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42. Prozesstag: 7. Dezember 2001

Die Spur führt nach Hamburg

Sechs Zeugen waren heute vorgeladen. Der juristische Laie fragt sich dabei ab und an, warum. Ist doch das, was da berichtet wird, nur von mäßigem Interesse, und inwiefern dies ein Beitrag zur "Wahrheitsfindung" sein soll, nur schwerlich zu erkennen. Doch nun muss ihr Wissen eben in das Verfahren auf diese Art und Weise eingeführt werden - gilt hier doch immer noch das Unmittelbarkeitsprinzip der Beweismittel, und das verbietet - Gott oder wem sei auch immer Dank -, die Sache per Aktenstudium zu erledigen.

Beteiligte am 42. Verhandlungstag waren fünf Beamte der Berliner Polizei bzw. des Bundeskriminalamtes (BKA) und eine Taxifahrerin. Joachim Meiser, mit 64 Jahren Kriminalhauptkommissar im Ruhestand, war an den Ermittlungen zum Anschlag auf Dr. Korbmacher beteiligt. Dabei konzentrierte er sich vor allem darauf, Näheres über das Tatfahrzeug, ein Motorrad, in Erfahrung zu bringen. Nach den polizeilichen Ermittlungen war es Monate vor dem Tattag in Neuss (NRW) gestohlen worden. Wie es damals nach Westberlin verschafft worden war, darüber konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden, so der Zeuge heute, obwohl man sogar bei den Behörden der DDR um Auskunft gebeten habe. Doch die seien nicht sehr kooperativ gewesen. Dass dem Zeugen hier die Erinnerung etwas durcheinander ging, ist klar. Denn aus anderen Verhandlungstagen wissen wir, dass es in diesem Zusammenhang sogar Zeugen gibt, die das Motorrad am 30.8.1987 am Kontrollpunkt Drewitz gesehen haben wollen (vgl. 34. Prozesstag). Etwas Neues berichtete er allerdings über die Beschaffenheit der "Selbstbezichtigungsschreiben", in denen die RZ gegenüber verschiedenen Empfängern ihre Aktion begründet hatten. Nach seinen Angaben seien die Bekennerschreiben zwar inhaltlich identisch gewesen, aber durchaus in unterschiedlichen Formaten verfasst worden. Zu guter Letzt fiel ihm auch noch ein, dass es sich bei der Tatwaffe um dieselbe Waffe gehandelt habe, die "zum Nachteil von Herrn Hollenberg" zur Anwendung kam.

Dahlem, wo auch fremde Autos mit Liebe bedacht werden

Warum ihm das Fluchtauto, das bei diesem Anschlag benutzt worden war, aufgefallen ist, berichtete anschleißend Horst Nickel (62), Polizeibeamter a.D. Der Mann tat damals in Dahlem Dienst. Dort in der Ihnestraße war das Auto monatelang abgestellt gewesen, was den Zorn der Anwohner und damit die Aufmerksamkeit der Polizei erregt hatte. Obwohl der Wagen schon im November oder Dezember 1987 (genau war das heute nicht mehr zu klären) aufgefallen war, soll es noch bis Mitte April 1988 gedauert haben, bis weiter Schritte unternommen wurden. Bei einem Blick ins Wageninnere war dem Beamten nämlich erst zu diesem Zeitpunkt die Diskrepanz zwischen vom Tacho ausgewiesenen Kilometerstand (5.500 km) und Erstzulassung (1985) aufgefallen, was ihm suspekt erschien. Ansonsten hätte das Auto keinen Auffälligkeiten aufgewiesen, weder Aufkleber, noch sichtbare technische Mängel, ganz im Gegenteil, es sei in einem sehr sauberen und gepflegten Zustand gewesen. Nachdem die Halterin des Fahrzeugs ausgemacht war, zeigte sich schnell, dass man es hier mit einer Dublette zu tun hatte. Also wurde das Auto geöffnet. Zu Tage kam dabei mehrere Kleidungsstücke, eine Sport- und ein Tennisschlägertasche. In der Sporttasche befand sich ein Brandsatz, der nicht gezündet hatte; die Tennisschlägertasche war so präpariert, dass man sie nach Ansicht des Zeugen als "Deckung" für eine Schusswaffe hätte benutzen können.

Zur "USBV" (Unkonventionelle Selbsthergestellte Brand- Vorrichtung) und den anderen Dingen im Auto konnte Nickel nicht viel sagen, haben doch Beamte der PTU sie aus dem Wagen geholt. Doch habe ein Kollege ihm gegenüber davon gesprochen, dass der Brandsatz von enormer Wirkung gewesen wäre. Gericht und Verteidigung interessierten sich in der anschließenden Befragung vor allem für den Umstand, dass das Auto so lange dort gestanden hatte bzw., ob es irgendwelche Anzeigen dafür am Auto selbst gegeben habe. In einem Vermerk berichtete Nickel nämlich davon, dass das "Stahlschiebehubdach" und ein Seitenfenster einen Spalt geöffnet gewesen waren. Über entsprechende Verunreinigungen, etwa durch eindringendes Wasser in den Innenraum, konnte der Zeuge allerdings nichts berichten. Doch habe ihn stutzig gemacht, dass der Wagen so sauber gewesen sei. Weder Verschmutzungen, noch Blattwerk auf dem Auto habe er bemerkt. Ob das Fahrzeug eventuell in der Zwischenzeit bewegt worden sei, darauf wollte er sich jedoch nicht festlegen. In dieser Gegend könne es nämlich schon Mal vorgekommen, dass Anlieger dort längere Zeit abgestellte Autos sauber machen würden, so unglaublich das auch klinge.

