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13. Prozesstag: 13. Juli 2001

Die Aktion "Frau Holle" - Richter hinterfragen die Darstellungen des von Geldsorgen geplagten Kronzeugen im Fall Hollenberg

Der Prozess wurde heute mit der Befragung von Tarek Mousli zu seiner finanziellen Situation vor seiner Verhaftung und dem Anschlag auf den ehemaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, fortgesetzt.

Mousli, dem inzwischen ein zweiter Zeugenbeistand (Rechtsanwalt Remtsmayer) zugewiesen wurde, war zuvor von der Vorsitzenden Richterin noch einmal ausdrücklich ermahnt worden, diesen während der Verhandlung zukünftig nur noch in prozessualen Fragen zu konsultieren. Die häufigen und unerlaubten Einmischungen seiner juristischen "Beisitzer" in Sachfragen hatten in den vergangenen Wochen immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gericht und Verteidigung geführt.

Ein Leben auf Pump

Den Vormittag nutzten die Anwältinnen Würdinger und Studzinsky, um ein wenig mehr Licht in die finanziellen Abhängigkeiten und Außenstände des ehemaligen Karatelehrers Mousli zu bringen. Schon am Vortage hatte Mousli unfreiwillig und nur unter massivem Druck der Verteidigung (und anschließend auch des Gerichts) bestehende Verbindlichkeiten aus Privatkrediten und -darlehen in Höhe von mindestens 60.000 DM eingeräumt. Insgesamt zweimal (1997 und 2001) sei ein Gerichtsvollzieher zur Eintreibung seiner Schulden beauftragt worden.

Seine finanzielle Beteiligung an diversen Sportstudios seit 1995 war nach Angaben von Mousli nur über ein Darlehen von 100.000 DM von seinem Onkel aus Zypern ermöglicht worden. Weitere finanzielle Unterstützung für private Hobbys und betriebliche Investitionen soll er von seinem Freund und ehemaligen Anwalt (ca. 30.000 DM) und einem Dr. G. (15.000 DM) erhalten haben. Hinzu kamen Verpflichtungen gegenüber seinem ehemaligen Geschäftspartner R., der mit 50.000 DM abgefunden werden musste. Diverse Nachforderungen des Finanzamtes oder von Versicherungsanstalten will Mousli "nach längeren Verhandlungen" abgewendet haben. Auf die Frage, ob er auch nach 1997 noch auf weitere finanzielle Unterstützungen durch Dritte oder auf Kredite angewiesen war, antwortete Mousli nur ausweichend und mit Erinnerungslücken. Zu Pfändungen seiner Konten, Mietrückständen, Rückständen bei der Zahlung seiner Angestellten etc. sei es jedoch nie gekommen. Zu den Annehmlichkeiten seiner Tätigkeit als Geschäftsführer diverser Muckibuden zählte Mousli u.a. einen BMW als Dienstwagen, dessen Wert er auf 20.000 DM ansetzte.

Auslandsreisen und Stasikontakte

Mouslis private und geschäftliche Reisetätigkeiten waren Gegenstand der fortgesetzten Befragung durch die Verteidigung. Sie führten ihn nach eigenen Angaben u.a. in die USA, in den Libanon, nach Saudi-Arabien, Skandinavien, Süd- und Osteuropa, nie nach Irland und nur selten in die DDR. Vor der Wende habe es lediglich einen oder zwei Besuche bei Verwandten in Rostock gegeben, nach Ostberlin sei er (vermutlich 1987) eher aus Neugier oder auf Grund des interessanten (sprich: preiswerten) Buchangebots gefahren, da er dort weder Familie noch Freunde hatte. Erste persönliche Bekanntschaften im Ostteil der Stadt will Mousli erst nach dem Fall der Mauer geschlossen haben, als er mit einem Freund dort durch die Gegend zog. Einer dieser Bekannten hätte später von sich behauptet, für die Stasi tätig gewesen zu sein, "was er natürlich nicht überprüfen konnte". Bewusste Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder Anwerbungsversuche der Behörde habe es jedoch nicht gegeben. Auch sei ihm nichts über MfS-Kontakte ehemaliger politischer Genossen und Genossinnen bekannt gewesen. Nur Gerd Albartus, so will er von Jon (Rudolf Sch.) erfahren haben, sei hierbei eine Ausnahme gewesen.

Die Aktion "Frau Holle"

Schwerpunkt des 13. Verhandlungstages war die Befragung des Kronzeugen zum Anschlag auf den ehemaligen Leiter der Berliner Ausländerpolizei Hollenberg im Jahre 1986, die als eigenständige Straftat inzwischen juristisch verjährt ist. Die Aktion soll im Rahmen der so genannten Flüchtlingskampagne der RZ unter dem Decknamen "Frau Holle" vorbereitet und diskutiert worden sein.

