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Verteidigung

Europäischen Gerichtshof für

Menschenrechte

Europarat

F 67075 Strasbourg Cedex

Berlin, den 16.08.2002

Beschwerde nach Artikel 25 EMRK

des Herrn

Matthias Borgmann,

Friesenstraße 14, D-10965 Berlin,

Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigter:

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck,

Immanuelkirchstraße 3/4, D-10405 Berlin,

gegen

die Bundesrepublik Deutschland,

Beschwerdegegnerin,

wegen Verstoßes gegen Artikel 5 und 6 EMRK.

Namens und in Vollmacht des Beschwerdeführers - Vollmacht liegt als Anlage 1 bei - erhebe ich Beschwerde nach Artikel 25 EMRK gegen die Bundesrepublik Deutschland mit folgenden Anträgen:

1.) Es wird festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland Artikel 5 Abs. 1 c), Abs. 3 und 4 sowie 6 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 c) EMRK verletzt hat.

2.) Dem Beschwerdeführer ist eine angemessene Entschädigung zuzusprechen.

3) Der Fall ist gemäß Artikel 41 der Verfahrensordnung mit Vorrang zu behandeln.

Die Beschwerde richtet sich folgende Beschwerdegegenstände:

1.) gegen den Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 25.09.2001 - 1 4/02 (Anlage 2),

2.) gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 20.12.2000- 2 StE 11/00 (Anlage 3),

3.) gegen den Beschluss des 1. Strafsenats des Kammergerichts Berlin vom 25.01.2001 - 4/00 (Anlage 4),

4.) gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.03.2002 - 2 BvR 189/02 (Anlage 5).

Begründung:

Der Beschwerdeführer ist der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigt. Mit der vorliegenden Beschwerde wendet er sich gegen die vom 19.04.2000 bis 12.02.2002 gegen ihn angeordnete Untersuchungshaft. Er rügt sowohl die Dauer der Untersuchungshaft als auch die mangelhafte Begründung durch die mit seinen Haftbeschwerden befassten Gerichte. Insbesondere rügt er, dass der dringende Tatverdacht gegen ihn ausschließlich mit der zweifelhaften Aussage eines Kronzeugen begründet wurde.

I. Sachverhalt

1.) Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer wurde am 19.11.1948 in Berlin geboren. Bis zu seiner Inhaftierung am 19.04.2000 war er als Leiter des akademischen Auslandsamtes der Technischen Universität Berlin tätig. Aufgrund seiner Inhaftierung wurde er durch seinen Arbeitgeber fristlos gekündigt. Am 12.02.2002 wurde er unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Danach absolvierte er zunächst ein Praktikum und ist Sommer 2002 im Kulturmanagement festangestellt.

2.) Sachverhalt

1.) Der Beschwerdeführer wurde am 19.04.2000 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 17.03.2000 in Untersuchungshaft genommen. Ihm wird vorgeworfen, sich gemeinsam mit anderen Personen als Berliner Revolutionären Zellen (RZ) innerhalb einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129 a StGB betätigt zu haben. Er soll an dem Schusswaffenanschlag auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde am 28.09.1986, dem Sprengstoffanschlag auf das Gebäude der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) am 05./06.02.1987, am Schusswaffenanschlag auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Korbmacher am 01.09.1987 sowie am Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule am 15.01.1991 beteiligt gewesen sein. Darüber hinaus soll er sich bis in das Jahr 1995 innerhalb der RZ mitgliedschaftlich betätigt haben. Der dringende Tatverdacht beruht auf den Angaben eines Kronzeugen des mittlerweile Verurteilten Ex-Mitgliedes der RZ, Tarek Mousli. Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters wird in Kopie als Anlage 6 beigefügt.

2.) Der Beschwerdeführer setzte sich seit Beginn der Untersuchungshaft gegen diese zur Wehr. Es bestand von Anfang an weder der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO noch der besondere Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO.

Die im Haftbefehl aufgeführten Anschläge liegen 11, 15, und 16 Jahre zurück. Die unstreitig als Körperverletzungsdelikte einzuordnenden Schusswaffenanschläge sind als solche verjährt und nur im Rahmen des politischen Organisationsdeliktes des § 129 a StGB zu berücksichtigen. Im Falle der Siegessäule 1991 war es von vornherein nur beim Versuch geblieben, ein Schaden ist nicht eingetreten. Im Falle der ZSA 1987 ist lediglich ein geringer Sachschaden in Form eines 30 bis 40 cm großen Loches der Außenmauer des Gebäudes entstanden. Bei beiden Taten war es von vornherein ausgeschlossen, dass Menschen zu Schaden kommen.

Die Organisation der Berliner Revolutionären Zellen hat sich selbst nach Auffassung der Bundesanwaltschaft spätestens 1995, also vor mindestens sieben Jahren aus eigenen Stücken aufgelöst. Der Beschwerdeführer soll vor mindestens sieben Jahren sich dort zuletzt mitgliedschaftlich betätigt haben. Der Beschwerdeführer ist nicht vorbestraft und auch seit 1995 in keiner Weise strafrechtlich aufgefallen. Deswegen war von vornherein von der Verteidigung des Beschwerdeführers vorgetragen worden, dass selbst im Falle einer Verurteilung die Straferwartung beim Beschwerdeführer eine Untersuchungshaft nicht rechtfertige. Dies wurde im nachhinein durch eine Absprache zwischen dem Gericht, der Bundesanwaltschaft und der Verteidigung des Hauptangeklagten Schindler bestätigt.

