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51. Prozesstag: 17. Januar 2002
Des Kronzeugen Verhältnis zur Wahrheit
Vor gut gefüllten Zuschauerbänken fand heute in Anwesenheit
des Kronzeugen Tarek Mousli der Berliner RZ-Prozess seine Fortsetzung.
Vor allem drei Komplexe wurden heute behandelt: zum einen ging es
erneut um die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen hinsichtlich seiner
Identifizierung von "Heiner"; zum anderen wurde am Beispiel
der Kontakte zu "Kai" und "Sebastian" die Frage
nach der Sinnhaftigkeit des Konzepts der Abgeschlossenheit aufgeworfen
und drittens ging es um die Beweggründe und die Art und Weise,
warum Mousli zu "Sebastian" und darüber vermittelt
zu "Anton" nach eigenen Angaben bis zum 30.12.1999 die
Unwahrheit gesagt hat.
Qualität der Technik
Zum Auftakt wurde - allerdings ohne Ergebnis - den Anwesenden die
Qualität des technischen Equipments des höchsten Strafgerichts
dieses Bundeslandes vorgeführt. Mit Hilfe eines Epidiaskops,
das fatal an Schulerfahrungen zwischen 1965 und 1970 erinnerte und
mutmaßlich auch aus dieser Zeit stammt, sollten zwei Skizzen
- für alle Prozessbeteiligten sichtbar - auf eine Leinwand
projiziert werden. Doch kaum jemand konnte etwas erkennen. Selbst
das zusätzliche Ausschalten der üppigen Kronleuchter des
Saals 500 war kein Weg zum Erfolg...
Qualität der Systematik
Von welcher Qualität sind nun die Angaben des Kronzeugen?
Mit der ausführlichen Befragung zu zwei von ihm angefertigten
Skizzen wollte Rechtsanwältin Lunnebach darüber Aufklärung
bringen. Mousli hatte diese in Vorbereitung zu seiner Vernehmung
am 2.12 1999 gezeichnet. Bei der ersten Skizze handele es sich,
so Mousli, um eine (später durch Streichungen unkenntlich gemachte)
Arbeitsskizze, das auf der Rückseite gezeichnete Schema trägt
hingegen die Überschrift "Mein Kenntnisstand zur Struktur
der RZ 1985-90".
Doch nach welcher Systematik hat Mousli sich gerichtet? Einmal
soll das Organigramm Regionen und Personen in der voneinander weitgehend
abgeschotteten RZ-Struktur darstellen, dann wiederum ordne es Personen
bestimmten Regionen zu und zeige die Kontakte untereinander auf.
Am Ende der Befragung blieb offen, nach welchen Kriterien Mousli
die Zuordnungen vornahm: In einem Fall sollten Kontakte auch außerhalb
der RZ-Struktur aufgezeigt werden, im anderen Fall gerade nicht.
"Graphisch" die Dinge darzustellen, sei eben nicht so
einfach, so Mouslis Schutzbehauptung. Die Systematik ließ
ihm durch die Behauptung, sie sei nicht konsequent durchgeführt,
einen beliebigen Interpretationsspielraum.
Qualität der Fragezeichen
Merkwürdige Vorgänge galt es auch bei einer weiteren
Niederschrift Mouslis aufzuklären. In einer Namensliste wußte
er Anfang Dezember 1999 dem Decknamen "Heiner" - mit der
einschränkenden Kennzeichnung "g" für "glaube
ich" - den Klarnamen Matti oder Marti zuzuordnen. Obwohl nach
seinen Angaben in dieser Liste zu keinem Zeitpunkt Veränderungen
vorgenommen worden seinen, taucht die selbe Liste in einem zusammenfassenden
Bericht des BKA zu den Erkenntnissen über "Heiner"
auf, in der allerdings hinter dem Namen "Heiner" nur Fragezeichen
und keine weiteren Erläuterungen stehen. Warum, wieso, weshalb
- das blieb heute im Unklaren.
Qualität der Protokolle
Anscheinend vorsichtig geworden und geschuldet der guten Vorbereitung
auf seine Kronzeugenrolle, antwortete Mousli bei der weiteren Befragung
meist mit einem Standardsatz. "Wenn dem so war, dann wurde
das protokolliert und steht in den Vernehmungsprotokollen oder Vermerken."
