12. Prozesstag: 12. Juli 2001
Der Kronzeuge erinnert sich nur mit Schwierigkeiten - auch
seine Schulden waren ihm zunächst entfallen
Behinderte Öffentlichkeit und verstärkte
Überwachung
Zwar begann die heutige Sitzung der 1. Strafkammer pünktlich um
9:15 Uhr, aber nur für die Prozessbeteiligten. Halbleere
Zuschauerbänke zeugten von einer deutlich veränderten
Kontrollpraxis durch die Justizbediensteten, die über 30 Zuschauer zu
Prozessbeginn den rechtzeitigen Zutritt verwehrten. Zusätzlich
postierten erstmalig bis zu drei PolizeibeamtInnen im Wartebereich
der ZuhörerInnen vor der Saaltür. Nach einer entsprechenden
Rüge der Verteidigerin Lunnebach und ergänzenden Einwendungen
ihrer KollegInnen unterbrach die Vorsitzende Richterin Hennig die Sitzung.
Um 10:15 eröffnete sie dann den heutigen Prozesstag erneut, jetzt vor
vollbesetzten Reihen im Zuschauerbereich.
Programmänderung
Die für heute angekündigten Komplexe "Hollenberg"
und "Korbmacher" wurden vom Gericht nicht verhandelt. Auch wird
in den nächsten Prozesstagen nicht die geplante Einvernahme des
Kronzeugen Mousli fortgesetzt, vielmehr der Bundesanwalt Morré und
erneut der pensionierte BKA-Beamte Schulzke geladen. Sie sollen zu dem
Identifizierungsverfahren der Angeklagten Axel H. und Matthias B. aussagen.
Trotz Nachfragen der Rechtsanwälte König und Becker blieb offen,
ob diese offensichtlich sehr kurzfristige Änderung durch die
Richterin mit der bekannten bevorstehenden zweitägigen Abwesenheit des
Kronzeugenbeistandes Rechtsanwalt Birkhoff im Zusammenhang stand.
... ich meine mich erinnern zu können ...
Der Richter Hanschke (Berichterstatter) begann dann mit Detailnachfragen
zu allen Themenkomplexen des vorangegangenen Verhandlungstages: der
angebliche Einstieg des Kronzeugen in die "RZ", das erste Treffen
am Bethaniendamm, das Kennenlernen der sogenannten Gruppenmitglieder, der
interne Kontakt der angeblich bestehenden regionalen Gruppen untereinander,
die Verbindungen zur "RAF" bzw. "Rote Zora" und die
Zusammensetzung eines sogenannten "Koordinierungsausschusses".
Fast alle Antworten des Kronzeugen auf genauere Nachfragen begannen mit den
Worten "... ich meine mich zu erinnern.." oder blieben infolge
zunehmender Erinnerungslücken ganz aus. Lediglich bei Fragen zu
anderen beteiligten Personen, z.B. beim
"Koordinierungsausschuß" oder den Kontakten zu anderen
Gruppen konnte er ohne Rücksprache mit seinem Beistand präzise
sechs Menschen mit vollem Vor- und Zunamen aufzählen.
Ob seiner undeutlichen und manchmal akustisch schwer zu verstehenden
Ausdrucksweise vom Rechtsanwalt Eisenberg ermahnt, versuchte Richter
Hanschke die Ursache dafür im lauten Tastenanschlag der zahlreichen
Laptops in den Reihen der Verteidigung mittels eines Witzes zu sehen. Die
sich anschließend ausbreitende Stille im Saal ließ sich nicht
alleine mit der Humorlosigkeit des Publikums begründen...
Da habe ich die Unwahrheit gesagt!
