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86. Prozesstag: 5. Juli 2002

Spreng- und Gesprächsstoffe

Pünktlich begann der heutige 86. Prozesstag mit dem Aufruf des Zeugen F. Dieser ist seit November 1990 als Elektromeister bei einer Firma beschäftigt, die unter anderem für die Wartung der Aufzugsanlagen im MehringHof zuständig ist. Seit 1990 versieht der Zeuge regelmäßig und ca. alle zwei Monate diesen Dienst. Unangemeldet und daher unerwartet taucht er dort auf, holt sich im Büro die erforderlichen Schlüssel ab und "nein, wurde nie aufgehalten" oder in sonst seiner Arbeit gestört, um den NutzerInnen des Geländes so etwa die Möglichkeit zu geben, eventuell zuvor versteckte Dinge zu entfernen...

Fahrstuhlwartung: Ohne besondere Vorkommnisse

Bei der Überprüfung der Aufzugsanlagen werden sowohl der Fahrstuhlschacht, als auch die Schachtgrube inspizieret. Mit der von Mousli als angebliches Waffen- und Sprengstoffdepot bezeichneten Schachtgrube, so der Zeuge, gäbe es schon seit Jahren Probleme, da sie ständig feucht sei und daher stetig Wasser abgepumpt werden müsse. Im Boden befinde sich zwar eine Art Metallplatte, in Form eines U-Eisenstücks, in die zwei Stützen eingebaut seien, um im Notfall den Fahrstuhl etwas abfangen zu können, sollte dieser sich aus seiner Verankerung lösen. Unter dem Metallstück gäbe es jedoch keine Öffnung. Er habe auch nie irgendwelche Gegenstände dort gesehen.

Die Wartungsarbeiten werden protokolliert, und es finden zudem regelmäßig weitere Untersuchungen durch den TÜV statt. Die Protokolle dieser Überprüfungen in der Zeit zwischen 1988 und 1992 werden zur Beweisführung verlesen. Doch außer defekten Lampen und ähnlichen Schäden ist die Lektüre eher ermüdend, von Auffälligkeit, die etwa auf die Märchen Mouslis deuten könnten, keine Spur.

Aufgefordert einen eventuell anwesenden Hausmeister des Mehringhofes zu zeigen, denn mit ihm hatte der Zeuge öfter Kontakt, deutete er auf den Angeklagten Axel H. Von der Vorsitzenden Richterin aufgefordert den Namen zu nennen, bezeichnete er ihn als "Harald". Der Zeuge wurde sodann entlassen.

"Schwimm' wenn Du kannst..."

Bevor der Sachverständige des Bundeskriminalamtes (BKA) zu Wort kam, stellten die VerteidigerInnen des Angeklagten Matthias B. den Antrag auf ein physikalisches Gutachten. Ein entsprechender Gutachter sei zu laden, der aussagen werde, dass das Sprengstoffpaket im Seegraben nicht hätte versinken können, wenn es so verpackt gewesen sei, wie vom Kronzeugen Mousli behauptet. Das Auftriebsgewicht der Luft in einem 4,8 Kilogramm schweren Paket (24 Stangen Sprengstoff mit je 200 Gramm Gewicht) sei zu hoch, um das Paket im Wasser versinken zu lassen. Nur das vorherige Einritzen der Plastikummantelung, das vorherige Öffnen des Paketes oder aber eine Beschädigung beim Hineinwerfen, wären in der Lage gewesen, der Luft die Möglichkeit zu geben, aus der Verpackung zu entweichen.

Mouslis Fantasie- Sprengstoffe

Der Sachverständige des BKA, Dr. Ibisch, von Beruf Diplomphysiker, äußerte sich zum Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) im Februar 1987. Nach diesem Anschlag erstellten er und seine Mitarbeiter das dazugehörige Gutachten vom 20. Juli gleichen Jahres. Aus diesem geht hervor, dass Reste von gewerblichen Explosionsstoffen (TNT) gefunden wurden sowie Reste von Bananensteckern, Batterien und einem Wecker.

Made in France oder Germany

Nach Aufforderung durch die Bundesanwaltschaft (BAW) gaben die gleichen BKA-Gutachter eine ergänzende Stellungnahme am 14. August 2000 ab. Diese sollte die mittlerweile gemachten Aussagen des Kronzeugen mit dem gefundenen Sprengmaterial vergleichen, sie überprüfen und eventuell zutage tretenden neuen Spuren nachgehen. Laut der Aussage des Sachverständigen des BKA könne das von Tarek Mousli angegebene Unkraut-Ex zwar als Sprengstoffzusatz gedient haben, ob es aber aus Frankreich stamme oder aus der Bundesrepublik, sei durch die Untersuchung des enthaltenen Natriumchlorit (NaCl) zu klären, allerdings: Das könne man aber nach einer Explosion nicht mehr bestimmen, denn diese Stoffe seien nur in reinem Zustand zu unterscheiden.

