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61. Prozesstag: 14. März 2002

Videokunst im Gerichtssaal

Das Kammergericht ließ heute nichts unversucht, das inzwischen bedrohlich niedrige Niveau der Veranstaltungsserie in Moabit aufzubessern. Ein ca. 75 minütiges Video des Bundeskriminalamtes (BKA) über die zweite Durchsuchung des Projektezentrums Mehringhof im Mai 2000 gelangte heute zur Aufführung. Selbst das Dutzend ProzessbesucherInnen konnte - zusammengedrängt in der äußersten Ecke des Sitzungsaales mit flachem Blickwinkel - den Mitschnitt mitverfolgen, so dass demnächst unbedingt wieder mit einer steigenden ZuschauerInnenquote zu rechnen sein wird.

Film ab! Film läuft!

In guter farblicher und akustischer Qualität waren verschiedene Räume des Mehringhofes Ort des Geschehens, die bereits wiederholt als mögliche Lagerstätten für Sprengstoff und Waffen von Mousli benannt worden waren. Dramaturgisch durchaus gekonnt war der Streifen mit der Stimme des Kronzeugen im Originalton unterlegt, der während dieser Außenaufnahmen per Funkverbindung das Film- und Ermittlungsteam des BKA durch den Mehringhof dirigierte. Dies geschah zunächst in einem äußerst kollegialen, ja fast schon herzlich zu nennenden Umgangston mit einem Torsten (Zeugenschützer), der in einem Kleinbus direkt vor Ort postiert war. Torsten gab Mousli's Regieanweisung dann an eine nur wenige Meter entfernt agierende Janin (BKA) per Handy weiter. Janin wies wiederum weitere Polizeitechniker an, die die konkrete Suche durchführten. Auf der Suche nach einem mit wassergefüllten Fahrstuhlschacht mit Eisenplatte, wurden wir alle ZeugInnen eines von Höhen und Tiefen, sowie von Hoffnung und Enttäuschung getragenem Handlungablaufes. Spiegelten die Stimmen anfänglich noch äußerste Zufriedenheit beim Auffinden des gesuchten Wasserpegels unterhalb des Fahrstuhls wieder, so folgte die Ernüchterung beim Stochern in der trüben Lake: kein Eisendeckel! War es doch genau die Stelle, die er vorher mittels einer Zeichnung ganz exakt als Depot bestimmt hatte. Doch schon flammte wieder Vorfreude auf, denn ein passender, geriffelter Eisendeckel direkt vor dem Fahrstuhleingang erschien auf der Mattscheibe. Es wurde gehebelt und gewerkelt, doch ach, leider kein Schacht darunter! Mousli gab Anweisungen nun das Areal auszudehnen.

Das ist nicht mehr lustig

Obwohl die Kommunikation zwischen Torsten, Tarek und Janin immer noch mit einigen Scherzen durchwirkt war, begann der Erfolgsdruck spürbar zu lasten. Nach einer Stunde sah sich der Kronzeuge genötigt schon mal vorsorglich auf mögliche Erinnerungslücken hinzuweisen. Außerdem wollte er das Erfolgserlebnis erleichtern, denn er würde sich inzwischen auch schon mit dem Auffinden eines Eisendeckel ohne Wasser zufrieden geben. Torsten, weiterhin höflich bleibend, aber mit deutlich wachsender Ungeduld in der Stimme, verlangt er von Mousli klare Richtungsanweisungen. Der Kronzeuge reagiert leicht trotzig, er hätte schließlich schon seit 1995 (?) auf das Depot hingewiesen und deshalb müsse da ein Schacht sein. Er will sogar großzügig andere Räume von der Suche ganz ausschließen. Doch irgendwie geht es weiter. Kamera wieder zurück auf den Hof, Schwenk nach rechts, die nächsten Türen erscheinen. Dann endlich im vierten durchsuchten Raum entdeckt Janin ein geriffelter Deckel und ein Schacht. "Sehr, sehr gut,..." ließ es sich von Mousli vernehmen und ..." das kommt mir sehr vertraut vor...". Betretenes Schweigen in der Leitung als sich herausstellt, dass nun der beschriebene Wasserstand darin fehlt, völlig trocken! Die Grenzen der Höflichkeit von Torsten sind irgendwann erreicht, relativ barsch würgt er weitere langatmige Erklärungsversuche des Zeugen ab. Man einigt sich letztlich ziemlich förmlich aus drei verschiedenen Schächten in unterschiedlichen Räumlichkeiten, egal ob mit oder ohne Wasser bzw. Deckel, Proben für die Spurensuche zu entnehmen. Ton und Bild aus!

Soweit der feuilletonistische Teil des Tages. Ein zweites Video konnte wegen veralteter Technik nicht vorgeführt werden.

