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157. Prozesstag: 05.12.2003
Pausenclown: Plädoyer der Bundesanwaltschaft hat begonnen
Erneut wurden von der Verteidigung Beweisanträge gestellt und Gegendarstellungen
abgegeben, die - nach einer Pause (9.40-11.10 Uhr) - von der Bundesanwaltschaft
negativ kommentiert und - nach einer Pause (11.20-11.40 Uhr) - entsprechend
vom Senat abgelehnt wurden (so auch alle vom gestrigen Prozesstag);
keine einzige beantragte Zeugenbefragung wurde zugelassen.
Nach einer Pause (11.45-12.05 Uhr) beschloss die Vorsitzende Richterin
Hennig, die Mittagspause eintreten zu lassen (bis 13.00 Uhr); ssnicht
jedoch, ohne mitzuteilen, dass sie danach noch einige Dokumente
zu verlesen und dann die Beweisaufnahme zu schließen gedenke; sodann
solle die Bundesanwaltschaft (BAW) mit ihrem Plädoyer beginnen.
Bundesanwalt Bruns, der darauf verwies, sein Plädoyer würde "netto
sechs Stunden" umfassen, und er würde "lieber erst am kommenden
Donnerstag" plädieren, hatte angesichts der Widerworte der Vorsitzenden
Richterin aber "keinen Arsch in der Hose", wie ihm ein Anwalt zuwarf.
So wurde die Sitzung um 13.10 Uhr mit der Verlesung von Dokumenten
zur Mitgliedschaft des Angeklagten Rudolf S., zwei Anwesenheitslisten
von Genossenschaftssitzungen sowie - nach einer Pause (13.35-13.45)
- den Strafregisterauszügen aller Angeklagten wieder aufgenommen,
worauf der Bundesanwalt nun doch noch heute den Pausenclown geben
musste.
"Hohes Gericht, meine Damen und Herren, der Mythos der terroristischen
Organisation ‚Revolutionäre Zellen' ist verblasst, die RZ ist weitgehend
von selbst dahingeschieden", mit diesen Worten begann Bundesanwalt
Bruns sein Plädoyer. Das Ende der RZ habe zum einen an "der personeller
Überalterung", vor allem aber daran gelegen, dass "die RZ ihren
Auftrag, viele Revolutionäre Zellen zu schaffen und massenhaft Widerstand
zu organisieren", nicht habe umsetzen können; sie habe es nicht
geschafft, "Nachwuchs rekrutieren" zu können. Das zeige sich bereits
bei Tarek Mousli, dieser habe auch nichts mit "der Plattitüde vom
Verrat" zu tun, sondern sei vielmehr das "Symbol für das Versagen
der Stadtguerilla."
In den verbleibenden etwa 30 Minuten beschwerte sich Bruns sodann
über die fehlende Bereitschaft der Angeklagten, (mit ihm) über die
politischen Überzeugungen und die ideologische Aufarbeitung der
RZ zu diskutieren. Statt "das Wagnis der historischen Aufarbeitung
einzugehen", hätten sich die Angeklagten mit Unterstützung ihrer
Anwälte "wie eine Autoschieberbande verhalten" und lediglich "opportunistisch
taktiert."
Umfangreich und zustimmend zitierte Bruns sodann aus dem im Internet
dokumentierten Papier des, so Bruns, "in Sachen Terrorismus ja nicht
gerade unerfahrenen Klaus Viehmann", der richtig geschrieben habe,
dass die Angeklagten "auf eine politische Dimension" in diesem Verfahren
verzichtet hätten. Wenn es sich aber, so der Bundesanwalt, "bei
den RZ um mehr als um eine Erscheinungsform von Organisierter Kriminalität
gehandelt haben soll", dann hätte es politischer Erklärungen bedurft.
