Plädoyer der Verteidigung Harald Glöde vom 8. Januar
2004
Dieses Plädoyer ist nicht darauf gerichtet diesen Senat mit
einer klassischen Verteidigungsrede davon zu überzeugen, daß
das einzige richtige Urteil gegen den Angeklagten Glöde Freispruch
lauten kann.
Schließlich wurden ca. 70 ausführliche Beweisanträge
und Erklärungen abgegeben.
Uns geht es um etwas anderes:
Wir werden uns in unserem Plädoyer damit beschäftigen,
ob dieser Prozeß nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführt
worden ist oder ob sich vielmehr die vollziehende Gewalt, also die
BAW und das BKA und die Rechtsprechung, also der Senat, nur auf
dem Papier an Gesetz und Recht gebunden fühlen.
Denn: steht nicht etwa die Verurteilung von Beginn dieses Verfahrens
an fest?
Die Trennung zwischen Judikative und Exekutive, die Unabhängigkeit
eines Gerichts, die Aufklärung und die Suche nach Wahrheit
, all das ist im politischen Strafprozeß außer Kraft
gesetzt.
Es wäre eigentlich die Aufgabe des Senats gewesen, die Hintergründe
der angeklagten Taten zum Gegenstand dieses Prozesses zu machen.
Wie an so vielem anderen ist das Gericht natürlich auch daran
nicht interessiert, so daß wir nun in diesem Hochsicherheitssaal
schlaglichtartig die politische Ausgangslage der 80er Jahre beleuchten
werden und zeigen, wie die bundesdeutschen Gerichte und Behörden
auf die politische Situation reagiert haben.
1.
Am 12.9.1980 putscht das Militär in der Türkei. Parlament
und Parteien werden aufgelöst. Der Ausnahmezustand wird ausgerufen.
Die Repression gegenüber der kurdischen Bevölkerung,
ebenso wie gegen linke Oppositionelle in der Türkei nimmt erheblich
zu. Die verhängten Strafen sind drakonisch.
Die Anwendung von Folter durch staatliche Kräfte gehört
zur regelmäßigen Praxis bei Festnahmen.
Der Militärputsch stand in voller Übereinstimmung mit
den Interessen der NATO.
Er fand statt, nachdem gerade am 11. September 1980 ein NATO-Manöver
mit 3.000 Soldaten in der Türkei begonnen hatte. Das westliche
Militärbündnis diente den Generälen als Deckmantel.
Als sofort nach der Machtergreifung Juntaführer Kenan Evren
betonte, die Türkei sei weiterhin loyales Vollmitglied der
NATO mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten, hielt es
das Bündnis nicht einmal für angebracht, die Übung
abzubrechen.
"Die werden dort schon keinen aufhängen", zitierte damals
der Spiegel(38/1980) ranghohe Offizielle im NATO-Hauptquartier in
Brüssel.
Deutschland schickte Anfang März des Folgejahres eine parlamentarische
Delegation in die Türkei, der auch Mitglieder der Regierungsfraktion
SPD angehörten.
Die Delegation spuckte den Opfern des Militärregimes regelrecht
ins Gesicht. Es gebe "kein diktatorisches Regime" und "keine systematische
Anwendung von Folter", befand sie. Dementsprechend fiel auch ein
Lagebericht des Außenministeriums vom 30. April 1981 aus,
auf dessen Grundlage die meisten Asylanträge von Flüchtlingen
aus der Türkei abgelehnt wurden.
Zu dieser Zeit hatte es nach damaligen Schätzungen in den
ersten sechs Monaten der Junta 123.000 politische Gefangene, eine
Vielzahl von Todesurteilen, 460 "Exekutionen" bei "militärischen
Operationen" und zudem mindestens 50 Tote gegeben, die in den Kerkern
des Regimes zu Tode gefoltert worden waren. In den entlegenen kurdischen
Provinzen Südostanatoliens, über die der damalige sozialdemokratische
Premierminister Bülent Ecevit schon zwei Jahre zuvor das Kriegsrecht
verhängt hatte, fanden Vergewaltigungen, Folterungen und Hinrichtungen
sogar manchmal öffentlich statt - zur Abschreckung. Die Militärs
verboten dort selbst den privaten Gebrauch der kurdischen Sprache,
kurdische Namen wurden ebenfalls verboten, Tausende kurdische Dörfer
und in einigen Fällen sogar Kinder wurden zwangsweise umbenannt.
Während gegen Kurden und andere (vermeintliche) Regimegegner
die Repression in unverminderter Härte andauerte, fällte
das Bundesverwaltungsgericht am 17.Mai 1983 unter dem Vorsitz von
Dr. Korbmacher folgendes Grundsatzurteil:
" Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG schützt nicht vor staatlichen
Exzessen jeder Art und auch nicht vor jeder Missachtung der Menschenwürde.
Hinzutreten müssen politische Motive des seine Macht missbrauchenden
Staatsapparats.
Der politische Charakter der Folter kann auch nicht damit begründet
werden, daß die innere politische Struktur eines Staates die
Wahrung der elementarsten Menschenrechte erfordere und jede Verletzung
dieser Struktur ipso iure politisch sei.
Folterungen kommen auch aus persönlicher Rachsucht, aus Sadismus
oder zur Sühne eines besonders verabscheuungswürdigen
Delikts vor. Sie lassen sich als menschenrechtswidrige Eingriffe
in keinem Fall rechtfertigen, ohne aber deshalb allein schon politischen
Charakter anzunehmen und damit einen Asylanspruch zu begründen."
Während inzwischen Tausende von Dörfern in den kurdischen
Gebieten dem Erdboden gleich gemacht wurden und die Verfolgung durch
den türkischen Staat nach der Gründung der PKK 1984 noch
intensiver geworden ist, verkündet derselbe 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27.5.1986 in einer weiteren Entscheidung mit Dr. Korbmacher als
Vorsitzendem:
"Der Umstand, daß systematisch zu Foltermaßnahmen
gegriffen wird, erweist sich aus dem Blickwinkel des Asylrechts
als unerheblich.
Systematisch in "üblicher Praxis" gegen jedermann
zur Erlangung eines Beweismittels angewandte Misshandlungen tragen
demgegenüber keinen politischen Charakter, weil die Betroffenen
nicht nach asylerheblichen Kriterien ausgewählt und nicht wegen
dieser Kriterien misshandelt werden.
Soweit das Berufungsgericht festgestellt hat, die eines Staatsschutzdelikts
Verdächtigen seien deshalb heftigerer Drangsalierung ausgesetzt,
weil sie sich durch derartige Maßnahmen nicht so leicht Geständnisse
und Aussagen abpressen lassen, führt zu keiner anderen rechtlichen
Beurteilung.
Die Ursache für ihre schlechtere Behandlung ist nicht die
Reaktion der Untersuchungsbehörden auf ihre Gesinnung oder
ihr Volkstum, sondern ihre "weit geringere Neigung" sich
auf diese "Mechanismen" (gemeint ist Folter, Anm. der
Verteidigung) in der Polizeihaft einzustellen und sich ihnen durch
ein Geständnis, durch die Weitergabe von Informationen oder
durch Unterwerfung unter militärische Disziplinaranforderungen
zu entziehen...
Den Sicherheitskräften geht es mit ihren Maßnahmen (gemeint
ist Folter, Anm. der Verteidigung) nicht darum, politische Straftäter
zu maßregeln, sondern sie an ihrem staatsgefährdenden
Tun zu hindern bzw. abzubringen- nicht zuletzt unter Einsatz körperlicher
Gewalt."
Das Bundesverwaltungsgericht leugnet den generellen politischen
Charakter von Folter und stellt sich damit sogar außerhalb
des Konsenses der internationalen Staatengemeinschaft.
Die Vereinten Nationen erklärten nämlich bereits 1975
folgendes:
"Folter ist staatliche Schmerzzufügung in der Absicht
der Geständnis- oder Aussageerpressung bzw. allgemeinen Einschüchterung.
Der Missbrauch monopolisierter Staatsgewalt zu derartigen Zwecken
macht den politischen Charakter der Folter aus."
2.
Es herrscht Krieg in Sri Lanka. 1983 finden zwischen dem 24. Juli
und 2. August Pogrome gegen die tamilische Bevölkerung statt,
ausgeübt von Singhalesen.
Der srilankische Staat verharrt mehrere Tage tatenlos. Nach Auskunft
der deutschen Botschaft habe Sri Lanka öffentlich Sicherheitsgarantien
für Tamilen abgegeben, ohne diese jedoch in die Tat umzusetzen.
Zahlreiche Tamilen fliehen und beantragen unter anderem in der
BRD Asyl.
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim bejahte zunächst eine
Gruppenverfolgung für Tamilen und hielt Übergriffe gegen
Tamilen für wahrscheinlich. Das Gericht stellte fest, daß
staatliche Stellen keinen ausreichenden Schutz gewährleisten
wollen oder können.