Dem Angeklagten Schindler wurde schriftlich durch Protokollierung in der Hauptverhandlung vom 18.01.2002 eine Strafobergrenze von drei Jahren und neun Monaten zugesagt.

Auch die persönliche, familiäre und berufliche Situation des Beschwerdeführers sprach und spricht eindeutig gegen die Annahme einer Fluchtgefahr. Dazu heißt es im Haftbeschwerdeschriftsatz seines Verteidigers vom 05.06.200:

"Die persönliche und berufliche Situation des Beschuldigten Matthias Borgmann ist u.a. durch seine eigenen Ausführungen im Anhörungstermin vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vom 19.04.2000 in Berlin bekannt. Er lebt in einer glücklichen und funktionierenden Ehe mit seiner Ehefrau. Im gemeinsamen Haushalt der Ehegatten lebt ebenfalls der Sohn der Ehefrau aus einer früheren Ehe, Jan Herkenrath, der 17 Jahre alt ist. Nicht zuletzt aus der Überwachung des Briefverkehrs und aus den bisher stattgefundenen, vom BKA überwachten Besuchen dürfte zu erkennen sein, dass Herr Borgmann ein sehr inniges Verhältnis sowohl zu seiner Ehefrau als auch zu ihrem Sohn Jan hat. Jan geht derzeit in Berlin zur Schule.

Daneben hat er noch eine nichteheliche Tochter, die mittlerweile 25 Jahre alt ist. Diese studiert in England und finanziert ihr Studium durch den gemeinsam aufgebrachten Unterhalt ihrer Mutter und des Herrn Borgmann.

Herr Borgmann ist seit 1984 Angestellter der Technischen Universität Berlin. Seit 1992 ist er Leiter des Akademischen Auslandsamtes. Er bezieht Gehalt nach BAT 1 b. Aufgrund des lange andauernden Beschäftigungsverhältnisses befand er sich praktisch in nicht kündbarer Stellung. Aufgrund des vorliegenden Strafverfahrens hat die TU Berlin ihm gegenüber die fristlose Kündigung ausgesprochen, Herr Borgmann hat deswegen Klage beim Arbeitsgericht Berlin eingereicht. Ein Termin zur Verhandlung ist dort noch nicht bekannt.

Daneben hat der Beschuldigte ein gutes familiäres Verhältnis sowohl zu seiner in Süddeutschland lebenden 83jährigen Mutter als auch zu seinen im Rheinland lebenden Schwiegereltern und dem Rest seiner Familie. Es bleibt also festzuhalten, dass er in persönlicher, familiärer, beruflicher und sonstiger Hinsicht ohne Abstriche in geordneten und integrierten Verhältnissen lebt.

Deswegen war er auch zu keinem Zeitpunkt auf die Idee gekommen, sich dem Strafverfahren durch Flucht zu entziehen. Auch nach der erneuten Festnahme von Tarek Mousli und der Hausdurchsuchung bei Axel Haug am 23.11.1999 und erst recht nach den Festnahmen von Axel Haug und Harald Glöde sowie der Durchsuchung des Mehringhofes am 18.12.1999 verblieb er in Berlin. Dabei hätte ihm, unterstellt er sei das von Mousli beschriebene RZ-Mitglied mit dem Decknamen "Heiner" und er habe die ihm zur Last gelegten Taten begangen und dabei von der Existenz Mouslis in der anderen Zelle ebenso gewusst wie dieser von der Existenz "Heiners" und der Spaziergang 1989/1990 habe stattgefunden, wissen müssen, dass ihm ebenso wie den beiden zuvor genannten Beschuldigten die Strafverfolgung und auch ein Haftbefehl droht. Das gesamte Verfahren war von Anfang an, insbesondere seit den Verhaftungen am 19.12.1999, Gegenstand zahlreicher Zeitungs- und Szeneveröffentlichungen. Der Beschuldigte war sogar nach diesen Ereignissen noch mehrfach im Ausland und ist wieder nach Berlin zurückgekehrt. Wäre er "Heiner" und hätte er die ihm zur Last gelegten Taten begangen, hätte er dies wohl kaum getan.

Wie schon bei Haftbefehlsverkündung am 19.04.2000 vor dem Bundesrichter Dr. Wolst wird auch jetzt die Stellung einer Sicherheitsleistung für den Beschuldigten Borgmann angeboten. Die Familie, zu der wie oben ausgeführt ein ausgezeichnetes Verhältnis besteht, könnte einen Betrag zwischen 300-500.000 DM Kaution aufbringen. Die Auflage der Stellung einer derartigen Sicherheitsleistung wäre neben Meldeauflagen und Abgabe des Reisepasses geeignet, eine Fluchtgefahr auszuräumen.

Dabei ist zu bedenken, dass der Beschuldigte Borgmann schon immer seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland, in Berlin hatte. Freunde und Verwandte, Ehefrau und Ziehsohn leben hier, er hat bis zu seiner Inhaftierung hier gewohnt und gearbeitet. Er wird dieses Jahr 52 Jahre alt und wäre daher auch vom Alter her nicht mehr in der Lage, sein leben in Deutschland aufzugeben und sich dem Verfahren durch Flucht ins Ausland zu entziehen. Im übrigen wäre er sich von vorneherein bewusst, nicht zuletzt der Fall der Inhaftierung des Mitbeschuldigten Ebke hat ihm dies vor Augen geführt, dass er wohl in keinem Fluchtland sicher vor dem Zugriff bundesdeutscher Strafverfolgungsbehörden wäre. Er weiß, dass es keine Alternative dazu gibt, sich dem gegen ihn geführten Strafverfahren zu stellen. Er ist mit seiner Verteidigung aber der Auffassung, dass sachliche Gründe es nicht rechtfertigen, ihn bis zum Ausgang des Verfahrens in Untersuchungshaft zu belassen."

