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25. Prozesstag: 4. Oktober 2001

Erneuter Ergänzungsantrag auf Aussetzung des Verfahrens

Am heutigen 25. Prozesstag kam es wider Erwarten nicht zur angekündigten Entscheidung des Aussetzungsantrags der Verteidigung. Grund dafür war ein von Rechtsanwalt König im Namen des heute abwesenden Rechtsanwalts Euler (Frankfurt/M.) verlesener Ergänzungsantrag zum Antrag der Verteidigerinnen Würdinger und Studzinsky.

Euler verwies in seinem Antrag darauf, dass er keine Zeit haben würde, das erst nachträglich aufgetauchte Beweismaterial parallel zum Prozess zu würdigen. In den kommenden Monaten stünden ihm lediglich noch vier volle Arbeitstage zur Verfügung. Wenn dem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens - insgesamt über 1.480 Tonbandmitschnitte müssen abgehört werden - nicht stattgegeben würde, käme das daher einer Behinderung der Verteidigung gleich. Euler verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass er und sein Kollege König seinerzeit einer verkürzten Einarbeitungszeit in das Verfahren nur deshalb zugestimmt hätten, weil sie davon ausgegangen waren, das Beweismaterial sei vollständig. Tatsächlich aber stehe er nun vor dem Problem, dass "prozessual Akten unterschlagen" worden seien. Als besonders bedenklich in diesem Zusammenhang stufte er zudem ein, dass die Bundesanwaltschaft immer behauptet habe, die Telefonüberwachung von Tarek Mousli habe bereits im Mai 1999 geendet, was sich jetzt als Lüge herausgestellt habe. Rechtsanwalt König schloss sich diesem Antrag an - auch er habe in den verbleibenden Oktoberwochen lediglich noch drei Tage zur Verfügung. Rechtsanwalt Eisenberg, der sich dem Antrag ebenfalls anschloss, machte geltend, dass er, weil mit nicht aufschiebbaren Berufungsverfahren konfrontiert, ebenfalls lediglich noch zwei freie Arbeitstage bis Dezember 2001 zur Verfügung habe. Sollte die Vorsitzende Richterin, Gisela Hennig, daher dem Aussetzungsantrag nicht stattgeben, stelle das für ihn eine "Verhinderung der Verteidigungsmöglichkeit" dar. Die Vorsitzende Richterin Hennig verschob daher die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens - nach einer einstündigen Pause - auf den morgigen Prozesstag.

Erste "Kriegserklärung" der Bundesanwaltschaft

Bundesanwalt Bruns sah sich genötigt im Namen der Bundesanwaltschaft (BAW) eine Erklärung zum Verlauf der vergangenen zwei Prozesstage abzugeben. Er sprach in dieser Erklärung von "Vorfällen" in der vergangenen Woche, die belegen würden, dass die Verteidigerinnen Studzinsky und Würdinger den Versuch, ihren Mandanten zu entlasten als "verloren" einschätzen und daher "die Zahlungs- und Sexualmoral des Zeugen Mousli" in den Mittelpunkt stellen würden. Außer "schmierigen Histörchen aus dem Leben eines 'Märchenprinzen´" hätten sie nichts zu bieten. Mousli aber habe, so die Einschätzung von Bundesanwalt Bruns, sein "Insiderwissen sogar noch erhärten können." Ziel der Verteidigung sei es, Tarek Mousli zu "demontieren."

Als "völlig unerträglich" bezeichnete er es, dass "ausgerechnet dieses Schriftstück" der Verteidigung ins Internet gestellt worden sei, auch wenn die Verteidigerinnen sich selbst fragen müssten, "wie tief sie unter die Gürtellinie" greifen wollten. Das "Ziel der Veröffentlichung", da sei er, Bruns, sich sicher, sei: "Abweichlern soll gezeigt werden, was Aussagen bei der Bundesanwaltschaft für Folgen haben." Er wolle sich nicht festlegen, ob die Veröffentlichung mit dem Willen der Verteidigerinnen erfolgt sei, aber er sei sich sicher, "dass sie das hätten verhindern können." Eine "Grundlage für eine gemeinsame Prozessführung bestehe nicht mehr", und Bruns kündigte "einen Krieg gegen die Verteidigung mit allen rechtlichen Mitteln" an. Das "Ziel, die Totalvernichtung der bürgerlichen Existenz des Zeugen Mousli," sei als "Strategie in der Soligruppe vorher abgesprochen" worden, so Bruns weiter.

Worum geht es eigentlich?