Die Berufung gegen diese Entscheidung führte am 3.Dezember
1985 zu einer weiteren Grundsatzentscheidung des 9.Senat des Bundesverwaltungsgerichts
unter Federführung des Vorsitzenden Dr. Korbmacher und unter
Mitwirkung der Richter Dr. Paul, Dr. Säcker, Dr. Kemper und
Dr. Bender:
"Im Jahre 1984 haben die Auseinandersetzungen zwischen den
ganz überwiegend aus Singhalesen bestehenden Sicherheitskräften
und der tamilischen Befreiungsbewegung seit den Offensiven der Separatisten
im März und November 1984 die Ausmaße eines Bürgerkrieges
erreicht. Die durch Überfälle sowie durch Minen- und Bombenanschläge
verunsicherten, häufig unter Alkohol stehenden staatlichen
Sicherheitskräfte reagieren mit unsystematischen Zerstörungen
an Häusern und Ortschaften sowie mit wahllosen Vergeltungsschlägen
gegen die tamilische Bevölkerung unter der eine hohe Anzahl
an Todesopfern zu beklagen ist. ...
Richtig ist... daß sich der Einsatz und die Maßnahmen
der Sicherheitskräfte im Norden des Landes gezielt gegen die
Angehörigen der tamilischen Bevölkerung richten.
Durch die Stationierung und den Einsatz der Sicherheitskräfte
reagiert Sri Lanka aber mit dem Ziel, seine staatliche Einheit und
seinen territorialen Bestand zu wahren.
Solche auf die staatliche Herrschaftssicherung gerichteten Maßnahmen
eines Staates stellen für sich allein genommen keinen Asylgrund
dar.
Die staatlichen Maßnahmen dienen nicht der Verfolgung der
Tamilen um ihrer ethnischen, personalen Merkmale willen, sondern
gelten ihnen deshalb, weil sie selbst oder ihre militanten Kampforganisationen
in ihrem Namen die Staatsgewalt aktiv bekämpfen.
Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es unterscheidet
zwischen den kämpfenden Bürgerkriegsparteien und der tamilischen
"Zivilbevölkerung" und daß jedenfalls die gegen
die Zivilbevölkerung gerichteten Maßnahmen der srilankischen
Sicherheitskräfte als rassistisch und damit politisch motiviert
anzusehen seien.
Die jeweils als Reaktion auf Angriffe und Terrorakte der tamilischen
Befreiungsbewegung erfolgenden Vergeltungsschläge sind im einen
wie im anderen Fall Teil der Bürgerkriegs-auseinandersetzungen.
Sie lassen sich auch dort nicht vom unmittelbaren Kampfgeschehen
trennen, wo die "Zivilbevölkerung" davon betroffen
ist.
Das gilt auch für besonders brutale Vergeltungsaktionen der
Sicherheitskräfte. Sie erscheinen zwar in ihrer Überreaktion
besonders verabscheuungswürdig, können aber allein wegen
ihrer Schwere einen Asylanspruch nicht begründen."
Für die rund 20000 Asylantragsteller in der BRD bedeutet dieses
Urteil das " Aus" für ihre Asylerkennung.
Widerstand regt sich jedoch sogar unter Richtern: Anfang November
1986 kritisierten während des Richterratschlages etwa 200 Richter
und Richterinnen heftig die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts:
"Der Begriff der politischen Verfolgung sei bis zur Unkenntlichkeit
verstümmelt angesichts der Rechtsprechung, daß Folter
nicht generell ein Asylgrund sei und tamilische Flüchtlinge
aus Sri Lanka nicht als Gruppe politisch verfolgt werden würden."[
Zitiert nach taz vom 5.11.1986 "Richterkritik an Ausländerpolitik"]
Sie appellierten an ihre Kollegen und Kolleginnen, dieser Rechtsprechung
nicht zu folgen.
3.
Stimmungsbilder aus dem Jahr 1986:
Der Sommer des Jahres 1986 stand unter einer beispiellosen Hetze
in den Medien gegen Flüchtlinge. Dazu gehörte die Notunterbringung
in Zelten aber auch die Jagd in U-Bahnen auf Libanesen, die schnell
zu einer Jagd auf alle nicht-deutsch Aussehenden wurde.
Das Wort "Asylant" wird salonfähig und in Verbindung,
mit "Asylantenströmen" und - "schwemmen",
die das gesamte Land und besonders West-Berlin überfluten,
zum einzigartigen Bedrohungsszenario ausgebaut. An allem ist dazu
noch die DDR schuld.
Einige Schlaglichter aus jenem Jahr:
BZ 19.7.1986
"Berlin, eine Zeltstadt - die ersten Proteste"
"Mit Spruchbändern und Unterschriftensammlungen protestierten
Neuköllner Anwohner und Sportler gegen das dritte Notzelt für
Asylbewerber: Feuerwehr und Technisches Hilfswerk errichteten gestern
die Unterkunft für 128 Menschen auf dem Fußballfeld an
der Walkenrieder Straße in Britz. Betroffen ist der Fußballverein
Union Südost.
"Wir wissen nicht, wo wir trainieren und spielen sollen, haben
Einnahmeverluste. Dabei gibt es in Neukölln viele Brachflächen,
wo das Zelt stehen könnte."
Sozialsenator Ulf Fink: Über 300 Asylbewerber sind bisher
im Juli nach Berlin gekommen. Wir müssen wahrscheinlich weitere
Zelte aufstellen. Die Bundesregierung muss dem massenhaften Missbrauch
des Asylrechts entgegentreten, abgelehnte Asylbewerber müssen
auch abgeschoben werden. Gegenwärtig bleiben 7 von 10 trotzdem
hier. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Dregger zog Wirtschaftssanktionen
der DDR in Betracht, wenn sie weiterhin die Asylanten ungehindert
nach Westberlin durchreisen lasse. Das Verhalten der DDR ist skrupellos."
Oder in der Berliner Morgenpost vom 16.7.1986 unter der Überschrift
"Was tun?" heißt es:
" Der Zustrom von Asylanten, die in ihrer Mehrzahl Wirtschaftsflüchtlinge
und eben keine politisch Verfolgten sind, schwillt unaufhörlich
an. In West-Berlin wird die Situation langsam aber sicher dramatisch.
Alle sagen, daß es so nicht weiter gehen kann....Nur eine
Änderung des Asylrechts kann wirklich Abhilfe schaffen."
Die taz führt am 19.9.1986 aus:
"Dreckiges Geschäft
Die DDR macht ihre Grenze "asylantendicht"
Ein schmutziges Geschäft ist gestern perfekt gemacht worden.
Jetzt streiten Regierung und SPD lauthals darum, wer bei dessen
Abwicklung die Finger am tiefsten im Dreck gehabt hat. Denn Ziel
dieses Geschäftes war es immerhin, die Bundesrepublik sauber
zu halten - sauber von "Fluten", "Strömen" und "Schwemmen"
meist dunkelhäutiger Menschen. Schon seit Monaten haben Flüchtlingsgruppen
befürchtet, daß die DDR nur noch auf ein angemessenes
Geldangebot von Seiten der Bundesrepublik warte, bevor sie - wie
gestern angekündigt - ihre Grenze nach Westberlin für
Asylsuchende "dicht" macht. Daß überhaupt mit der DDR
darüber verhandelt wurde, Asylsuchenden den mittlerweile fast
letzten Fluchtweg in die Bundesrepublik abzuschneiden, ist schlimm
genug. Daß hierbei Menschen in Not gegen einen Milliardenkredit,
ein Umweltschutzabkommen oder ein Kraftwerk ausgepokert wurden,
zeugt von dem Zustand gesamtdeutscher politischer (Un)Kultur, daß
sich aber jetzt die Parteien noch darüber streiten, wer von
ihnen sich zu dieser Unmenschlichkeit beglückwünschen
kann, ist schlichtweg widerlich.
Und am lautesten in diesem Chor schreien ausgerechnet die Sozialdemokraten:
"Wir warens! Johannes Rau heißt der Retter vor den Asylantenfluten".
Nein, selbstverständlich ist das Asylantenproblem für
die SPD kein Wahlkampfthema. Ihr Kandidat heftet sich bloß
gerade mal den Orden ans Jackett, die Nation von diesem "Problem"
erlöst zu haben. Und das angeblich alles ohne Gegenleistung
an die DDR, ganz umsonst also - bloß auf Kosten von ein paar
Menschen."[ Vera Gaserow, in: taz vom 19.9.1986, Seite 4]
Und in der taz vom 4.11.1986 findet sich:
"Abschiebehaft oder Fluchtburg Berlin?
"Lieber will ich sterben, als in den Libanon zurückkehren.
Denk an Kemal Altun, der sich aus dem Fenster gestürzt hat!"
Vieles klingt dramatisch und pathetisch, was sich die rund 40 Männer
an diesem Donnerstagabend in der kahlen Fabriketage der Alternativen
Liste im Berliner Bezirk Schöneberg aufgeregt zurufen. Immer
wieder muß der arabische Dolmetscher die aufgeregte Stimmung
beruhigen.
Aber das ist schwer, wenn die Situation beunruhigend ist.
