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105. Prozesstag: 28. November 2002

Aus dem Leben eines Sprengmeisters

Der heutige relativ kurze Prozesstag hatte im wesentlichen die Erneuerung des Antrages von Rechtsanwalt Euler auf Ortstermin am Seegraben, einen Antrag zu RZ-Sicherheitsstandards im Umgang mit Explosivstoffen sowie die Befragung eines Sprengmeisters aus Ostwestfalen zum Inhalt.

Rechtsanwalt Euler hat seinen Antrag vom 25. September auf Ortsbesichtigung am Seegraben in Buch bei Berlin zurückgezogen und in überarbeiteter und erweiterter Form gemeinsam mit seinem Kollegen König neu gestellt.

Mit der Ortsbegehung soll der Beweis erbracht werden, dass es sich bei der vom Kronzeugen Tarek Mousli anhand einer Skizze markierten Stelle, wo er sein Sprengstoffpaket im Frühjahr 1995 versenkt haben will, um einen "unverwechselbaren Ort" handelt. Die zahllosen "Skurrilitäten", Widersprüche und offensichtlichen Unwahrheiten , die Mouslis Aussagen zur Sprengstoffentsorgung enthalten, sollen dessen Unglaubwürdigkeit beweisen.

"Feuer und Flamme für diesen Staat"

Euler beantragte außerdem, es solle die RZ-Schrift "Feuer und Flamme für diesen Staat" zur Verlesung gebracht werden, in der Maßregeln zum Umgang mit Sprengmitteln enthalten seien. Die darin zu Papier gebrachten Grundsätze der RZ widersprechen der Angabe des Kronzeugen völlig, dass zu einer bestimmten Zeit Sprengstoff in einem Aufzugschacht des Mehringhofes deponiert gewesen sein soll, der jedoch trotz mehrfacher "Profi"-Absuche durch Polizei und BKA niemals gefunden oder nachgewiesen werden konnte. Darin heißt es etwa, dass brisante Explosivstoffe nie an Orten mit Temperaturen unter 10 Grad Celsius aufbewahrt werden sollen, ebenso wenig wie in bewohnten Gebieten. Es müsse für ausreichend Luftzirkulation und gelegentliches Wenden des gefährlichen Lagergutes gesorgt werden. Kronzeuge Mousli hatte ausgesagt, von "Sebastian" sei Sprengstoff in den Mehringhof verbracht und dort in einem Schacht in einem der Aufgänge ein Sprengstoffdepot angelegt worden. Zwar habe er den exakten Ort des Depots gekannt, es aber selbst nie gesehen. Auf die Frage der BAW, ob denn die Sicherheitsproblematik im diesem Zusammenhang diskutiert worden sei, habe er zustimmend geantwortet.

RZ-Sicherheitsstandards

Angesichts der Tatsache, dass die Angeklagten Rudolf Sch., Sabine E und Axel H. jegliches Wissen über ein Sprengstoffdepot im Mehringhof bestritten hätten, Axel H. für die Zeit seiner Hausmeistertätigkeit dort die Lagerung von Explosivstoffen ausschließt und ein solches Depot im vielbesuchten Mehringhof mitten im eng bewohnten Kreuzberg den Sicherheitsstandards der RZ grundlegend widersprochen hätte, kommt Rechtsanwalt Euler zu dem Schluss, dass die Angaben Mouslis schlicht falsch sind.

Ein aufrechter Sprengmeister aus Lemgo, der auf 25 Jahren Sprengerfahrung zurückblicken kann und für das Depot in Steinheim der Firma Westspreng (mit Sitz im sauerländischen Finnentrop) allein verantwortlich ist, wurde ausführlich zum Prozedere des Sprengstofferwerbs, -transports, der Lagerung und des Weiterverkaufs befragt. Aus Steinheim nämlich sollen jene Gelamon-40-Stangen stammen, die am 4.7.1987 bei der Firma Klöckner in Salzhemmendorf gestohlen worden sind. Hinter dem Diebstahl sollen die RZ gesteckt haben, der Sprengstoff tauchte bei verschiedenen Anschlägen und in verschiedenen Depots wieder auf.

Gesucht wird nach der Herkunft jener Sprengstoffstangen, die der Kronzeuge Tarek Mousli im Keller deponiert hatte bis ein Teil davon bei einem Einbruch gestohlen wurde, und deren Reste Mousli nun wieder im Frühjahr 1995 im berühmten Seegraben versenkt haben will. Zweifel an deren Herkunft aus dem Diebstahl von Salzhemmendorf hatten die chemischen Analysen zweier kleiner Proben geweckt, nachdem zumindest in der einen Probe durchaus nicht die chemischen Bestandteile nachgewiesen werden konnten, die zur Rezeptur des DDR-Sprengstoffs Gelamon 40 aus der Sprengstofffabrik Schönebeck bei Magdeburg gehören.

Wir machen den Weg frei: Westspreng

Der 53-jährige Zeuge verwaltet das Sprengstoffdepot von Westspreng in Steinheim in Ostwestfalen seit 1983 und hat auch das Lagerbuch aus dem fraglichen Jahr 1987 im Keller noch gefunden. Das Lager hat ein Fassungsvermögen von 40 Tonnen Sprengmitteln, hat ständig 20.000 elektronische Zünder und 10.000 Meter Zündschnur vorrätig und ist für den Bereich Ostwestfalen-Lippe sowie Hannover zuständig.

