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50. Prozesstag: 10. Januar 2002

Die unendliche Befragung ... geht weiter

Wer ist 'Heiner'? Und: Unter welchen Bedingungen wurde der Tarnname 'Heiner' welchen Photos zugeordnet? Diese Fragen standen anfänglich heute im Mittelpunkt.

Zur Zeit gilt Matthias B. als 'Heiner'. Das war nicht immer so. Die Rechtsanwälte Lunnebach und Kaleck als Verteidigung von Matthias B. versuchten heute zu rekonstruieren unter welchen Bedingungen der Kronzeuge Tarek Mousli (T.M.) ihn als 'Heiner' identifiziert hat.

Und sein Name sei Heiner

Ende November 1999 (25./26./ 30.) wurde T.M. im Gefängnis von den BKA-Beamten Schulzke und Trede vernommen. Es wurden ihm Lichtbilder vorgelegt auf denen Mousli einen Ulli D. als "Heiner" erkannt haben will. Rechtsanwältin Lunnebach versuchte nun von T.M. herauszubekommen, wie er denn nun diese Zuordnung und warum vorgenommen habe bzw. welche Unsicherheiten dabei aufgetreten sind. Dies wiederum ist nicht genau nachzuvollziehen: einmal hat T.M. offensichtlich einfach vermutet, dass "dies Heiner sein könnte", dann wiederum steht in den Protokollen, "er habe es den Aussagen von Siggi entnommen". Die Widersprüche konnten nicht geklärt werden und T.M. musste zugeben, er habe unvollständige Aussagen zu dem Zeitpunkt gemacht - angeblich um seine Freunde zu schützen.

Einen Umschwung im Aussageverhalten gab es erst Ende Dezember 1999. Vorangegangen war die Durchsuchung des Mehringhofes. Nachdem T.M. im Knast als Verräter und Judas beschimpft worden wäre, hätte er freiwillig auf Einzelhaftbedingungen bestanden. Gleichzeitig hätte er den Anwalt gewechselt. Mit der auslaufenden Kronzeugenregelung habe sein Meinungswandel nichts zu tun gehabt, gab T.M. heute an. Er habe sich Sorgen um seine Freundin Carmen T. gemacht, die er durch seine Aussagen schützen wollte. Er hätte befürchtet, dass Lothar E., der damals wie heute in Kanada lebt, etwas gegen sie veranlassen würde. Deswegen habe er letztlich die Identität von Sebastian und Anton dem BKA preisgegeben. Wie er durch seine Aussage seine ehemalige Freundin habe schützen wollen blieb vollkommen rätselhaft.

Seinen Sinneswandel konnte T.M. nicht überzeugend darlegen - zu unlogisch seine Ableitungen, zu oberflächlich seine Begründungen. T.M musste zugeben, dass er unvollständige Aussagen gemacht hat - ein klares Bild von den einzelnen Personen habe er dennoch im Kopf gehabt.

Pack die Badehose ein ......

Ein bereits mehrfach erwähnter 'Waldspaziergang' in Berlin-Wannsee stand dann im Mittelpunkt der weiteren Befragung durch die VerteidigerInnen. Nachdem sich der Zeuge bei seinen ersten polizeilichen Vernehmungen auf das Jahr (1989 oder 1990) nicht festlegen wollte, schloss er später für den Termin dieses behauptete Treffen das Jahr 1990 aus und wollte sich in der heutigen Hauptverhandlung relativ sicher an den Sommer 1989 erinnern können. Wann, von wem und wie genau dieses Treffen vereinbart wurde sei ihm nicht mehr erinnerlich, aber es sei vorher in seiner angeblichen Gruppe irgendwie bei einer Zusammenkunft vermutlich besprochen worden. Wie und mit wem er den Treffpunkt, das Gartenlokal 'Loretta am Wannsee', erreicht haben will, sei ihm nicht mehr gegenwärtig, doch der dabei übliche konspirative Standard sei eingehalten worden: jede/r sei alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln unter häufigem Wechsel der Fahrtrichtung und mehrfachen Umsteigen zum Ziel gelangt. Bei seinen ersten Aussagen bei der Polizei war ihm der 'Vereinsausflug' ins Grüne wohl ganz entfallen, erst im Dezember 1999 setzte dann seine Erinnerung dazu ein. Zunächst sollen - neben ihm selbst - nur 'Judith' und/ oder 'John' sowie 'Sebastian' mit von der Partie gewesen sein. Im Zuge seiner weiteren Vernehmungen will sich Mousli an immer mehr Teilnehmer erinnert haben, erst 'Heiner', später dann 'Siggi', bis letztlich im April 2000 auch noch mit 'Anton' das Bild des Familienausfluges komplett gewesen sein soll.

