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102. Prozesstag: 25. Oktober 2002

Unterwasserwelt

Mit einer, den vorangegangenen Prozesstag rekapitulierenden Erklärung fasste Rechtsanwalt Kaleck noch einmal die Schlussfolgerungen zusammen, welche sich aus den Vernehmungen des BGS- Beamten und zweier Sachverständiger vom Vortag ergaben und die die Einschätzung unterstreichen, dass der Kronzeuge der Bundesanwaltschaft, Tarek Mousli, zum Themenkomplex "Sprengstoffpaket im Seegraben" gelogen hat.

Er betonte noch einmal, dass die Lichtbilder, auf die sich der BKA- Experte bei seiner Schätzung der Abmessungen des Sprengstoffpakets stützte, die einzigen waren, die er für verwertbar hielt, da darauf das Vergleichsmaßband mit dem Fundstück auf gleicher Ebene zu sehen sei. Die Fundort- Fotos vom BGS seien in dieser Hinsicht, zumal aber mit der Schätzung eines Grundflächendurchmessers des zylindrischen Päckchens von 10 bis 12 Zentimeter höchst ungenau und kaum verwertbar. Entsprechende Nachrechnungen und Beurteilungen ließen sich, so regte der Experte an, von Fotogrammetrie- Experten wissenschaftlich absichern. Das Paket habe nach des BKA- Gutachters Expertise mit seinen 7.950 Gramm definitiv schwimmen müssen. Auch wenn das Paket, wie die BAW vermutete, kürzer gewesen wäre, hätte das kaum Auswirkungen auf das den Auftrieb verursachende Volumen gehabt.

Der emeritierte TU- Physikprofessor berief sich bei seinen Rechnungen auf die Ergebnisse und Einschätzungen des BKA- Mannes, die er als plausibel qualifizierte. Er kam bei seinen Berechnungen auf einen Mindestdurchmesser der Grundfläche des aus 24 Sprengstoffstangen mit je 2,2 Zentimeter Durchmesser gebildeten Zylinders von 12,2 Zentimeter. Dieser Wert, der noch keinerlei Umverpackung einberechnet, hätte zur Folge, dass das Paket geschwommen wäre.

Mit oder ohne Grütze

Die zur Entkräftung der Sachverständigen geltend gemachten Einwände von Bundesanwalt Walenta und Richter Alban seien weder mit den Lichtbildern noch mit den Aussagen des Kronzeugen in Einklang zu bringen. Denn Mousli hatte lediglich berichtet, er habe den Sprengstoff - und zwar ohne nennenswerte Kraftanstrengung (was das Zusammenpressens der Stangen sicherlich gewesen wäre) - in zwei blaue Müllbeutel gepackt, mit Klebeband umwickelt und in den Seegraben geworfen, wo er ihm beim Versinken zugesehen habe. Die lebhafte Schilderung des Sinkvorganges enthält das Detail, dass sich durch den Einwurf des Pakets die mit Entengrütze geschlossene Wasseroberfläche geöffnet und nach dem Verschwinden des Pakets wieder verschlossen habe. Außer der Tatsache, dass es zur angeblichen Einwurfzeit im März 1995 rein jahreszeitlich dort keine Entengrütze geben kann und das Paket nach den Berechnungen der Experten gar nicht hätte versinken können, veranlasste Kaleck zu der Feststellung, dass der Kronzeuge an einer zentralen Stelle seiner Aussage gelogen habe.

Weiter argumentierte der Verteidiger, dass auch die Befragung des Finders des Pakets, eines BGS- Beamten eindeutig ergeben habe, dass dieser das Paket mit seiner Suchforke nicht aufgespießt, sondern ohne nennenswerte Kraftaufwendung aus dem Schlick des Seegrabens herausgekämmt habe. Das Paket lag dann auf der Mistforke. Das aber widerlegt die These, das Paket sei beim Bergen beschädigt worden.

Mousli, der Schwindler

Eine Kombination der Aussagen des Vortages lässt es wahr erscheinen, dass Mousli das Paket keineswegs, wie er behauptet, bereits 1995 (nach einem Einbruch und Sprengstoffdiebstahl in seinem Keller) dort deponierte, sondern erst 1999 zwischen seinen beiden Verhaftungen. Als er merkte, dass das Paket oben blieb und nicht wie erhofft im trüben Wasser versank, wird er es wohl noch einmal heraus gefischt und die Plastikhülle beschädigt haben, damit es sich mit Wasser voll sauge und unter gehe. Hätte er das jedoch bereits 1995 getan, wäre im durchnässten Inneren des Plastikbeutels bei der Bergung 1999 vom Sprengstoff, der sich in sechs Wochen bis sechs Monaten im Wasser auflöst, nichts mehr zu finden gewesen.

Für den in wissenschaftlichen Fragen und solchen nach der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen etwas störrischen Bundesanwalt Walenta sind diese Beweise nur Beweise dafür, dass es auch ganz anders gewesen sein könnte. Für ihn bleibt es weiterhin wahrscheinlich, dass die Zylindergrundfläche des Pakets viel kleiner als zwölf Zentimeter war, habe doch auch der BGS dafür nur zehn bis zwölf Zentimeter auf dem Lichtbild vermerkt. Die Beschädigung des Pakets ist nach Walentas Meinung ganz eindeutig ein Ergebnis der Bergung mit einer Mistforke.

