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40. Prozesstag: 30. November 2001

Lehrstunden über die BKA-Ermittlungsarbeit

Der 40. Verhandlungstag eröffnete zum wiederholten Male tiefe Einblicke in die Qualität der BKA-Ermittlungstätigkeit. Verholfen dazu haben den Verfahrensbeteiligten und der interessierten Öffentlichkeit heute die drei Kriminalpolizisten Helmut Hause, Boris Bischoff und Sven van Elkan - alle drei tätig beim BKA in Meckenheim. In dieser Funktion hatten die drei direkt bzw. indirekt mit den zwei Durchsuchungen der Wohnung von Axel H. im Jahr 1999 zu tun. Was sie dort gefunden haben, wertet die BAW als Vielzahl von Indizien, die die Angaben des Kronzeugen bestätigen würden.

Bevor es zur Befragung der Zeugen kam, nutzte Rechtsanwalt v. Schlieffen die Gelegenheit, um einen Antrag zu stellen, der sich auf Erkenntnisse aus der gestrigen Verhandlung bezog. Gestern war bekannt geworden, dass sich in den Beständen des BKA Videoaufzeichnungen der zweiten MehringHof-Durchsuchung vom Mai 2000 befinden, die der Verteidigung und dem Gericht bislang vorenthalten wurden. Bei dieser Videoaufzeichnung handelt es sich um die Bilder der Standleitung, mittels derer der Kronzeuge, zusätzlich verbunden über Telefon, die BKA-Beamten vor Ort dirigierte. Den Antrag auf "Beiziehung bzw. Hilfsweise Beschlagnahmung" dieses Beweismaterials begründete die Verteidigung von Axel H. damit, dass die Bänder Aufschluss darüber bringen könnten, wie sicher sich der Kronzeuge bei seinen Angaben war, die er den Polizisten vor Ort gab, was wiederum Aufschluss auf die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen geben könnte. Darüber hinaus könnte das Video auch Hinweise enthalten, die für gutachterliche Feststellungen - z.B. hinsichtlich der Wischproben nach Sprengstoffrückständen - hilfreich sein könnten.

Gebissener Hund bellt

Weil es sich um "polizeiinternes Material" handele und außerdem Belange des Zeugenschutzes berühre, sei das Video nicht zu den Akten gelangt, hieß es gestern. Diese Begründung sei nicht überzeugend, so Rechtsanwalt v. Schlieffen, denn es sei nicht ersichtlich, wie dadurch etwaige Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort des Kronzeugen zu ziehen wären. Insofern müsse angenommen werden, dass es das Gericht und die Verteidigung hier zum wiederholten Male mit einem "prozessordnunsgwidrigen Vorenthalten" von Aktenbeständen und Beweismitteln durch die BAW zu tun habe.

"Es hätte weniger scharfe Geschütze bedurft, um die Bundesanwaltschaft zum Entgegenkommen zu bewegen", so versuchte sich Bundesanwalt Bruns mit betont generöser Haltung aus der Bredouille zu ziehen. Doch damit ging er einen Schritt zu weit. Jedenfalls sah sich Rechtsanwalt v. Schlieffen veranlasst, dem Gericht zu empfehlen, es solle eine "dienstliche Erklärung der BAW" zu ihrem Vorgehen verlangen. Ungeheuerlich sei, dass die BAW permanent versuche, entlastendes Beweismaterial unter den Tisch fallen zu lassen.

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

Ob der Senat die Empfehlung der Verteidigung aufgreift, darauf darf man gespannt sein. Als sei nichts geschehen, wurde im Anschluss das Programm des heutigen Tages durchexerziert. Erster geladener Zeuge war der Leiter der Festnahme von Axel H. und der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung am 19.12.1999. Einsatzkräfte des BGS und des BKA drangen am Morgen des 19. Dezember in die Wohnung des Angeklagten ein. Nachdem Axel H. von den Sicherungskräften des BGS gefesselt worden war (aus welchen Gründen konnte heute nicht geklärt werden), konfrontierte ihn Bundesanwalt Monka mit dem Haftbefehl und dem Durchsuchungsbeschluss. Bei der anschließenden Kontrolle der Wohnung und anliegender Räume wurden zahlreiche Gegenstände, darunter ein Schlüsselbund, eine Geldbörse und eine Schreibmaschine sichergestellt. Diese Schreibmaschine, die außerhalb der Wohnung gefunden wurde, sollte im weiteren Verlauf der heutigen Hauptverhandlung eine zentrale Rolle spielen.