Seit Berlin als erstes Bundesland die Aufhebung des einst vom Parlament
beschlossenen Abschiebestopps in den Libanon verabschiedet hat,
ist die Verunsicherung unter den 1.800 Libanesen und Palästinensern,
die bisher mit einer Duldung in der Stadt gelebt haben, stark angewachsen.
Als erste müssen die 410 offiziell in Berlin registrierten
Libanesinnen und Libanesen in den nächsten Wochen damit rechnen,
daß ihnen die Behörde die Ausreiseaufforderung ins Haus
schickt oder ihnen beim Gang zur Ausländerpolizei den Stempel
"Flugticket vorlegen" in den Paß drückt. Was soviel heißt
wie: entweder du besorgst dir "freiwillig" ein Ticket für den
Rückflug nach Beirut oder wir helfen deiner Rückkehr über
den Weg in die Abschiebehaft nach. Bis es in Berlin zu Abschiebungen
größeren Ausmaßes in den Libanon kommt, werden
voraussichtlich noch einige Wochen vergehen, denn erst muß
die Ausländerpolizei noch Ausreiseaufforderungen herausschicken,
Fristen setzen und etlichen Flüchtlingen auf diplomatischen
Wegen, die Berlins Innensenator jüngst ausgehandelt hat, gültige
Papiere verschaffen.
Dennoch hat Berlin schon jetzt Pilotfunktion.
Nachdem sich die Innenminister der Länder Anfang Oktober darauf
geeinigt haben, ohne Rücksicht auf humanitäre Gründe
Flüchtlinge künftig auch in Krisengebiete abzuschieben,
werden die ersten Abschiebungen in den Libanon nicht nur für
die politisch Verantwortlichen ein Testfall sein, sondern auch für
die, die mit politischem Druck und praktischer Hilfe doch noch versuchen
wollen, diese zwangsweisen Rücktransporte zu verhindern.
Ansätze zur Gegenwehr
Noch sehr mühsam und vorsichtig regt sich bei den Betroffenen
selber Widerstand. Ein Komitee von Libanesen und Palästinensern
hat sich gegründet...
Die Alternative Liste hat parallel zu dieser Betroffenen-Gruppe
jetzt eine großangelegte Kampagne unter dem Titel "Fluchtburg
Berlin - Keine Abschiebung in den Libanon" gestartet...
Skeptische Reaktionen
Jürgen Quandt, Pfarrer in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Gemeinde,
die seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert ist, reagiert
da eher skeptisch: "Es wird sicher möglich sein, in dem einen
oder anderen Fall wirkliche Hilfe zu leisten. Aber ich bin nicht
sehr optimistisch was die Veränderung des politischen Klimas
anbetrifft." [Vera Gaserow in: taz vom 4.11.1986, S. 5]
und am 24.11.1986 heißt es in der taz schon:
"Bei den politischen Parteien hat die "Fluchtburg-Kampagne"
Wirbel ausgelöst. Der ausländerpolitische Sprecher der
FDP, Lange, erklärte, Parlament und Justiz könnten solche
"eindeutigen Rechtsbrüche" wie das Verstecken von Flüchtlingen
nicht durchgehen lassen. Es müsse überprüft werden,
ob eine Partei wie die AL noch den "Schutz unserer Verfassung verdiene".
Von der evangelischen Kirche, die sich teilweise ebenfalls zur Aufnahme
von Abschiebungsbedrohten bereit erklärt hat, fordert die FDP,
sich klar von der "Fluchtburg- Kampagne" zu distanzieren.
Die Berliner Ausländerbehörde setzt indessen - wie zur
Begründung für die Kampagne - ihre Abschiebungspraxis
fort.
Letzte Woche holte sie einen aus dem Flüchtlingslager Shatila
stammenden jungen Palästinenser unter Vortäuschung eines
Gerichtstermins ab und setzte ihn sofort in ein Flugzeug nach Beirut.
Am Donnerstag steckte die Ausländerpolizei eine 26jährige
Libanesin in Abschiebehaft, die sich seit September in Berlin versteckt
hielt, und über deren Bleibeantrag die Menschenrechtskommission
am ersten Dezember beraten wollte."[ Vera Gaserow, in: taz
vom 24.11.1986, Seite 4]
Nun einige grundsätzliche Ausführungen, über was
für eine Art von Prozeß wir sprechen, eine Beschreibung
des politischen Strafprozesses
Zur politischen Justiz gehören nicht nur die klassischen Straftatbestände,
die im engeren Sinne politische Meinungsäußerung und
politische Gesinnung kriminalisieren, sondern auch die im allgemeinen
Strafrecht niedergelegten gewöhnlichen kriminellen Straftaten,
die aus einer politischen Motivation und mit einer politischen Begründung
begangen werden.
Sie werden regelmäßig mit dem § 129 a StGB ummantelt,
der eine Fülle von politisch motivierten negativen Sondermaßnahmen
auslöst.
Die Machthaber in einer rechtsstaatlichen Ordnung verfügen
über ein reichhaltiges Waffenarsenal zur Bekämpfung des
politischen Gegners: es reicht von der Beeinflussung der öffentlichen
Meinung bis zu polizeilichen Mitteln der striktesten Überwachung
und systematischen Schikane.
"Im politischen Prozeß wird das Räderwerk der Justiz
und ihre Prozessmechanismen um politischer Ziele willen in Bewegung
gesetzt..., gerichtsförmige Verfahren politischen Zwecken dienstbar
gemacht mit dem Zweck politische Gegner auszuschalten. Dazu kommt
die psychologische Wirkung politischer Prozesse auf die Bevölkerung"[
Kirchheimer, Otto, Politische Justiz, Frankfurt 1981, S. 85]
"In den sogenannten Terrorismusverfahren erfüllt die
Strafjustiz diese Kriterien in umfassender Funktion:
Sie ist Adressatin, Instrument und Verkünderin innerstaatlicher
Feinderklärung in einer Instanz und sorgt gleichermaßen
für die Aburteilung des politischen Gegners, der in den sogenannten
Terroristen unschwer auszumachen ist, sorgt für die Sonderhaftbedingungen
der Betroffenen, für Einschüchterung und Abschreckung
politisch unangepasster Individuen und Gruppen sowie für eine
gesellschaftliche Ideologie- und Konsensbildung im Sinne der politischen
Ordnung und der herrschenden Kräfte.
Insofern ist diese Justiz nicht lediglich eine spezifische Form
politischer Herrschaft, sondern in besonderem Maße Instrument
der Herrschaftssicherung und -legitimierung"[ Gössner,
Rolf, Das Anti-Terror-Sytem, Hamburg 1991, S. 92]
Ein politischer Terroristenprozeß sei dieses Verfahren nicht,
ließ die BAW verlauten.
Es mangele schon an dem absoluten Verfolgungswillen der Bundesanwaltschaft,
der ihr zwar von bestimmten Kreisen unterstellt werde, aber partout
nicht vorhanden ist und an den politischen Erklärungen der
Angeklagten, die ihnen vorgeworfenen Straftaten in einen politischen
Kontext zu stellen.
Eine öffentliche Darlegung oppositionellen Gedankengutes und
die Frage der Notwendigkeit und Legitimität von bewaffneter
Politik will die Bundesanwaltschaft gerade aus diesem Prozeß
heraus halten.
Daß es der Bundesanwaltschaft vielmehr um eine Entsolidarisierung
und um eine Entpolitisierung geht und zwar mit allen Methoden und
Mitteln, die das politische Strafrecht bereit hält, wird schon
an der Anklage und der Auswahl der Straftatbestände deutlich:
Welche Möglichkeiten standen der Bundesanwaltschaft zur Verfügung?
a)
Die einzelnen Anschläge anzuklagen, ohne die Klammer des Organisationsdelikts
§ 129 a StGB, hätte nicht ermöglicht, auch den Anschlag
auf die Siegessäule mit anzuklagen.
Angesichts der verjährten Körperverletzungsdelikte, wäre
bei einem solchen Vorgehen eine einfache Anklage beim Amtsgericht
in Betracht gekommen.
b)
Beim tatsächlich angewendeten § 129 a StGB versucht die
BAW nun diesen Paragraphen zu entpolitisieren und mangels Prozesserklärungen
der Angeklagten gleich den ganzen Strafprozess mit gewöhnlichen
kriminellen Taten gleich zu setzen. Über die Sondermaßnahmen
politischer Justiz wird dann einfach hinweggewischt und so schlimm
wie in den 70iger Jahren noch, ist es ja nicht mehr.
Ein politischer Prozeß kann daraus jedenfalls nicht abgeleitet
werden, meint die Bundesanwaltschaft.
c)
Aber warum hat die BAW eigentlich keine Anklage wegen Hochverrat
gewählt?
Ging es der RZ etwa nicht darum die gewaltsame Änderung der
verfassungsmäßigen Ordnung zu erreichen?
Eine vereinfachte Beweisführung und eine lebenslange Freiheitsstrafe,
mindestens jedoch 10 Jahre, wären die Folge. Wäre das
nicht wirklich attraktiv für die höchste Anklagebehörde?
Aber nein!
Das wäre gerade die Anerkennung der politischen Motivation
der Revolutionären Zellen und eine Anerkennung der Opposition
dieser Gruppe.