Hintergrund war die Nachfrage der Verteidigung, wie die Einführungsgespräche
zwischen ihm und den Ermittlungsbeamten vor den eigentlichen Vernehmungen
abgelaufen seien. Dabei habe es sich immer nur um das Benennen der
Komplexe gehandelt und nie seien andere Dinge besprochen worden,
beteuerte der Kronzeuge. Mit dieser Aussage blieb allerdings im
Dunkeln, warum in der Vernehmung vom 26.11.1999 (der zweiten Vernehmung
Mouslis nach seiner Festnahme im November) nach einer zweistündigen
Unterbrechung das Protokoll mit der Eingangsfrage begann: "Sie
erwähnten den Decknamen Anton". Der Name "Anton"
findet sich nämlich in keinem Protokoll aus vorhergehenden
Vernehmungen und wurde auch nicht vor der Unterbrechung protokolliert.
Plausibler wurde das Ganze auch nicht durch Mouslis Erklärung,
er habe den Namen gegenüber dem BKA-Beamten Schulzke auf der
Fahrt von Karlsruhe nach Köln am 24.11.1999 erwähnt. Der
Inhalt dieses Gespräches soll nach seinen Angaben bei seiner
ersten Vernehmung wiederholt und somit protokolliert worden sein.
Doch im entsprechenden Protokoll taucht der Namen auch nicht auf.
Qualität der Klandestinität
Kurioses wußte Mousli auch zu seinen Kontakten zu Gerd Albartus
und Lothar E. zu berichten, denn irgendwie will das zu den landläufigen
Vorstellungen über das Abschottungskonzept der RZ und klandestines
Verhalten nicht passen. Mousli gibt an, über Albartus zur RZ
gekommen zu sein. Obwohl er davon ausging, dass Albartus als rechtskräftig
verurteiltes RZ-Mitglied weiterhin im Visier der Sicherheitsbehörden
stand, seien ihm nie Sicherheitsbedenken bei dieser "folgenschweren
Entscheidung" (wie Rechtsanwalt v. Schlieffen Mouslis Eintritt
in die RZ bezeichnete) gekommen. Bei seinen zahlreichen Besuchen
in Westberlin habe Albartus sich immer "absetzen" können,
so Mousli.
So ganz ins Bild passte auch nicht, dass die RZ seine Bedingung
akzeptiert haben will, über seine Anwerbung mit einem "Vertrauten"
(nämlich Lothar E.) reden zu wollen. Ein klarer Verstoß
gegen das Abschottungsprinzip, wie Mousli nach einer Bemerkung eines
Verteidigers selbst eingestehen musste. Kurios auch der Umstand,
dass Lothar E. laut Kronzeuge zur selben Zeit von einem anderen
RZ-Mitglied zwecks Mitarbeit angesprochen wurde. So kannten sich
mit einem Schlag vier Mitglieder aus zwei Zellen untereinander.
Perfekte Abschottung?
Qualität der Freundschaft
Sein "bester Freund" Lothar E. spielte auch im weiteren
Werdegang des Kronzeugen eine große Rolle. Es ist ja nicht
so, als würde Mousli nicht selbst zugeben, dass er lügt.
Allerdings will er das nur bis zum 30.12.1999 getan haben. Wie er
heute erneut bestätigte, entschloß er sich zu diesem
Zeitpunkt angesichts der schweren Beschuldigungen seiner ehemaligen
Lebensgefährtin Karmen T. und wegen des Auslaufens der Kronzeugenregelung
zur "Kooperation" mit den Ermittlungsbehörden Bis
dahin will er zu Lothar E. und auch abhängig davon zu Axel
H. die Unwahrheit bzw. Halbwahrheiten gesagt haben. Er habe Lothar
nicht in die Sache hineinziehen wollen. Warum er dann ohne Not bereits
in einer Vernehmung am 13.12.1999 Lothar als Unterstützer bezeichnet
hatte, der beim Hollenberg-Attentat Funkaufklärung betrieben
habe, konnte er nicht schlüssig erklären. Es habe da ein
Observationsfoto aus dem Mehringhof gegeben, dass die beiden Hausmeisterkollegen
Lothar E. und Axel H. gezeigt habe. Zudem sei er davon ausgegangen,
dass den Ermittlungsbehörden sein enges Verhältnis zu
Lothar E. bekannt gewesen sei. Wie das sein Aussageverhalten zu
Axel H. tangiert habe, blieb unbeantwortet.
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