Der Sprengstoff wird in der Regel mit Spezialfahrzeugen geliefert, die vom Sicherheitsstandard Geldtransportern ähneln und nur durch die Werbeaufschrift Westspreng als rollende Sprengstofflieferungen kenntlich sind. Der Sprengstoff aus dem DDR-Werk in Schönebeck jedoch sei stets mit der Bahn antransportiert worden. Dabei sei es regelmäßig zu der "makaberen" Situation gekommen, dass die mit rund 30 Tonnen Sprengstoff voll beladenen und mit entsprechenden Explosionswarnhinweisen versehenen Waggons auf unbestimmte Zeit auf dem Bahnhof der Stadt Finnentrop im Sauerland gestanden hätten, ehe ihr Inhalt von der Firma abgeholt worden sei, so der Explosionsexperte. In Finnentrop liegt das Zentrallager der Firma Westspreng mit 200 Tonnen Sprengstoffvorrat. Wenn die Steinheimer Niederlassung nun Sprengstoff-Nachschub braucht - das sei auch heute noch so - fordere er das entsprechende Quantum an und liefere es entweder auf Bestellung aus oder "verarbeite" es selber. Der Zeuge versprengt im Monat etwa 30 Tonnen Sprengstoff in der Zement- und Kalkherstellung selber und liefert zwischen 40 und 70 Tonnen an Besteller aus. Die Ware werde in geschlossenen Gebinden in Originalverpackung auf Paletten zu rund 500 Kilo angeliefert. Zur Ausgabe auch kleiner Mengen etwa an das Technische Hilfswerk z.B. für Schornsteinsprengungen öffne er als Dispositionsleiter schon einmal ein Gebinde.

Von der Anlieferung bis zur Ausgabe würden Seriennummern, Paketnummern und weitere Registrierungsmerkmale drei Mal allein in seiner Niederlassung kontrolliert. "Das ist das A und O: schließlich handelt es sich hierbei um Sprengstoff und nicht um Kartoffeln!" Diese Gründlichkeit im Umgang mit der explosiven Ware kann der Zeuge anhand seiner Lagerbücher minutiös nachweisen, was in groteskem Verhältnis zu Möglichkeiten steht, sich des Sprengstoffs etwa bei Zwischenstopps an Bahnhöfen oder durch Überfall auf die unbewaffneten Transportfahrzeuge zu bemächtigen, erläuterte er.

Bombenstimmung mit Gelamon 40

Er verwalte als "Sprengberechtigter" seine Lagerbestände in einem unterirdischen Bunker mit einer massiven Tresortür. Zu einem Diebstahl sei es noch nie gekommen: "Gott sei Dank nicht, obwohl das so einfach wäre, was man aber vielleicht nicht laut sagen sollte."

Einer der Lieferscheine sei, so berichtete der Zeuge, von einem Kollegen abgezeichnet worden, der in Erfüllung seiner Aufgaben bei einer Sprengung ums Leben gekommen ist: also ein durchaus nicht risikofreies Gewerbe, dieser Sprengstoffhandel.

Jedenfalls wurde auf des Sprengmeisters Bestellung hin am 30. März 1987 Gelamon 40 von Finnentrop nach Steinheim geliefert. Von dieser Lieferung gingen am 29. Mai 1987 auf dortige Bestellung hin 200 Kilo des DDR-Produkts an die Firma Klöckner in Salzhemmendorf. Der Zeuge wurde vereidigt.

Die Grenzen der Paranoia

Hatte sich Rechtsanwältin Lunnebach schon während ihrer Befragung des Zeugen gegen halblautes Gemurmel der Bundesanwälte verwahrt, weswegen ihr Kollege Kaleck eine formelle Beanstandungen der Fragen von Seiten der BAW angemahnt hatte, eskalierte der gereizte Ton zu einem lautstarken Disput als Frau Lunnebach ein Gespräch zwischen der Vorsitzenden und einem Gerichtsdiener als "Geheimverhandlungen" bezeichnete. Der notorische Richter Alban, nannte ihre Bemerkung "ungehörig" und sagte wörtlich: "Ihre Paranoia sollte ihre Grenzen haben!"

Verlesen wurden im Anschluss an die Zeugenvernehmung noch drei Ladungsschreiben an den Angeklagten Axel H. nebst Zustellungsumschlägen aus dem Frühjahr 1987. Als Bundesanwalt Bruns die Schreiben sehr genau unter die Lupe nahm, empfahl im der zum Scherzen aufgelegte Rechtsanwalt Eisenberg doch auch noch eine Bissprobe.

Des weiteren wurde ein Schreiben der Kripo bei der Polizeidirektion Magdeburg verlesen, in dem es um einen Abgleich von Los- und Kistennummern geht. Das LKA Berlin hatte nach dem Sprengstofffund beim Kellerplünderer Daniel S. dessen Herkunft aus dem VEB Schönebeck abklären wollen.

Die chemische Analyse zweier Proben des Sprengstoffes aus dem Seegraben durch das Polizeitechnische Untersuchungsamt (PTU) wurden ebenfalls zur Kenntnis verlesen.

Der Termin am Freitag, 29. November 2002 wurde von der Vorsitzenden aufgehoben, ebenso der Verhandlungstermin am Freitag, 6. Dezember, dem Nikolaustage. Der Prozess wird am Donnerstag, 5. Dezember, um 9.15 Uhr fortgesetzt. Es werden die Herren Brockmöller (heißt nicht so auch ein Fernsehkommissar?) und Gröschel zum Themenkomplex Anschlag auf das Gentechnische Institut und Aussagen Mouslis über eine Beteiligung der beiden Zeuginnen Barbara W. und Elisabeth E. daran erwartet. Ein weiterer Mehringhof durchsucht habender Beamter verspricht auch weiter gute Unterhaltung zu gründlicher Polizeiarbeit.

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