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149. Prozesstag: 30.10.2003
Gesinnungsjustiz in Reinform
"Hoher Senat, meine Damen und Herren", so förmlich hob Bundesanwalt
Bruns heute an, als er die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft
(BAW) zu den Beweisanträgen der Verteidigung vortrug, mit denen
der Frage nachgegangen werden soll, ob nach Auflösung der RZ überhaupt
eine Verurteilung der Angeklagten nach §129a möglich ist. Man war
also vorgewarnt - und das war auch gut so, denn was folgte, war
eine absurde Textexegese der BAW, mit dem alleinigen Ziel die andauernde
Gefährlichkeit der "Revolutionären Zellen" im allgemeinen und der
Angeklagten im besonderen Jahre nach dem letzten Anschlag der RZ
und der Anfang der 1990er Jahre geführten Auflösungsdiskussion zu
belegen.
Obwohl alle Welt davon ausgeht, dass die "Revolutionären Zellen"
Geschichte sind, und selbst in der Anklage zum hiesigen Prozess
von der "Selbstauflösung der 'Berliner Zelle' im Jahre 1995" die
Rede ist, wurde diese "gesicherte Lebenserkenntnis" nach mehr als
eineinhalb Jahren zum Gegenstand der Hauptverhandlung - aus gutem
Grund (s.u.). Um aus "berufenen Mund" eine Bestätigung für die erfolgte
Einstellung der Aktivitäten in Berlin zu erhalten, beantragte die
Verteidigung die Ladung u.a. des Berliner Innensenators, des Präsidenten
des Bundesamtes für Verfassungsschutzes bzw. des Berliner Verfassungsschutzes
sowie von verschiedenen, zum Teil noch aktiven Leitern des polizeilichen
Staatsschutzes und anderer Dienste. (vgl. 146. und 148. Prozesstag)
Für die BAW, so war heute zumindest den Ausführungen von Bundesanwalt
Bruns zu entnehmen, ist allerdings die "unter Beweis gestellte Tatsache
(also die Auflösung der Berliner RZ) ohne Bedeutung". Vor dem Hintergrund
einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg eine durchaus
gewagte These. Hatten doch die Naumburger Richter im August in einer
Haftsache doch entschieden, dass die drei zur Zeit wegen "Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung" vor Gericht stehende Magdeburger
Antifaschisten nicht nach §129a zu verurteilen seien, da sich die
unterstellte Vereinigung bereits aufgelöst habe und seit geraumer
Zeit nicht mehr in Erscheinung getreten sei. Der/die JuristIn spricht
hierbei von einem "persönlichen Strafaufhebungsgrund". Der Bundesgerichtshof
hob zwar den Beschluss des OLG Naumburg auf, allerdings nur, weil
er die zweifelsfreie Auflösung in der Beweisaufnahme festgestellt
sehen wollte.
Einen "persönlichen Strafaufhebungsgrund" sah Bundesanwalt Bruns
also für die Angeklagten im RZ-Verfahren nicht gegeben, und in Richtung
des Senats mahnte er an, diese Schlussfolgerung dürfe auch "keinesfalls
gezogen werden". Und warum? Nach "herrschender und zutreffender
Meinung", so jedenfalls Bruns, sei Voraussetzung für einen Strafaufhebungsgrund,
das "freiwillige und ernsthafte Bemühen" und die "aktive Verhinderungstätigkeit
des Täters". Bezeichnend, dass er im weiteren - entgegen üblicher
Gepflogenheit - keine einzige Kommentierung zur Illustration und
Unterfütterung seiner Behauptung anführte, wenn auch kaum verwunderlich,
fällt diese doch mehrheitlich ganz anders aus. (vgl. Antrag der
Verteidigung von Matthias B.) Weder eine "qualifizierte, aktive
Verhinderungstätigkeit, die zumindest subjektiv optimal sei muss",
sah Bruns bei den Angeklagten, noch habe die Beweisaufnahme Anhaltspunkte
gegeben, "dass einer der Angeklagten nach §129a Abs.5 i.V.m. §129
Abs. 6 ernsthafte Aktivitäten entwickelt hat".
