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43. Prozesstag: 13. Dezember 2001

Eigentlich wie immer: Mehr Fragen als Antworten

Eigentlich hatte auch dieser Tag größeres Zuschauerinteresse verdient, als es die sechs BesucherInnen am Ende eines langen Verhandlungstages noch aufbringen konnten. Geboten wurde die Ein- Mann- Show eines recht ordentlich ausgebildeten BKA- Beamten, der den Anwesenden einen tiefen Einblick in den aktuellen Stand der Schulung des Aussageverhaltens im Bundeskriminalamt gewährte. Als direkter Mitarbeiter des Ermittlungsführers Schulzke sei er - nach eigenen Angaben - seit November 1997 täglich auf den Spuren linksterroristischer Gewalttaten gewesen.

Ein Mann für alle Fälle

Der 41jährige Ralf Trede, Kriminalbeamter beim BKA, hätte sein derzeitiges Arbeitsgebiet in Bogota gefunden, was in Südamerika liegen würde, ließ er das Gericht wissen. Im November 1997 sei er vom BKA und der Bundesanwaltschaft beauftragt worden, den Weg des 1987 in Salzhemmendorf entwendeten Sprengstoffes (Gelamon und Haplastit) bis zu seiner Verwendung bzw. Auffinden nachzuvollziehen. Seine Ermittlungsarbeiten hätten ihn u.a. auf einen Gelamon- Fund in Berlin 1995 aufmerksam gemacht. Ein 22jähriger Einbrecher wurde dort wegen Besitz und Handel mit diesem Material verurteilt. Da ihm die dabei genannte Herkunftsquelle des Gelamon unglaubwürdig erschienen wäre, hätte er weitere Ermittlungen gegen den Täter eingeleitet. Es wären viel Überzeugungsarbeit und ein listiges Vorgehen vonnöten gewesen, um den bereits verurteilen "abgezockten Allgemeinkriminellen" zur Preisgabe seines Wissens zu bewegen. Nach welcher Methode er dieses polizeitaktische Meisterstück vollbracht haben will, wollte der Zeuge nicht verraten: er könne sich daran nicht mehr erinnern. Ob Drohungen, Versprechungen oder Erpressung letztlich zum Erfolg führten bleibt einer seiner vielen Geheimnisse, vielleicht half auch einfach der geschilderte leicht alkolholisierter Zustand des Einbrechers bei einem spätabendlichen Rendezvous mit ihm. Im März 1998 hätte jedenfalls der junge Mann die "Dinge dann in der richtige Reihenfolge" zu Protokoll gebracht: der Sprengstoff wäre ihm bei einem Einbruch in ein Kellerverschlag in der Schönhauser Allee in die Hände geraten.

Der richtige Mann

Gutachten und andere Umstände hätten diese Lagerstätte bestätigt. Die weiteren Ermittlungen der dort "Zugangsberechtigten" hätten zu den WohnungsmieterInnen, dem jetzigen Kronzeugen Tarek Mousli und dessen damaliger Lebensgefährtin Carmen T., geführt. Es hätten sich umfangreiche verdeckte Vorermittlungen gegen diese beiden Personen angeschlossen, wobei Erkenntnisse der Einwohnerämter, der Ausländerbehörden, Kontakte an den jeweiligen Wohnorten u.ä. ausgewertet worden wären. Dabei hätte sich bald herausgestellt, dass sie mit Tarek Mousli "an dem richtigen Mann dran waren", weil sie ihn "an Leute heranbringen konnten, die politisch aktiv waren": u.a. Besuch bei einer RAF-Gefangenen in der JVA Bielefeld, Mitarbeit in einem politischen Buchladen in Kiel, Kontakte zur Anti- Atom-Bewegung und Karatelehrer im Projektezentrum Mehringhof. Es folgten ab April 1999 dann zwei bis drei Festnahmen und Freilassungen von Tarek Mousli, begleitet von einigen Durchsuchungen. Er wäre zwar zwischendurch sicher überwacht worden, so KHK Trede, aber wie und mit welchem Ergebnis wollte dem Zeugen partout nicht in den Sinn kommen.

Die damalige Lebensgefährtin des Kronzeugen, Karmen T., wäre selbstverständlich auch befragt worden. Nach anfänglichem Zögern und mehreren Ansprachen hätte sie letztlich umfassendere Aussagen zum Verhalten des Tarek Mousli nach dem Einbruch in ihren Keller gemacht. Er hätte ihr gegenüber damals u.a. eingeräumt, dass Sprengstoff dort gelagert hätte, der von nicht näher definierten Bekannten in den Keller gelegt worden sei. Nach dem Diebstahl hätte er dann das restliche Material sofort weggeschafft. Mousli selbst hätte später ein Feuchtgebiet mit dem Namen "Seegraben" in der Nähe von Buch, als Zielort seiner Sprengstoffentsorgung benannt. Dem gegenüber hatte die Zeugin Karmen T. im laufenden Verfahren ausgesagt, dass Mousli diesen Ort aber erst viel später durch gemeinsame Spaziergänge hätte kennengelernt haben können. Diesem Widerspruch ist das BKA offenbar nicht weiter nachgegangen, genauso wenig der Frage, wer denn nun das Gelamon in den Keller gebracht haben soll.

