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49. Prozesstag: 4. Januar 2002

"Dafür habe ich keine Erklärung"

Mit leichter Verspätung begann heute ein kurz gehaltener, nur zwei Stunden dauernder Prozesstag, bei dem ausschließlich die Verteidigung den Kronzeugen zu verschiedenen Komplexen befragte. Dies betraf den Sprengsatz, der beim Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylberwerber (ZSA) benutzt wurde, die Herkunft des Fluchtfahrzeuges im Falle Hollenberg, verschiedene Ausführungen des Kronzeugen zur Herkunft des Begriffs des "Schläfers" und erneut um das Sprengstoffpaket, dass Mousli 1995 in einem Seegraben entsorgt haben will.

Der Senat und die Bundesanwaltschaft machten sich heute vor allem durch Zwischenrufe bemerkbar, die von unvoreingenommenen Beobachtern allenfalls als störend empfunden wurden oder als deutliches Zeichen dafür, dass die friedvolle vorweihnachtliche Stimmung endgültig zu Ende zu sein scheint.

Fragen und Widersprüche

Zunächst konfrontierte Rechtsanwalt von Schlieffen Mousli heute mit einem Gutachten des Bundeskriminalamtes (BKA) vom 14.8.2000. Darin war der Frage nachgespürt worden, ob ein Sprengsatz von der Machart, wie er von Mousli beschrieben wurde, und bei dessen Bau er anwesend gewesen sein will, beim Anschlag auf die ZSA eingesetzt worden war. Das Gutachten sei - so von Schlieffen - zum Schluss gekommen, dass der von Mousli beschriebene Sprengsatz keine der tatsächlichen Wirkung entsprechende Sprengkraft hätte entfalten können. Mousli hatte dazu heute keine Erklärung. Er bestätigte jedoch erneut, dass er bei Bau des Sprengsatzes anwesend gewesen sei. Ebenfalls keine Erklärungen fand der Kronzeuge zu weiteren Fragen zum Komplex Hollenberg. In diesem Zusammenhang hatte er angegeben zusammen mit zwei anderen Tatbeteiligten das Fluchtauto gestohlen und gemeinsam mit "Sebastian" den Fluchtweg ausgekundschaftet zu haben. Die Ermittlungen hatten jedoch ergeben, dass es sich bei dem Fluchtauto nicht um ein gestohlenes sondern um ein gekauftes Fahrzeug gehandelt hatte. Außerdem haben die bisherigen Zeugenaussagen zu diesem Komplex gezeigt, dass das Fahrzeug an einem anderen als den von Mousli ausgekundschafteten und beschriebenen Ort für die Flucht bereitgestellt worden war. Das habe man dann eben anders gemacht als geplant, und "Jon" und "Judith" hätten aus "Verschleierungsgründen" schließlich öfter die Unwahrheit gesagt, so die Antwort des Zeugen auf diese Widersprüche.

Wo kommen die "Schläfer" her?

An einer anderen Stelle hakte Rechtsanwältin Lunnebach ein. Mousli hatte in einer Vernehmung am 9.12.1999 angegeben, ab Ende der 80er Jahre der RZ nur noch als "Schläfer" gedient zu haben. Damit - so erläuterte der Kronzeuge heute erneut - sei gemeint gewesen, er sei "nur noch strukturell" zu Verfügung gestanden, hätte sich aber nicht mehr aktiv beteiligt. Frau Lunnebach wollte von Mousli wissen, woher der Begriff des "Schläfers" stamme. Er habe diesen Begriff "der Literatur" entnommen, so der Kronzeuge heute. Außerdem handele es sich dabei um einen "stehenden Begriff in der linksradikalen Szene", nicht jedoch um einen "RZ-Begriff". Rechtsanwältin Lunnebach, die deutlich machte, dass ihr die Verwendung dieses Begriffs in der linksradikalen Szene vollkommen neu sei, konfrontierte Mousli sodann mit einer weiteren seiner Aussagen, diesmal vom 7.4.2000. Damals hatte der Zeuge die Herkunft der "Schläfer"-Begrifflichkeit eindeutig dem "Sprachgebrauch der RZ" zugeordnet. Dieses hin und her versuchte Mousli heute dahingehend aufzulösen, dass es sich wohl nicht um einen "reinen RZ-Begriff" gehandelt, dieser aber auch in der RZ-Gruppe Verwendung gefunden habe. Allerdings sei ihm - so wiederum auf eine Nachfrage von Rechtsanwalt Euler - weder aus deutschen noch internationalen linksradikalen Gruppen bekannt, dass der Begriff des "Schläfers" angewandt worden sei. Auch weitere Personen im RZ-Umfeld, die als "Schläfer" bezeichnet worden seien, wären ihm nicht bekannt. Rechtsanwältin Lunnebach kommentierte diese nur schwer nachvollziehbaren Ausführungen von Mousli mit den Worten: "Ich halte das für gelogen, was sie jetzt machen", was zu einem heftigen Gemurmel auf der Anklagebank führte.

Ein weiteres Thema waren Mouslis Kontakte zu Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Diese Besuche sind allerdings nirgends festgehalten. RAin Lunnebach hatte bei der Anstaltsleitung extra nachgefragt: Jeder Besuch würde in das Besucherbuch eingetragen. Der Kronzeuge erneuerte heute seine Aussage, dass er bis zu seiner Entlassung im April 2000 zwei Mal von Verfassungschutzbeamten Besuch erhalten habe. Ein Protokoll der mindestens drei bis vierstündigen Vernehmungen sei nicht angefertigt worden. Nach seiner Entlassung habe es zwei, "vielleicht sogar drei" weitere Treffen mit den selben Beamten gegeben. Er dürfe allerdings nicht sagen, wo diese Treffen stattgefunden hätten.

Und erneut der Seegraben

Den Abschluss des Tages bildete ein weiteres Rumstochern im trüben Seegraben. Erst beim gestrigen Verhandlungstage war deutlich geworden, dass Mousli nicht nur am 16.6.1999 BKA-Beamte an die Stelle des Wassergrabens geführt zu hatte, wo er den Sprengstoff hinein geworfen haben will. Ein weiterer Versuch den Sprengstoff zu finden, fand am 8.7.99 in Begleitung der BKA-Beamten Trede und Barbian sowie eines Forstbeamten statt. Diese zweite ebenfalls erfolglose Suche sei, auf seinen Vorschlag hin, sogar auf einen anderen Wassergraben ausgedehnt worden, weil ihm Zweifel gekommen seien. Trotzdem sei er sich der ursprünglich angegeben Einwurfstelle sicher gewesen, da er den in blaues Plastik gehüllten Sprengstoff noch 1996 bei Spaziergängen mit seinen Hunden entlang des Grabens durchs Wasser schimmern gesehen hätte. Warum dann jedoch der Sprengstoff zu einem späteren Zeitpunkt 170 Meter von der ursprünglich angegebenen Einwurfstelle, entgegen der Fliesrichtung, gefunden wurde, konnte der Kronzeuge auch heute nicht erklären.

Das Verfahren wird am kommenden Donnerstag, den 10.1.02 fortgesetzt.

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