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158. Prozesstag: 11.12.2003

Abgerechnet wird zum Schluss

Notgedrungen ist er doch etwas länger als die Anklageschrift geworden. Der Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft (BAW) brachte es heute auf 170 Seiten Manuskript, d.h. über sechs Stunden einen gelangweilten, ziemlich desinteressierten und vor sich hinmurmelnden Auftritt zweier Bundesanwälte, wie an den vorangegangenen 157 Verhandlungstagen. Der Text wurde ausnahmslos vorgelesen, kein Satz im freien Vortrag formuliert. Selbst bei akustischen Problemen wurde lediglich das Nötigste widerwillig wortgetreu wiederholt: mehr war, mehr ist und mehr wird in diesem Prozess für die BAW nicht erforderlich sein.

Der folgende Bericht kann nur komprimiert und schlaglichtartig den Verhandlungstag widergeben.... und das auch nur widerwillig.

Karlsruher Geschichtsschreibung

Die BAW hat sich nicht nur ihren Kronzeugen-Prozess 'zurechtgelegt', sondern auch ihre eigene Geschichtsschreibung über die Revolutionären Zellen/Rote Zora. Und so begann heute das Plädoyer, wie sich die Herren Bruns, Walenta und Co. im beschaulichen Baden- Württemberg eine gefährliche Terrorgruppe in Berlin so vorstellen. Ein einfach gestrickter Kriminalroman von den ersten angeblichen Anschlägen der RZ 1973 bis zur Auflösung 1995, ein Bilderbogen über örtliche und überregionale Organisationsstrukturen, interne politische Weichenstellungen, Arbeitsprinzipien, bis hin zu den angeblich nachgewiesenen Mitgliedschaften der Angeklagten, deren Ein-, Aus-, Auf-, Ab- und Umstiege sowie Rollenverteilung. Das alles hätte der Kronzeuge zutreffend dargelegt. Alle abweichenden Aussagen, z.B. durch die Einlassungen der Angeklagten H. und Sch., wären unglaubwürdig und taktische Schutzbehauptungen. Widersprüche zwischen den offenbar egalitären Entscheidungsstrukturen der RZ und den behaupteten Führungsrollen dreier Angeklagter, wird mit der vermuteten Anwendung 'moderner Führungstechniken' bei der RZ entkräftet. Das überwiegende Schweigen der Angeklagten und die Lückenhaftigkeit ihrer Einlassungen würden die Richtigkeit der Aussagen des Kronzeugen geradezu beweisen. Andere erdrückende Indizien, u.a. das die Angeklagten B. und G. vor über 30 Jahren die gleiche Berufsschule besucht haben sollen, hätten den Beweis ihrer Mitgliedschaft in der RZ ohnehin schon erbracht.

Ich sag' wie es wirklich war....

Der Anschlag auf den Leiter der Ausländerbehörde Hollenberg soll sich so abgespielt haben, wie es bereits in der Anklageschrift behauptet wurde. Die Aussagen des Kronzeugen über Ablauf und Tatbeteiligung der einzelnen Gruppenmitglieder wären absolut stimmig und logisch. Die Einlassungen vom Angeklagten Sch. wären hingegen blass, u.a. die widersprochene Behauptung der Verwendung von Funkgeräten. Ein gut organisierter Anschlag braucht Funkkontakt untereinander, so Bundesanwalt Bruns, das wäre doch logisch und lebensnah. Die widersprechende Aussage der Zeugin Barbara W. wäre völlig unglaubwürdig. Als angebliche Schützin bei dem Anschlag hätte sie sich viel professioneller vorbereiten müssen, z.B. das Kaliber der Tatwaffe sich eingeprägt, den Ort der vorbereitenden Schießübungen in Frankreich besser im Gedächtnis behalten und vor allem ihre politische Tatbegründung intensiver ausgefeilt. Auch die bestätigende Zeugin Susi E. hätte es nur gut gemeint. Nein, nein, auch wenn der Kronzeuge zweimal nachträglich seine Angaben zum Tatgeschehen abgeändert hat, diese wären beileibe keine Falschaussagen, sondern detailreiche Ergänzungen und Erweiterungen...aha!

Der Anschlag auf die ZSA im Febr. 1987 und die Beteiligung der Angeklagten wäre eindeutig und ausreichend durch die Aussagen des Kronzeugen bewiesen. Seine sich dabei widersprechenden Angaben zur Herstellung, Beschaffenheit und Bauprinzip des dabei angeblich verwendeten Sprengsatzes würden nur eins verdeutlichen: wie intensiv der Kronzeuge um die Wahrheit ringt, nichts Falsches sagen will und deshalb lieber etwas zurücknimmt! Die Tränen der Rührung trockneten schnell bei den BesucherInnen, denn die behauptete Tatbeteiligung des Kronzeugen selber könne nun wirklich nicht stimmen, widerlegten die Bundesanwälte harsch. Schließlich wäre der Angeklagte Sch. sonst auch immer der Bestimmer und Bombenbastler gewesen, dann wird es diesmal auch so gewesen sein. Und die beim Bombenbau angeblich benutzte konspirative Wohnung? Na, irgendwo wird sie schon gewesen sein, ist ja eigentlich auch egal wo genau und von wem.