Der Beschwerdeführer hat sich seit seiner Inhaftierung dagegen gewandt, dass der dringende Tatverdacht gegen ihn einzig und allein auf den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli begründete.

Dazu wird in dem schon zitierten Schriftsatz vom 05.06.2000 ausgeführt:

"Der Grundsatz auf ein faires Verfahren, der sowohl aus dem Rechtsstaatsprinzip des Artikels 20 GG als auch aus Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie aus Artikel 14 des Internationalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte folgt, ist in mehrfacher Weise verletzt.

Hier wird ein Haftbefehl gegen einen strafrechtlich bisher nicht belasteten 51jährigen Familienvater vollstreckt, der einzig und allein ausschließlich auf den Aussagen eines Mitbeschuldigten beruht. Andere Beweismittel liegen nicht vor. Es ist auch nicht zu erwarten, dass andere Beweismittel vorgelegt werden können, da die Ermittlungen in allen dem Beschuldigten Borgmann zur Last gelegten Fällen bereits abgeschlossen waren.

Wie den ersten Aussagen des Beschuldigten Mousli zu entnehmen ist, wurde er offensichtlich über die Regelungen des Kronzeugengesetzes belehrt und er scheint zumindest einen Teil der Aussagen in Erwartung der Anwendung dieses Gesetzes gemacht zu haben.

.

Jedenfalls scheint der Mitbeschuldigte Mousli, ohne dass nachvollziehbar wäre, ob und in welchem Umfang er in den Genuss der Kronzeugenregelung kommt, ein sogenannter Kronzeuge zu sein.

Das Modell Kronzeuge wurde und wird in Rechtsprechung und mehr noch in der Literatur kritisch diskutiert, ohne dass sich in der bundesdeutschen Diskussion die Position hätte durchsetzen können, dass eine Verurteilung allein aufgrund der Aussagen eines Kronzeugen mit rechtstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar wäre. Dies ist schon deswegen bedauerlich, weil in anderen Ländern Erfahrungen mit Kronzeugen, Staatszeugen ("state's witness"), Supersingvögeln ("supergras"), Reuigen ("pentiti") oder wie man sie auch immer nennen mag gemacht wurden, die diese Konsequenz nahe legen würden. Beachtenswert scheint dabei insbesondere das nordirische Beispiel zu sein. Dort kam der in 2. Instanz mit dem Problem befasste Court of Appeal in einer Reihe von Terrorismusverfahren in den 80er Jahren zu dem Schluss, "ein supergrass habe einen dermaßen starken Anreiz zur Lüge, dass man in Ermangelung der Bestätigung seiner Aussagen durch weitere Beweismittel -also corrobation- den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen nicht mit dem Grad an Sicherheit feststellen könne, der in einem rechtstaatlichen Strafverfahren für eine Verurteilung erforderlich sei" (so die Zusammenfassung von Mark Denny in ZstW 103(1991) S.269ff., S.298). In den USA gilt deswegen das corrobation-Prinzip, das also bei einer Verurteilung weitere Beweismittel zur Aussage des Kronzeugen hinzutreten müssen. (vgl. nur Florian Jeßberger, Kooperation und Strafzumessung, Köln 1999, S. 153ff mit vielen weiteren Nachweisen.)

Hintergrund dieser angloamerikanischen Umgangsweise mit Kronzeugen ist ein in langer rechtstaatlicher Tradition gereiftes Bewusstsein darüber, dass Kronzeugen nicht nur viele Gründe, sondern auch viele Möglichkeiten zu einer Falschaussage haben. "Kaum lösbares Paradoxon des Modells Kronzeuge ist, dass der besonderen Aufklärungseignung des Kronzeugen eine besondere Disposition zur Falschaussage korrespondiert. Gerade seine besondere Nähe zum Tatgeschehen - Garantie für die Menge aufklärungsrelevanten Wissens - bedingt eine für die Glaubhaftigkeit seiner Aussage unheilvolle Konstellation aus eigener Tatverstrickung und damit verbundener Tendenz zur Bagatellisierung des eigenen Tatbeitrags und detaillierter, weil selbst erlebter Kenntnis der Tatumstände und damit täuschend realitätsnahen Manipulationsmöglichkeiten durch den einfachen Austausch einzelner Sachverhaltselemente, bspw. die Umverteilung der Tatbeiträge. Der vom Kronzeuge angestrebte Vorteil - Straflosigkeit für bisweilen schwerste Straftaten - ist kaum zu übertreffen, der Kronzeuge hat also allen Grund zur Lüge. Zudem ist Detailreichtum gerade ein Indiz für die Glaubhaftigkeit einer Aussage, der Kronzeuge ist mithin ein besonders guter Lügner. Zusätzlich - und das unterscheidet den Kronzeugen vom gewöhnlichen mitbeschuldigten Zeugen - trifft ihn eine besondere von den Strafverfolgungsbehörden an ihn herangetragene oder (vorauseilend) selbst produzierte Erwartungshaltung, er steht unter Erfolgsdruck, denn nur wenn er in der gewünschten Weise aussagt oder sogar seine Aussage das gewünschte Ergebnis hat, darf er ernsthaft auf die Gewährung der Vergünstigung hoffen. Der Kronzeuge hat also ein doppeltes Eigeninteresse."

