Kammergericht
28. Juni 2001
In der Strafsache
gegen Glöde
(2) StE 11/00 (4/00)
lehnen wir namens und in Vollmacht des Angeklagten Glöde die
Vorsitzende Richterin am Kammergericht Gisela Hennig, den abgeordneten
Richter am Landgericht Hanschke, den Richter am KG Lechner, Richter
am KG Alban, Richter am KG Genthe wegen der Besorgnis der Befangenheit
ab.
Begründung:
Sachverhalt:
Grund für die Ablehnung der genannten Richter wegen der Besorgnis
der Befangenheit ist der als Anlage beigefügte Beschluß
des Senats, an dem die befangenen Richter mitgewirkt haben, und
der am 28. 6. 2001 verkündet wurde.
Der Angeklagte muß davon ausgehen, daß alle erkennenden
Richter der Kammer für den Beschluß gestimmt haben, da
uns das Beratungsgeheimnis daran hindert, das Abstimmungsverhalten
der einzelnen Mitglieder des Senats zu ergründen.
Anlaß für den Beugemittelantrag des Rechtsanwalts Eisenberg
gegen den Zeugen Mousli war dessen Weigerung, auf Frage des abgelehnten
Richters am Landgericht Hanschke den Inhalt eines am 24. 11. 1999
mit der Zeugen Olbrich geführten Ferngesprächs zu offenbaren.
Der Ohrenzeuge des Parts des Zeugen Mousli an dem fraglichen Gespräch
mit Frau Olbrich, Staatsanwalt Monka, hat als Zeuge bei seiner Vernehmung
zu diesem Gespräch am 22. 6. 2001 nachstehendes ausgeführt:
Auf Vorhalt der Vorsitzenden:
Das war im Rahmen des Gesprächs beim Ermittlungsrichter beim
BGH, da wollte er vor dem eingehenden Gespräch mit mir über
Zeugenschutz mit Frau Olbrich telefonieren. Ich meine, daß
es möglicherweise ein Angebot von mir war, ob er vor dem Gespräch
mit mir noch mit Frau Olbrich sprechen wollte. Er wollte sie informieren,
was mit ihm geschehen sei und wie es ihm ginge. Frau O. war mir
als sehr ängstlich bekannt geworden. Ich habe das Gespräch
nur auszugsweise mitbekommen, weil er mit dem Dienst-Handy von Schulzke
telefonierte, das war nicht laut gestellt. Wir hörten nicht
zu. Ich hörte nur, daß er sagte, er habe wichtige Entscheidungen
zu treffen und benötige ihre Hilfe und wollte sich ihrer Hilfe
versichern. Das war das, was ich mitbekam. Einzelheiten hat er nicht
gesagt. Er sprach nur davon, daß es ein sehr schwerwiegender
Entschluß war, sie wisse ja schon, welche Sache man besprochen
habe, sie wisse ja, daß es Ermittlungen gab. Sie hätten
sich ja zu Hause unterhalten darüber. Er wolle sein Leben mit
ihr teilen.
Auf Vorhalt:
Ich mutmaße, daß er hören wollte: Tarek, ich halte
zu Dir, Ich gehe den Weg, den Du gehst, mit Dir. Im Rahmen des Gespräch
hat er ihr nichts vom Zeugenschutz erzählt. Ich selbst habe
ihm erst nach dem Gespräch im anschließenden Gespräch
die Zeugenschutzmaßnahmen dargelegt.
Das war nach dem Telefongespräch beim BGH auf dem Flur, daß
wir über Zeugenschutz gesprochen haben.
Im Rahmen dieses Gesprächs fand vorher das Gespräch mit
Frau Olbrich statt. Da war keine Rede von Zeugenschutz. Ich habe
ihm erst im Rahmen des anschließenden Gesprächs das vorher
Erläuterte dargelegt zum Zeugenschutz.
Aus Gesprächen, die ich mit Tarek Mousli geführt habe,
kam etwa so um den 7. Dezember herum, als ich ihm den Vermerk zur
Unterschrift gab, da war es so, daß T.M. erzählte, daß
Frau Olbrich schon mit ihm und dem Zeugenschutz gesprochen habe.
Da schienen mir die Kautelen des Zeugenschutz schon festgezurrt
zu sein.
Vorhalt: "Was bedeutet "auszugsweise" hinsichtlich
des Gesprächs?
Antwort: "Es handelte sich um ein privates Gespräch zwischen
zwei liierten Personen. Das geht mich nichts an. Ich habe alles
gehört, was er sagte, es war aber nicht alles wichtig: Ich
will beim Zuhören nur ausschließen, daß etwas besprochen
wird, daß das Verfahren stört oder betrifft. Ich höre
da nur mit einem Ohr gleichsam mit. Was ich von diesem Gespräch
mitbekommen habe, habe ich umfassend dargelegt. Ich höre diskret
mit. Das Gespräch war privater und intimer Natur."
Glaubhaftmachung: anwaltliche Versicherung der Unterzeichnenden,
hiermit abgegeben, einzuholende dienstliche Erklärungen der
abgelehnten Richter.
