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20. Prozesstag: 7. September 2001

Eine Lebensgefährtin sagt aus

Beim heutigen Verhandlungstag vor dem Berliner Kammergericht war die Einvernahme der Zeugin Karmen T. einziger Prozessgegenstand. Karmen T. war von 1994 bis Ende 1996 die Lebensgefährtin des Kronzeugen Tarek Mousli und sollte mit dem Wissen über ihren gemeinsamen Lebensabschnitt zur Wahrheitsfindung vor diesem Gericht beitragen. Die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig forderte sie eingangs dazu auf, ihre "Erinnerung anzuspannen".

Die Zeugin will Mousli 1994 anlässlich regelmäßiger Besuche ihres Sohnes im Snoops-Sportcenter kennengelernt haben. Ab Februar 1995 seien sie dann gemeinsam in eine Wohnung in der Schönhauser Allee gezogen. Gegen Ende 1996 hätten sie diese Wohnung und ihre Beziehung wieder aufgelöst.

Gemeinsames Wohnen mit Überraschungen

Auf einen Kellereinbruch in ihrem gemeinsamen Wohnhaus habe Tarek Mousli ungewöhnlich aufgeregt reagiert. Von ihr zur Rede gestellt, hätte er zugegeben, dass im Keller Sprengstoff eingelagert gewesen wäre, der dabei teilweise entwendet worden sei. Das restliche explosive Material hätte er nach dem Diebstahl umgehend entfernt.

In diesem Zusammenhang hätte er ihr gegenüber als Erklärung angegeben, er wäre früher Mitglied bei einer 'Organisation' oder 'Gruppe' gewesen, die illegale Dinge getan hätte. Dies wäre aber nun längst vorbei, er selber sei inzwischen ausgestiegen und hätte damit nichts mehr zu tun. Allerdings wäre er weiterhin verpflichtet, gelegentliche "kleinere Dienste" für die 'Organisation' auszuführen, wie z.B. die Aufbewahrung des Sprengstoffes. Dies begründe sich auch aus der Tatsache, dass er ein "führender Kopf" dieser Gruppe gewesen sei, aber auch, weil "man nie richtig dort herauskommt". Zu Herkunft und Verwendungszweck des Sprengstoffs hätte er ihr gegenüber keine Angaben gemacht, allerdings die Vermutung geäußert, der Einbruch könnte etwas mit der 'Organisation' zu tun haben, zumal nichts außer diesem Sprengmaterial entwendet worden sei. Er hätte Besorgnis darüber gehegt, dass ihnen möglicherweise Gefahren drohen. In diesem Zusammenhang hätte er ihr auch mitgeteilt, dass er für den Fall, dass ihm etwas zustoßen solle, ein Schriftstück bei einem gemeinsamen Bekannten hinterlegt habe.

Dabeisein ist alles

Weitaus konkretere Aussagen hätte der Kronzeuge hingegen ihr gegenüber zu seiner Beteiligung an dem Anschlag auf den "Richter" (Korbmacher) gemacht, ohne von ihr dazu aufgefordert worden zu sein, wie er ohnehin fast ausschließlich ungefragt sein Wissen preisgegeben hätte. Tarek Mousli selbst hätte zwei bis drei gezielte Schüsse auf die Beine des Richters abgegeben. Gemeinsam mit einem weiteren Genossen hätte er vorher wochenlang das Opfer und seinen Tagesablauf beobachtet und den Anschlag gründlich vorbereitet. Am Morgen des Tattages sei er, gemeinsam mit einer weiteren Mann, mit einem Motorrad zum Wohnhaus gefahren, um den Richter auf dem Weg zu seinem Auto, von der Strasse aus, anzuschießen. Als Motiv hätte er der Zeugin gegenüber ausgeführt, der Richter wäre für die Abschiebung seiner Schwester in den Libanon verantwortlich. Karmen T. blieb auch nach wiederholten Nachfragen der Verteidigung und der Bundesanwaltschaft bei dieser Darstellung.

Wesentlich ungenauer wären seine Angaben zu einem geplanten Anschlag auf ein öffentliches Gebäude gewesen, das er ihr bei einer Vorbeifahrt gezeigt hätte, ihr selber aber bis heute unbekannt geblieben ist. Tarek Mousli habe erzählt, er hätte die Umgebung des Gebäudes wochenlang, auf Dächern liegend, ausgekundschaftet.

Auch über die Herkunft und den Verbleib zweier Pässe und einer oder mehrerer Brillen, die mit Fensterglas ausgestattet gewesen wären, konnte die Zeugin keine weitere Angaben machen. Beides hätte in einem Karton im Keller ihres gemeinsamen Wohnhauses gelagert. Tarek Mousli hätte sie zumindest angeblich bei Treffen mit anderen verwendet.

Zur "Organisation" insgesamt, z.B. deren Name, anderen beteiligten Personen, Zielen, Zeiten, Verbindungen, Strukturen o.ä. habe er aber keine weiteren Angaben gemacht, unter anderem auch mit der Bemerkung, wenn sie nichts wisse, könne sie auch nichts verraten ... Einzig von einer Teilung der Gruppe hätte er berichtet. Dabei wäre die Frage der Inkaufnahme von Verletzung unbeteiligter Dritter von entscheidender Bedeutung gewesen.