Einer Sache auf den Grund gehen

Den größten Teil des Tages verbrachten dann alle Anwesenden gedanklich am besagten "Seegraben". Rechtsanwalt Euler versuchte durch intensives Befragen die Vorgänge und Bewertungen des BKA bis zum späteren Auffinden des Sprengstoffes an diesem Ort zu erhellen. Der Kronzeugen Mousli hätte eine Lageskizze des deponierten Restmaterials gefertigt. Dies hätte eine zweitägige Suchaktion im Juni 1999 unter Mitwirkung u.a. des LKA Berlin, der Polizeitechnischen Untersuchungsstelle, von Polizeitauchern, der Sicherungsgruppe Berlin, usw. ausgelöst. Der Kronzeuge wäre bei einem anfänglichen Ortstermin über die Lage der genauen Stelle dann aber unsicher geworden. Die Suche sei trotzdem nur in dem ursprünglich bezeichneten Areal, nahe dem dort befindlichen Parkplatz, erfolgt. Leider ohne Ergebnis. Warum die Suche anlässlich der angeblichen Ungenauigkeiten in Mouslis Angeben nicht gleich ausgedehnt wurde, konnte der Zeuge nicht erklären. Auch nicht, warum das bereits abgesuchte Gebiet kartographisch nicht erfasst worden ist. Erst im August wäre eine erneute Suche in einem deutlich erweiterten Radius um den angeblichen Lagerort erfolgt. Jetzt unter der Mithilfe des Bundesgrenzschutzes und nach dem vorher erfolgten einwöchigen Ablassen des Wassers aus dem Graben, wäre der gesuchte Sprengstoff in einer beschädigten Plastikumhüllung auf dem Boden im Schlick gefunden worden. Ursachen dafür, dass der angebliche Fundort über 100 Meter von der angegebenen Einwurfstelle entfernt gewesen sein soll, konnte der Zeuge nicht schlüssig nennen. Eine vermutete strömungsbedingte Verlagerung hätte, bedingt durch die Fließrichtung des Gewässers, eigentlich eine Lage in die entgegengesetzte Richtung zur Folge haben müssen. Der Zeuge konnte zwar detailreich über wachstumsbedingte Veränderungen in einem Feuchtbiotop dozieren, das Fehlen von Fotos der genauen Fundstelle, dem Zustand des Paketes bei der Bergung oder der Beschaffenheit des Schlicks an dieser Stelle aber nicht erklären. Alle Beteiligten hätten die Fundumstände einhellig als "normal" betrachtet. Eine von RA Euler hypothetisierte spätere Plazierung oder Veränderung der Lage des Paketes konnte so jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Und weg damit

Bei der sich anschließenden Untersuchung des Fundes seien Banderolen der Sprengpatronen, Verpackungsmaterialien, ein Wecker und Materialproben sichergestellt worden, das Gelamon am selben Tag vernichtet worden. Eine Analyse über die Lagerdauer der Sprengmittel hielt der Beamte nicht für erforderlich. Alle beteiligten Kräfte wären sich vorort einig gewesen, dass das Material dort schon recht lange gelegen hätte. Die aufgerissene Verpackung hätte schließlich sogar schon auf Tierverbiss hingedeutet, dafür bräuchte man keine Expertenmeinung. Eine Asservatenbesichtigung, bei der u.a. Müllsäcke, Drähte in Glasfläschen, Papierschnipsel in Versandtaschen, Reste von verrotteten Klebebändern durch den Saal kreisten, beendete dann fast die heutige Veranstaltung.

Ich würde ihnen ja gerne helfen

Ein Schlaglicht auf das gesamte Aussageverhalten des Zeugen warf der Schlussakkord. Befragt dazu, ob er zur inhaltlichen Vorbereitung seiner Vernehmung mit Beamten des BKA oder der BAW Kontakt hatte, verneinte Trede dies. Nachdem ihm ein Gespräch mit Bundesanwalt Bruns direkt im Gerichtsgbäude nachgewiesen werden konnte, räumte er dies dann auch ein. Nach nochmaliger Befragung zu seinen Aktivitäten im Vorfeld fiel ihm dann noch ein Gespräch mit seinem Diensttstellenleiter beim BKA ein. Letztlich wurden sogar der Bundesanwaltschaft das Aussageverhalten "ihres" BKA-Mannes zu kritisch. Bruns befragte nun den Zeugen Trede fürsorglich, ob er sich nicht (lieber doch) an ein Telefongespräch mit ihm selbst über den Sprengstoff- Fund am Seegraben vor einiger Zeit erinnern könne. Und an ein weiteres im Zusammenhang mit Ermittlung und Durchsuchungen gegen den ebenfalls Verdächtigten Lothar E. in Kanada. Und sogar noch an ein drittes, wo der bisherige Prozessverlauf Gegenstand gewesen wäre? Antwort:... darüber muss ich erst noch nachdenken, ... das weiß ich nicht, ... kann sein. Ergänzt um die Standardantwort: "Dazu kann ich ihnen nichts sagen" beschreibt sein heutiges Antworten- Repertoire.

Seine Befragung wird fortgesetzt, zumindest am Freitag. Vielleicht aber müssen sogar nächste Woche seine drei verbliebenen Kollegen in Bogota die angeblich brisante Lage dort alleine in den Griff bekommen...?

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