(Zitat aus Florian Jeßberger, a.a.O., S. 127f.)

Es mag sein, dass im Schrifttum und auch in der Rechtsprechung nur wenige die Konsequenz aus den obigen sicherlich von vielen geteilten Bedenken ziehen und vielmehr von den meisten Kommentatoren auf das dem deutschen Strafprozessrecht innewohnenden Prinzip der freien Beweiswürdigung verwiesen wird, mit dem sich feste Beweisregeln nicht vertragen würden. Unstrittig ist jedoch in Literatur und Rechtsprechung, dass eine angemessene und sorgfältige Überprüfung der Angaben des Kronzeugen vorzunehmen ist.

Der Mitbeschuldigte Mousli befindet sich in Obhut der Ermittlungsbehörden. Von diesen wird er seit dem 23.11.1999 fast ununterbrochen, teilweise täglich vernommen. Genauer gesagt wird er nicht nur vernommen, denn ihm werden nicht nur Vorhalte aus den Ermittlungsakten gemacht, sondern seine eigenen Aussagen zu bestimmten Personen und Sachverhaltskomplexen werden ständig zusammengefasst. Ihm wird immer wieder Gelegenheit gegeben, Widersprüche zu eigenen früheren Aussagen "klarzustellen" oder Widersprüche zu den sonstigen Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden zu "erklären". Von hier aus kann nicht nachvollzogen werden, wie lange noch auf diese Art und Weise mit dem Mitbeschuldigten Mousli gearbeitet werden soll. Eines jedenfalls zeichnet sich jetzt schon ab: Die Verteidigung wird frühestens in einer eventuellen Hauptverhandlung die Möglichkeit haben, Fragen und Vorhalte machen zu können, wenn Herr Mousli gemeinsam mit den ihn vernehmenden Beamten mehrere Monate lang und mehrere Leitzordner voll Aussagen produziert haben wird. In der Hauptverhandlung wird dann nur noch das Ergebnis dieser monatelangen Arbeit im Vorverfahren nachvollzogen.

Diese Verfahrensweise ist weder mit dem fair-trial-Prinzip der Verfassung und der EMRK noch mit den Prinzipien der StPO der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vereinbar.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es neben den allgemeinen Einwänden gegen die Glaubwürdigkeit von Kronzeugen im vorliegenden Fall zumindest bezüglich der Beschuldigungen des Mitbeschuldigten Mousli gegen Herrn Borgmann zahlreiche schwerwiegende Bedenken gibt.

Die Vorgänge über die der Beschuldigte Mousli berichtet, liegen teilweise bis zu 15 Jahre zurück. Schon insoweit ist das Erinnerungsvermögen des Mitbeschuldigten begrenzt. Schon aus den bisher vorliegenden Aussageteilen geht hervor, dass der Zeuge sich an vielen Stellen widersprochen hat und ihm deswegen von den Vernehmungsführern bei zahlreichen Gelegenheiten Vorhalte gemacht werden, um die Widersprüche auszuräumen.

Er hat beispielsweise die Beteiligung des Lothar Ebke anfangs verschwiegen und bezeichnenderweise einen Tag vor Ablauf der Kronzeugenregelung, in seiner Vernehmung vom 30.12.1999 korrigiert. Dort allerdings gab er dann als Grund für sein wechselndes Aussageverhalten die Sicherheit seiner Freundin an. Ebenso bewertet er die Rolle des Mitbeschuldigten Axel Haug mit zunehmenden Verlauf der Vernehmungen höchst unterschiedlich. Er wird mit zunehmendem Verlauf der Vernehmungen sicherer, wo er anfangs noch Zweifel ("glaube ich", "vermute ich") ausdrückte.

Dieses Aussageverhalten weist darauf hin, dass die oben geschilderten abstrakten Möglichkeiten eines Kronzeugen, der in ein bestimmtes Geschehen verwickelt ist, Tatbeiträge und Tatbeteiligte so zu schildern und die abstrakte Gefahr, dass die Justiz sich irreführen läßt und dies dann nachprüfbar sein wird, sich im Falle des Mitbeschuldigten Mousli bereits realisiert zu haben.

Noch schwerer wiegt neben einem derartigen Zeitablauf und den jetzt schon aufgetretenen Widersprüchen und wechselnden Einlassungen die Tatsache, dass er über das mutmaßliche RZ-Mitglied mit dem Decknamen "Heiner" und vor allem über dessen konkrete Tatbeteiligungen praktisch nur Aussagen vom Hören-Sagen machen kann. Bei einer derartigen Belastung käme es in besonderer Art und Weise auf das genaue Erinnerungsvermögen und auf alle Details an, die ein Zeuge nach einer derartig langen Zeit schlechthin nicht behalten kann.

Der Beschuldigte Mousli kann mithin über Heiner praktisch nur vom Hören-Sagen berichten. Denkbar dünn ist der Verdacht beim Anschlag 15.01.1991 auf die Siegessäule, wo selbst aus den Aussagen des Beschuldigten Mousli keine einzige konkrete Handlung des Beschuldigten hervorgeht und lediglich aus der Gruppenstruktur und den Tatvorbereitungen zu schließen ist, dass das mutmaßliche Mitglied mit dem Decknamen Heiner zumindestens den Tatort aufgeklärt und den Anschlag abgesichert habe. Ein Mitbeschuldigter, der selber zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr Mitglied der Vereinigung gewesen sein will, berichtet also aufgrund teilweise mehrere Jahre nach den Vorgängen gemachten angeblichen Bemerkungen über die Teilnahme von Heiner. Eine derartig vage Belastung kann schlechterdings nicht zur Begründung eines dringenden Tatverdachtes ausreichen.