Aber gerade die Motive und die politischen Beweg- und Hintergründe
möchte die BAW nicht zum Gegenstand dieses Verfahrens machen.
Auch dieser Punkt unterscheidet dieses Verfahren von einem normalen
Strafprozess, in dem eine normale Staatsanwaltschaft die Hintergründe
für die Taten, für die sie einen Schuldspruch beantragt,
erörtert und mit einbeziehen müsste und auch würde.
Adolf Arndt, der Jurist und Anwalt humanitärer Demokratie,
sollte nicht Recht behalten als er 1961 schrieb:
"Wer einer Tat angeklagt ist, die sich aus politischer Überzeugung
gegen einen politischen Zustand richtet, kann auch für diesen
Sinn politisches Gehör beanspruchen ... Im Unterschied zu unfreien
Staaten wird es die Kraft des Rechtsstaates sein, daß er sich
selbst in Frage stellen lassen kann, weil er sich dem Recht und
der Wahrheit verpflichtet und sich seiner selbst gewiß weiß."
[zitiert nach Gößner, Rolf , Das Anti-Terror-System,
Hamburg 1991, S. 101]
Nicht die politischen Stellungnahmen der Angeklagten machen einen
normalen Strafprozess zum politischen Prozeß, indem sie es
sind, die den Hintergrund der angeklagten Taten zum Gegenstand des
Verfahrens erheben, vielmehr bestimmt der Staat durch eine Reihe
von gesondert geschaffenen Verfahrensregeln, Straftatbeständen
und einer Aufhebung der Gewaltenteilung, daß es ihm um einen
Prozeß gegen Staatsfeinde geht.
Das Wesen des politischen Strafprozess; was kennzeichnet ihn?
Vorweg etwas Staatsbürgerkunde:
Zu den zumindest schriftlich niedergelegten Grundprinzipien des
freiheitlich demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland
gehört unter anderem:
"Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."
Artikel 97 Absatz 1 Grundgesetz
Die Gewaltenteilung wird in den Artikeln 1 Absatz 3 und 20 Absatz
2 GG geregelt und gehört somit zu den unabänderlichen
Prinzipien.
Seit der klassischen Gewaltenteilungslehre, die vor allem auf den
englischen Philosophen John Locke (1632 -1704)und den französischen
Schriftsteller und Staatsphilosophen Charles de Montesquieu (1689
-1755) zurückgeht, wird unter Gewaltenteilung die Aufteilung
der staatlichen Gewalt in mehrere Gewalten verstanden, die sich
gegenseitig kontrollieren und beschränken und die von verschiedenen
Personen ausgeübt werden. Herkömmlich wird dabei zwischen
legislativer, exekutiver und judikativer Gewalt unterschieden.
In Art. 101 GG heißt es:
"Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem
gesetzlichen Richter entzogen werden."
Auch wenn dieser Artikel anknüpfte an die für politische
Strafverfahren zuständigen Sondergerichte der NS-Zeit wurde
tunlichst vermieden, diesen Sprachgebrauch in das Grundgesetz aufzunehmen.
In Absatz 2 heißt es: "Gerichte für besondere Sachgebiete
können nur durch Gesetz errichtet werden."
Schauen wir uns an, wie die Realität von "unabhängigen
Richtern, Gewaltenteilung und gesetzlichem Richter" in Verfahren
der politischen Justiz aussieht.
Gelten diese Grundsätze auch da oder stehen sie nur auf dem
- geduldigen- Papier?
Politisches Strafrecht wird geprägt von einem Sammelsurium
an unbestimmten Rechtsbegriffen und verschwommenen Wendungen:
"unterstützen", "sich einsetzen", "anleiten",
"befürworten"," "Bestrebungen", "die
Bereitschaft anderer fördern", "stören",
"Rädelsführer" "Hintermänner",
"Mitglieder", öffentlicher Friede" "Sicherheit",
"nach den Umständen geeignet" usw., Deliktskizzen
für die der ehemalige Bundesanwalt Wagner eine plausible Erklärung
gab:
Das Staatsschutzrecht habe
"Vorgänge und Erscheinungen zu erfassen, die ihrer Natur
nach keineswegs immer gegenständlicher, plastischer Art, sondern
virulent sind, und die daher auch nur schwer in die gewohnten, klar
umrissenen Formulierungen der Gesetzessprache gebracht werden können."[
Bundesanwalt Wagner, im Rechtsausschuß 1951, zitiert nach
Sebastian Cobler, "Die Gefahr gehr von den Menschen aus",
Seite 92]
Nicht jedes Gericht ist berufen, die "flüssigen Begriffe"
und "wertergänzungsbedürftigen Normen" auszulegen;
nicht irgendwelchen Feld-, Wald- und Wiesenrichtern wird die Aburteilung
dieser gravierenden Tatbestände überlassen.
Als "Bestandteil einer gesunden Rechtsordnung" liegen
sie vielmehr "in den Händen einer gewissenhaften, einer
zeitnahen, einer verantwortungsfreudigen und einer auserlesenen
Richterschaft", wie einer der Mitverfasser des politischen
Strafrechts während dessen Beratungen versicherte. [Rotberg,
Bundesjustizministerium ', "Verhandlungen des 38.Deutschen
Juristentages, Abteilung E," Tübingen 1951, E 73]
"Warum soll der deutsche Richter nicht auch bis zu einem gewissen
Grade teilhaben an der politischen Verantwortung, indem er in schöpferischer
Einfühlung in eine nicht immer vollkommen gefasste Norm aus
ihr die Erkenntnisse und Grundsätze entwickelt, die nun einmal
unter elastischer Anpassung an die jeweiligen Zeitbedürfnisse
das Mindestmaß an rechtlicher Sicherung gewährleisten."[
Bundesanwalt Wagner, im Rechtsausschuß 1951, zitiert nach
Sebastian Cobler, "Die Gefahr gehr von den Menschen aus",
Seite 92]
Gemeint sind die Richter der für die politischen Strafsachen
zuständigen Sondergerichte.
Bereits 1951 wurden nicht nur harmlose Kammern für Handelssachen
als Ausnahmegerichte eingerichtet, sondern aus Anlaß der Kommunistenverfolgung
Staatsschutzsenate zur Verfolgung politischer Straftaten eingeführt
- und dies in Kontinuität zu den Sondergerichten der NS-Zeit
- bis 1969 sogar direkt diesen Sondergerichten nachgebildet, denn
bis zu diesem Zeitpunkt, also fast 20 Jahre lang, gab es noch nicht
einmal eine Rechtsmittelinstanz.
Bundesanwalt Max Güde kommentiert 1961 die Sondergerichtsbarkeit
so:
"Die heutige politische Justiz judiziert aus dem gleichen
gebrochenen Rückgrat heraus, aus dem das Sondergerichtswesen
Hitlers zu erklären ist."[ in: Spiegel Nr.28/1961, Seite
25]
Nach § 74 a GVG ist die Verfolgung von Staatschutzdelikten
auf spezielle Kammern übertragen und sobald der Generalbundesanwalt
ermittelt bzw. es sich um § 129 a oder andere spezielle Staatsschutzdelikte
handelt, ist ein Staatsschutzsenat beim Oberlandesgericht - in Berlin
das Kammergericht - zuständig.
In der damaligen Debatte im Rechtsausschuss hieß es zur Begründung
für die Sondergerichte, daß damit gewährleistet
ist, daß in diesen Gerichten "geeignete und erfahrene
Richter sitzen, die für die sachgerechte Aburteilung eine besondere
Sachkunde" besitzen, wie sie nicht bei jedem Richter vorausgesetzt
werden kann". Durch diese Staatsschutzkammern - "eine
Aufgabe, die nicht jedem liegt"- soll garantiert werden, daß
die Rechtsprechung in diesem Sonderbereich zuverlässig ausfällt,
daß "Maßstäbe gesetzt" und "Erfahrungen
gesammelt" werden, um eine "Rechtszersplitterung, wie
sie sonst möglich wäre" zu vermeiden. Staatsschutzrichter
müssten sich "in besonderem Maße durch Staatstreue,
bedingungslose Unterwürfigkeit unter die Staatsinteressen etc.
auszeichnen."[ Aus den Debatten über die Einrichtung von
Sonderstrafkammern : v.Weber, "Das Strafrechtsänderungsgesetz"-
in: MDR 1951,645; Rotberg, Regierungsvertreter im Rechtsausschuß,
29.6.1951, S.2; O.Schwarz, "Zuständigkeitsfragen im Strafprozeß"
in: NJW 1956, 1305; Penner (SPD), Rechtsausschuß, 10.12.1975,
S. 2377, während einer Debatte um den § 88 a StGB)]
Um dieses Staatsinteresse, "zuverlässige" Entscheidungen
zu erhalten, in seiner Vollendung zu erreichen, hat der Generalbundesanwalt
die Möglichkeit, das Oberlandesgericht auszuwählen, das
dieses Interesse am besten befriedigt.
Der Generalbundesanwalt wird damit zum eigentlichen Herrn der politischen
Sonderjustiz.