Zweitens ergäben Skizze und Angaben des Kronzeugen zum verwendeten Sprengstoff, der aus Unkraut-Ex und Puderzucker bestanden und in einem speziell gefalteten Pappkarton enthalten gewesen sein soll, keinen Sinn. Unkraut-Ex habe, wie schon erwähnt, NaCl als Bestandteil, TNT wiederum enthält Ammoniaknitrat. Am Tatort wurden sowohl Spuren von NaCl als auch Ammoniaknitrat sichergestellt. Das schlösse, so Gutachter Ibisch, aus seiner Sicht die Verwendung von selbsthergestelltem Sprengstoff (Puderzucker und Unkraut-Ex) aus, denn die Vermischung von TNT mit Unkraut-Ex zum Bau eines Sprengsatzes sei hoch gefährlich und zudem Unsinn. Die Vermischung von NaCl mit Ammoniaknitrat führe zu einer sofortigen Reaktion bzw. Explosion. Es könne, so der Gutachter, davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem gefundenen NaCl - es ist über einen langen Zeitraum haltbar und gut nachweisbar -, um Reste handelt, deren Herkunft unklar, ihr Vorhandensein aber nicht außergewöhnlich sei; so sei etwa an Unkrautvernichtungsmittel oder Vergleichbares zu denken. Das bedeute auch, dass es sich bei dem verwendeten Sprengstoff um gewerblich erhältliches TNT gehandelt habe.

Flug- oder Sprenggerät

Drittens könne nur ein gewerblicher Zünder oder ein entsprechender Nachbau als Zündungsvorrichtung verwendet worden sein, niemals nur, wie vom Kronzeugen angegeben, ein Blitzlichtbirnchen oder eine direkte Flamme, denn auch dies wäre zu gefährlich gewesen. Gewerblicher Sprengstoff, auf dessen Verwendung die sichergestellten Spuren des TNT hinweisen, kann nur mit einem Detonationsstoß gezündet werden. Von einer solchen Vorrichtung wusste aber Mousli nicht zu berichten.

Viertens konnte der Gutachter die Aussage des Kronzeugen nicht nachvollziehen, dass der spezielle Knick im Pappkarton der Detonation eine bestimmte Sprengrichtung geben sollte. Diese Sprengstoffkonstruktion, so wie vom Kronzeugen beschrieben, hätte vielmehr zur Folge gehabt, dass die Stoffe schnell abbrennen, dabei ein Gasgemisch freisetzen und eine Sprengwirkung erzielen würden, die den Druck gleichmäßig in alle Richtungen verteilt hätte.

Wenn der Karton mit Alufolie ausgekleidet gewesen wäre und der Deckelbereich freigelassen und dieser dann in die gewünschte Sprengrichtung gezeigt hätte, dann hätte dies wiederum nicht den gewünschten richtunggebenden Sprengeffekts gehabt. Vielmehr wäre durch das Gasgemisch ein Druck entstanden, der den Karton wie eine Rakete von der Mauer hätte wegzischen lassen. Letztendlich haben sich aus den Behauptungen des Kronzeugen so weder neue Spuren ergeben, noch konnte seine Geschichte überhaupt verifiziert werden.

Bundesanwalt Michael Bruns passten erwartungsgemäß die Erläuterungen des Gutachters Ibisch nicht recht ins Bild, und wiederholt versuchte er daher, "seinen" Sachverständigen zu einer Aussage zu bewegen, dass es vielleicht ja doch..., also, ich meine..., also nicht doch irgendwie ... möglich, also das TNT und NaCl... Schade.

MehringHof bleibt Sprengstofffrei

Als letzter Zeuge trat ein weiterer BKA-Beamter auf, der an der Durchsuchung der Kellerräume des MehringHofes beteiligt war. Etwa vier Stunden lang habe er mit seinen Kollegen gründlich gesucht, zwar einige Versteckmöglichkeiten gefunden, aber weder Waffen noch Sprengstoff. Auch nachdem Getränkekisten im Keller umgelagert und im Sperrmüll herumgesucht worden war, fand sich nicht, und so zogen die Beamten ohne Hinweise oder Spuren ab.

Zum Schluss erneuerte die Verteidiger von Axel H. ihren Antrag, Akten aus einem anderen Verfahren hinzuzuziehen. Aus diesen Unterlagen könne hervorgehen, dass der Angeklagte, der zum Zeitpunkt des Anschlags auf die ZSA den begründeten Verdacht hatte, observiert zu werden, tatsächlich observiert wurde. Dies hätte, so die Verteidigung, nach dem klandestinen "Gesetz" innerhalb der "Revolutionären Zellen" bedeutet, sich aus sämtlichen Aktivitäten zurückzuziehen, um nicht sich selbst und andere Personen zu gefährden. Der Antrag war damals mit der Begründung abgelehnt, es handele sich dabei lediglich um eine "Vermutung" des Axel H., der man nicht nachgehen müsse. Gerade aber diese Vermutung, so die Verteidigung, ließe sich mit der Aktenhinzuziehung aufklären.

In der nächsten Woche wird außer einem BKA-Beamten, der erneut zur MehringHof-Durchsuchung befragt werden wird, Staatsanwalt Monka wegen des "Sachstandsberichts" aussagen müssen. Ferner ist ein Gutachter der Beiersdorf AG zum Thema Klebeband, speziell "Tesa 4100" geladen. Rechtsanwalt Euler kündigte zudem an, eine weitere Zeugin, Eliabeth E., zu laden, die über den "Literaturkreis" befragt werden soll.

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http://www.freilassung.de/prozess/ticker/berichte/050702.htm