Zur finanziellen Situation teilte Karmen T. dem Gericht mit, Tarek Mousli habe einen Kredit über DM 100.000,- bei seinem Bruder aufgenommen, den er z.T. in sein Fitnesscenter und in den Kauf eines Autos investiert hätte. Weiterhin entdeckte sie per Zufall einen handgeschriebenen Zettel in der Wohnung, auf dem ein Schuldanerkenntnis des Kronzeugen gegenüber einer anderen Person in Höhe von DM 40.000,- formuliert und unterzeichnet war. Er habe damals als Erklärung angeführt, dieses Schriftstück sei lediglich pro forma aufgesetzt worden, diene angeblich nur zur Geldwäsche und stelle also keine tatsächliche Verbindlichkeit dar. Diesen Zettel habe sie aufgehoben, zur Sicherheit, um später "etwas in der Hand zu haben". Genauere Ausführungen konnte die Zeugin dazu nicht machen, sie hätte ihn später dem Bundeskriminalamt (BKA) übergeben.

Dein Freund und Helfer

Abschließend befragte das Gericht die Zeugin zu ihren früheren Aussagen gegenüber dem BKA und der Bundesanwaltschaft (BAW) und hielt ihr mehrere Sachverhalte vor. In der Zeit zwischen April und Juli 1999 fanden mindestens drei protokollierte Vernehmungen statt, an denen in unterschiedlicher Besetzung die Bundesanwälte Monka und Griesbaum, sowie die BKA-Beamten Trede und Schulzke teilnahmen. Anfänglich hätte die Zeugin die Fragen der Beamten nur sehr kurz und ausweichend beantwortet, weil sie Angst vor polizeilichen Konsequenzen hatte. Zwischenzeitlich hätten sich die Beamten durch unregelmäßige Besuche und Nachfragen auf der Arbeitsstelle, wie auch zu Hause, sehr um sie gekümmert. Ihr wurde eine Notrufnummer in Karlsruhe überlassen, die sie bei Schwierigkeiten hätte benutzen sollen. Auch hätten eine ganze Reihe informeller Gespräche stattgefunden. Letztlich hätte sie dann ihren ganzen Mut zusammen genommen und am 22. Juli 1999 ihr ganzes Wissen zu diesem Komplex offenbart. Ihr ist bekannt, dass dies mit zur Verhaftung von Tarek Mousli beigetragen habe. Die Veränderung im Aussageverhalten der Zeugin war den Vernehmern offensichtlich plausibel. In den ersten Vernehmungsprotokollen finden sich jedenfalls keinerlei Anzeichen dafür, die Zeugin von Anfang an zu einer umfänglichen Aufklärungsmitarbeit aufzufordern.

Später, kurz vor Mouslis letzter Verhaftung, wurde ihr dann die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm angeboten, was sie aber von vornherein abgelehnt habe. Die bevorstehende Verhaftung des Tarek Mousli wurde ihr mitgeteilt. Nach der Verhaftung, in ihrer Erinnerung im November 1999, wurde ihr vom Zeugenschutz kurzfristig geraten, während der Einsichtnahme ihrer Zeugenaussage durch den Kronzeugen, ihre Wohnung zu verlassen. Sie verbrachte mit ihrem Sohn auf Wunsch eine Woche bei Verwandten und nicht, wie angeboten, in einer Wohnung des Zeugenschutzes. BKA-Beamte hätten dann ihr die Rückkehr erlaubt, mit dem Hinweis, dass "die Luft jetzt wieder rein wäre ...". Sämtliche Akten zu diesen letztgenannten Vorgängen liegen der Verteidigung bis heute nicht vor.

Zu einem kurzzeitig ungezügelten Wortgefecht im Gerichtssaal führten unterschiedliche Interpretationen der Aussagen der Zeugin, ob das Angebot des Zeugenschutzes nun vor oder nach ihrer letzten Vernehmung gemacht worden sei. Karmen T. konnte das nach einer Abkühlung der Gemüter schnell klar stellen. Überhaupt schien die Zeugin um eine erinnerungsgetreue Aussage bemüht, obwohl ihr das Gericht durch viele ungezielte Fragestellungen ("nun erzählen Sie mal") diese Aufgabe nicht gerade leicht machte. Ihre Angaben waren relativ klar und schlüssig.

Neuigkeiten zu Lothar E.

Am Rande des Verfahrens wurde bekannt, dass der Oberste Gerichtshof der Nordwest-Territorien Kanadas der Auslieferung von Lothar E. an die deutsche Justiz in erster Instanz entsprochen hat. Lothar E. wurde erneut in Untersuchungshaft genommen, während sein Anwalt Berufung gegen diese Entscheidung einlegen will.

Der Prozess wird mit der weiteren Befragung von Karmen T. am 13. September fortgesetzt. Dazu lud die Richterin Hennig die Zeugin abschließend - in ihrer freundlichen Art - unter Androhung von Zwangsmitteln ausdrücklich ein.

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