Helmut Hause (41) leitete diese Aktion, hinterließ aber nach seiner Befragung den Eindruck, als verlange das BKA für diese Position nicht sehr viel von seinen Bediensteten. Von der Verteidigung gefragt, warum Axel H. gefesselt worden sei, ob es irgendwelche Veranlassung dafür gab, konnte Hause keinen Grund dafür nennen. Vielmehr zog er sich darauf zurück, dass der BGS, der im Rahmen einer Arbeitsteilung für die Sicherheit zuständig war (jedoch ihm als Einsatzleiter unterstand), selbständig gehandelt habe. "Ich weiß nicht" oder "ich kann mich nicht erinnern", so seine Standardeinlassungen auf Nachfragen. Hause wurde vor allem dazu befragt, wie die Durchsuchung vor sich ging, wo die beschlagnahmten Gegenstände konkret aufgefunden und wie sie asserviert wurden. Eine größere Rolle spielte dabei die Frage, welche Anhaltspunkte bestanden, neben der Wohnung von Axel H. die Durchsuchung auch auf einen so genannten Abstellraum und von Hause als "Gemeinschaftsräume" bezeichnete Bereiche auszuweiten, die alle auf dem selben Stockwerk wie die Wohnung gelegen sind. Erst nach mehrmaligem Nachfragen konnte sich Hause zu der Antwort durchringen, "irgendjemand" habe davon gesprochen, der "Abstellraum" sei "Axel H. zuzuordnen".

BAW kritisiert Urteilsvermögen junger Beamter

Weil es "doch erkennbar von Bedeutung ist, ob dieser Raum Herrn H. zuzuordnen ist", wie Rechtsanwalt Euler es ausdrückte, musste als nächster Zeuge der 27-jährige BKA- Kriminalkommissar Boris Bischoff Rede und Antwort stehen. Bischoff hatte den Abstellraum durchsucht und dort die Schreibmaschine gefunden. Allerdings konnte er die Frage auch nicht beantworten. Vielmehr musste er einräumen, dass man lediglich von der Annahme ausgegangen sei, dass der Raum "auch von Axel H. bzw. ausschließlich von ihm benutzt worden sei". Die Frage, wie die Einsatzkräfte vor Ort zu dieser Schlussfolgerung gekommen waren, beantwortete der Zeuge mit den Worten: "Der Raum lag halt neben der Wohnung von H.."

Gleichzeitig bestätigte Bischoff aber auch, dass der Raum nicht verschlossen war. Und gab zu, dass man die Abstellkammer für "allgemein zugänglich" gehalten habe. Ob er überhaupt verschließbar war, ob bei Axel H. eventuell ein passender Schlüssel gefunden wurde, ob es Anhaltspunkte dafür gab, dass der Raum alleine von ihm genutzt worden sei - auf all diese Fragen konnte Bischoff keine Antwort geben. Entweder verwies er auf seinen Vorgesetzten Hause bzw. gestand ein, dass in diese Richtung keine Überlegungen angestellt worden seien.

Auch darüber, wo er die Schreibmaschine konkret gefunden habe, konnte er keine Auskunft (mehr) geben. Irgendwo rechts im Raum, so seine Antwort. Weil sein Erinnerungsvermögen so wenig überzeugend war, zog Bischoff schlussendlich sogar noch den Zorn von Bundesanwalt Bruns auf sich. Der hatte ihn gefragt, wie groß denn überhaupt dieser Abstellraum gewesen sei. In einem Anflug von misslungener Souveränität fiel dem jungen Polizisten nichts bessere ein als die Antwort, "kleiner als der Gerichtssaal". Diese offensichtliche Weigerung zu "konstruktiver Mitarbeit", die allen Prozessbeteiligten unzweifelhaft vor Augen führte, wie die BKA-Beamten ihre Rolle als Zeuge verstehen, konnte die BAW natürlich so nicht durchgehen lassen. Es folgte ein Anpfiff. Bundesanwalt Bruns forderte den Zeugen auf, sich gefälligst anstrengen. Doch auch das nutzte nichts. Es sei schließlich schwer - so der Zeuge - Raummaße richtig einzuschätzen.

