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97. Prozesstag: 19. September 2002

Irritierende Diskrepanzen

Der Polizeivollzugsbeamter beim Bundesgrenzschutz (BGS) Mario Jauernik und der BKA- Beamte Barbian waren heute zum Prozess als Zeugen geladen, um zum Sprengstofffund im Seegraben in Berlin- Buch Auskunft zu geben. War der erste Zeuge vor allem deswegen von Interesse, weil lange Zeit unklar war, wie er auf die Zeugenliste gekommen ist, galt dem zweiten Zeugen von vorne herein große Aufmerksamkeit. Komplettierte er doch neben Schulzke, Trede und Pankok das BKA- Team, das die Ermittlungen in Sachen Berliner RZ führte.

Mit der Forke aus dem Graben gefischt

Als "Zugführer" beim BGS, koordinierte Mario Jauernik (42) den Einsatz eines "verstärkten technischen Zuges" und einer Tauchergruppe bei der Seegraben- Durchsuchung am 24.8.1999. An diesem Tag wurde - nach zuvor erfolglosem Suchen - ein Sprengstoffpaket gefunden, dass der Kronzeuge Tarek Mousli 1995 in dem Seegraben entsorgt haben will. Bevor es zu diesem Einsatz kam, hatte der Zeuge am 9. August 1999 vor Ort eine von ihm so genannte Geländeaufklärung betrieben, um den Einsatz taktisch vorbereiten zu können (Einsatzstärke und technischen Bedarf festlegen). Aufgabe war es, den Seegraben in seiner gesamten Länge nördlich der Schönerlinder Chaussee bis zum Lietzengraben und südlich bis zum Grubensee nach dem Sprengstoffpaket abzusuchen. Die Bergung selbst hatte er nicht beobachtet, da er sich zu diesem Zeitpunkt im südlichen Teil des Durchsuchungsgebiets befunden habe. Entdeckt worden sei das Paket etwa 20 Meter von der Stelle entfernt, an der die Berliner Polizei am 16./17. Juli 1999 zu suchen aufgehört habe. Das Paket selbst habe er nur kurz gesehen. Näheres könnte sein Untergebener, der BGS- Mann Golde, sagen, der das Paket mit einer Forke aus dem Graben gefischt habe. Befragt, in welchem Zustand das Paket gewesen sei, berichtete der BGS- Mann, es sei durch die Forke wohl beschädigt worden, denn es sei "jedenfalls" durchnässt gewesen. Dann räumte er jedoch ein, dass dies lediglich eine Schlussfolgerung sei.

BKA- Beamter als ausführendes Organ

Zu Schlussfolgerungen wollte sich der BKA- Mann Barbian bei seiner Befragung dann meist nicht hinreißen lassen. Von ihm erhoffte man sich Auskunft über den Seegraben- Fund, die Frage, wie oft man zusammen mit Mousli dort gewesen sei und - am Rande - wie es sein kann, dass in einer Bildmappe, die am 19.1.2000 erstellt worden ist, ein Bild auftaucht, das erst am 25. Januar von ihm selbst besorgt wurde?

Dass an der von Gericht und Bundesanwaltschaft (BAW) angeprangerten "Verschwörungstheorie" der Verteidigung offensichtlich doch etwas dran ist, dafür war das Aussageverhalten des BKA- Manns Barbian ein weiterer Beleg. Seit Anfang 1998 in die Ermittlungen in Sachen Berliner RZ eingebunden, war Barbian bemüht, seine eigene Ermittlungstätigkeit klein zu halten und die Verantwortung für die selbst von ihm eingestandenen zahlreichen "Irritationen" und "Diskrepanzen" seinen Kollegen Schulzke und Trede zuzuschieben. So konnte sich Barbian - dank seiner Notizen - zwar oft detailliert an Zeitabläufe erinnern, zu den Ermittlungsinhalten aber wollte oder konnte er mit der Begründung, die Ermittlungsführung oblag seinen beiden Kollegen, nichts beitragen. Die Führung der Ermittlungen hätte schlicht nicht in seinem Zuständigkeitsbereich gelegen. Er habe lediglich eine unterstützende Funktion gehabt, weswegen die Kollegen auch immer die entscheidenden Gespräche geführt hätten und er sich dezent im Hintergrund gehalten habe. Dass der Zeuge auch mit der Aktenführung und dem Schreiben von Vermerken nichts zu tun gehabt hatte, erklärte er auf die Frage der Verteidigung, wie es denn sein könne, dass er über einen Seegrabenbesuch mit Mousli am 8.7.1999 zwar berichte, dazu aber keine schriftlichen Unterlagen existieren. Der Zeuge gestand lediglich ein, dass ihm diese "Diskrepanz aufgefallen" sei. Allerdings beeilte er sich nachzuschieben, dass er die Aktenführung seiner "Kollegen" nicht kritisieren wolle.