2. Denn weder ist ausgeschlossen, dass der Mitbeschuldigte Mousli irrt oder bewusst die Unwahrheit noch kann für den Fall, dass er wahrheitsgemäß berichtet, ausgeschlossen werden, dass die von Mousli Angesprochenen falsche Angaben über die damaligen Mitbeteiligten machten, um auch diesen unbekannten Dritten zu schützen oder einfach um nicht alle Karten auf den Tisch zu legen.

Zuletzt sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt, was auch die Ermittlungsbehörden mittlerweile herausgefunden haben dürften: Zur Zeit der Anschläge 1986 und 1987 war der Beschuldigte Borgmann in keiner Weise besonders qualifiziert, um Hintergrundinformationen zu den Anschlägen zu beschaffen. Er hatte auch durch seine damalige Arbeitstätigkeit keinen privilegierten Zugang zu solchen Informationen. Er war nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht irgendwo "im Ausländerbereich" der TU tätig. Vielmehr hatte er nach dem Abschluss der Hochschulausbildung zum Berufsschullehrer für Elektrotechnik begonnen, als Wissenschaftsangestellter in der allgemeinen Studienberatung der TU Berlin für Ingenieurstudiengänge zu arbeiten. Er beriet u. a. Schüler, die sich die genannten Studiengänge interessierten und Studenten, die Schwierigkeiten mit dem Studium hatten. Ausländer waren nicht Ziel der Studienberatung, da sie durch eine spezielle Studienberatung betreut wurden. Erst lange Zeit nach der Anschläge 1986/1987, nämlich im Oktober 1989 wechselte Herr Borgmann in das Ausländeramt der TU Berlin.

3.) Am 30. Oktober 2000 klagte die Bundesanwaltschaft den Beschwerdeführer wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und zweimaligen Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion an. Der Anklagesatz wird als Anlage 7 in Kopie beigefügt.

Am 22.03.2001 begann die bis heute andauernde Hauptverhandlung vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin. Zu Beginn der Hauptverhandlung beantragte der Unterzeichner die Einstellung des Verfahrens wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses gemäß § 260 Abs. 3 StPO. Die Beweiserhebung habe bereits im Vorverfahren und damit nicht im kontradiktorischen Verfahren stattgefunden. Der Umgang mit dem Kronzeugen verletze darüber hinaus die Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten. Damit sei insgesamt der Fair-Trial- Grundsatz der deutschen Strafprozessordnung, der deutschen Verfassung und der EMRK verletzt. Der Einstellungsantrag wird in Kopie als Anlage 8 beigefügt.

4) Aufgrund verschiedener Umstände kam es während der laufenden Hauptverhandlung immer wieder zu Verzögerungen, die nachfolgend geschildert werden und für die sämtlichst gilt, dass sie von dem Beschwerdeführer und seinen Mitangeklagten nicht zu vertreten waren. Es wurde zunächst an vier Tagen verhandelt, vom 22.03.2001 bis zum 12.04.2001, dann wurde die Hauptverhandlung für 2 Monate bis zum 17.05.2001 ausgesetzt, weil das Verfahren des Beschwerdeführers mit einem gegen den nunmehrigen Mitangeklagten Rudolf Schindler geführten Strafverfahren verbunden wurde.

Die Verteidigung führte zur Haftfrage in diesem Zusammenhang im Schriftsatz vom 11.04.2001 aus:

Im Gegensatz zu den mündlichen Ausführungen der Bundesanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom 05.04.2001 ist die Verteidigung allerdings der Auffassung, dass sich mit einer Verbindung des Verfahrens die Sachlage noch einmal grundlegend geändert hat....

Die Bundesanwaltschaft versäumte es, den gesondert Verfolgten Rudolf Schindler gemeinsam mit den hiesigen vier Angeklagten - Anklageschrift vom 30.10.2000 - anzuklagen. Dies wäre ohne weiteres möglich gewesen. Das Verfahren hätte zu einem späteren Zeitpunkt eingestellt werden können, wenn absehbar gewesen wäre, dass eine Verurteilung in Frankfurt am Main erfolgen wird. Stattdessen hat man ... bis zum Ende gepokert und versucht, die verschiedenen Gerichte gegeneinander auszuspielen. Erst als der Freispruch gegen durch das Landgericht Frankfurt am Main erfolgte, wurde Rudolf Schindler angeklagt.

Dies alles geschah bei voller Kenntnis des Sachverhalts auf Seiten der Bundesanwaltschaft seit Frühsommer 2000. Dabei tut es nichts zur Sache, dass dem 1. Strafsenat diese Verzögerungen des Verfahrens nicht vorzuwerfen sind. Jedenfalls die Angeklagten haben eine weitere Verzögerung der Hauptverhandlung nicht zu vertreten. Im Endeffekt geht es auch nicht nur um einen Monat, den das Verfahren jetzt ausgesetzt werden müsste. Es geht vielmehr darum, dass die Hauptverhandlung von vorne beginnen müsste und letztlich also zwei Monate für die Angeklagten verloren sind. Wenn die Untersuchungshaft in den Augen des Senats vorher vertretbar und verhältnismäßig war, so ist sie es jetzt in keinem Falle mehr.

Das Kammergericht setzt sich über diese Bedenken hinweg, wie aus dem als Anlage 8 beigefügten Beschluss vom 12.04.2001 hervorgeht. Der Bundesgerichtshof verwirft die dagegen gerichtete Beschwerde (Anlage 9) durch Beschluss vom 23. Mai 2001 (Anlage 10).