Dafür seien auch die Voraussetzungen angesichts "einer - nennen
wir es mal - politisch interessierten Öffentlichkeit" gegeben gewesen
und "angesichts von anwesenden Bundestagsabgeordneten und Vertretern
internationaler Menschenrechtsorganisationen" habe es ja durchaus
"auch ein Forum" gegeben. Doch, so Bruns, "selbst denjenigen Angeklagten,
die Einlassungen gemacht haben, war nicht daran gelegen, über empfangene
Huldigungen der interessierten Öffentlichkeit hinaus, Stellung zu
beziehen." Aus ihrer "bürgerlichen Idylle", in der sie sich eingerichtet
hätten, wollten sie nicht mehr hinaus; so haben die Einlassungen
der Angeklagten zu ihren Taten (bei ihm) nicht einmal den Eindruck
"einer Jugendsünde", sondern lediglich den Eindruck eines "peinlichen
Irrtums" hinterlassen.
Sodann setzte Bruns sich mit der - offenbar wieder von einer interessierten
Öffentlichkeit kolportierten - "Losung vom Terroristenprozess" und
dem "Senat als willfährigem Erfüllungsgehilfen der Bundesanwaltschaft"
auseinander. Diese Haltung der Angeklagten haben sich die Anwälte,
so Bruns, teilweise zu Eigen gemacht und dabei "mit zum Teil unerträglichen
Anwürfen gegen den Senat" gearbeitet. Von der Klage vor dem Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof und dem "Anwurf rechtsstaatswidriger Anklagen"
werde "nichts übrig" bleiben; wenn von Verteidigung und Angeklagten
trotzdem an dieser Formulierung und Haltung festgehalten wird, dann
sei der Grund dafür, "die mögliche Verurteilung der Angeklagten
als Willkürurteil darstellen zu können."
Zwar habe es Fehler und Pannen auf allen Seiten gegeben, "auch
auf Seiten der Bundesanwaltschaft", so Bruns, "das ist einzugestehen".
Von absichtsvollen Unterschlagungen und dergleichen mehr könne aber
keine Rede sein. Der "seitens der interessierten Öffentlichkeit"
gemachte Vorwurf des "unbedingten Verfolgungswillens" der Bundesanwaltschaft
liege "nicht nahe"; vielmehr sei Strafverfolgung bei Schusswaffengebrauch
und Sprengstoff - unabhängig von politischen Richtungen - notwendig.
Abschließend wandte sich Bruns der "Kronzeugenproblematik" zu,
die zwar "formal keine Anwendung fand." Es sei "aber nicht zu verkennen,
dass für Tarek Mousli ein starkes Motiv bestand, ein Geständnis
abzulegen." Die Aussage sei "aber daher nicht als unverwertbar anzusehen",
vielmehr sei die Aussage für Mousli mit vielen biographischen Brüchen
verbunden und stelle bedeutende Einschnitte für sein weiteres Leben
dar. "Angesichts einer Alimentierung auf Sozialhilfeniveau" sei
von finanziellen Anreizen nicht auszugehen. Gleichwohl seien seine
Vorwürfe mit besonderer Sorgfalt geprüft worden, und die Aussagen
von Tarek Mousli hätten sich in wesentlichen Punkten bestätigt.
Es gehe darum, dass von den Angeklagten kriminelles Unrecht begangen
wurde, "und sie werden sich dafür zu verantworten haben."
Zusammengefasst: Bundesanwalt Bruns vermisst die politische und
ideologische Auseinandersetzung sowie Aufarbeitung der Geschichte
der RZ, ist offensichtlich einer Meinung mit Klaus Viehmann und
offenbar auch für die Erhöhung der Sozialhilfe auf 2.400 DM (ca.
1.200 Euro) monatlich plus Pkw und regelmäßig bezahlter Telefonrechnung.
In Sachen Beweisausführungen wird es in der nächsten Woche kleinlauter
zugehen.
Bruns bat hier, seine wegweisenden Ausführungen vorerst beenden
zu dürfen; der Prozess wird mit der weiteren Verlesung des Plädoyers
durch die Bundesanwaltschaft am kommenden
Donnerstag, 11. Dezember 2003 um 9.15 Uhr fortgesetzt.
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