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56. Prozesstag: 21. Februar 2002

Im Zweifelsfall hilft das Vergessen

Den zweite Verhandlungstag nach der Einlassung des Angeklagten Rudolf Sch. nutzte die Verteidigung von Harald G., um den Kronzeugen Tarek Mousli mit dessen so ganz unterschiedlichen Version der damaligen Vorgänge zu konfrontieren. Im Mittelpunkt standen dabei heute die deutlich abweichende Aussagen Sch.'s zum Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) am Friedrich- Krause- Ufer in Berlin im Februar 1987. Bevor es zur Befragung von Mousli kam, musste allerdings zum wiederholten Male von den Verteidigerinnen die vollständige Herausgabe aller prozessrelevanten Unterlagen eingefordert werden - dieses Mal betraf es Unterlagen des Verfassungsschutzes.

Das Kammergericht möge veranlassen, so forderte die Verteidigerin Studzinsky (s.: Antrag), dass alle Protokolle der Gespräche zwischen dem Kronzeugen und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ungeschwärzt und mit vollständigen Anlagen zur Verfügung gestellt werden. So weit nachvollziehbar, beträfen die geschwärzten Stellen in den übergebenen Protokollen nämlich nicht nur Personenangaben oder Dinge, die der Geheimhaltung unterliegen. Zudem sei nicht erkennbar, dass bei diesen Gesprächen überhaupt Sachverhalte besprochen worden wären, die zum "Nachteil für das Wohls des Bundes oder Landes" gereichten. Ganz im Gegenteil seien vielmehr Themen behandelt worden, die unmittelbar dieses Verfahren beträfen. Die Sichtung der 197 Seiten, Protokolle von sechs Gesprächen, die zwischen dem 17.4 und 7.9.2000 stattgefunden haben, beinhalten außerdem den Hinweis, dass zumindest ein weiteres Gespräch von Verfassungsschützern mit Mousli geführt worden sei. Anhand von vier Beispielen äußerte Rechtsanwältin Studzinsky die Vermutung, dass die Inhalte dieser Besprechungen Anlass für spätere Korrekturen von bereits protokollierten Aussagen des Kronzeugen gewesen seien. Und sie gab sich zuversichtlich, dass die vollständige Vorlage dieser Unterlagen den Nachweis für die mangelnde Glaubwürdigkeit des Kronzeugen liefern würden.

Diesmal guckt nun wirklich kein Schwein ...

Über zwei Stunden dauerte die anschließende umfassende Befragung des Kronzeugen durch Rechtsanwältin Würdinger. Die sehr auf Genauigkeit und Details bedachten Fragen zielten auf die Vorgänge vor, während und nach dem Anschlag auf die ZSA. Zunächst wurde Mousli aber über seine Kontakte zu mehreren Personen in seinem angeblichen damaligen Umfeld gefragt, deren Namen er bereits mehrfach in der Hauptverhandlung genannt hatte. Diese Personen will er in der HausbesetzerInnenbewegung bzw. über ein regelmäßiges Treffen Berliner Kollektivbetriebe kennen gelernt haben. Eine dieser Personen soll eine nicht genutzte Wohnung zur Verfügung gestellt worden, in der u.a. der Sprengsatzes für den Anschlag auf die ZSA hergestellt worden sein soll.

Den Anschlag auf die ZSA selber will Mousli keinesfalls selbst initiiert haben. Er stritt wiederholt ab, den Sprengstoff hergestellt und dort deponiert zu haben, auch wäre er nicht die treibende Kraft bei der Vorbereitungen der Aktion gewesen. Er will selber - gemeinsam mit "Sebastian" - nur das Gelände von der Quitzowstraße her ausgekundschaftet und die Bewegungen des Wachschutzes bzw. der Polizei beobachtet haben. Wie gewohnt konnte oder wollte Mousli zu allen weiteren Details (Ort, Zeit, Anzahl der Planungstreffen, genaue TeilnehmerInnen, usw.) keine Angaben machen. Die ZuschauerInnen bekamen bei allen entsprechenden Fragen (nicht nur) heute die Antwort zu hören: "Daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern." oder "Das wäre jetzt reine Spekulation, ich soll ja hier nur zu meinem Wissen befragt werden."

