen aus militanten Gruppen zum Thema "politische Perspektiven" nicht mehr zu sagen haben als mögliche nächste Anschlagziele und daß es nötig ist, all den ganzen bösen Moloch anzugreifen ( wie geschehen im "Runden Tisch der Militanten"), dann verweist das einmal mehr auf die oben genannte Begriffsverwechslung- denn weder reden sie über mögliche Formen militanter Organisierung und deren Interventionsmöglichkeiten /außer mal eben "Neue Technologien" zu hypen, von denen sie offenbar nicht viel wissen), noch reden sie über politische Perspektiven linksradikaler Politik. Und das , obwohl einige Seiten vorher alle Beteiligten klar gemacht haben: "Militanz ist ein mittel, kein Programm". Im Grunde sagen sie nur: alles geht so weiter wie bisher. Und das wird es vermutlich auch. Alte Leute, alte Gruppen verdünnisieren sich neue kommen und wissen nicht, wo die Alten geblieben sind. Es ist auch nicht ganz abwegig, anzunehmen, daß es tatsächlich keine Alternative dazu gibt und das daß ganze aufgeregte Suchen nach dem "Neuen" nichts anderes ist als ein blindes Nachbeten der Fortschrittsmythen, die zum Motor des Herrschaftssystem gehören, das wir bekämpfen.

RAF und RZ hatten das Potential zu mehr, da sie Organisierungen waren, die lange bestanden. Sie haben sich entsprechend bemüht, politische Analysen in die radikale Linke zu tragen, was der RZ auch teilweise gelungen ist ( die RAF hatten sich Ende der 70er bereits soweit entfernt vom Großteil der radikalen Linken, das ihre Analysen kaum noch jemand erreichten außerhalb des AntiImp-Spektrums . Wie die Broschüre " Das Ohr auf die Schiene der Geschichte des bewaffneten Kampfes in der BRD" - Stuttgart 1997 - zeigt, haben einige aus dieser Szene das bis Heute nicht bemerkt).

Die Analyse der RZ waren oft wichtig und auch "orientierend "für viele Menschen, vorallem in der ersten Hälfte der 80er. Es läßt sich schwer sagen, ob die politische Wirkung von Analysen der Friedensbewegung oder des Startbahn-Widerstands größer oder kleiner gewesen wäre, wenn darunter nicht "RZ" sondern "Analysegruppe XYZ" gestanden hätte- vermutlich hätten nicht mehr oder weniger, sondern einfach andere Menschen den Text gelesen. Die Tatsache, daß die RZ in der Lage waren, nicht nur Bomben zu legen, sondern auch differenzierte Analysen abzuliefern, hat aber in jedem Fall viel zu ihrem Mythos beigetragen: sie waren die klugen Militanten, oder, um auf eine einstmals in Berlin berühmt-berüchtigte Formulierung von Anfang der 90er zurückzugreifen: sie vereinigten "Mut" und "Schlauheit" in einer Gruppe, während es ringsum oft nur eins von beiden zu geben schien.

Doch auch die RZ mußte Anfang der 80er erkennen, daß sie nicht unabhängig von Zeit und Raum agieren, nicht ihre eigene Bewegung machen konnten. Sie waren den selben objektiven Zwängen unterworfen wie jede x-beliebige autonome Kleingruppe, nur daß eben ein großer Eisberg langsamer wegschmilzt als eine kleine Eisscholle und auch nicht so rasch wieder neu entsteht. Und ihre Fallhöhe war größer: einzelne militante Kleingruppen, tauchten aus der Bewegung auf und verschwanden wieder, ohne daß jemand davon viel Notiz nahm. Die RZ dagegen ließen ein Vakuum zurück, das auch deutlich machte, daß sie an einem Punkt der RAF näher waren als gedacht: beide waren auf Gedeih und Verderb festgelegt auf militante Aktion. Im Fall der RAF wurde das sichtbar an dem Projekt "gesellschaftliche Gegenmacht" Anfang der 90er, mit dem ihre politische Analyse im Verhältnis zur radikalen Linken etwa im Jahre 1981 angekommen war. Die RAF wollte damit nach ihrem politisch-militärischen Scheitern ihr Projekt ins politisch-zivile retten, mußte aber feststellen, daß sie auf dem ersteren Terrain ein Tiger, auf dem letzteren ein Mäuschen war, dessen Piepsen fast niemand hörte. Und die Rz mußten bemerken, daß sie mit dem Einstellen der Aktionen fast augenblicklich und nahezu spurlos verschwunden waren - aus dem früheren Vorteil der öffentlichen Ungreifbarkeit und anonymen Einbettung in eine diffuse linksradikale Szene wurde nun der Nachteil, weder als Mensch noch politisch identifizierbar zu sein.

Es wird auch in Zukunft eine radikale Linke geben, und es wird militante Gruppen geben, die in und aus dieser Szene heraus agieren. In der Broschüre "Als das K.O.M.I.T.E.E. ein Osterei legte" (Berlin 1999) wird das Verhältnis als "nicht orientierend, sondern eher kommentierend" beschrieben. Und wenn die radikale Linke keine Orientierung hat, kann auch die schlauste RZ dies nicht ersetzen.

Solange das so ist, liegt die Aufgabe der militanten Gruppen nicht in erster Linie darin, politische Strategien zu entwerfen, sondern sich selbst ins Verhältnis zu möglichen praktischen Strategien der radikalen Linken zu setzen, den eigenen Standort zu bestimmen, die eigene Organisierungs- und Aktionsform kritisch zu durchleuchten.

Das geht aber nur, wenn es dabei auch eine Analyse der Vergangenheit und eine differenzierte Selbstwahrnehmung gibt. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. es 1995 fertiggebracht hat, in zwei direkt aufeinanderfolgenden Sätzen erst festzustellen, daß "revolutionäre Politik hier in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich immer nur eine Randposition" ohne "realistische Strategie" innehatte und dann zu behaupten "konsequente militante Praxis könnte einer der Hebel sein, den Kreislauf der Linken von Glaubwürdigkeitsverlust nach Außen und Mutlosigkeit und Anpassung nach Innen zu durchbrechen" - beim "Runden Tisch der Militanten" als "völlig richtige Einschätzung "zitiert, in meinen Augen ein völlig abwegiger Spagat zwischen erst realistischer Einschätzung der politischen Großwetterlage" und sodann vollkommen irrealer Überschätzung der Bedeutung des eigenen Projektes und militanter Gruppen überhaupt. Da hilft alle politische Analyse nichts mehr, wenn die Wahrnehmung der eigenen Wirklichkeit so verzerrt ist. Auch die befragten Anti- Imps in der og. Broschüre " Das Ohr auf die Schiene der Geschichte..." scheinen bis zum Erscheinungsdatum 1997 nicht reflektiert zu haben, in welchem Ausmaß sie die eigene politische Stärke in den 70ern und in den 80ern herbeifantasiert hatten und wie sehr sie persönliche Erfahrungen von relativ begrenzter Breitenwirkung mit starker politischer Bewegung verwechselt haben.

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