Die Vorsitzende Richterin forderte den Kronzeugen auf, die Vorgänge im Vorfeld der Aktion wie auch die Durchführung von sich aus und möglichst im Kontext zu schildern, worauf dieser zunächst mit einer reichlich oberflächlichen, eher zusammenhangslosen Darstellung ohne genauere Angaben zu einzelnen Tatbeteiligungen und -abläufen reagierte. Hier eine Zusammenfassung seiner Aussagen und die "Ergebnisse" der anschließenden richterlichen Befragungen:

Mousli und sein "Freund" Lothar E. seien zum ersten Mal ca. fünf Monate vor dem konkreten Anschlag über die so genannte Flüchtlingskampagne der RZ durch Judith (Sabine E.) und Jon unterrichtet worden. Ihnen wurde mitgeteilt, dass ein Teil der Kampagne darin bestehe, den Chef der Berliner Ausländerpolizei Hollenberg durch einen Knieschuß anzugreifen. Dieser Beschluss sei auf einem RZ-Treffen (Miez), an dem nach Erzählungen der anderen "mit Sicherheit" Malte, Heiner (Matthias B.) und Jon und wahrscheinlich auch Judith teilgenommen hätten, gefaßt worden. Obwohl "solche Anschläge auf Menschen nicht in ihrem Sinne gewesen seien", hätten Sebastian (Lothar E.) und er sich von Jon und Judith am Ende doch zu einer Beteiligung überreden lassen.

An den Vorbereitungen hätten er, Sebastian, Jon und Judith mitgewirkt, vom "Hörensagen" auch Heiner und Anton (Axel H.), wahrscheinlich sogar auch Toni. Es sei nach Erzählungen von Jon und Judith Heiner gewesen, der alle notwendigen Hintergrundinformationen zu Hollenbergs Wohnung, seinem Umfeld und seiner Funktion und Rolle in der Berliner Flüchtlings- und Ausländerpolitik zusammengetragen hätte. Mousli selbst will zusammen mit Sebastian im Vorfeld der Aktion das nähere Tatumfeld erkundet haben. Dabei sei als Fluchtweg ein Fußgängerweg zu einer S-Bahnbrücke an der Berlepschstraße (S-Bahnhof Zehlendorf) ausgemacht worden. Sebastian und Mousli waren dafür vorgesehen, im Vorfeld einen geeigneten Fluchtwagen zu stehlen.

Mouslis Beteiligung an der direkten Durchführung hätte darin bestanden, während der Aktion am S-Bahnhof Zehlendorf mit einem Scanner den Polizeifunk abzuhören und Jon und Judith per Funk vor möglichen Gefahren zu warnen. Daran, dass Jon und Judith die Tat durchführen sollten, hätte von Anfang an kein Zweifel bestanden. Jon sei seiner Meinung nach der Schütze und insgesamt der einzige in seiner Zelle gewesen, der mit Schusswaffen überhaupt umgehen konnte. Dass Jon diesen Umgang mit Waffen und auch Sprengstoff in einem palästinensischen Ausbildungslager gelernt haben könnte, will Mousli wie vieles andere auch von Jon selbst erfahren haben. (In den Ermittlungsakten reduziert sich seine Aussage auf den Hinweis, Jon habe irgendwann einmal zu ihm gesagt: "Wir waren bei den Palästinensern.")

Judith, die nach Mouslis Einschätzung dagegen überhaupt nicht schießen konnte, hätte Jon bei der Aktion begleitet, weil aus Sicherheitsgründen in der Regel alle Aktionen bei der RZ mindestens zu zweit durchgeführt worden wären. Die beiden seien nach dem Schuss auf Hollenbergs Knie zusammen auf einem kleinen Klappfahrrad vom Tatort zum S-Bahnhof Zehlendorf geflüchtet, wo Heiner in dem zuvor gestohlenen Wagen auf sie gewartet hätte.

Zum Zeitpunkt der Durchführung der Aktion habe Sebastian in einer konspirativen Wohnung am Bethaniendamm gesessen, den Polizeifunk abgehört und aufgezeichnet, um die gesammelten Informationen für weitere geplante Aktionen auswerten zu können.

Hatte Mousli im laufenden Ermittlungsverfahren zunächst noch zu Protokoll gegeben, auch Siggi (Harald G.) wäre an der Aktion "Frau Holle" beteiligt gewesen, will Mousli inzwischen gelernt haben, dass Siggi zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht an der Aktion teilnehmen konnte, da er sich damals gerade in Nicaragua aufhielt.

Mousli selbst sei dagegen direkt nach der Aktion vom S-Bahnhof Zehlendorf mit der U- oder S-Bahn "entweder nach Hause oder direkt zur Arbeit gefahren".

Im Anschluss an die Aktion sei die bereits vorbereitete Anschlagserklärung, die von Richter Hanschke im Gerichtssaal noch einmal verlesen wurde, an verschiedene Buchläden sowie an die taz und dpa verschickt worden. Der Anschlag selbst sei von den Mehrheit der Mitglieder "als Erfolg" bewertet worden. Nur Sebastian, Jon und Mousli seien in ihren Einschätzungen eher verhalten gewesen. Etwa eine Woche nach der Aktion hätte Mousli zusammen mit Jon, Judith und Sebastian an einem Auswertungstreffen in einer Kneipe teilgenommen. Wie Mousli auf Nachfragen einräumte, könne er sich noch heute mit den inhaltlichen Ausführungen zu der damaligen Praxis der bundesdeutschen Flüchtlings- und Ausländerpolitik im Bekennerschreiben zum Hollenberg-Anschlag weitgehend identifizieren, da sie im wesentlichen die repressive Situation wiedergeben, die er selbst in Berlin zur damaligen Zeit so erlebt habe.