Keine Übereinstimmung mit in Berlin eingesetzten Sprengsätzen

Zur bei dieser Gelegenheit gefundenen USBV wurde auch der nächste Zeuge befragt. Klaus Brinkmann (48), Kriminalhauptkommissar beim BKA, war damit beauftragt worden, eine "Tatmittelübereinstimmung" durchzuführen, bei der dieser Brandsatz mit anderen Spreng- und Brandsätzen verglichen wurde, die den RZ zugeordnet werden. In einem ersten Schritt wertete er deshalb die BKA-Rechner nach USBVs gleicher Bauart aus. In einem zweiten Schritt zog er die BKA-internen Akten darüber hinzu, um dann in einem dritten Schritt auch das "Tatmittel" selbst zu untersuchen. Ergebnis: Die eingesetzte Zündvorrichtung, die aus einem Zenkoscha- Timer bestand, wurde auch bei sieben anderen Brand- bzw. Sprengsätzen gefunden, die zwischen 1982 und 1987 in Hamburg und Hannover bei Aktionen der RZ zum Einsatz kamen. Übereinstimmung gäbe es auch bei der Sprengmasse, was die verwendeten Komponenten anbelangt. Das sei aber kein Wunder, entspräche diese Mischung doch einer Anleitung, wie sie in dem Handbuch "Von A bis RZ", das der Zeuge auch als "kleine Terroranleitung" bezeichnete, beschrieben worden sei. Bei der Dämmung der Sprengsätze und im Mischungsverhältnis hätte jedoch keine Übereinstimmung festgestellt werden können, wie der Zeuge auf eine entsprechende Nachfrage von Rechtsanwältin Lunnebach einräumte. Die Frage von Rechtsanwalt Euler, ob bei der Auswertung auch der Sprengsatz vom Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) aus dem Jahr 1987 herangezogen worden sei, musste Brinkmann verneinen.

Siegessäule stand unerschütterlich

Der pensionierte 68-jährige Eberhard Marter gehörte 1991 zum Sprengstoffkommissariat der Berliner Polizei. In dieser Funktion wurde er am 16.1.1991 an die Siegessäule beordert. Grund: "Am 15.1. hat die Polizei einen Einsatz gefahren, da hatte es geknallt im Tiergarten". Detailliert und in seiner ganz eigenen Art und Weise schilderte Marter, was er und seine Kollegen vom Kommissariat an diesem Morgen an der Siegessäule vorgefunden hatte (Reste der Sprengsätze, im Aufgang der Säule gesprühte RZ-Embleme). In der Nacht zuvor hatte die RZ versucht, mit zwei Sprengsätzen die auf der Säule thronende Victoria- Figur zum Fallen zu bringen. Der Anschlag misslang, weil die Wucht der ersten Explosion den zweiten Sprengkörper aus der Verankerung schleuderte. Zum Einsatz kamen dabei Sprengsätze, deren Zündvorrichtung aus einem Wecker der Marke Junghans und zwei Trockenbatterien bestanden.

Gegen 3 Uhr des 15.1.91 war Antje B. (38) mit ihrem Taxi auf der Straße des 17. Juni in Höhe der Siegessäule unterwegs, als sie plötzlich eine Explosion hörte. "Mein Wagen hob ab, ich dachte, der Auspuff war explodiert", so Antje B. heute vor Gericht. Zwei Tage später habe sie vom Anschlag auf die Siegessäule erfahren, woraufhin ihr Mann sich bei der Polizei gemeldet habe. Warum im polizeilichen Vermerk trotzdem von Frau B. zu lesen ist, obwohl sie nie mit der Polizei über diesen Vorfall geredet hatte, konnte heute nicht geklärt werden. Außer der Explosion und einer Rauchwolke, die sie einer verspäteten Silvesterrakete zuordnete, hatte sie keine weiteren Beobachtungen gemacht. "Die Situation war so absurd, ich war ganz alleine, kein Mensch weit und breit."

Techniker bleibt Techniker

Den Abschluss der heutigen Zeugenbefragungen machte Michael Döll (50), Polizist aus Wiesbaden, wie er sich vorstellte, ladbar über eine Adresse in Wiesbaden, die schwerlich als Dienstsitz des BKA auszumachen war. Michael Döll sollte über die Auswertung des Karbonbandes Auskunft geben, das bei einer Hausdurchsuchung bei Axel Haug gefunden worden war. Als Techniker schilderte er also, wie man beim BKA in einem halbautomatischen Verfahren ein solches Band mechanisch- elektronisch auswertet: Die Kassette wird geöffnet, das Band zurück zum Anfang gespult, der Text des Bandes in einen Rechner eingespeist, der in der Lage ist, die Buchstaben in der Reihenfolge ihrer Eingabe aufzulisten und sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen, womit alle Texte, die mit dem Band geschrieben wurden, rekonstruiert werden könnten. Zur Beantwortung weiterer Fragen sah sich der BKA-Beamte nicht in der Lage. Er gestand lediglich ein, dass es sich bei der Kassette, die in der Schreibmaschine, die vor dem Richtertisch aufgebaut worden war, um eine Kassette handelt, die er bearbeitet habe. Sein für heute geladener Kollege, Sven van Elkan, der mit der inhaltlichen Auswertung des Karbonbandes beauftragt war, war aus gesundheitlichen Gründen nicht erschienen. Damit endete der heutige Prozesstag mit einem mit sich selbst unzufriedenen BKA-Techniker.

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