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29. Prozesstag: 18. Oktober 2001

Erneut "viel sagende" Zeugen im RZ-Verfahren

Der Verlauf des Verfahrens war von einer gewissen Redundanz gekennzeichnet: Es sind drei Gutachten und die Aussage eines verstorbenen Zeugen verlesen, sowie zwei Zeugen vernommen worden.

Die Gutachten bezogen sich auf einen im Oktober 1986 teilweise ausgebrannten VW Passat, in welchem nicht nur ein "USBV" (Unkonventionelle Selbst hergestellte Brandvorrichtung) sondern auch ein Klappfahrrad gefunden worden waren. Der zusammengeschmolzene Brandsatz enthielt Zucker, Unkrautex und Kerzenstearin, feine Kupferdrähte, die in zwei Bananensteckern endeten, und zwei Daimon-Flachbatterien. Das Auto war nicht aufgebrochen worden, wohl aber die Lenkradsperre eingeschnappt, der "Lenksicherungssperrzapfen" jedoch unbeschädigt........

Der verstorbene Zeuge hatte Mitte der 80-er Jahre seinen Personalausweis verloren, verloren gemeldet und nicht zurück erhalten. Mit dessen Ausweis war zum einen der genannte VW Passat gekauft worden, zum anderen eine "konspirative Wohnung" in Berlin angemietet worden. Zu den Zeugenaussagen war es gekommen, nachdem das Auto mit dem Anschlag auf Harald Hollenberg in Verbindung gebracht worden war und sich bei der Wohnung erhebliche Mietrückstände ergeben hatten. Der Zeuge wußte freilich nichts über Verbleib des Ausweises oder mögliche Täter.

Der zweite Zeuge, ein arabisch stämmiger Mann, war damals Besitzer jenes Wagens, zu welchem die Täter des Oktober 1986 eine Doublette herstellten. Er gab an, damals am Arbeitsplatz von der Polizei aufgesucht worden zu sein, die sein Fahrzeug überprüfte, die Nummernschilder abschraubte und auf ihre Kosten durch andere ersetzte. Der Zeuge verneinte, dass irgendjemand anderer als er selbst das Fahrzeug damals benutzt haben könnte, auch ohne sein Wissen nicht. Der Zeuge wurde unvereidigt entlassen. Für Heiterkeit sorgte der Versuch, den Zeugen auf Antrag von Rechtsanwalt Eisenberg zu vereidigen. Als es der Richterin nicht recht gelingen wollte, heraus zu finden, welche Form der Vereidigung - "Sie sind doch sicher Moslem" - der Zeuge in Anspruch nehmen wolle, zog Eisenberg den Antrag zurück, weil er "den Zeugen hier nicht veralbern" wolle.

Der dritte Zeuge war zur Tatzeit Nachbar zur Rechten von Harald Hollenberg: Er kam etwa sechs Minuten, nachdem die Schüsse auf Hollenberg abgegeben worden waren, mit seinem Hund vom Gassi gehen. Die Nachbarin zur Linken rief ihn deswegen zu Hilfe und er fand sie und Hollenberg, der am Unterschenkel verletzt, aber sehr gefasst war, auf den Stufen zu seinem Haus vor. Weil sein Hund sich "beunruhigt" umgesehen habe, habe auch er sich umgesehen und zwei Personen, von denen er heute das Geschlecht nicht mehr mit Sicherheit benennen könne, erblickt.

Der heute 75-Jährige konnte sich an fast kein Detail der damaligen Abläufe erinnern und konnte auf die Vorhalte von Gericht und Verteidigern nur vermuten, dass es so wie niedergeschrieben stattgefunden haben muss.

So konnte er sich weder daran erinnern, dass eine weibliche Beamtin ihn kurz nach der Tat vernommen hatte, dass seine Ehefrau ebenfalls vernommen worden war und dass sie zu Protokoll gegeben hatte, sie habe vom Badezimmerfenster aus ein Geräusch gehört, als schlüge jemand mit einem Brett auf einen harten Gegenstand. Als Schüsse habe sie das damals nicht erkannt, so das Vernehmungsprotokoll von damals. Alle anderen damals Vernommenen hatten keinerlei Schussgeräusche gehört. Auch dass die beiden Unbekannten in etwa 180 Meter Entfernung vom Tatort ein Fahrrad dabei gehabt haben sollen, wußte der betagte Zeuge nicht mehr.

Die Bundesanwaltschaft fragte ihn, ob er denn damals die Wahrheit zu Protokoll gegeben habe, was Rechtsanwalt Becker erzürnte.

Der Zeuge wurde (Antrag Rechtsanwalt Euler) vereidigt und entlassen.

In der Folge stellte Rechtsanwalt Euler den Antrag, das Verfahren für 30 Tage auszusetzen, um die bislang "unterschlagenen" Abhörtonbänder abspielen zu können. Er persönlich könne mit der Distanz zwischen Frankfurt und Berlin, die er zum Prozess zurück legen müsse, nur weiter arbeiten, wenn nicht ein derart reduziertes, "ausgedünntes" (Becker) Beweisaufnahmeprogramm gefahren werde. Man habe den Eindruck, das Gericht fülle die Zeit mit Verlegenheitszeugen und lasse unangemeldet Verhandlungstage ausfallen. Es sei sein voller Ernst, dass es ihm mit seinem Antrag um eine verlässlichere, Zeit sparende Prozessführung und die Möglichkeit gehe, das fehlende Beweismaterial zu begutachten.

Die Vorsitzende Richterin Hennig wies den Vorwurf einer Verschleppung zurück, entschuldigte sich jedoch dafür, die Zeit mit Zeugenvernehmungen und Verlesungen falsch kalkuliert zu haben.

Einige RechtsanwältInnen machten erneut ihrem Unmut über die Verfahrensweise deutlich: Natürlich könnten sich BAW und Gericht gelassen geben, doch die Situation der Gefangenen, die nun bald zwei Jahre in U-Haft säßen, sei eine andere und für diese und ihre Verteidiger das Vorgehen des Gerichts "eine Zumutung", erklärten etwa Rechtsanwältin Lunnebach und Rechtsanwalt Kaleck.

Richterin Hennig erklärte darauf hin, auch sie habe kaum noch Freizeit, müsse sie doch auch noch einem zweiten Senat vorsitzen.

Die Bundesanwaltschaft lehnte eine Aussetzung des Verfahrens ab, verwahrte sich gegen den Vorwurf, Beweismaterial unterschlagen zu haben und stellte die Ankunft der ersten kopierten Bänder für kommende Woche in Aussicht, die der kompletten Mitschnitte bis in drei Wochen.

Das Gericht schloss das Verfahren, kündigte eine Entscheidung über Eulers Antrag für den kommenden Verhandlungstag, Donnerstag, 25, Oktober, 9.15 Uhr an.

Der Verhandlungstag am morgigen Freitag, 19. Oktober, entfällt.

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