Mousli selbst hat dazu folgendes angegeben am 15. 6. 2001:
Das Telefonat mit Frau Olbrich dürfe er nicht erläutern.
"Dazu sage ich nichts."
Nach einer Unterbrechnung erläuterte der Zeugenbeistand, daß
Mousli die Frage nach dem Inhalt des Gesprächs nicht beantworte,
weil die Antwort Berühungspunkte zu dem hat, was Mousli nicht
sagen dürfe.
Nach einer weiteren Unterbrechnung hat der Zeugenbeistand wörtlich
ausgeführt:
"Die Antwort auf die Frage hat erhebliche Berührungspunkte
zu Zeugenschutzmaßnahmen." Dies wurde von Mousli bestätigt.
Glaubhaftmachung: anwaltliche Versicherung der Unterzeichnenden,
hiermit abgegeben, einzuholende dienstliche Erklärungen der
abgelehnten Richter.
Am 21. 6. äußerte der Zeuge Mousli dazu, nachdem ihm
vorgehalten wurde, er habe das letzte Mal gesagt, er dürfe
nichts zu dem Inhalt des Gesprächs mit Frau Olbrich sagen,
auf die Frage der Vorsitzenden "Warum nicht?" folgendes:
"In dem Gespräch ging es ausschließlich um Fragen
des Zeugenschutz und Zeugenschutzmaßnahmen. Darüber darf
ich nichts sagen."
Glaubhaftmachung: anwaltliche Versicherung der Unterzeichnenden,
hiermit abgegeben, einzuholende dienstliche Erklärungen der
abgelehnten Richter.
Aus den Aussagen der Zeugen Griesbaum und Schulzke wußten
die abgelehnten Richter, daß es vor dem Gespräch zwischen
Monka und Mousli und vor dem Telefonat mit Frau Olbrich am 24. 11.
1999 keine Belehrungen und keine substantiellen Darstellungen gegenüber
dem Zeugen Mousli über Inhalt, Austattung und rechtliche Grundlagen
von Zeugenschutzprogrammen durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden
gegeben hatte.
Rechtliche Würdigung:
Der überreichte Beschluß begründet angesichts dieses
Verlaufs und Ergebnis der Beweisaufnahme die Besorgnis der Befangenheit
aus Sicht eines verständigen und vernünftigen Angeklagten.
a) Denn offensichtlich ist der Inhalt der Aussage des Zeugen Monka
bei der Beratung und Beschlußfassung ohne jede Berücksichtigung
geblieben, ohne daß dafür ein Grund erkennbar wäre.
Durch die Aussage des Zeugen Monka ist deutlich geworden, daß
die Behauptung von Mousli, das Gespräch mit Frau Olbrich habe
ausschließlich (= nur) den Zeugenschutz betroffen, unzutreffend
ist. Die abgelehnten Richter verhindern mit dem angegriffenen Beschluß
eine Überprüfung der Glaubwürdigkeit Mouslis in diesem
Punkt.
Da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, daß der Zeuge
Monka gelogen hat, bedeutet die vollkommene Außerachtlassung
seiner Aussage den aktiven Versuch der Senatsmitglieder, das auf
Lügen hinweisende Aussageverhalten des Mousli zu verbergen.
Dabei geben sie gleichzeitig die Aussage Mouslis falsch wieder,
indem sei verschweigen, daß Mousli erklärt hat, das Gespräch
habe sich ausschließlich auf Zeugenschutzbelange bezogen und
dazu erfinden, Mousli habe selbst gesagt, die Aussage über
dieses Gespräch gefährde seine Sicherheit.
Ihm werden so Lösungsmöglichkeiten angeboten, die Beantwortung
ihm nicht genehmer Fragen unter Hinweis auf seine Pflichten aus
dem Zeugenschutzprogramm zu verweigern.
Da Mousli nach Darstellung des Senates ein prozeßentscheidender
Zeuge ist, besteht aus Sicht des Angeklagten die Besorgnis, daß
die Aufklärung und Überprüfung der Wahrheitsliebe
dieses Zeugen von den befangenen Senatsmitgliedern durch den Beschluß
vereitelt werden soll.
b) Die abgelehnten Senatsmitglieder sind verpflichtet einer möglichen
Falschaussage des Zeugen Mousli nachzugehen und diesen sich aufdrängenden
Verdacht aufzuklären und auch sodann mit den vorgesehen Maßnahmen
zu ahnden.
Stattdessen bekundet der Senat in dem angegriffenen Beschluß,
daß das Gericht nicht verpflichtet sei, durch Anwendung von
Zwangsmaßnahmen ...... eine Falschaussage hervorzurufen.
Mit dieser Aussage läßt der Senat erkennen, daß
er entgegen seiner Aufklärungspflicht nicht bereit ist zu prüfen
und sich damit auseinanderzusetzen, was daraus folgt, daß
der Zeuge Mousli eine Aussage gemacht hat, die absolut konträr
zu den Bekundungen des Zeugen Monka steht, also auch die Verhängung
von Zwangsmitteln zu prüfen.