Durch diese Konzentration auf eine Ermittlungs- und Anklagebehörde,
speziell zum Terrorismus eingerichtete Abteilungen beim BKA und
die handverlesenen Sondergerichte, die in den 3. Strafsenat beim
BGH zur revisionsgerichtlichen Überprüfung münden,
soll garantiert werden, daß das Ergebnis in diesem Sonderbereich
zuverlässig ausfällt.
Ich wiederhole noch einmal das Grundgesetz:
"Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."
"Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem
gesetzlichen Richter entzogen werden."
Glauben Sie immer noch alles was auf dem Papier steht über
die Unabhängigkeit der Judikative und die Unzulässigkeit
politischer Sondergerichten?
Der sozialdemokratische Politiker Ferdinand Lassalle schrieb 1862
über das Verfassungswesen:
"Wenn Sie in Ihrem Garten einen Apfelbaum haben und hängen
nun an denselben einen Zettel, auf den Sie schreiben: dies ist ein
Feigenbaum, ist denn dadurch der Baum zum Feigenbaum geworden? Nein,
und wenn Sie Ihr ganzes Hausgesinde, ja alle Einwohner des Landes
herum versammelten und laut und feierlich beschwören ließen:
dies ist ein Feigenbaum - der Baum bleibt, was er war, und im nächsten
Jahr, da wird sich's zeigen, da wird er Äpfel tragen und keine
Feigen. Ebenso wie wir gesehen haben mit der Verfassung. Was auf
das Blatt Papier geschrieben wird, ist ganz gleichgültig, wenn
es der realen Lage der Dinge, den tatsächlichen Machtverhältnissen
widerspricht."
"Im politischen Strafprozeß geht es nicht um Wahrheitsfindung,
sondern um die Ausschaltung des richterlichen Spielraums, die Verwandlung
des Richters in einen bloßen Handlanger des Justizapparats,
dies soll die sichere Garantie des Urteilsergebnisses erbringen."[
Kirchheimer, Otto, a.a.O.S. 615]
Die Normen des Staatsschutzrechts werden mit Hilfe verfahrensrechtlicher
Regelungen durchgesetzt, die den Ablauf politischer Prozesse ebenso
bestimmen wie deren Ausgang:
In der Regel ohne Zweifel gegen die Angeklagten.
Nun zu den Rahmenbedingungen dieses Verfahrens:
a)
Am 19.12.1999 wurden die jetzigen Angeklagten Eckle in Frankfurt,
Haug und Glöde in Berlin festgenommen und am nächsten
Tag dem Ermittlungsrichter in Karlsruhe vorgeführt.
Obwohl die Festgenommenen Haug und Glöde ihre Bezüge
ausschließlich in Berlin haben, wird Axel Haug in die JVA
Wuppertal und Harald Glöde in die JVA Düsseldorf gebracht,
beide in den jeweiligen Hochsicherheitstrakt bzw. eine Hochsicherheitszelle.
-Die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen ist nicht gestattet,
-23 Stunden am Tag sind die Gefangenen in ihrer Zelle eingeschlossen
bzw. können sich innerhalb des Traktes bewegen.
-Immer wieder finden überraschende Verlegungen der Gefangenen
in andere Zellen statt, während sie beim Hofgang sind. Das
schließt natürlich unkontrollierbare Durchsuchungen mit
ein.
Sie befinden sich in ständiger Überwachung und Kontrolle
jeglicher Handlungen und Bewegungen
-Besuche von Verwandten und Freunden finden mit Trennscheibe und
inhaltlicher Gesprächsüberwachung statt. Es sitzen BKA
Beamte dabei und schreiben mit und geben jedem Wort, was sie nicht
zuordnen können einen konspirativen Hintergrund.
Die ferne Unterbringung ist nur aus sogenannten Terroristenverfahren
bekannt.
Die Gründe sind darin zu sehen, die Allmacht der BAW zu demonstrieren,
die Verteidigung zu behindern und den Kontakt der Gefangenen zu
ihren Angehörigen und Freundinnen und Freunden zu erschweren
und die Aufwendungen an Geld und Zeit möglichst in die Höhe
zu treiben.
Weder familiäre Bindungen wie die in Berlin lebende Tochter
von Harald Glöde noch sonstige Argumente brachten die Bundesanwaltschaft,
deren Stellungnahme selbstverständlich wörtlich von dem
Ermittlungsrichter Dr.Wolst übernommen wurde, davon ab, zu
zeigen, wer das Verfahren führt und wer wie ein Staatsfeind
zu behandeln ist.
Aber die ferne Unterbringung hat noch einen anderen Zweck:
Sie dient der "Wahrheitsfindung", so der Ermittlungsrichter.
Gleichzeitig soll damit eine Separierung von einer als Bedrohung
wahrgenommenen Solidaritätsbewegung vollzogen werden.
b)
Normalerweise gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen
einer Verteidigung der ungehinderte Verkehr zwischen Verteidigung
und Beschuldigtem, das heißt:
der unüberwachte und unkontrollierte Zugang zum Inhaftierten
und der ebenfalls unbeschränkte Briefverkehr. Dazu gehört
auch die ungehinderte und unkontrollierte Übergabe von Verteidigungsunterlagen.
Der Hintergrund für diese Vorschrift ist, daß der Verteidiger
als Organ der Rechtspflege Vertrauen genießt, daß er
die ihm zu Verteidigungszwecken eingeräumten Rechte nicht missbraucht.
Anders jedoch verhält es sich in Strafverfahren wegen §
129 a StGB- inzwischen auch
§ 129 b StGB.
Die Übergabe von Verteidigungsunterlagen und der unkontrollierte
Postverkehr sind ausgeschlossen, denn ein Richter kontrolliert die
Post zwischen Inhaftiertem und Verteidiger.
Das grundsätzliche Vertrauen besteht automatisch nicht mehr,
sobald wegen § 129 a StGB ermittelt wird.
Die Verteidigung wird zum potentiell verdächtigen Komplizen
des Inhaftierten, und steht allein durch die Übernahme des
Mandats in dem Verdacht, mit dem Beschuldigten gemeinsam die terroristische
Vereinigung weiter zu führen.
Zwar soll der Zweck dieses schweren Eingriffs in die Beschuldigtenrechte
und die Rechte der Verteidigung - selbst nach der Gesetzeskommentierung
- verhindern, daß sich der in Haft Befindliche nicht weiter
für die Vereinigung betätigt, doch spielte weder für
die Bundesanwaltschaft noch für den Ermittlungsrichter eine
Rolle, daß selbst nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden
die Revolutionären Zellen schon lange nicht mehr existierten.
c)
Das Verfahren findet selbstverständlich in einem Hochsicherheitssaal
in Berlin - Moabit statt, mit Panzerglas gegen terroristische Angriffe
von außen, einem gesonderten Eingang für Zuschauer, deren
Ausweise kopiert werden und die weder eine Schachtel Streichhölzer
noch einen Kugelschreiber mit hinein nehmen dürfen. Die Durchsuchungen
sind entwürdigend. Schuhe sind auszuziehen und Haare, die über
eine Kurzhaarfrisur hinausgehen, werden auf Verdächtiges durchsucht.
Die Vorsitzende erlässt zu Beginn des Verfahrens eine Sicherheitsverfügung,
die bewaffnete Polizeibeamte im Saal mit einschließt.
d)
§ 129 a StGB und was ein solches Organisationsdelikt alles
möglich macht, nach dem Motto, man nehme ein bisschen linke
Gesinnung, etwas Kontaktschuld, dazu eine Prise Kollektivschuld
und kommt "widerspruchsfrei" zum Schuldspruch.
"Täter ist nach unserem Rechtsverständnis nur derjenige,
der das Delikt tatsächlich begeht. Was jemanden als Täter
strafbar macht, ist nicht seine böse Gesinnung, sind nicht
seine verwerflichen Ziele und Pläne"[ Roxin, Claus, in:
stern vom 10.9.1987, S. 74]
oder auch nach Karl Kraus (1905):
" Und siehe, der Mangel an Beweisen dafür, daß
Frau Klein gemordet hat, ward reichlich wettgemacht durch den Überfluß
an Beweisen für ihren unsittlichen Lebenswandel."
Da wird eifrig gesammelt am Gesinnungsbild der Angeklagten und
einem "who is who" der linken Szene. Wir beschränken
uns insoweit auf den Angeklagten Glöde:
-Internet Seiten aus Freilassung.de sollen verlesen werden über
aktuelle politische Äußerungen des Angeklagten Glöde
zu diesem Verfahren,
-seine politische Arbeit bei der "Forschungsgesellschaft Flucht
und Migration" wird als Verdachtsmoment eingeführt, denn
auch hier geht es um das Thema Flüchtlingspolitik in der BRD,
um so einen Bezug zur Flüchtlingskampagne der RZ in den 80er
Jahren herzustellen,
-da wird zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, daß
der Angeklagte Borgmann bereits Anfang der 70er Jahre mit dem Angeklagten
Glöde gemeinsam die Berufsschule besuchte und beide - verdächtigerweise-
gemeinsam bei der Firma "Krone" arbeiteten. Die RZ bekannte
sich zu einem Anschlag auf das Fahrzeug des Geschäftsführers
der Firma Krone 1974.