Während der über weite Strecken schwer nachvollziehbaren
Befragung durch Richter Hanschke und mit z.T. energischen Nachfragen
aus Reihen der Verteidigung, mußte der Kronzeuge unwahre Aussagen
bei seinen ersten polizeilichen Vernehmung einräumen, andere
- auf Vorhalt hin - revidieren. Nicht er selbst, sondern "Anton"
hätte das angebliche Gruppenmitglied Lothar E. für die
"RZ" angeworben. Dies hätte er anfänglich nur
zum Schutz seines damaligen "Freundes" Lothar zu Protokoll
gegeben. Mit der gleichen Begründung hätte er auch eine
falsche Aussage zur Beteiligung von Axel H. gemacht. Behauptete
er im November 1999 Axel H. wäre ein Unterstützer, so
beschuldigte er ihn kurze Zeit später der Mitgliedschaft in
diesem "Verein". Beide Korrekturen habe er erst ab 30.12.1999,
nach Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung, vorgenommen.
Vier weitere Behauptungen mußte der Zeuge Mousli z.T. revidieren:
1. den Angeklagten Harald G. konnte er nicht - wie vorher angegeben -
Ende 1986 kennengelernt haben, da dieser erst im Januar 1987 von
einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt war; 2. die Zuordnung von
Judith als sogenanntes Gründungsmitglied der "Zellen"
könne er nicht mehr sicher treffen; 3. dass er Axel H. zum
ersten Mal in einem Dojo im Mehringhof getroffen haben will, könne er
nicht mehr mit Sicherheit sagen und 4. die Teilnahme von Gerd Albartus am
ersten Treffen der angeblichen "Roten Zellen" am Bethaniendamm
nicht länger bestätigen.
Natürlich nur wenn Sie es wissen ...
Einen deutlichen Hinweis auf die Würdigung des Wahrheitsgehalt der
Aussagen des Kronzeugen durch das Gericht, gab heute einer der Beisitzer.
Welche Frisur "Judith" beim Kennenlernen trug, wollte er
wissen. Die auftretende Pause durch das konzentrierte Nachdenken
füllte der Richter mit dem an den Zeugen gerichteten Nachsatz:
"... aber nur wenn sie es wissen... "
Wer ist oder war "Heiner"?
Nach der Mittagspause wurde der Kronzeuge durch die Rechtsanwältin
Lunnebach zur Frage der Identifizierung des Angeklagten Matthias B. als
"Heiner" befragt.
Laut Mousli war Matthias B. am Rande einer Zeugenbefragung zum
"Mordfall Karry" (ehemaliger hessischer Wirtschaftsminister) im
Mai 2000 in der JVA Köln-Ossendorf, Gegenstand der Vernehmung gewesen.
Diese sei durch den Bundesanwalt Dr. Morré durchgeführt worden.
Der BKA-Ermittlungsleiter Klaus Schulzke sei auch anwesend gewesen.
Zunächst machte der Kronzeuge unrichtige Angaben über die
zeitliche Länge des Gespräches. Erst auf Vorhalt durch die
Rechtsanwältin Lunnebach aus den damals gefertigten Protokollen
bestätigte er, am 18. und 19. Januar 2000 insgesamt über 13
Stunden befragt worden zu sein, nicht wie behauptet lediglich zwischen
einer halben Stunde und einem Tag. Im Rahmen dieser Vernehmung hätte
Bundesanwalt Morré zur Frage der Identität der angeblichen
Person "Heiner" erläutert, dass "Malte" und
der Angeklagte Matthias B. Schulfreunde gewesen seien. Nach diesem Hinweis
wäre dem Zeugen Mousli wieder eingefallen, dass ihm ein solches
Freundschaftsverhältnis von "Malte" und "Heiner"
auch bekannt gewesen sei. Insgesamt blieb das Wirken und die dargelegten
Erkenntnisse des BAW Morré zu diesem Punkt unscharf.
An dem darauffolgenden Tag wurde er - diesmal als Beschuldigter - u.a.
wieder durch den BKA-Beamten Klaus Schulzke vernommen, der ihm dann eine
Lichtbildmappe mit Fotos einer insgesamt 51 Bildern umfassenden Auswahl von
Ermittlungs- und Observierungsopfern vorgelegt hätte, auf denen er
dann sicher Matthias B. erkannte und als "Heiner" identifizierte.