Ganz sicher war sich der Zeuge dann wieder bei den beteiligten - insgesamt sieben (!) - Personen, die sich mit einer ausgeklügelten Codierung per Funk bei der Aktion verständigt haben sollen. Warum angeblich alleine drei davon auf einem Bahndamm postiert, den Anschlag absichern sollten, blieb bis zum Schluss wenig plausibel - nicht zu letzt auch deswegen, weil von dieser Seite das Gelände der ZSA nicht einsehbar ist. Zudem soll das Trio nur mit einem Funkgerät ausgestattet gewesen sein. Doch halb so schlimm: Angeblich habe man untereinander gar keinen Funkkontakt gehabt. Allein der sinngemäße Satz: "Jetzt geht's los" sei einmal gefallen. Die offensichtliche Unglaubwürdigkeit dieser Schilderungen veranlasste die Verteidigerin am Ende zu der Frage, ob dann vielleicht ja auch überhaupt niemand da gewesen sei ... Denn selbst gesehen, dass musste Mousli zugeben, hat er niemanden auf dem Bahndamm.

Dabei sein ist alles

Im weiteren ging es dann um die angebliche Beteiligung von "Siggi" an diesem Anschlag. Die umfängliche Befragung des Kronzeugen und Vorhalte aus den Ermittlungsunterlagen ergaben, dass "Siggi" erst kurze Zeit vor dem geplanten Anschlag von einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt zurück gekehrt war. Er soll dort wegen der so genannten "Postsparbuch- Aktion" untergetaucht sein, um seiner Festnahme zu entgehen. Mousli behauptete, "seine" Gruppe hätte der Rückkehr von "Siggi" zugestimmt, weil sie zu diesem Zeitpunkt eine Gefährdung der RZ durch seine Mitarbeit ausgeschlossen hätten. Und das, obwohl bekannt gewesen sei, dass damals Ermittlungen gegen "Siggi" geführt wurden. Die polizeiliche Durchsuchung des Arbeitsplatzes von "Siggi" - in den Betriebsräumen eines Taxi- Kollektivs - wenige Wochen (23.12.1986) vor dem Anschlag auf die ZSA am 6.2.1987 wäre in der Gruppe auch kein Thema gewesen. Selbst die Inhaftierung von "Siggi" am Morgen des 5. Februars hätte angeblich keinerlei Irritationen ausgelöst, geschweige denn sei es zu einer Änderung des geplanten Ablaufs gekommen. Das ganze soll dann auch noch nicht einmal im nachhinein besprochen worden sein. Am Ende dann konnte sich Mousli heute, entgegen seinen früheren wiederholten Aussagen, nicht mehr genau erinnern, ob "Siggi" überhaupt an den Nachbereitungstreffen teilgenommen habe.

Wer schläft verpasst nicht viel

"Da konnte wohl jede/r bei der RZ mitmachen?", fragten sich nicht wenige ProzessbeobachterInnen auf den Gerichtsfluren. So soll tatsächlich diese "hochklandestine und mit einem ausgefeilten Sicherheitskonzept ausgestattete Vereinigung" (Bundesanwalt Griesbaum) funktioniert haben? Diese märchenhaften Erzählungen des Kronzeugen scheinen allein auf das Gericht und die Bundesanwaltschaft anhaltend beruhigend zu wirken. Staatsanwalt Bruns verfolgte nämlich diese sagenhaften Geschichten zeitweise nur noch im Halbschlaf, wenn er nicht durch eifriges Kopfnicken oder Augenblinzeln beschäftigt war, seinem Schützling auf der Zeugenbank die durchaus verdiente väterliche Anerkennung zu spenden ...

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