Es werden Listen von Mitgliederversammlungen der Kreuzberger Taxigenossenschaft
verlesen, da neben dem Angeklagten Glöde gleichzeitig Personen
anwesend waren, die der Kronzeuge dem Koordinierungsausschuß
und/oder den Revolutionen Viren zuordnet,
da wird eine Geldüberweisung von 500,- DM an Barbara von Werder
aus dem Jahre 1995 eingeführt, eine der Frauen, die der Kronzeuge
Mousli als Täterin des Anschlags auf das Gentechnische Institut,
Berlin im Oktober 1986 bezeichnet
eine Alt-Herren-Runde, die montagabends an einschlägigem Ort
im Mehringhof Bier trinkt, wird zum RZ-Treffen oder auch wahlweise
zum Koordinierungsausschuss
der Besitz von linker Literatur macht verdächtig und sogar
das Kinderbuch mit dem Titel "Rote Zora" wird beschlagnahmt
und verstärkt den Verdacht der abzuurteilenden Gesinnung
Können angesichts dieser Stimmungsbilder noch Zweifel an der
Mitgliedschaft von Harald Glöde in der RZ von 1989 bis 1995
bestehen und damit an seiner linken Gesinnung, die sich "widerspruchsfrei"
zusammenfügt mit der Beteiligung an Anschlägen der Vereinigung
RZ?
Für einen Staatsschutzsenat sicherlich nicht.
d) U-Haft schafft Rechtskraft
Hinter der lang andauernden Untersuchungshaft und ihrer besonderen
Ausgestaltung für Terroristen steht natürlich die Pflege
des Bildes von seiner Gefährlichkeit, verknüpft mit einer
entsprechend hohen Straferwartung im Falle der Nicht-Kooperation.
Gleichzeitig ist sie vorweg genommene Strafe für das feststehende
Urteil.
Diese unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft
diente der Aussageerpressung.
Die Belohnung für Kooperation, also Aussagen, folgte auf dem
Fuß. Dabei ging es weder um die Qualität der Einlassungen,
sondern lediglich um überhaupt irgendeine Erklärung, wie
sich an der Einlassung des Angeklagten Haug zeigt, der nicht einen
einzigen - nicht verjährten - Anklagevorwurf einräumte
und aus der Untersuchungshaft unverzüglich entlassen wurde
oder sogar bei Lothar Ebke, der -bisher-ohne jegliche Einlassung
nach nur etwas über drei Monaten Auslieferungs- und Untersuchungshaft
von der Haft verschont wurde.
Sieht man sich nun im nach hinein die Strafanträge der Bundesanwaltschaft
an, steht die verbüßte Untersuchungshaft in keinem Verhältnis
zur beantragten Strafhöhe. Harald Glöde hat bereits fast
zwei Jahre und fünf Monate abgesessen. Die BAW beantragte 2
Jahre 9 Monate.
"Im politischen Strafprozess geht es nicht um Wahrheitsfindung,
sondern um die Vernichtung von Feinden und die Rehabilitierung
von Freunden. Zwei durchaus gegensätzliche Verfahrensziele,
die mit ein und derselben Strafprozessordnung erreicht werden sollen.
Das setzt ein biegsames Recht und flexible Rechtsanwender voraus.
Wir haben beides."[ Heinrich Hannover, Terroristenprozesse,
Hamburg 1991, S. 17 ff.]
Wer den Gerichtssaal als Feind betritt, hat in der Regel nichts
zu hoffen, wer als Freund kommt, hat nichts zu fürchten.
Die Unterscheidung von Freund und Feind ist schon außerhalb
des Gerichtssaals getroffen. Entweder entspricht sie einem herrschenden
kollektiven Bewusstsein, oder sie ist durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit
interessierter Instanzen vorbereitet.
Wer als Feind und wer als Freund behandelt wird, ist durchaus unabhängig
von der Schwere des Verbrechens, das zur Anklage steht.
Die größten Verbrechen bleiben bekanntlich straflos,
da diejenigen, die sie begehen auch für ihre Definition zuständig
sind.
So wurde der Begriff Terroristen erst populär, als viele der
furchtbarsten Terroristen aller Zeiten erfolgreich durch die Maschen
des Gesetzes geschlüpft waren.
Ein kleiner Rückblick:
Am 20.12.2003 war der 40ste Jahrestag des Beginns des Auschwitzprozesses,
der als Wendepunkt in der deutschen Justiz im Umgang mit NS Verbrechen
gilt und den damaligen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer große
Anstrengungen kostete gegen den Unwillen der Frankfurter Anklagebehörde
und des Gerichts anzukämpfen.
Hier zur Erinnerung einige Zahlen:
Zur Dimension der Opferseite:
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (20. 12. 1963 bis 20. 8.
1965) behandelte ein Menschheitsverbrechen: Im Vernichtungslager
Auschwitz starben 965.000 Juden, 75.000 Polen, 21.000 Sinti und
Roma, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene, 15.000 sonstige Häftlinge.
Von Anfang 1942 bis November 1944 fuhren über 600 "Judentransporte"
aus fast ganz Europa ins Lager. Auf der Rampe selektierte die SS
die Deportierten. Der "Rampendienst" brachte den Beteiligten, meist
waren es Ärzte, "Sonderrationen". Direkt in die Gaskammern
getrieben wurden Frauen mit Kindern, Alte und Kranke, insgesamt
starben so 865.000 Juden. Ins Lager eingewiesen wurden 200.000 Juden.
Über die Hälfte überlebte die Haft nicht. Nach der
Auflösung des Konzentrationslagers im Januar 1945 kamen zehntausende
von Häftlingen auf Todesmärschen und in anderen Lagern
um.
Und nun zum Umgang der Justiz mit der Täterseite
Von den etwa 8000 SS-Angehörigen, die ihren Dienst in Auschwitz
versahen, wurden nur 45 vor deutsche Gerichte gestellt, insgesamt
vor - meist polnischen Gerichten- wurden nur etwa 1/10 also 800
von den SS-Angehörigen angeklagt.
Der Begriff des Terrorismus konnte nie allgemeinverbindlich definiert
werden.
Hinter dem vergeblichen Bemühen, eine Definition zu finden,
versteckt sich das Eingeständnis, daß der strafrechtliche
Zugriff eine eigenwillige Auswahl trifft.
Solange Verbrechen des Staates begangen werden, entschwinden sie
der "Kriminalitätswahrnehmung".
Was Kriminalität ist, ist eine Sache der Definition.
Auch "Terrorismus" und "Terroristen" ist eine
Sache der Definition. Vielfältige Versuche, Terrorismus allgemeingültig
zu definieren, sind gescheitert: Sie mussten scheitern, weil die
Inhaber der Definitionsmacht ihren eigenen Terrorismus selbstverständlich
ausklammern wollen.
Die Worte des Generalbundesanwaltes Rebmann auf der "Berlin
Conference on the Law of the World" in der Arbeitsgruppe Terrorismus
haben immer noch ihre Gültigkeit:
" International konnte bisher keine Einigung erzielt werden,
was unter dem Begriff Terrorismus zu verstehen ist. Bis heute ist
strittig geblieben, wo die Grenzen zwischen Terrorismus und kriegerischer
Auseinandersetzungen, Aggressionen, Aufständen oder gerechtfertigtem
Widerstand von Völkern und Volksgruppen zu ziehen sind."[
zitiert nach Heinrich Hannover, a.a.O Seite 18]
Was international nicht gelingen konnte, war jedoch im nationalen
Machtbereich kein Problem. Die Definition von Terrorismus war gleichbedeutend
mit der Aufgabe, den politischen Feind zu definieren.
Dazu gehören Richter, die wissen, wer damit gemeint
ist, wenn es heißt:
"Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für
politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben
und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden soll, insbesondere
durch schwere Straftaten, wie sie in § 129 a StGB genannt sind
(vor allem, Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Brandstiftung
und Herbeiführung einer Explosion."
Das Schlüsselwort, was die unterschiedliche Behandlung von
Freund und Feind ermöglicht, ist die freie Beweiswürdigung,
die vom Revisionsgericht praktisch nicht mehr überprüfbar
ist und für all das Raum im Urteil schafft, was der Begründung
des von Anfang an feststehenden Urteils dient. Es geht um die rein
formale Bestätigung der vorgegebenen Freund-Feind Unterscheidung.
Also muß die dazu passende Wahrheit hergestellt werden. Das
Mittel dazu bietet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung,
dem bei Bedarf durch gezielte Umgehungen und Außerkraftsetzung
aller Regeln der Strafprozessordnung nachgeholfen wird.
Im Feindprozess wird unterschieden zwischen den Zeugen der Anklage,
die diese bestätigen, um das von Anfang an feststehende Urteil
zu begründen und den Zeugen und Beweismitteln der Verteidigung.