Der Name Matthias B. und dessen Foto seien ihm im Laufe der Ermittlungen
von Beamten mehrfach genannt bzw. gezeigt worden.
Mousli's weiterer Lebenslauf
Anschließend befragte die Vorsitzende Richterin den Zeugen
zu seinem Ausstieg und biografischen Werdegang. Während auf
dem "Waldspaziergang" 1989 nur über eine grundsätzliche
"inhaltliche Neuorientierung" und Perspektiven diskutiert
worden sei, habe er seinen Ausstieg anfangs nur in der Gruppe besprochen
und erst im Februar/März 1999 seinen Entschluß auch dort
mitgeteilt. Nach seinem weiteren beruflichen Lebensweg gefragt gab
er an, dass er erst wieder in einem Programmierjob gearbeitet habe,
sich an einer Pflegegruppe für Michael W. maßgeblich
beteiligt hätte, Mitgesellschafter zweier Fitness-Center "Snoops
Fitness" und "Pyramide Fitnessworld" war,verschiededne
Funktionen in Vereinen und Landesverbänden ausgeübt hätte,
sowie an einem Forschungsprojekt beteiligt gewesen wäre. Inzwischen
wären die Beteiligungen an den Gesellschaften beendet, ebenso
die Funktionärstätigkeit.
Money makes ...
Die sich anschließende Befragung des Zeugen durch die Richterin
zielte auf dessen ökonomische Situation in dem Zeitraum vor Eintritt
in das Zeugenschutzprogramm. Insgesamt hätten ihm monatlich 3.500,- DM
zur Verfügung gestanden, aus der Auflösung der beiden
Gesellschaften hätte er noch Forderungen gegenüber dem ehemaligen
Geschäftspartner Frank Z. und insgesamt hätte er ein
ausreichendes Auskommen gehabt. Das weitergegebene Fragerecht nutzte die
Verteidigung zu einer intensiven Befragung des Zeugen zu diesem Punkt.
Insgesamt gab Tarek Mousli offensichtlich nur sehr unwillig und
zunehmend einsilbig Auskünfte über seine sonstigen finanziellen
Verpflichtungen. Nach Anträgen der Verteidigung zwangen erst
zwei Gerichtsbeschlüsse den Zeugen zu umfangreicheren Aussagen, da
diesmal auch das Gericht ein Aussageverweigerungsrecht nach dem
Zeugenschutz nicht erkennen konnte. Im Ergebnis räumte der
Kronzeuge ein, dass die abschließende Bewertung des
Gesellschaftsvermögens seiner Firmen vorläufig sei, seine
angebliche Forderung in Höhe von 54.000,- DM keinesfalls realisiert
ist, von seinem ehemaligen Mitgesellschafter, Frank Z. nicht anerkannt
würden und ein Rechtsstreit darüber bevorstünde. Auf
weiteres Nachfragen der Anwälte Becker und Eisenberg gab er an,
zusätzliche Verbindlichkeiten aus Privatkrediten in Höhe von
mind. 60.000,- DM zu haben, bei denen z.T. bereits die Vollstreckung
veranlasst worden ist. Für einen Teilbetrag von 40.000,- DM habe ein
Gläubiger einen Titel erwirkt und diesbezüglich sei - begleitet
von einem Raunen im Publikum - ein Gerichtsvollzieher bereits beim BKA
vorstellig geworden.
Die Frage, ob ihm angesichts dieser finanziellen Situation entlastende
Angebote im Rahmen des Zeugenschutzes zur Inanspruchnahme der
Kronzeugenregelung beflügelt haben, stand weiterhin unbeantwortet im
Raum.
Als eine weitere längere Fragerunde der Verteidigung zu diesem sich
zusehends verdüsternden Thema drohte, verfügte das Gericht die
Vertagung des Prozesses. Er wird mit der Zeugenvernehmung des BKA-Beamten
Schulzke und des Bundesanwaltes Dr. Morré fortgesetzt.
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