Die Bundesanwälte riechen den Braten ....

Bevor die Befragung Mouslis zu dem Film begann, wies der Bundesanwalt Maegerle vorausschauend auf die Gefahren bei den nun zu erwartenden Vorhalten gegenüber seinem Schützling hin. Er könne irritiert werden, wenn der Filmschaffende nur mit einzelnen Sequenzen seines Werkes konfrontiert werden würde. Er solle den Film zunächst auch zur Gänze sehen können, damit er alle seine Aussagen in den richtigen Rahmen einordnen könne. Das Gericht ließ mit der beschwichtigenden Bemerkung aufhorchen, der Zeuge wäre ja nun schließlich bei der Durchsuchung per Video selbst dabei gewesen und solle ja hier nur zu seiner jetzigen Erinnerung befragt werden.

Uns so kam es tatsächlich wie die BAW es befürchtet hatte. Alle bereits an früheren Verhandlungstagen erörterten Widersprüchlichkeiten zu dem angeblichen genau beschriebenen Sprengstofflager wurden ihm erneut vorgehalten. Bestätigte er zunächst, dass er sehr sicher den Fahrstuhlschacht als Ort in Erinnerungen gehabt hätte, so räumte er Minuten später ein, bei der Video- Durchsuchung dieses Platzes bereits innerlich gefühlte Unsicherheiten gehabt zu haben. Wenige Fragen später behauptete er letztlich heute im Gerichtssaal, eigentlich schon von vorne herein Zweifel an der Richtigkeit dieses Fahrstuhlareals als Lagerstätte verspürt zu haben. Und so ging es wie gewohnt weiter. Auch auf die Frage nach seiner im Video hörbaren Äußerungen, er hätte ja bereits 1995 (seine Verhaftung war erst 1999) auf das Depot hingewiesen, war er vorbereitet. Ohne Umschweife gab er zu Protokoll, damit seien selbstverständlich Hinweise gegenüber seiner damaligen Freundin Carmen T. gemeint, was auch sonst..? Der Kronzeuge wiederholte fortan bei allen Fragen gebetsmühlenartig die drei Begrifflichkeiten Wasser, Schacht und Eisendeckel in verschiedenen Variationen und ging mit keiner Silbe auf die vorgehaltenen Differenzen seiner bisherigen Angaben und damit seiner Glaubwürdigkeit ein. " Ich möchte mich an Bewertungen nicht beteiligen, Frau Anwältin...".

... aber das Kammergericht lässt sich nicht verkohlen!

Die Bundesanwaltschaft wirkte heute zwischenzeitlich sehr verstört, offensichtlich wurde bei der intensiven Befragung durch die VerteidigerInnen ein wunder Punkt getroffen. Bevor z.B. RA Euler einen Vorhalt überhaupt vorgetragen hatte, eilten völlig außergewöhnlich gleich alle drei Sitzungsvertreter ihrem Zeugen zu Hilfe. Sogar die Stimme des dritten Bundesanwaltes erscholl dabei überhaupt erstmalig im Verfahren, alles um den Kronzeugen vor einer angeblichen Desorientierung durch unkorrekte Vorhalte zu bewahren. Und noch mehr Ungewöhnliches geschah heute im Gerichtssaal. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit gab sich das Gericht diesmal mit den Aussagen Mouslis nicht zufrieden! Richterin Hennig gab deutlich zu verstehen, dass Mouslis Abkehr von seiner früheren Festlegung auf den Fahrstuhlschacht als Sprengstofflager nicht schlüssig begründet sei. Doch die Frau Vorsitzende legte noch nach. Vergleiche mit seinen sich widersprechenden Angaben zum Sprengstofffund am Seegraben seien für sie offenkundig. Auch dort hätte er zunächst eine Stelle unzweideutig identifiziert und dann - nach erfolgloser Suche - später großflächig mögliche andere Fundorte genannt. Beides wäre für sie schwer nachzuvollziehen.

Zum Schluss verlasen die drei Bundesanwälte mit verteilten Rollen vier ablehnende Stellungnahmen zu diversen Anträgen der Verteidigung vom November 2001 und März 2002. Darin wurden u.a. verlangte Zeugenladungen, Beiziehung von Akten aus anderen Verfahren, die Verlesung von Schriftstücken und Urkunden und das Einholen eines ergänzenden Gutachtens zur Sprengstoffanalyse durchgängig als unnötig, beweisunerheblich und/ oder unzulässig abgewiesen.

Der zum Nachmittag geladene Zeuge erschien nicht, so dass nach einer ausgedehnten, fast zweistündigen Mittagspause der Prozess dafür frühzeitig unterbrochen wurde.

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