Was tun, wenn man die unumstößliche Tatsache, dass die RZ seit
Jahren nicht mehr aktiv sind, nicht einfach aus der Welt schaffen
kann? Was tun, wenn die "Beseitigung des durch eine terroristische
Vereinigung bewirkten hohen Gefährlichkeitspotentials" (OLG Naumburg)
längst eingetreten ist und somit der Strafaufhebungsgrund greift?
Man behauptet einfach dreist das Gegenteil, so auch Bundesanwalt
Bruns für die Zeit nach dem Ausstieg von Sabine E. und Rudolf Sch.:
"Die Berliner RZ hat mit dem personellen und sachlichem Bestand
weiter gewirkt." Sabine E., Rudolf Sch. und Matthias B. hätten sich
nie von militanter Politik distanziert, ihr Verhalten sie lediglich
"ein persönliches Zurückgehen in die Legalität". Die Erklärung von
Rudolf Sch., dass von Sabine E. Ende der 1980er Jahre verfasste
Papier "Was ist das Patriarchat" sei eine Abrechnung mit Konzepten
militanter Politik und dokumentiere einen "grundsätzlichen Perspektivenwechsel",
sei nicht glaubhaft. (Die Prozessbeteiligten hatten im Anschluss
an die Ausführungen der BAW die Gelegenheit, sich von diesem Papier
selbst ein Bild zu machen - dank des besitzenden Richters Hanschke,
der zum Vorlesen verdonnert worden war.) Fleißig hatte Bundesanwalt
Bruns für seine Stellungnahme die Papiere aus dem RZ-Zusammenhang
studiert, die Anfang der 1990er Jahre erschienen sind und den Auflösungsprozess
nach außen hin dokumentierten. Auf Grund seiner Lektüre kam er zu
der Einschätzung, dass Papier von Sabine E. hätte ganz im Gegenteil
den Anstoß zu einer neuen RZ-Kampagne geben sollen. Zwar hat es
nie eine anti-patriarchale RZ-Kampagne gegeben, was ja - wenn diese
Interpretation einer "radikalen Neubestimmung" zutreffen sollte
- wiederum ein Indiz für die erfolgte Auflösung wäre, doch solche
dialektischen Feinheiten interessieren einen Bundesanwalt nicht,
gibt es da ja immer noch den Kronzeugen, auf den man sich in der
Not stützen kann. Und so wurde flugs noch eine entsprechende Aussage
Tarek Mouslis aus dem Hut gezaubert.
Und weil die Lage für die BAW ernst ist und viel auf dem Spiel
steht, fehlt in den Ausführungen auch nicht der Verweis auf das
Knieschussattentat auf den Verwaltungsrichter Dr. Korbmacher 1987,
lies: der Appell an den Senat zur Klassensolidarität, zumal das
Opfer ja einer aus den eigenen Richter-Reihen war. Beinahe genüsslich
zitierte Bruns aus der Anschlagserklärung, um anschließend feststellen
zu können, wer solche "Hasstiraden" zu verantworten habe, könne
nicht glaubhaft von einem zeitgleich einsetzenden "Perspektivwechsel"
reden, der dann zum Ausstieg aus der RZ geführt habe, wie es Rudolf
Sch. in seiner persönlichen Erklärung vom letzten Verhandlungstag
getan hat.
Hätte es noch eines Beweises bedurft, die Bundesanwaltschaft hätte
nicht deutlicher dokumentieren können, was für ein Verfahren sie
hier betreibt und welchen Charakter dieser Prozess hat. Die Angeklagten
sind politische Gegner, die zu bekämpfen sind, der Prozess ist ein
politischer Prozess, in dessen Zentrum die politische Gesinnung
der Angeklagten steht. Dem gemäß kann es aus Sicht der BAW Strafaufhebung
auch nur für den/die geben, der/die kapituliert und öffentlich von
seiner politischen Überzeugung abschwört.
Mit einer Entscheidung des Senats zu den Beweisanträgen der Verteidigung
ist frühestens kommenden Donnerstag (6.11.) zu rechnen. Die beiden
Verteidiger Kaleck und Becker kündigten jedenfalls eine Stellungnahme
zu den Ausführungen der BAW an, die eventuell die Zeitplanung des
Senats zunichte machen könnten. Die morgige Hauptverhandlung wurde
aufgehoben.
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