Beim Anschlag auf den Asylrichter Korbmacher hätte eigentlich auch nur der Kronzeuge Mousli überzeugende und völlig klare Angaben darüber gemacht, wer von der Gruppe wie beteiligt war. Seine dabei unvermittelt aufgetauchten Wissenslücken, z.B. wer das Motorrad bei den Beinschüssen auf das Opfer gefahren habe, seien leicht erklärbar: er wurde darüber von der Führungsebene der RZ einfach nicht informiert, weil er doch so unbedeutend in der Gruppe war...aber auch, weil er niemanden irrtümlich falsch belasten wolle! Wieder gab es viel feucht-glänzende Augen bei den ZuschauerInnen, doch sie konnten nicht ganz von der nächsten atemberaubenden These der BAW ablenken: einer Sinnestäuschung musste das Ehepaar zwangsläufig erlegen sein, was das angeblich benutzte Motorrad noch kurz zuvor am Grenzkontrollpunkt Dreilinden (das war'n noch Zeiten!) unverändert gesehen haben will.

Es war einmal ein VEB...

Nun folgte die tolldreiste Geschichte des patronierten Sprengstoffes Gelamon 40 auf seiner geheimnisvollen Reise vom VEB Schönebeck, zur Firma Westspreng, der Firma Dolorit, zum Außenlager Salzhemmendorf. Der dortige Diebstahl, eine sich anschließende breite Spur damit angeblich verursachter vielfältigen Knalleffekte bis zur Siegessäule, seine Lagerung in einem Schacht mit Wasserpegel und Metalldeckel im Berliner Mehringhof, behütet vom Angeklagten H., die Umlagerung in den privaten Keller des Kronzeugen durch den Angeklagten G., dem zufälligen erneuten Diebstahl durch den Kleinkriminellen S. und die sagenumwobenen Endlagerung des Restbestandes in den Untiefen des Seegrabens, durch Herrn Mousli höchstpersönlich, angeblich im Jahre 1995. Und genau so war es, alles andere sind böswillige Vermutungen, verlas die BAW. Schließlich habe Mousli seiner Mama bei einem (abgehörten) Telefongespräch im Jahre 1999 von vier Jahren Sprengstoffliegezeit im Seegraben erzählt, dann muss es doch stimmen! Ob Klebebandtests, Volumengrößeberechnungen, Algenbewuchs oder Wasserströmung, nichts könne dieser Geschichte am Zeug flicken. Und überhaupt, bei der Suche im Mehringhof sollten gar keine Spuren eines ehemaliges Sprengstofflager entdeckt werden, sondern das diente allein der Gefahrenabwehr, weil vielleicht inzwischen wieder welches dort eingelagert gewesen sein könnte...jaa, meine Damen und Herren Prozessinteressierte, alles vollkommen falsch verstanden bisher!! Auch der oft beschworene und nie gefundene Metalldeckelschacht mit dem Wasserpegel demonstriert nur das lebhafte und präzise Erinnerungsvermögen des Kronzeugen. Und bei diesen vielen verwinkelten Kellergewölben in dem Gebäude wird da sicher ein Sprengstofflager gewesen sein. Wozu wäre der Angeklagte H. sonst dort Hausmeister geworden?

Kronzeugen lügen nie

Der Anschlag auf die Siegessäule, der sog. Waldspaziergang, die angebliche Geldbeschaffung von Mousli für die Untergetauchten 'Wäldler', die angebliche halbherzige Neuorientierung der RZ-Gruppen zwischen 1987 und 1990, ...ach noch so manchen Schwank des Kronzeugen hatte die BAW heute zum Besten gegeben. Ohne Einschränkungen bewertete die BAW Mouslis Äußerungen in dem Prozess als ...widerspruchlose Aussagen, die sich in den Geschehnisablauf einpassen..., wohlgemerkt nicht andersherum!

Und das alles werden wir später in der Urteilsbegründung des Gerichtes in Ruhe nachlesen können!

Strafe muss sein!

Aber es kam dann, wie es oft kommt: am Ende ist Schluß mit Lustig. Die Strafwürdigung und -zumessung benötigte alleine eine Dreiviertelstunde. Die Angeklagten Matthias B., Rudolf Sch. und Sabine E. seien die Rädelsführer der RZ in Berlin gewesen, während Axel H. und Harald G. in der 2. Reihe gestanden hätten. Alle hochkriminelle und äußerst gefährliche TäterInnen, z.T. geschickt als Biedermänner getarnte BrandstifterInnen. Inzwischen hätten sie aber alle in den Schoß der bürgerlichen Gesellschaft zurückgefunden und der Gewalt abgeschworen. Drei hätten durch ihre Einlassungen sogar mit dem Staatschutz und der Justiz kooperiert, wären so zu leuchtenden Vorbildern für die politische Szene geworden, für die sie aber leider durch ihr Aussageverhalten verbrannt sein dürften. Auch wenn die BAW die Angeklagten in taktisch menschelnder Weise überwiegend als schüchtern, höflich, harmoniebedürftig und sogar zerbrechlich beschrieben hat, Strafe muß trotzdem sein: Haftstrafen für Matthias B. 4 Jahre und 3 Monate, für Rudolf Sch. und Sabine E. jeweils 3 Jahre und 9 Monate (entsprechend ihrer Vereinbarung mit der BAW), für Harald G. eine Gesamtstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten und für Axel H. 2 Jahre und 7 Monate wurden beantragt und die Aufhebung der Haftbefehle.

Am Do., den 18.12., werden die RAe Lunnebach und Kaleck für den Angeklagten Matthias B. den Reigen der Verteidigerplädoyers eröffnen.

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