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118. Prozesstag: 7. März 2003

Vertrauensverlust gegenüber Amtsträgern

Dreiunddreißig Minuten dauerte der 118. Verhandlungstag. Das es dann doch so lang wurde, lag nicht unwesentlich an Rechtsanwalt Eisenberg. In seiner bekannten Art sorgte er nicht nur für einen gewissen Unterhaltswert im trögen Ablauf von Verlesung, Inaugenscheinnahme und Beschlussverkündungen im Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit, sondern auch für eine Verlängerung des Prozessgeschehens.

Keine AL, nirgends

Eine Zeugenvorladung war diesmal im Programm nicht vorgesehen. Verlesen und in Augenschein genommen wurden stattdessen das Kündigungsschreiben der Mehringhof GmbH an die Alternative Liste (AL) Kreuzberg vom 9.12.1986 und entsprechende Abrechnungsunterlagen. Wegen u.a. "mangelhafter Beteiligung an den Belangen des Mehringhofs" war damals der AL Kreuzberg auf Beschluss der Mehringhof-Mieterversammlung fristgerecht bis Ende März 1987 gekündigt worden. Wie Abrechnungen belegen, wurde letztmalig Miete auch tatsächlich für diesen Monat gezahlt. Damit dürfte wohl nachgewiesen sein, dass die AL Kreuzberg ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in dem Projekt in der Gneisenaustraße ansässig war. Somit entbehrt ein anonymer Hinweis vom November 1987, im "AL-Büro im Mehringhof" lagere Sprengstoff, also jeglicher Grundlage.

Drei Beschlüsse des Gerichts ...

Zwei Anträgen der Verteidigung von Harald G. vom 20.2.2003, ebenso einer Gegendarstellung der Verteidigung von Axel H. war dann die übliche Behandlung durch den Senat beschieden: Sie wurden abgelehnt oder zurückgewiesen. Da es die Aufklärungspflicht nicht gebiete, wurde die Beiziehung einer Akte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin abgelehnt, und da es in den Augen des Kammergerichts keinen Widerspruch zwischen den Aussagen von Staatsanwalt Heckt und der Leitenden Oberstaatsanwältin Voß-Broemme gibt, soll auch nicht Herr Heckt als Zeuge vor Gericht erscheinen, um darüber Auskunft zu geben, was sich in der Akte 1 AR 620/95 alles befand. Durch die Gegendarstellung von Rechtsanwalt Geimecke sah sich das Gericht darüber hinaus auch nicht veranlasst, seinen verkündeten Beschluss zu ändern, sich nicht weiter mit Observationsmaßnahmen zu befassen, in deren Visier auch Axel H. geraten sein könnte.

... und eine Glanzleitung der Bundesanwaltschaft

Bundesanwalt Valenta war es zugefallen, Stellung zum Antrag der Verteidigung von Harald G. vom 20.2.2003 sowie die ergänzenden Anträge vom letzten Verhandlungstag auf Ladung der beiden Richter Dietrich und Scharf zu nehmen. Mit der Verlesung einer Prozessmitschrift aus dem Verfahren gegen Tarek Mousli im Dezember 2000, die in der Szenezeitschrift "interim" erscheinen ist, bzw. mit der Ladung der beiden Zeugen soll die Aussage des Kronzeugen belegt werden, es habe in der Oranienstraße 7 oder 9 in Berlin-Kreuzberg eine von Wolfgang B. angemietete konspirative Wohnung der RZ gegeben. Die Bundesanwaltschaft (BAW) tut sich schwer mit diesen Anträgen, haben doch Recherchen der Verteidigung ergeben, dass es in dem fraglichen Zeitraum in keinem der beiden Objekte ein Mietverhältnis mit Wolfgang B gab, der Kronzeuge folglich erneut einer Lüge und Falschbeschuldigung überführt werden konnte.