Der Chef muss noch einmal ran

Da Bischoff auch zum Zustand der Schreibmaschine, die er auf Geheiß des Gerichts mitgebracht hatte, nichts Konkretes sagen konnte, musste noch einmal sein Chef ran. Bischoff hatte zuvor ausgesagt, dass die Schreibmaschine nicht mehr funktionsfähig war. Hause bestätigte das. Eigentlich wollte man an Ort und Stelle eine Schriftprobe nehmen, doch aus irgendwelchen Gründen, die auch heute im Unklaren blieben, war das Gerät nicht bedienbar. Deshalb habe Hause sich entschlossen, das Schreibgerät zu beschlagnahmen. Wem die Maschine danach übergeben wurde und was mit ihr geschah, dazu konnte er keine Angaben machen.

Self- fullfilling prophecy?

Der weitere Werdegang der Asservate blieb also im Dunkeln. Aufgenommen wurde der Faden dann am nächsten bekannten Punkt. Geladen war der BKA-Beamte, der die Auswertung der bei der Durchsuchung beschlagnahmten Gegenstände vorgenommen hatte. Dabei widmete sich Kriminalkommissar Sven van Elkan (28) vor allem den Dingen, die bei der ersten Durchsuchung am 23.11.1999 mitgenommen worden waren. Besonderes Interesse riefen die Adress- und Notizbücher von Axel H., lose Zettel und die Schreibmaschine hervor, die seinen Kollegen bei der zweiten Durchsuchung am 19.12.1999 aufgefallen war.

Erfahren konnte man durch die Schilderungen van Elkans, dass das BKA auch nur mit Wasser kocht (oder wie man es mit den abgewandelten Worten eines chinesisches Bauernphilosophen ausdrücken könnte: Das BKA ist ein Papiertiger). Adressbücher sind bekanntlich ein gefundenes Fressen für die Ermittlungsbehörden, kann man darüber doch Einblick erhalten, mit wem jemand verkehrt, was immer Anlass für Spekulationen gibt. Van Elkan machte sich also dran, die Einträge in den Adressbüchern auf verdächtige Personen hin abzugleichen. Hilfsmittel war das digitale Telefonverzeichnis auf der Telekom-CD "D-Info" aus dem Jahr 1997. Benutzt wurde diese Ausgabe, weil man mit ihr noch über die Telefonnummern den Anschlussinhaber ermitteln konnte. Eine Funktion, die aus datenrechtlichen Gründen bei späteren Ausgaben nicht mehr vorhanden ist.

Ergebnis der Recherche war, dass in dem Adressbuch, das aus dem Jahr 1997 stammt, alle Angeklagten und Lothar E., gegen den die BAW ein Auslieferungsverfahren in Kanada führt, zu finden sind. Haarscharf schlussfolgerte van Elkan: Das lässt darauf schließen, das Kontakte zwischen H. und den anderen Angeklagten bestanden. Inwieweit die Auswertung auf den Angaben des Kronzeugen beruhte oder umgekehrt, die Auswertungen bei den Vernehmungen des Kronzeugen zum Einsatz kamen, konnte nicht abschließend geklärt werden. "Ich habe das ausgewertet, also geschaut, welche Namen mir oder meinen Kollegen etwas sagen, um das für die Vernehmungen zu nutzen", so allerdings van Elkan, der an mehren Unterredungen mit dem Kronzeugen beteiligt und auch ansonsten aktiv in den Fall eingebunden war, auf eine entsprechende Frage der Verteidigung.