Warum entgegen der sonst üblichen menschlichen Schwäche, dass Erinnerungen mit der Zeit verblassen, sein Gedächtnis hingegen mit der Zeit immer präzisere Angaben liefern könne, konnte sich der Kronzeuge nicht beantworten. Gleichfalls die Frage nicht, warum und welche Informationen er in diesem Zusammenhang anfänglich zurückgehalten habe

Richtig gemütlich bei den RZ's

Wenig nachvollziehbar sind die Erklärungen des Zeugen, warum bei dieser Zusammenkunft erst- und einmalig alle angeblichen bis dahin jahrelang angewendeten strikten Abschottungsregeln der angeblichen Gruppen untereinander außer Kraft gesetzt wurden. Auch die noch beim Anfahrtsweg angeblich gewahrte und übliche Verdunklungstaktik soll plötzlich am Biertisch einer völlig neuen und ungewohnten Geselligkeit gewichen sein. Es wären schliesslich wichtige Dinge zu besprechen gewesen, behauptete heute Mousli. Jedenfalls habe man sich gegenseitig vorgestellt und seitdem hätte er den z.T. nur unter Decknamen bekannten Personen jeweils Gesichter zuordnen können. Gemeinsam sei die ganze Gesellschaft dann zu einem Spaziergang in ein nahegelegenes Waldstück aufgebrochen. Bis zu zwei Stunden seien die 7 Personen diskutierend über die Waldwege geschlendert, unterbrochen von gelegentlicher Rast auf Parkbänken.

Wie eine intensive Auseinandersetzung, während einer Wanderung, zwischen allen sieben Beteiligten gewährleistet wurde, konnte nicht erhellt werden: "..in welchen Formationen wir gelaufen sind, dass kann ich nun wirklich nicht mehr sagen."

Gegenstand der Diskussion sei der Tod von Gert Albatus gewesen. Grundlage dafür hätte ein Text von 'Malte' dargestellt, der vorgelesen, vorgetragen oder sonst irgendwie eingebracht worden sei. Das Ergebnis der Diskussion sei dann in einen Text eingeflossen (Gert ist tot!), der später verteilt worden sei. Allerdings konnte wiederum nicht erhellt werden, warum das erst knapp 1,5 Jahre später geschah. Gegen diesen Teil der Darstellung des Kronzeugen sprach auch, dass in dem Text u.a. auf eine Beteiligung des MfS Bezug genommen wurde, der historisch so erst nach der Wende hergestellt werden konnte, also auf jeden Fall nicht zum angeblichen Gesprächszeitpunkt möglich war. Zweiter Inhalt sei das weitere politische Ziel der RZ gewesen, antirassistische und antipatriarchale Ausrichtungen seien erwogen worden, auch die Fortsetzung der Flüchtlingskampagne und die Zielrichtung auf staatliche soziale Institutionen. Eine Einigung wäre nicht erzielt worden, wie auch beim angeblichen dritten Thema, die Versorgung abgetauchter GenossInnen und vor allem Auflösungstendenzen im 'Gesamtverein'. 'John' hätte entsprechende Informationen von 'Franka' und 'Luca' aus der Region 'Pott' eingebracht. Die Frage blieb offen, wie denn dieses Thema bereits im Sommer 1989 hätte diskutiert werden können, wenn doch noch bis 1991 die gleichen Gruppen sich zu Anschlägen bekannt haben und ganz offensichtlich aktiv waren. Auch hier hätte es damals schon hellseherischer Fähigkeiten bedurft, um die Begründung des erst im Januar 1992 veröffentlichten Textes: "Das Ende unserer Politik" vorauszuahnen: ein missglückter Anschlag auf die Staatskanzlei in Düsseldorf im Januar 1991.