Am 17.05.2001 kam es zum Neubeginn der Hauptverhandlung. Vom 20.07.2001 bis zum 17.08.2001 war eine Sommerpause angesetzt. Am 17.08.2001 wurde das Verfahren fortgesetzt. Nach der Sommerpause kam es zu weiteren enormen Verzögerungen, die im einzelnen der Beschwerdeschrift vom 29.10.2001 zu entnehmen sind. Es tauchten elf Stehordner zusätzliches Aktenmaterial sowie knapp 1.000 Kassetten von Telefonüberwachungsmaßnahmen auf, die zuvor von der Bundesanwaltschaft und vom Bundeskriminalamt verschwiegen und der Verteidigung vorenthalten worden waren. Dies führt zu zahlreichen Anträgen und prozessualen Auseinandersetzungen innerhalb der Hauptverhandlung.

Im Schriftsatz der Verteidigung vom 29.09.2001 (als Anlage 11 beigefügt) heißt es dazu:

"Um den Sachverhalt kurz zusammenzufassen: Erst während der laufenden Hauptverhandlung erfuhr die Verteidigung von der Existenz weiterer Protokolle von Telefonüberwachungen diverser Anschlüsse des Kronzeugen Mousli sowie mit ihm in Kontakt stehender Personen für die Zeit vom November 1998 bis Mai 1999. So wurden der Verteidigung Ende August 2001 insgesamt elf Stehordner mit Telefonüberwachungs-protokollen von der Generalbundesanwaltschaft nachgereicht. Aufgrund der sich aus den nachgereichten Ordnern ergebenen Erkenntnissen beantragte die Verteidigung des Angeklagten Glöde in der Hauptverhandlung vom 13.09.2001 Akteneinsicht in sämtliche TÜ-Protokolle der ab dem 07.09.1999 durchgeführten TÜ-Maßnahmen und der dazugehörenden 955 Kassetten. Dabei ist hervorzuheben, dass die Verteidigung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Kenntnis von den entsprechenden Anträgen der Bundesanwaltschaft und den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs zur Überwachung der Anschlüsse des Mousli sowie der mit ihm verbundenen weiteren überwachten Person hatte. Aufgrund des Umfanges des erst während der Hauptverhandlung bekannt gewordenen Materials beantragte die Verteidigung die Aussetzung des Verfahrens. Die rechtlichen und tatsächlichen Probleme des neu aufgetauchten Beweismaterials nahm weite Teile der nach dem 13.09.2001 durchgeführten Beweisaufnahme in Anspruch. Vor allem wich der Senat ab dem 27.09.2001 von seinem ursprünglichen Vorhaben, zunächst die Entstehungsgeschichte der Aussage des Kronzeugen Mousli in der Hauptverhandlung nachzuvollziehen und sodann den Mousli zu allen relevanten Verfahrenskomplexen zu vernehmen, um dann der Verteidigung Gelegenheit zu Fragen zu geben, ab."

Erst am 03.01.2002 konnte der Zeuge Mousli erneut in der Hauptverhandlung vernommen werden. Innerhalb von fünf Hauptverhandlungstagen hatte erstmals die Verteidigung Gelegenheit zur zusammenhängenden Befragung des Zeugen Mousli, bevor am 25.01.2002 die Hauptverhandlung aufgrund der Erkrankung eines der Richter, erneut bis zum 15.02.2002 ausgesetzt wurde.

5.) Aufgrund der geschilderten prozessualen Ereignisse und Verzögerungen des Verfahrens hatte die Verteidigung des Beschwerdeführers in der laufenden Hauptverhandlung mehrfach beantragt, den Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer aufzuheben, ihn hilfsweise gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Es erging der angefochtene Haftfortdauerbeschluss des Kammergerichts Berlin vom 25.09.2001. Der Beschwerdeführer legte dagegen Beschwerde mit Schriftsatz vom 29.10.2001 ein, die als Anlage 12 in Kopie beigefügt wird. Diese wurde durch den angefochtenen Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 20.12.2001 verworfen. Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde ein (Anlage 13), die durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 04.03.2002 als offensichtlich unbegründet verworfen wurde. Am 12.02.2002 wurde der Beschwerdeführer aus "humanitären Gründen" gegen die Zahlung einer Kaution von 50.000 Euro und gegen weitere Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Haftverschonungsbeschluss des Kammergerichts vom 11.02.2002 wird als Anlage 15 in Kopie beigefügt. Grund für die Haftverschonung war ein Skiunfall seines Ziehsohnes, der zunächst mehrere Wochen im Koma lag und seitdem pflegebedürftig ist. Seit seiner Haftentlassung hat der Beschwerdeführer jeden gegen ihn anberaumten Gerichtstermin pünktlich wahrgenommen und auch alle weiteren Auflagen erfüllt.

II. Zulässigkeit der Beschwerde

1. Der innerstaatliche Rechtsweg ist erschöpft. Der Beschwerdeführer hat alle innerstaatlichen Rechtsmittel eingelegt, inklusive der Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Zwar ist das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer noch nicht abgeschlossen und der Haftbefehl gegen ihn besteht noch, ist lediglich außer Vollzug gesetzt worden. Doch kann ihm nicht zugemutet werden, wiederholt Haftbeschwerden einzulegen, wenn der Instanzenweg einmal erschöpft ist ( vgl. Frowein/Peukert, Artikel 26, Rn. 15). Der Beschwerdeführer wendet sich im Rahmen dieser Beschwerde nur insoweit gegen den Einsatz eines Kronzeugen, als dass dieser als einziges Beweismittel zur Begründung seiner andauernden Inhaftierung diente. Insoweit jedenfalls ist der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft.