Zwei Notizzettel erregten zudem seine Aufmerksamkeit. Auf dem einen sind Angaben zu Typenrädern von Schreibmaschinen vermerkt, der andere enthält Angaben zu einer Verabredung. Da nach Angaben von Tarek Mousli die Typenräder der Schreibmaschinen, auf denen Erklärungen der RZ getippt worden waren, nach Gebrauch ausgetauscht wurden, sieht die BAW in der Notiz auf dem ersten Zettel einen stichhaltigen Beleg für eine Mitgliedschaft von Axel H.. Auch die Einordnung des zweiten Zettels geht auf Anregungen des Kronzeugen zurück. Auf dem Zettel ist die Adresse Hasenheide Nr. 52/53 und eine Uhrzeit angegeben. Nach Auffassung von van Elkan ist zudem der Name "Jon" zu erkennen, was nach Ansicht der Verteidigung aber auch durchaus als "Jan" gelesen werden könnte. Nun hat Mousli berichtet, in einem Restaurant "Hasenheide" habe es Treffen der RZ gegeben. Da es das BKA nicht für notwendig hielt, die Örtlichkeiten mit diesen Angaben abzuklären, hält es sie für deckungsgleich mit dem von Mousli behaupteten RZ-Treffpunkt. Nicht einmal der Zusatz "1. Hinterhof" machte van Elkan stutzig. Der hatte zwar zugegeben, dass er als Nicht-Berliner die Örtlichkeiten nicht kenne, aber man darf doch auch von einem Nicht- Berliner erwarten, dass er ein Restaurant in einem Hinterhof für wenig wahrscheinlich hält. Irgendwie drängt sich der Eindruck auf, als wolle man einfach nur die Sachen bestätigt bekommen, die man zu finden erhofft. So ist es kein Wunder, dass weder Versuche unternommen wurden, die Schrift auf dem Zettel durch Sachverständige untersuchen zu lassen, um die Namensfrage zu klären, noch eine vergleichende Handschriftenanalyse veranlasst hat, um die Frage der Autorenschaft zu klären. Auch für die zeitliche Eintragung bzw. Niederschrift in den Adressbüchern und den Notizzetteln hat man sich nicht interessiert. Es passt ja alles so schon zusammen.

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht

Zumal es da ja auch noch die Schreibmaschine gibt. Nach Auswertung des Karbonbands entdeckte das BKA, dass auf ihr ein Brief geschrieben wurde, der mit "Anton" unterzeichnet ist. "Anton" soll laut Tarek Mousli der RZ-Deckname von Axel H. gewesen sein. Dieser Brief, im Sommer 1999 verfasst, beginnt mit der Anrede "Hallo Langer", ein Spitzname, den das BKA Mousli zuordnet. In dem Brief wird detailliiert nach den Vorgängen im ersten Quartal 1995 gefragt. Damals wurde im Keller von Mousli Sprengstoff gestohlen, was im weiteren Verlauf zur Durchsuchung des Kellers führte und die Ermittler auf die Spur von Mousli brachte, was dann im Frühjahr 1999 in einer ersten Verhaftung gipfelte. Angaben also, die, wie nach einer Verlesung der entsprechenden Pressemittelung der BAW vom 20.5.1999 deutlich wurde, öffentlich bekannt waren. Mousli hat nach seinen eigenen Angaben dieser Brief nie erreicht.

Anstatt die Frage ernsthaft zu klären, wer alles Zugang zu der Schreibmaschine hatte, wertete van Elkan penibel die Schriftstücke aus, die auf dieser Maschine geschrieben worden waren, was zu dem Ergebnis führte, dass die Schreiben vor und nach dem Brief an "Langer" mit dem Namen von Axel H. gezeichnet sind.

Zu einer weiteren Erörterung kam es nicht, da die Zeit bereits weit fortgeschritten war. Van Elkan ist deshalb erneut für kommenden Freitag als Zeuge geladen. Deutlich wurde heute, dass das BKA alleine in eine Richtung ermittelt hat, Widersprüchen nicht nachging und äußerst einseitig sich der Aufklärung von Sachverhalten gewidmet hat. Eigentlich Anlass für das Gericht, bei der weiteren Einvernahme des Zeugen kritisch nachzufragen, um somit dem Gebot der Wahrheitsfindung endlich gerecht zu werden.

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