Bei den ersteren spielt es keine Rolle, ob diese Zeugen die Unwahrheit
sagen. Es tut ihrer Glaubwürdigkeit keinen Abbruch- im Gegenteil:
Im Rahmen des Zauberwortes der "freien Beweiswürdigung"
wird wohlwollend interpretiert und freundlich und verständnisvoll
erklärt: Widersprüche und Unwahrheiten, in diesem Falle
als "kleinere Irrtümer" benannt; sie sind "nachvollziehbar",
ja machen die Aussage geradezu glaubhaft.
Da heißt es dann, wenn die Lüge doch zu offensichtlich
ist:
Der Zeuge hat sich geirrt, er war aber stets sichtlich um die Wahrheit
bemüht und hat - (nachdem eine bestimmte Aussage widerlegt
war) seine Aussage immerhin:
k o r r i g i e r t.
Es wird weiter im Urteil heißen, die Geschehnisse seien lange
her und es sei nur zu verständlich, daß die Erinnerung
daran, Fehlern unterliege.
Und wieder mit allem Wohlwollen, das dem zum Staatsfreund gewordenen
Kollaborateur zu teil werden kann, wird es heißen:
der Kronzeuge habe da etwas verwechselt. Sogar er selbst sprach
davon, daß die Erinnerung eben etwas "gepurzelt"
sei, was ja auch völlig normal ist in einem "fließenden
Prozeß". Außerdem sei sein Gedächtnis schlecht.
Ja, er fleht im Jahre 2000 förmlich darum, diesem schlechten
Gedächtnis kein Vertrauen zu schenken, doch dazu ist es zu
spät. Inzwischen sitzen fünf Personen bereits seit rund
sieben Monaten in Untersuchungshaft.
Und dokumentiert ist dieses Flehen des Kronzeugen natürlich
nur in den Gesprächen beim Verfassungsschutz, deren Inhalt
gerade nicht eingeführt und eigentlich nie ein Wort davon bekannt
werden sollte.
Nach diesem Aufwand mit über tausend Polizisten Sprengstoff
und Terroristen zu jagen, Jahren der vollzogenen Untersuchungshaft,
immensen Kosten für diesen Kronzeugen, kann man auch einem
noch so bettelnden Flehen nicht mehr folgen, ohne das eigene Staatsschutzgesicht
zu verlieren.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein illustres Beispiel dazu
geben:
Frage: Wie viele Pkw haben Sie geknackt?
Antwort: Zwei
Frage: Wann?
Antwort: Einen 1986 und einen 1987
Frage: Warum haben Sie das verwechselt?
Antwort: Das ist normal, ich habe einiges verwechselt
Dem Kronzeugen wird dann folgende Aussage vorgehalten
"Ich weiß mit absoluter Sicherheit, daß ich mit
Sigi einen Passat in Berlin-Zehlendorf, Nähe Unter den Eichen,
Parkplatz in der Nähe eines Studentenwohnheimes, klaute."
Antwort auf den Vorhalt: "Das habe ich mit Hollenberg verwechselt,
Meine heutige Erinnerung ist, daß wir das in Schöneberg
gemacht haben."
Bemerkenswert ist dabei einiges:
-Der plötzliche Ortswechsel, nachdem der Kronzeuge informiert
wurde, daß das Fahrzeug in der Bernhardstraße an der
Grenze zu Berlin Schöneberg entwendet wurde.
daß beide Orte etliche Kilometer auseinander liegen,
-die Behauptung, er habe es mit Hollenberg verwechselt- obwohl
das Tatfahrzeug bei Hollenberg nicht entwendet wurde, sondern gekauft.
Was gibt es also zu verwechseln?
Es ist das freundliche und wohlwollende Angebot des Senats, der
zur Ummantelung einer Lüge anbietet, das ganze "Verwechslung"
zu nennen.
Die Krönung ist aber vor allem die ursprüngliche Angabe
des Kronzeugen: "Ich bin absolut sicher"
Das Gericht hat wie immer: keine weiteren Fragen.
Die "absolut sichere" Lüge ist zur harmlosen "Verwechslung"
mutiert.
Die feinen Differenzierungen des Kronzeugen:
"Ich bin mir sicher",
"Ich bin mir ziemlich sicher",
"Ich bin der festen Überzeugung"
"Ich bin mir sehr sicher",
-"mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit"
oder manchmal auch etwas einschränkender:
"vermutlich"
"ich glaube"
"ich nehme an"
"meiner Ansicht nach"
"ich bin davon ausgegangen"
"meines Erachtens"
-"ich habe gehört"
Eindeutige Priorität in der Hauptverhandlung hatten allerdings
die Worte
"Es ist mir nicht mehr erinnerlich"
Ein weites Repertoire über das der Kronzeuge verfügt.
Die BAW lobt deshalb die Differenzierungsfähigkeit des Kronzeugen,
die Fähigkeit zu unterscheiden, in sichere und weniger sichere
Angaben.
Sollte man meinen, wenigstens der Angabe: "Ich bin mir absolut
sicher" könne man bedenkenlos folgen und auf solche Angaben
wenigstens eine Verurteilung stützen, zeigt sich bereits an
dem erwähnten Beispiel, daß die Angabe "Ich bin
mir absolut sicher, daß ich mit Sigi einen PKW in Zehlendorf
Unter den Eichen (als Fluchtfahrzeug für den Anschlag auf Korbmacher)
klaute." aber auch gar nichts wert ist und erst recht die scheinbar
große äußere Differenzierungsfähigkeit des
Kronzeugen jedenfalls nicht mit Inhalt gefüllt werden kann.
Doch auch das lässt sich im Rahmen der sogenannten "freien
Beweiswürdigung" hinbiegen:
"Verwechslung" hört sich immer gut an, und lässt
die Falschaussage verharmlosend in einem milden Licht erscheinen:
Eine Verwechslung ist nicht vorwerfbar und auch zu menschlich.
Nur: Der Senat hat bei seiner Hilfestellung bei der Frage: "Warum
haben Sie das verwechselt?" übersehen, daß es nichts
zu verwechseln gab:
zwischen einem gekauften PKW im Fall Hollenberg und einem an anderem
Ort entwendeten PKW im Fall Korbmacher.
Konsequenzen hat dies selbstverständlich nicht.
Die Beweisaufnahme wird zum Schein durchgeführt, um die bereits
feststehende Verurteilung mit einem rechtsstaatlichen Mantel zu
umgeben und die Aussage des Kronzeugen anklagegemäß zu
recht zu biegen, eben wirklich "frei zu würdigen- auch
wenn diese "freie Würdigung" außerhalb des
Rechts steht.
Aber es geht ja auch nicht um Wahrheitsfindung, sondern um die
Aburteilung von Staatsfeinden, mit Hilfe eines Staatsfreundes, der
es selber kaum fassen kann, daß er vom ehemaligen Feind zum
Freund mutieren konnte und ihm so jegliche Unterstützung zuteil
wird.
Kronzeugen haben ein tiefes Gespür dafür, welche Behandlung
dieser Staat für Staatsfeinde vorsieht.
1978:
Im Vernehmungsprotokoll des Kronzeugen Volker Speitel heißt
es, daß er befragt worden sei, ob er in irgendeiner Weise
durch Justizorgane oder durch die Polizei unter Druck gesetzt worden
sei, damit er Angaben mache. Nein, das sei nicht der Fall, erklärte
er, ihm seien auch keine Versprechungen gemacht worden. Und dann
heißt es wörtlich:
"Ich habe lediglich die Zusicherung eines fairen Prozesses
und darauf will ich mich berufen."
Also: Weder Druck noch Versprechungen, aber die Zusicherung eines
fairen Prozesses. Merkwürdig, diese Zusicherung einer Selbstverständlichkeit.
Jeder Angeklagte hat Anspruch auf ein faires Verfahren, nicht nur
der Kronzeuge.
Diese scheinbare Selbstverständlichkeit verrät ein Herrschaftswissen,
dem die Unfairness des gängigen Terroristenverfahrens bewusst
ist und statuiert die Ausnahmen für Überläufer, daß
für sie die Strafprozessordnung gilt, daß ihnen die im
Grundsatz des "fair trial" enthaltenen Mindestanforderungen
an ein rechtsstaatliches Strafverfahren zugute kommen sollen. Dies
ist die Tarnbezeichnung für Freundschaftsdienste, die den Begünstigten
von der terroristischen Feinderklärung ausnehmen. [Heinrich
Hannover, Terroristenprozesse, Hamburg 1991, S. 139]
Über zwanzig Jahre später, im Dezember 2000 ereignet
sich folgende denkwürdige Begebenheit:
Der Kronzeuge bittet nach seinem Verfahren und noch vor den Weihnachtsfeiertagen
um ein Gespräch mit dem führenden Ermittler Schulzke,
der inzwischen im Ruhestand ist. Also ein rein privates Treffen.
Der Kronzeuge bedankt sich bei Schulzke.
Auf die erstaunte Frage der Verteidigung an den Zeugen Schulzke
"wofür" sich Mousli denn bei ihm bedankt habe, antwortet
Schulzke:
"Dafür, daß er ein rechtsstaatliches Verfahren
bekommen hat. Davon ist er nicht ausgegangen."