Dem entzieht sich das Gericht dadurch, indem es behauptet, es sei
nicht verpflichtet, durch die Verhängung von Zwangsmitteln
eine Falschaussage hervorzurufen.
Daraus ergibt sich für den Angeklagten Herrn Glöde zurecht
die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Senatsmitglieder.
Ebenfalls Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit ergibt sich
für den Angeklagten aus der mangelnden Bereitschaft der abgelehnten
Senatsmitglieder entgegen ihrer Aufklärungspflicht Behauptungen
von Zeugen aus dem BKA wie die des Zeugen Graf zu überprüfen.
Der Zeuge Graf wollte nicht einmal bekunden, ob seine Angaben auf
eigenen
Wahrnehmungen oder Mitteilungen Dritter oder Aktenstudium beruhen.
Nach Auffassung des Angeklagten kommen die abgelehnten Senatsmitglieder
ihrer Verpflichtung, die behauptete Gefährdungslage des Zeugen
Mousli zu überprüfen und selbst festzustellen, nicht nach,
wenn sie durch Übernahme von Beurteilungen des Zeugen Graf
die Gefährdungslagebeurteilung des BKA einfach für gegeben
halten. Graf hat lediglich erklärt, daß das BKA die Gefährdungslage
beurteilt hat auf der Grundlage aller der Polizei vorliegenden Informationsquellen,
diese aber sowenig wie die Anküpfungstatsachen für diese
Beurteilung offenbart.
Der Senat hat es unterlassen, auch nur eine einzige Anknüpfungstatsache
für diese Beurteilung zu ermitteln oder zu erfragen, der Zeuge
seinerseits hat auf Nachfrage dazu jede Auskunft unter Hinweis auf
fehlende Aussagegenehmigung verweigert. Das war vielleicht sein
gutes Recht, jedenfalls konnte der Senat nach dieser Aussage keineswegs
feststellen - wie im Beschluß getan - daß der Zeuge
Mousli tatsächlich gefährdet lebt oder lebte.
Die Einschätzung der abgelehnten Senatsmitglieder in dem Beschluß,
daß Mousli unter Lebensgefahr lebt, versteht sich angesichts
der historischen Bedingungen dieses Verfahrens nicht von selbst.
Nach Anklageinhalt hat sich die terroristische Vereinigung vor vielen
Jahren aufgelöst, einen Gruppenzusammenhang gibt es nicht mehr.
Den Angeklagten oder der Vereinigung werden keine Mordtaten vorgeworfen,
diese gehörten nach Anklagelage auch nicht zu deren Zielen.
Danach ist es eher fernliegend, daß eine Lebensgefährdung
des Zeugen
Mousli besteht. Die befangenen Richter stellen diese aber in dem
Beschluß fest, ohne sich mit diesen Rahmenbedingungen des
Verfahrens überhaupt auseinander zu setzen.
Mit der Übernahme der Bewertung des BKA in dem Beschluß
gibt der Senat zu erkennen, daß er keine weitere Aufklärung
zu diesem Punkt für erforderlich hält.
Aus Sicht des Angeklagten Herrn Glöde hat ein Gericht jedoch
in eigener Verantwortung zu prüfen, ob einem Zeugen Gefahr
für Leib und Leben droht.
Dieser Pflicht entzieht sich der Senat und macht damit deutlich,
daß keinerlei Aufklärung und Überprüfung der
behaupteten Gefährdung beabsichtigt ist, sondern er sich den
Vorgaben eines Zeugenschutzes unterwirft.
Dabei verkennt der Senat, daß Zeugenschutz nicht grenzenlos
sein kann, sondern nur so weit reicht, wie dies mit der Aufklärungspflicht
des Gerichts und den berechtigten Verteidigungsinteressen des Angeklagten
vereinbar ist.
Der Angeklagte Herr Glöde muß deshalb befürchten,
daß das Gericht nicht mehr unvoreingenommen ihm gegenüber
ist, da der Senat keinerlei Interesse an einem Erkenntnisgewinn
und einer Aufklärung hat.
Aus Sicht des Angeklagten ergibt sich damit, daß die befangenen
Richter den Sicherheitsbehörden einen gerichtsfreien Beurteilungsraum
einräumen, und aus Sicht des Angeklagten offenkundige Übertreibungen,
wie die Behauptung der Lebensgefahr des Zeugen, servil übernehmen
und sich ungeprüft zu eigen machen, die Besorgnis der Befangenheit.
Vor einer Entscheidung über dieses Gesuch bitten wir, uns
die zur Bescheidung über dieses Gesuch berufenen Richter namhaft
zu machen. Wir beantragen weiter, uns eingeholte dienstliche Erklärungen
der abgelehnten Richter vor der Entscheidung über dieses Gesuch
zur Kenntnis zu bringen und Gelegenheit zu geben, dazu Stellung
zu nehmen. Angesichts der Inhaftierung der Angeklagten ist dazu
erforderlich, eine Frist von drei vollen Werktagen einzuräumen.
Würdinger, Rechtsanwältin
Studzinsky, Rechtsanwältin
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