Meineid eines BKA- Beamten?

Hatte der BKA- Beamte Trede am 93. Prozesstag unter Eid noch angegeben, mit Barbian lediglich einmal, kurz vor seiner Vernehmung, zum Thema des undokumentierten Seegrabenbesuchs telefoniert zu haben, erklärte Barbian heute, dass dieser Besuch am Seegraben zwischen ihm und Trede mindestens drei Mal Thema gewesen sei. So habe er, Barbian, im Dezember 2001 einen Beweisantrag der Verteidigung zu bearbeiten gehabt und in diesem Zusammenhang mit Trede Kontakt aufgenommen. Auslöser sei ein Bericht im Internet gewesen. Das Gespräch hätte zur "Absicherung" gedient.

Angesprochen auf die Aussage von Trede, der angegeben hatte, sich nicht mehr an den Vorgang des Seegrabenbesuchs erinnern zu können, jedoch an Schwierigkeiten beim Einparken und Absetzen von Mousli, konnte Barbian lediglich die Angabe machen: "Wo wir rechts ranfahren, war nicht erheblich".

Ob Mousli von ihnen informiert worden sei, warum sie am 8.7. an den Seegraben fahren wollten, verneinte Barbian, ebenso wie die Frage, ob Mousli von dem Sprengstofffund am 24.8.1999 erfahren habe. "Gewöhnlicher Weise sprechen wir mit einem Beschuldigten nicht über die Ergebnisse einer Ermittlung", so Barbians lakonische Antwort.

Was die Vereidigung nicht wusste......

Für einige Aufregung sorgte Barbians überraschende Mitteilung, er sei erst letzte Woche am Seegraben gewesen. Zusammen mit dem Zeugen Jauernik, dessen Kollegen Golde und noch zwei weiteren BGS-Beamten habe er dort zusammen mit einer Gutachterin Wasserproben an der Stelle entnommen, an der das Paket damals gefunden worden sei. Zwar war nun geklärt, wie das Gericht auf den Zeugen Jauernik gekommen ist, doch mit äußerstem Unmut nahm die Verteidigung zum wiederholten Male zu Kenntnis, dass wesentliche Vorgänge vom Gericht veranlasst werden, ohne das sie informiert wird. Heftiges, reflexartiges Zucken und die Anfeindung "Sie reden wirr", löste die Bemerkung von Rechtsanwalt Kaleck bei Richter Alban aus, dieser Vorgang könne als eine Zeugenvernehmung außerhalb der Hauptverhandlung interpretiert werden.

Am Ende eines langen Verhandlungstages blieb beim unvoreingenommenen Beobachter erneut der Eindruck haften, dass an dem Sprengstofffund im August 1999 im Seegraben im Norden Berlins - entgegen der Fließrichtung von der Einwurfstelle und erst nach mehrfachen erfolglosen Suchen - einiges faul ist, wie überhaupt an der Ermittlungsführung des Bundeskriminalamtes.

Für Schuld- und Urteilsfindung nicht erheblich

Licht in dieses Dickicht zu werfen, sieht sich das Gericht allem Anschein nach nicht gemüßigt. So verwarf es einen Beweisantrag der Verteidigung von Matthias B. als unbegründet, durch die Befragung eines Systemadministrators die Umstände der angeblich erfolglosen Treffersuche 1995 nach Sprengstoff der Marke Gelamon 40 zu klären. Die Erforschung sei nicht erforderlich, so der Senat. In die gleiche Richtung hatte zuvor die BAW- Vertreter argumentiert: Für die Schuld- und Rechtsfolgefrage sei das alles unerheblich. Und es darf vermutet werden, dass sich das Gericht demnächst auch deren Urteil in anderer Sache zu eigen machen wird: Denn ebenfalls heute verkündeten Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts ihre Meinung zu dem Antrag der Verteidigung von Matthias B., der Frage nachzugehen, welche Erkenntnisse das BKA 1995 über Daniel S. in seinen Datenbeständen gespeichert hat. Dieser Frage nachzugehen gebiete die "Aufklärungspflicht" nicht, so die Bundesanwälte. So einfach ist das.

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