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123. Prozesstag: 10. April 2003

Mousli versucht ein Comeback

Nach vielen Monaten war heute der Kronzeuge Mousli wieder geladen worden, was inzwischen nur noch ein knappes Dutzend ZuhörerInnen auf die BesucherInnenbänke treibt. Die Beweisthemen, 'Konspirative Wohnung' in der Oranienstraße, Fertigung von Sprengmitteln für den Anschlag auf die ZSA und Beschaffung von Blanko-Ausweispapieren, waren benannt worden. Der Zeuge sollte zu den inzwischen bekannten, erheblich abweichenden Erkenntnissen seiner früheren Aussagen Stellung nehmen.

Gelegenheit zur Nachbesserung für den Kronzeugen

Genau darauf zielte der anfängliche Widerspruch durch die RAin Studzinsky. Die Widersprüche in und zu den Aussagen des Kronzeugen wären bereits ausreichend festgestellt worden. So würde die bevorstehende Vernehmung Mousli lediglich Gelegenheit geben, seine früheren Angaben dem jetzigen Erkenntnisstand anzupassen, wie er dies in der Vergangenheit bereits mehrfach getan habe. Außerdem wäre eine sachkundige Befragung seitens der Verteidigung nicht möglich, da prozessrelevante Akten und polizeiliche Ermittlungsergebnisse der Verteidigung weiterhin vorenthalten werden.

Per lapidaren Gerichtsbeschluss, die 'Vermutungen' der Verteidigung träfen nicht zu, begann die Vernehmung Mousli's. Eine konspirative Wohnung in der Oranienstr. wäre als Treffpunkt, Sprengstofflabor und Unterkunft von der angeblichen RZ-Gruppe benutzt worden. Sie hätte in einem Haus 200 - 300 m vom Heinrichplatz in Richtung Görlitzer Bahnhof auf der linken Straßenseite gelegen, nicht im paterre und wäre von Wolfgang B. zur Verfügung gestellt worden. Mit dem angeblichen Wohnungsgeber selbst will er aber darüber nie gesprochen, ihn dort auch nie gesehen haben, obwohl sie sich zu anderen Anlässen wiederholt begegnet wären. Mousli gab an, selber jahrelang nur wenige Meter von der angeblichen konspirativen Wohnung entfernt gewohnt und sie häufig betreten zu haben. Trotzdem sei ihm weder das Haus, die Hausnummer, die Etage, die Wohnungslage, mögliche Baumaßnahmen oder andere Auffälligkeiten "...erinnerlich", noch ob Wolfgang B. einen Miet- oder Kaufvertrag dafür besessen bzw. in welcher Form die angebliche Überlassung stattgefunden hätte. Bei der örtlichen Eingrenzung seien ihm bei einer protokollierten und förmlichen Vernehmung Fotos und Skizzen von Häusern, auch des vermuteten Nr. 7/9 vorgelegt worden, das hätte '...er noch bildlich vor Augen...', wie eine seiner einstudierten, formelhaften Redewendungen so schön lautet.

Getrübte Objektivität begründet Richterablehnung

Diese letzte Aussage des Zeugen war erneut Anlass für die Verteidigung die Unterbrechung der Vernehmung zu verlangen. RAin Studzinsky führte aus, dass ihre eingangs vorgetragenen Bedenken nun eingetreten seien, da über eine polizeiliche Vernehmung Mouslis zu diesem Thema unter Vorlage von Lichtbildern oder Skizzen keinerlei Unterlagen bekannt wären. Die Aussage des Kronzeugen belege zweifelsfrei, dass offenbar vorhandene Ermittlungsakten der Verteidigung nicht zur Verfügung stehen, wie seit Anfang des Verfahrens. Warum z. B. das BKA ausgerechnet seine Ermittlungen auf das Haus 7/9 beschränkte, wäre nicht nachzuvollziehen. Insgesamt würde das Fragerecht der Verteidigung dadurch fortlaufend behindert.

Ohne zu zögern wies die Vorsitzende Richterin auch diesen Antrag sofort zurück, nach 10 Min. auch per Gerichtsbeschluss ohne inhaltliche Begründung. Die Verteidigung der Angeklagten reagierte ungewohnt geschlossen mit einem Ablehnungsantrag gegen das gesamte Kammergericht. Die fünf RichterInnen wären in ihrem objektiven Urteilsvermögen befangen, trug RA König vor. Sie würden das Vorenthalten von prozesserheblichen Akten durch die Bundesanwaltschaft (BAW) akzeptieren und die 'scheibchenweise' und zum Teil erst erzwungene Einführung von polizeilichen Ermittlungsergebnissen tolerieren. So wären z.B. die polizeilichen Ermittlungen zu angeblich konspirativen Wohnungen bereits im Jahre 2000 begonnen worden, aber erst 2003 gerichtsbekannt. Vor diesem Kammergericht würde es zu einem Gnadenakt, ob das Bundeskriminalamt und die BAW der Verteidigung vorhandene Verfahrensunterlagen zur Verfügung stellen würde, die dadurch den gesamten Prozess seit Monaten eigentlich führen.

Können Sie sich erinnern? - Wenn das da so steht!

Auch jetzt sah sich das Gericht zu keiner Nachdenklichkeit veranlasst, was nach bisherigem Prozessverlauf nun wahrlich nicht überraschen konnte. Mit ungetrübtem Verurteilungswillen setzte die Vorsitzende Richterin die Befragung des Kronzeugen ungerührt fort, immerhin wechselte sie kurzerhand das Beweisthema: 'Drogentod'.

Mousli führte aus, er habe von 'Sebastian' gehört, dass ein Mann mit dem Spitznamen Drogentod Blankopapiere für Ausweise besorgt habe, die vermutlich für die angeblich untergetauchten 'Wäldler' verwendet worden sind. Ihm sei die Person aus den Kneipen EX und Syndikat bekannt und er wäre angeblich in einer Bundesbehörde beschäftigt gewesen. Seine früheren Aussagen, es würde sich um die Bundesdruckerei handeln, bestätigte er nicht. Der Name Drogentod sei jedenfalls immer wieder im Zusammenhang mit Ausweispapieren genannt worden. Auf vorgelegten Lichtbildern hatte er die Person nicht identifiziert, ergab sich aus einen der zahlreichen Vorhalte durch die Richterin. Erst nachdem ihm die Beamten den Vornamen und den Wohnort in der Neuköllner Weisestr. genannt hatten, trat die Erinnerung schlagartig wieder ein, ja das ist er!

Bloß keine weiteren Fehler...

Die Richterin soufflierte zu diesem Thema dem Kronzeugen fast seine gesamten Aussagen durch rechtzeitige und umfassende Vorhalte aus früheren Vernehmungen. Dadurch brauchte Mousli fast durchgängig nur mit 'Ja' antworten, gelegentlich auch überhaupt nicht. Damit wurde das Auftreten möglicher weiterer widersprüchlicher Aussagen erfolgreich durch das Gericht vermieden. RA Kaleck bat schon fast flehentlich das Gericht, doch wenigstens den Anstand zu wahren und zumindest den Anschein einer tatsächlichen Zeugeneinvernahme zu retten. Dazu gehöre formal die Antworten eines Zeugen abzuwarten, bevor das Gericht ihm selbige durch Vorhalte mundgerecht serviert.

Das Gericht hatte offenbar dann auch genug ausgesessen, denn kurz darauf war Schluß.

 

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