Lesen im Bodensatz

Aufgabe der zum heutigen Termin geladenen Biologin sollte es sein, festzustellen, ob man anhand des Algenbewuchses des Sprengstoffpakets irgendwelche Rückschlüsse auf die Verweildauer des Pakets im Seegraben ziehen könnte, etwa durch die Ablagerung von Algen, die nur zu bestimmten Jahreszeiten vorhanden sind.

Solche Algen hat die Wissenschaftlerin nicht an dem Paket oder in am 14. September 2002 im Beisein des BGS gezogenen Proben im Seegrabenwasser, im Bodensediment des Grabens und an Wasserpflanzen gefunden. Der Befund ist negativ.

Trotzdem hat sich die Sachverständige daran gemacht, von den Asservaten, dem Plastiksack und Klebebändern, abgekratzte Bewuchs- und Anhaftungsreste wissenschaftlich zu untersuchen. Dazu kocht sie die Proben so lange ab, bis alles organische sich aufgelöst hat und von den Algen nur noch die Schalen übrig blieben. Diese sortiert die Biologin unter dem Mikroskop und zählt sie dabei. So erhält sie zum einen einen Einblick in das Artenspektrum und zum anderen in die Häufigkeit bestimmter Algenarten. Diese Ergebnisse kann sie dann mit den Befunden aus dem aktuell am Seegraben gezogenen Proben in Beziehung setzen. Die Ähnlichkeiten der verglichenen Proben seien jedenfalls sehr groß, so dass sie als Tendenz äußern wolle, so die Gutachterin, dass das Paket ihrer Meinung nach etwas länger als eine Vegetationsperiode im Wasser gelegen habe. Diese These wolle sie indes nicht knallhart formulieren, denn zu viele Faktoren in der Umwelt, Unklarheiten über die Lage des Pakets im Seegraben (oben - unten, halb oder ganz im Schlick, innen - außen ...) sowie die Art und Weise der Bergung, Reinigung und Lagerung des Asservats ließen eine hieb- und stichfeste Aussage überhaupt nicht zu.

Die anschließende, lange Befragung der Sachverständigen durch den Richter Alban lässt vermuten, dass sich das Gericht im weiteren Verfahren auf deren Aussagen stützen will, um die Seegrabenfrage im Sinne der Anklage zu beantworten. Alban und die Vorsitzende Richterin Hennig ließen die Biologin das Gutachten lang und breit vortragen und sogar einige Tabellen mit allen Werten vorlesen, um sie weiter in der Hauptverhandlung verwenden zu können. Die Fragen Albans zur Dichte des Algenbewuchses auf Klebeband oder Plastiksack wiesen jedoch wieder in die andere Richtung: Das Maß des Bewuchses sei kein Maß für die Dauer des Algenbewuchses. Nach vier Wochen sei jede Oberfläche unter Wasser mit einem stabilen Algenbewuchs überzogen, was jedoch nichts über dessen Dichte aussage, so die Biologin. Diese hinge von zu vielen Umweltfaktoren wie Licht, Temperatur, Strömung und dergleichen ab.

Hausaufgaben gemacht

Die Richterin gab zum Schluss der Verhandlung noch bekannt, dass das Richterkollegium nebst Ersatzrichtern, die einschlägigen wichtigsten RZ- Texte gelesen habe. Ein Antrag des Angeklagten Harald G. auf Beiziehung von Kontoauszügen der Deutschen Post AG und der Berliner Sparkasse wies Frau Hennig zurück, da diese ihrer Meinung nach schon vorlägen.

Rechtsanwalt von Schlieffen beantragte als Beweismittel die Vorladungen seines Mandanten Axel H. zu richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen aus dem Frühjahr 1987, die im Original nebst den Umschlägen niedergelegter Urkunden zur Verfügung stünden. Außerdem sollte der damalige Ermittlungsrichter am Berliner Kammergericht als Zeuge geladen werden. Von Schlieffen verspricht sich von diesen Beweisanträgen den Nachweis, dass Axel H. im Frühjahr 1987 im Visier der Justiz stand und so - gemäß den Aussagen des Kronzeugen über die Grundregeln der RZ - den Kontakt zu allen Mitgliedern der RZ abgebrochen haben muss, folglich auch nicht am den RZ zur Last gelegten Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) 1987 beteiligt gewesen sein kann.

Zwanghafte Chaoten

Die beiden Richter Alban und Hanschke hatten der Vorsitzenden bereits ihre dienstlichen Erklärungen zu den Befangenheitsanträgen vom Vortag gegen sie vorgelegt. Die Antragsteller, Rechtsanwalt Kaleck und Rechtsanwältin Lunnebach, können bis Montag, 12 Uhr Stellung dazu nehmen.

Auch am heutigen Verhandlungstag ist es mehr oder weniger laut zu verbalen Ausfällen der beiden Richter gegen VerteidigerInnen gekommen: "Das sind wieder so Methoden", polterte etwa Alban, als Rechtsanwältin Lunnebach eine Frage beanstandete; Hantschke soll Rechtsanwalt Eisenberg halblaut einen "Chaoten" und "Zwanghaft" genannt haben.

Die Verhandlung wird am Donnerstag, 31. Oktober, um 9.15 Uhr fortgesetzt.

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