Verdichtete Erinnerungen und tatsächliche Widersprüche

Im Verlauf der Befragung traten erhebliche Widersprüche zwischen den Aussagen Mouslis während des Ermittlungsverfahrens und seinen heutigen Angaben auf. Auf Nachfrage erklärte der Kronzeuge diese Widersprüche damit, dass sich durch "mehrfaches Nachdenken" über die Geschehnisse seine "Erinnerungen irgendwie verdichtet" hätten.

Schwierige Eigentumsverhältnisse des Fluchtautos

Wie geplant, sei das Fluchtfahrzeug von Sebastian und Mousli gestohlen worden. Während Mousli die Wagenmarke, VW Passat, noch benennen konnte, versagte sein Erinnerungsvermögen spätestens bei der Frage nach der Farbe des Autos. Erinnern wollte er sich zudem an die Art und Weise wie auch an den Ort des Diebstahls, den Parkplatz eines Studentenwohnheims in Dahlem.

Nicht aufgeklärt werden konnte jedoch der größte Widerspruch zwischen seiner Aussage, das Fahrzeug mit Sebastian im Vorfeld des Anschlags auf Korbmacher gestohlen zu haben und der Feststellung der Ermittlungsbehörden, dass der benutzte Wagen nachweisbar käuflich erworben worden war. Mousli erklärte hierzu, eventuell zwei Anschläge, den auf Hollenberg und den auf Korbmacher, miteinander verwechselt zu haben.

Mousli hatte zudem angegeben, das Auto zusammen mit Sebastian nach dem Diebstahl und dem Auswechseln des Zündschlosses auf dem Mittelstreifen der Straße des 17. Juni abgestellt zu haben. Unklar blieb in der heutigen Hauptverhandlung auch, wo der "Geisterwagen" genau von den Flüchtenden bestiegen worden sein soll. Eine Zwischenfrage von Rechtsanwalt Becker, ob er denn überhaupt noch zwischen Vorbereitungs- und Nachbereitungsphase unterscheiden könne, beantwortete Mousli damit, dass er beide Vorgänge tatsächlich etwas durcheinander bringe und nicht mehr genau angeben könne, welches der tatsächliche Standort des Fluchtwagens gewesen sei. Nach Abschluss der Aktion soll der Wagen mit Hilfe eines von Heiner gefertigten Brandsatzes "abgefackelt" worden sein. Während er zuvor den Ermittlungsbehörden Jon als diejenige Person benannt hatte, die den Wagens in Brand gesetzt haben soll, bezichtigte er heute Heiner als den Fahrer und "Entsorger" des Fluchtfahrzeugs.

Brücke, Übergang, Untergang?

Auch die von Mousli angeblich erkundete S-Bahnbrücke und sein Erinnerungsvermögen an seinen eigenen Standort während der Durchführung des Anschlags auf Hollenberg verschwand spurlos in den weiteren Befragungen des Gerichts. Von den Ermittlungsbeamten wolle er erfahren haben, dass sich an der vom ihm bezeichneten Stelle am S-Bahnhof Zehlendorf überhaupt keine Brücke befinde, sondern nur ein regulärer Gleisübergang. Trotz dieser frühen Aufklärung erinnerte sich Mousli heute erneut im Zusammenhang mit seinen angeblichen Auskundschaften im Vorfeld des Anschlags an eine mysteriöse Brücke, ließ sich aber dann doch - nach genaueren Nachfragen - auf die Beschreibung "Übergang" ein. Auch die Richtung und der Name der Straße, auf der er selbst gestanden hatte, will Mousli vergessen haben. Stellt sich die Frage, wo Mousli zum Tathergang tatsächlich war?

Fazit

Besonders auffällig war am heutigen Prozesstag die Oberflächlichkeit und mangelnde Lebendigkeit der Darstellungen Mouslis, solange sie eigenständig vorgetragen wurden. Seine Beschreibungen des konkreten Tathergangs waren zu Beginn durch eine äußerste Knappheit geprägt und erweckten den Eindruck von Erzählungen eines Außenstehenden.

Auch vereinzelte Versuche der BAW und des Gerichts, lebendigere Bilder und einzelne Sequenzen des Geschehens beim Kronzeugen wachzurufen, schlugen mehr oder minder fehl. Der Strafsenat begnügte sich heute nicht mehr alleine damit, den Angaben von Mousli und der BAW kritiklos zu folgen. Trotzdem fielen die Vorhaltungen und Fragen an den Kronzeugen angesichts der Schwere der Vorwürfe gegenüber den Angeklagten weiterhin auffallend wohlwollend aus.

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