2. Die Sechsmonatsfrist des Artikel 26 EMRK ist ebenfalls gewahrt. Das am 04.03.2002 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wurde dem Beschwerdeführer am 11.03.2002 zugestellt.

III. Begründetheit der Beschwerde

Verletzte Normen:

EMRK, Artikel 5, Freiheit der Person:

"1. Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden: ... c) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Tatverdacht dafür besteht, dass der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat, oder begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern; ...

3. Jede nach der Vorschrift des Abs. 1 c dieses Artikels festgenommene oder in Haft behaltene3 Person muss unverzüglich einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Es hat Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.

4. Jedermann, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen, hat das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird.

5. Jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, hat Anspruch auf Schadensersatz."

EMRK, Artikel 6, Verfahrensgarantien:

"Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und parteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muss öffentliche verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.

2. Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

3. ...

d. Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken; ..."

Der Beschwerdeführer vertrat - wie bereits oben zum Sachverhalt ausgeführt - seit Beginn der Inhaftierung am 19.04.2000 die Auffassung, dass 1. kein dringender Tatverdacht gegen ihn bestehe, da auf die Aussagen des Kronzeugen alleine ein solcher nicht gestützt werden dürfe, und 2. kein Haftgrund, insbesondere keine Fluchtgefahr, vorliege. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens und insbesondere seit Beginn der Hauptverhandlung am 21.03.2001 hielt er 3. die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft für rechtswidrig, weil der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verletzt worden sei. Spätestens in den angefochtenen Beschlüssen werden die Rechtsverstöße von 1. - 3. deutlicher, da sowohl hinsichtlich des Tatverdachtes als auch der Annahme einer Fluchtgefahr angesichts der langen Untersuchungshaftdauer strengere Kriterien gelten und sich dies auch in den Begründungen der Gerichte in den Haftfortdauerentscheidungen niederschlagen muss, was 4. jedoch nicht der Fall war.

Bezüglich aller Beschwerdepunkte werden die als Anlage beigefügten Schriftsätze zum Inhalt der Begründung gemacht.

1) Fehlender dringender Tatverdacht und fehlendes kontradiktorisches Verfahren, Art. 5 Abs. 1 c) und Abs. 3, 6 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 d) EMRK

Von der Einleitung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer im Januar 2000 bis zu seiner Inhaftierung im April 2000, von der Anklageerhebung im September 2000 bis zur derzeit laufenden Hauptverhandlung hat der Beschwerdeführer von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und sich mit Hilfe seiner Verteidiger gegen die Tatvorwürfe verteidigt, einziges Beweismittel gegen ihn war und ist die Aussage des Kronzeugen Tarek Mousli.

Die rechtlichen Bedenken aus deutschem Strafprozess- und Verfassungsrecht sowie europäischen Recht sind vor allem in dem Schriftsatz vom 05.06.2000 sowie in dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens zu Beginn der Hauptverhandlung am 21.03.2001 niedergelegt worden.

Im Rahmen der hiesigen Beschwerde nach Artikel 25 EMRK wird insoweit ausdrücklich eine Verletzung des Artikel 5 Abs. 1 c) und Abs. 3 EMRK gerügt. Nach dieser Vorschrift muss ein hinreichender Tatverdacht (reasonable suspicion) vorliegen. Maßstab ist dabei das Vorhandensein ausreichender objektiver Tatsachen (vgl. die bei Kühne/Esser, Strafverteidiger 2002, S.383 ff., S. 385 zitierte Rechtsprechung). Zum Zeitpunkt der Festnahme mag der Grad des Tatverdachtes und der Anspruch an die Qualität der Beweismittel niedriger sein. Im vorliegenden Fall waren die Ermittlungen seit Sommer 2000 abgeschlossen, die Anklage im September 2000 erhoben worden und die Haftentscheidung des Bundesverfassungsgericht erging nach knapp 23 Monaten Untersuchungshaft. Weitere objektive Beweismittel, die neben der Kronzeugenaussage den Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer stützen, wurden weder im Verlaufe des Ermittlungsverfahrens noch in der laufenden Hauptverhandlung vorgelegt.

Damit liegt ein Verstoß gegen die vom EGMR im Falle Labita./. Italien (Urteil vom 06.04.2000) aufgestellten Prinzipien vor. Dort heißt es u.a.

"153. The persistence of reasonable suspicion that the person arrested has committed an offence is a condition sine qua non for the lawfulness of the continued detention, but after a certain lapse of time it no longer suffices.

155. However, for there to be resonable suspicion there must be facts or information which would satisfy an objective observer that the person concerned may hafe committed an offence.

157. The Court is conscious of the fact that the cooperation of pentiti is a very important weapon in the Italian authoroties ' fight against the Mafia. However the use of statements by pentiti does give rise to difficult problems as, by their very nature, such statements are open to manipulation and may be made purely in order to obtain the advantages which Italian law affords to pentiti, or for personal revenge. The sometimes abiguous nature of such statements and the risk that a person might be accused and arrested on the basis of unverified allegations that are not necessarily disinterested must not, therefore, be underestimated.

158. For these reasons, as the domestic courts recognise, statements of pentiti must be corrobated by other evidence. Furthermore, hearsay must be supported by objective evidence..