Jetzt weiß ich's wieder

Abschließend hielt die Anwältin Lunnebach dem Kronzeugen vor, er hätte noch am 7.12. 99 zu Protokoll gegeben, er könne den Decknamen 'Heiner', 'Anton' und 'Toni' keiner Lichtbildidentifizierung zuordnen, da er sie nicht persönliche kennen würde. Seit dem o.g. Wannsee-Ausflug hätte er ja zumindest 'Heiner' näher gekannt haben müssen, zumal er ihn auch dann später öfters im Mehringhof gesehen und gesprochen haben will. Warum sein Gedächtnis erst nach Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung die Verbindung zwischen 'Heiner' und dem Angeklagten Matthias B. preisgegeben hat, wie auch die Erinnerung an den Waldspaziergang überhaupt freigesetzt hat, bleibt der Phantasie der ZuschauerInnen überlassen, .....wie so vieles andere auch. Eine nachvollziehbare Erklärung fand der Zeuge dafür nicht. Absichtlich gelogen habe er bei seinen abweichenden ersten Aussagen bei der Polizei aber auf keinen Fall, versicherte Tarek Mousli!

Eine Richterin ist ja auch nur ein Mensch

Offenbar musste sich heute die Vorsitzende Richterin Hennig endlich mal so richtig Luft verschaffen und sich ihre sichtbare Überforderung in dem Prozess von der Seele reden. Während der vormittäglichen hartnäckigen Befragung des Kronzeugen durch die Verteidigerin Lunnebach, brach es aus ihr heraus: die Anwältin würde viel zu viel reden, ungenaue Fragen stellen und diese ständig wiederholen, kurz und gut, die anderen Kollegen könnten das viel besser! Nach einer kurzen Unterbrechung - zur Abkühlung der Gemüter - legte Verteidigerkollege Kaleck dar, dass die Langatmigkeit der Vernehmung in dem Aussageverhalten des Kronzeugen begründet liege. Ein Zeuge der inzwischen nachweislich mehrfach die Unwahrheit behauptet hätte, von plötzlich auftretenden Erinnerungsverlusten gepeinigt wird und häufig eher fragmentarische oder kryptische anmutende Äußerungen tätigt, erfordere eine sehr zeitaufwendige und gründliche Befragung. Die Bemerkungen der Richterin Hennig können so nur als Entlastungsangriff gegen die Verteidigung verstanden werden, zum Schutz des durch gezielte Fragen in Bedrängnis geratenen Kronzeugen. Bis auf das Gericht und bei den Vertretern der Bundesanwaltschaft versteht sich, traf diese Stellungnahme auf allgemeine Zustimmung, besonders bei dem treuen Stammpublikum dieser Darbietung.

Es muß aber auch ein schweres Amt sein, mit einem offenbar schon fertigen Urteil sich trotzdem Tag für Tag diese ganzen Widersprüchlichkeiten anhören zu müssen, es könnte doch nun wirklich alles viel schneller gehen .....

Lust auf mehr? Nicht verpassen: Morgen, Fr. den 11. Januar, 9:15 Uhr ( nur beschränkte Anzahl von Sitzplätzen vorhanden!)

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