Die Rechtsanwältinnen Studzinsky und Würdinger hatten Material vorgelegt, dass die Relevanz der erst später aufgetauchten 955 Telefonüberwachungsbänder (TÜ-Bänder) und von Wortprotokollen für die Wahrheitsfindung in diesem Verfahren belegt. Im einzelnen - wir berichteten und dokumentierten den Antrag der beiden Verteidigerinnen - konnten sie nachweisen, dass das bisher unterschlagene Beweismaterial wesentliche Informationen enthält, die relevant für das Entstehen der Aussagen Mouslis sind. So verwiesen sie in Hinblick auf dessen Finanzsituation auch darauf, dass Mousli - hierzu trugen sie kursorisch aus Telefongesprächen Mouslis mit einer "Agentur", die Prostituierte vermittelt, vor - offenbar auch Geld für Prostituierte ausgab. Sie wiesen nach, dass dessen damalige Lebensgefährtin, Janet O., vom Bundeskriminalamt (BKA) zu Lügen gegenüber Mouslis damaligem Rechtsanwalt angehalten wurde; und sie erbrachten den Nachweis, dass Bundesanwalt Homann sowohl das Kammergericht als auch die Verteidigung permanent belogen hatte.

Bundesanwalt Bruns wertete dennoch das Beweismaterial als "schmierige Histörchen aus dem Leben eines 'Märchenprinzen´", das keine Beweiskraft habe. Er warf den Anwältinnen zudem vor, nicht in der Lage zu sein, Telefonbänder überhaupt korrekt abhören zu können. Ein Vorwurf, der sich nicht aufrechterhalten ließ. Der jetzige "Angriff", von dem Bundesanwalt Bruns heute sprach, muss insofern als polemischer "Angriff" auch auf das Bemühen um Wahrheitsfindung betrachtet werden; die Ankündigung eines "Krieges" gegen die Anwaltschaft ist dabei besonders bedenklich.

In Rede steht bei dem Vorwurf, Überwachungsbänder nicht abhören zu können, ein zwischen Janet O. und Tarek Mousli geführtes Gespräch, von dem die Vorsitzende Richterin Hennig, der Beisitzende Richter Hanschke und Rechtsanwalt König - und nicht die beiden Verteidigerinnen - annahmen, es fehle auf den Bändern; Studzinsky und Würdinger waren diese Bänder gar nicht ausgehändigt worden und daher auch nicht bekannt, was auf ihnen dokumentiert ist und was fehlt; auch hatten sie darüber in der letzten Verhandlung nicht gesprochen.

Zwar bestätigte die Vorsitzende Richterin Hennig sofort diesen Sachverhalt und damit auch die fahrlässige Oberflächlichkeit der Erklärung des Bundesanwaltes Bruns, dennoch will dieser "keine Grundlage mehr für eine gemeinsame Prozessführung" sehen. Ihm gehe es, so Bruns, um eine Stellungnahme der Verteidigung zur Erwähnung der Sexualpraktiken des Kronzeugen Mousli, wollte aber nicht ausschließen, dass er sich gegebenenfalls bei den Verteidigerinnen entschuldigen werde, wenn seine Vorwürfe unzutreffend sein sollten.

Rechtsanwältin Edith Lunnebach betonte in einer, wie sie sagte, "ersten spontanen Reaktion", dass die Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit eines Zeugen von dessen persönlicher Integrität nicht zu trennen sei und daher zwingend auch Gegenstand von Ermittlungen sein müsse. Ein Verzicht auf diese Ermittlungen käme, das wisse auch Bruns, ansonsten einer schlechten Verteidigung gleich. Auch Rechtsanwalt König stellte nochmals klar, dass der Anwurf der Bundesanwaltschaft gegen die Verteidigerinnen fehl gehe; vielmehr hätten er und die RichterInnen Hennig und Hanschke angenommen, das Gespräch sei nicht auf den Bändern dokumentiert; erst Rechtsanwalt Euler habe es dann gefunden.

Zeugenvernehmung wurde vorerst fortgesetzt

Anträge der Verteidigung, heute über den Aussetzungsantrag zu entscheiden, wurden von der Vorsitzenden Richterin abgelehnt. Nach einer erneuten Pause wurde die Verhandlung mit der Vernehmung des seinerzeit die Ermittlungen führenden LKA-Beamten im Fall Hollenberg fortgesetzt. Der 57jährige Berliner Kriminalbeamte hatte sich zu seiner Vorbereitung für die heutige Zeugenvernehmung die Unterlagen nochmals angesehen, erkannte seine Tatortskizzen wieder und bestätigte, dass er Lichtbilder hatte anfertigen lassen und eine entsprechende Lichtbildmappe zum Anschlag seinerzeit zusammenstellte. Während sich zwei Patronenhülsen am Tatort finden ließen, wurden die entsprechenden Projektile nicht gefunden, so der LKA-Beamte. Unvereidigt wurde der Zeuge vorerst entlassen.

Am morgigen Freitag wird die Verhandlung um 9.15 Uhr fortgesetzt.

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