159. That, in the Court's view, is especially true when a decision is being made whether to prolong detention pending trial. While a suspect may validly be detained at the beginning of proceedings on the basis of statements by pentiti, such statements necessarily become less relevant with the passage of time, especially where no further evidence is uncovered during the course of the investigation. "

Im vorliegenden Fall kommen nicht nur diese vom EGMR aufgestellten Grundsätze zum Tragen, vielmehr haben die Ermittlungsbehörden mit dem Kronzeugen Mousli in einer Art und Weise gearbeitet, die den Anspruch des Beschwerdeführers auf ein kontradiktorisches Verfahren, Art. 6, insbesondere Abs. 3 d) EMRK verletzt. Im einzelnen wurde die Verfahrensweise in dem Einstellungsschriftsatz vom 21.03.2001 dargestellt. Dort war auch begründet worden, warum dieses Prinzip verletzt ist, obwohl der Kronzeuge in der Folge in der Hauptverhandlung in Anwesenheit der Angeklagten, unter ihnen der Beschwerdeführer, und durch die Verteidigung vernommen worden war. Jedoch wurden in der Hauptverhandlung nur die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nachvollzogen, auf dessen Ergebnisse weder der Beschwerdeführer noch seine Verteidiger Einfluss nehmen konnten. Damit kann der Beschwerdeführer sein Recht auf einen adversatorischen Prozess zwar formal ausüben, das für ein faires Verfahren grundlegendes Recht ( vgl. zuletzt EGMR Fall P.S. gegen Bundesrepublik Deutschland, Urteil vom 20.12.2001 in Strafverteidiger 2002, S. 289ff. : Nr. 21 " Alle Beweise müssen normalerweise in einer öffentlichen Verhandlung im Beisein des Angeklagten erhoben werden, ..."): ist jedoch durch die Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden seiner Substanz beraubt worden.

2. Kein Haftgrund, insbesondere keine Fluchtgefahr, Art. 5 Abs. 3 EMRK

Schon bei der Festnahme am 19.04.2000 lagen keine Haftgründe und insbesondere keine Fluchtgefahr vor. Insoweit wird auf die als Anlage beigefügten Schriftsätze der Verteidigung verwiesen. Dort war immer wieder betont worden, dass die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten teilweise bis zu 15 Jahre zurücklägen, die angebliche terroristische Vereinigung sich spätestens 1995 aufgelöst, der Beschwerdeführer ein nicht vorbestrafter Familienvater in gehobener Position bei der Universität ist und die konkrete Straferwartung nicht so hoch sei. Darüber hinaus war immer wieder von der Familie des Beschwerdeführers eine Kaution angeboten worden. Nach den Kriterien des Gerichtshofes müssen die Gründe mit zunehmender Untersuchungshaftdauer immer stärker werden, um die Haftfortdauer zu rechtfertigen. Dies ist im vorliegenden Falle nicht gegeben. Deswegen liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK vor.

3. Verstoß gegen Beschleunigungsgrundsatz, Art. 6 Abs. 1 EMRK

Insbesondere in den Schriftsätzen vom 11.04.2001, vom 20.04.2001, vom 29.09.2001, vom 29.10.2001 und schließlich vom 01.2002 war von der Verteidigung im einzelnen dargelegt worden, dass vor allem seit Beginn der Hauptverhandlung am 21.03.2001 gegen den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verstoßen worden ist, ohne dass in den Haftentscheidungen der Gerichte hierauf reagiert worden wäre.

4. Verstoß gegen das Begründungserfordernis bei Haftfortdauerentscheidungen, Art. 5 Abs. 3 und 4, Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK

Die unter 1. - 3. vorgetragenen Verstöße kulminieren in der Verletzung der vom Bundesverfassungsgericht und der strafrechtlichen Obergerichte (vgl. dazu die Verfassungsbeschwerde) und vor allem vom EGMR aufgestellten Grundsätze zu den Begründungsanforderungen bei Haftentscheidungen bei zunehmender Untersuchungshaftdauer. Der Beschwerdeführer ist sich dabei der Rechtsprechung des Gerichtshofes bewusst, wonach die Angemessenheit der Haftdauer nicht abstrakt bewertet werden kann. Er rügt jedoch, dass die innerstaatlichen Gerichte nicht realisiert und dementsprechend nicht begründet haben, dass die Fortdauer einer Inhaftierung nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes nur gerechtfertigt ist, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein wirkliches Erfordernis von öffentlichem Interesse vorliegen , das ungeachtet der Unschuldsvermutung gegenüber der Regel der Achtung der persönlichen Freiheit gemäß Art. 5 der Konvention überwiegt (vgl. den bereits zitierten Fall Labita gegen Italien sowie den Fall Erdem gegen Deutschland m. w. N. ). Besonders eklatant ist die Verletzung des vom Gerichtshof aufgestellten Prinzips, dass stereotype Formulierungen, Wiederholungen und Bezugnahmen auf frühere Entscheidungen tunlichst zu vermeiden sind. Der Gerichtshof hat zuletzt in dem Urteil Erdem gegen Deutschland vom 05.07.2001 (abgedruckt in EuGRZ 2001, S.391 ff., vor allem Nr. 43 - 47) klargestellt, dass die Übernahme früherer Begründungen ohne Darlegung, ob neue Anhaltspunkte zur Rechtfertigung der Fortdauer der Haft, letztlich zu einer Verletzung des Art. 5 Abs. 3 EMRK führen.

 

Kaleck

Rechtsanwalt

Anlagen: 1 - 14

 

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