Wie die BAW bereits am letzten Verhandlungstag kund getan hat, ist sie der Meinung, dass die Verlesung der "interim"-Mitschrift nicht mehr als deren Existenz beweise. Heute sprach sie sich dann erwartungsgemäß auch dagegen aus, den Vorsitzenden Richter im Mousli-Verfahren und dessen Beisitzer zu laden. Auch diese Zeugenladung würde nichts daran ändern, dass man es hier mit einem "Beweisermittlungsantrag" zu tun hätte, denn der Antrag der Verteidigung von Harald G. ziele auf den "Nachweis einer negativer Tatsache". Außerdem gab sich Bundesanwalt Valenta überzeugt, könnten "Vermieter und Verwalter" sowieso "keine Angaben über eine zeitweise Überlassung machen".

Dass Vermieter und Hausverwalter nicht wissen, an wen sie ihre Wohnungen vermietet haben, wollte Rechtsanwalt Eisenberg nicht so recht einleuchten. Zumindest in West-Berlin, so Eisenberg, sei eine Vermietung ein "willensgesteuerter Besitzübertragungsakt". Insofern wäre in Westberlin - im "Beitrittsgebiet" oder im "sozialistischen Süden" um Karlsruhe könne das anders sein, gestand Eisenberg jovial ein - davon auszugehen, dass Vermieter und Eigentümer darüber Bescheid wissen, wem sie eine Wohnung wann und für wie lange zur Verfügung gestellt haben.

In der folgenden Erörterung, in der auch Zweifel an der Wahrnehmung der Amtspflicht der Bundesanwälte geäußert wurden, regte Rechtsanwalt König an, über diese Anträge erst nach nächstem Freitag zu entscheiden. Hintergrund für diesen Vorschlag ist die Idee des Gerichts, Wolfgang B. für Freitag als Zeugen zu laden. Aber nicht nur Wolfgang B. ist geladen, auch dem Kronzeugen soll vom Gericht aus in nächster Zeit Gelegenheit gegeben werden, zu dieser Sache Stellung zu nehmen. Dass Mousli die Chance nicht ungenutzt lassen wird, seine Aussage zu bestreiten, ist zu erwarten. Wie sich Wolfgang B. - den Mousli ja nicht nur in diesem Zusammenhang belastet hat - vor Gericht verhalten wird, bleibt dagegen abzuwarten.

Verfahrenshindernis Verfassungsschutz

"Mit Verlaub, das ist absolut lächerlich, was uns da geschickt wurde", so kommentierte Rechtsanwalt Kaleck die vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eineinhalb Jahre nach Antragstellung übersandten drei Aktenordner, die Erkenntnisse des Amtes zu Mousli beinhalten. Nicht nur dass das Material ungeordnet sie ("Ein Sammelsurium ohne Inhaltsverzeichnis oder Eingangsvermerken"), auch beinhalte es nicht wesentlich mehr, als bereits zu den Ermittlungsakten gelangt sei. Allerdings mit der Besonderheit, dass nun die Stellen geschwärzt seien, die zuvor nicht geschwärzt waren. Ob den der Senat sich deswegen schon mit dem Dienst in Verbindung gesetzt hätte, wollte Kaleck wissen ("Ich wollte erst Mal hören, was da von der Verteidigung kommt", so die Vorsitzende Richterin Hennig) und regte an, dass sich der Senat direkt an die Verfassungsschutzämter von Berlin, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein wenden solle, um deren Erkenntnisse zu Tarek Mousli abzufragen. Dies sei nicht zu letzt angeraten, da es nach Auskunft des Gerichts vor allem dem Gebaren des BfV geschuldet sei, dass das Verfahren sich momentan so schleppend hinziehe.

Der Termin am 13. März ist aufgehoben. Der Prozess wird am Freitag, 14. März um 9.15 Uhr fortgesetzt. Nicht nur die Angeklagten würden sich sicherlich freuen, wenn an diesem Tag mal wieder die "Bude" voll ist.

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