So wie 1978 weiß auch der Kronzeuge unserer Tage, was der
Rechtsstaat der BRD für ihn als Staatsfeind eigentlich vorsieht
und ist deshalb dankbar überrascht.
Der "unabhängige" Staatsschutzsenat
a)
Bereits vor Beginn der Hauptverhandlung passiert der Vorsitzenden
ein kleiner faux pas:
Die bereits frühzeitig feststehende Grundhaltung, anklagegemäß
zu verurteilen, wird aus Unachtsamkeit Preis gegeben:
Rein zufällig begegnet die Vorsitzende in der Geschäftsstelle
des Kammergerichts einer Verteidigerin des Angeklagten Glöde
und schildert ihr die Schwierigkeiten in der Bewältigung der
Gestaltung der anstehenden Hauptverhandlung. Doch es bleibt nicht
bei der Erörterung allgemeiner Fragen des Aufbaus der Beweisaufnahme,
sondern die gesamte Hilflosigkeit gegenüber der Aktenfülle
und was hinter den Aussagen des Kronzeugen wirklich steckt, macht
sich dann Luft in den Worten
"Ihnen kann ja Ihr Mandant wenigstens helfen."
Die Vorsitzende meint also, der Angeklagte Glöde, der eigentlich
trotz andauernder Untersuchungshaft weiterhin als unschuldig gelten
sollte, könne offensichtlich seiner Verteidigung weiterhelfen,
die Interna der RZ aufzuklären.
Wie sich dann in den nächsten Jahren erwartungsgemäß
zeigt, setzt der Senat einzig und allein auf die BAW, deren Auftrag
es ist, eine Verurteilung um jeden Preis durchzusetzen und auf diesem
Wege dem Senat jede erdenkliche Hilfestellung bietet.
b)
Der Angeklagte Glöde ist ebenso wenig wie seine Verteidigung
bereit und in der Lage, "weiter zu helfen", sondern er
verteidigt sich klassisch: gegen die Anklage - ohne die Strategie
der "rupture", der Konfrontation nach Jacques Vergès
zu wählen.
Die klassische Strategie führt zwar nicht zu Ehrengerichtsverfahren
oder Kriminalisierung der Verteidigung, aber doch immerhin zur Kriegserklärung
der Bundesanwaltschaft ihr gegenüber - übrigens wenige
Tage nach dem 11.9.2001, der weltweiten Kriegserklärung gegenüber
dem Terrorismus, dem Bösen und den Schurkenstaaten.
Dieser "Krieg" dauert bis heute an und setzt sämtliche
bisweilen noch eingehaltenen Regeln außer Kraft.
In der Formulierung der Bundesanwaltschaft vom 6.10.2001 heißt
es parallel dazu:
"Mit einer solcherart agierenden Verteidigung sehen wir keine
gemeinsame Grundlage mehr. Die Bundesanwaltschaft hat in diesem
Verfahren bisher versucht, einen "Krieg" mit der Verteidigung
zu vermeiden, die Möglichkeit des Miteinander - Sprechens und
des professionellen Umgangs miteinander offen zu halten. Das jetzt
an den Tag getretene Verhalten mit dem Ziel einer "Totalvernichtung"
der bürgerlichen Existenz des Zeugen Mousli stellt eine Aufgabe
des notwendigen Minimums an Gemeinsamkeiten dar, zu denen wir auch
den Respekt vor der Person eines "Kronzeugen" zählen.
Wir werden hierauf entsprechend reagieren. Gehen Sie also davon
aus daß wir Versuche, Zeugen mit sachlich nicht gebotenen
und unfairen Mitteln persönlich zu demontieren oder Beweismittel
zu Propagandazwecken zu missbrauchen, mit allen zu Gebote stehenden
Mitteln verhindern werden.
Im übrigen werden wir unsere Kooperationsbereitschaft gegenüber
solcherart auftretenden Verteidigern auf das prozessrechtlich Unumgängliche
beschränken."
Zur Erinnerung :
Was war der Kriegserklärung vorausgegangen?
Die Verteidigung legte anhand der Zusammenfassung, noch nicht einmal
der wörtlichen Wiedergabe, eines bis kurz zuvor rechtswidrig
unterschlagenen Telefongesprächs dar, daß auch die nunmehr
überraschend zu Tage getretenen über 1000 Kassetten à
90 Minuten, Material, das aus unterschlagenen Telefonüberwachungen
stammte, immer noch unvollständig war und bis heute ist.
Doch die Kriegserklärung der BAW ist das eine. Die Nichtreaktion
des Senats das andere.
Obwohl der Angeklagte Glöde an die Fürsorgepflicht des
Senats appelliert und ihn auffordert, die BAW zur Mäßigung
anzuhalten, schweigt der gesamte Senat, macht sich damit die Kriegserklärung
zu eigen und setzt auch nach außen deutlich sichtbar die Identität
von Staatsanwaltschaft und Gericht fort.
c)
Steht bereits vor Beginn der Hauptverhandlung das Ergebnis fest,
ist nur konsequent, daß der Senat an einer Aufklärung
nicht interessiert ist.
Dies drückt sich aus an der immer wiederholten Frage der Vorsitzenden
an alle Zeugen:
"Und weiter?"
Noch nicht einmal eine gesunde Neugier legt der Senat an den Tag,
wenn der Kronzeuge die abstrusesten Geschichten erzählt. Nicht
einmal kritische Nachfragen werden an ihn gestellt.
Beweisanträge werden regelmäßig mit der wortwörtlich
übernommenen Begründung der Stellungnahmen der BAW abgelehnt,
da die "Aufklärungspflicht des Gerichts nicht gebietet,
dem Beweisbegehren nachzugehen.
Stellungnahme der BAW und Beschlussbegründung des Senats unterscheiden
sich lediglich in der Formatierung des Textes.
Das eigene Werk des Senats besteht in Einleitungs- und Schlusssätzen.
Ein unabhängiger Beobachter kann keinen Unterschied zwischen
der BAW und dem Gericht feststellen. Vielmehr ist es die BAW, die
dem Senat vorgibt, was zu tun ist.
Die Gestik der Vorsitzenden- den Kopf immer fragend zu ihrer linken
Seite gewandt- unterstreicht dies noch.
Ein kleines Beispiel zur Anschauung:
Der Senat beabsichtigt Texte zu verlesen, die unter der Web-Seite
www.freilassung.de veröffentlicht sind und als Autor Harald
Glöde bezeichnen.
Die Verteidigung widerspricht und hält eine Verlesung und
Verwertung für unzulässig, da die Urheberschaft der Texte
nicht nachvollziehbar ist.
Nachdem die Vorsitzende an ihrer Anordnung festhält wird ein
Gerichtsbeschluss beantragt.
Nach einer Pause wird die Verhandlung fortgesetzt. Die Vorsitzende
will gerade den Beschluß bekannt geben, daß die Verlesung
angeordnet wird, da meldet sich die Bundesanwaltschaft zu Wort und
schließt sich, wenn sie auch ungern "der Verteidigung
in die Bresche springt"- an diesem Punkt den Ausführungen
der Verteidigung an und widerspricht ebenfalls der Verlesung.
Das Gericht zieht sich erneut zur Beratung zurück und gibt
nunmehr bekannt, daß eine Verlesung nicht mehr beabsichtigt
ist.
d)
Der unbedingte Verurteilungswillen und die Befangenheit des Senats
wird auch an folgendem Haftfortdauerbeschluß deutlich:
Auf Seite 4 des Beschlusses vom 12.4.2001heißt es:
..."Trotz dieser Umstände haben die Angeklagten im Falle
ihrer Verurteilung angesichts der Schwere der hier vorgeworfenen
Taten und der gegebenen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn bzw.
15 Jahren zu rechnen. Dabei werden, soweit eine Tatbeteiligung nachgewiesen
werden kann, die an den Geschädigten Hollenberg und Korbmacher
verübten Körperverletzungen, obwohl diese Delikte bereits
verjährt sind, erschwerend zu berücksichtigen sein...."
Hinsichtlich des Angeklagten Glöde heißt es in der Anklageschrift
auf Seite 115:
"Durch die vom Landgericht Berlin in letzter Tatsacheninstanz
am 27.Februar 1989 erfolgte Verurteilung wegen Betruges (Teilnahme
an der "Postsparbuchaktion") ist die Strafklage hinsichtlich
der vor der Verurteilung liegenden mitgliedschaftlichen Betätigungsakte
verbraucht. Davon erfasst ist auch seine Teilnahme an dem am 1.September
1987 verübten Anschlag auf Dr. Korbmacher."
Dem Angeklagten Glöde kann also selbst im Falle einer nachgewiesenen
Tatbeteiligung an dem Anschlag auf Korbmacher nichts, aber auch
gar nichts erschwerend zur Last gelegt werden, da bereits Strafklageverbrauch
eingetreten ist.
Die Bundesanwaltschaft als Herrin des gesamten Verfahrens
-Waffengleichheit
Die Ermittlungsakten wurden durch die BAW nach eigenem Gusto vollständig
umstrukturiert, so daß der Gang der Ermittlungen nicht mehr
nachvollziehbar ist, jeglichen Manipulationen Tür und Tor geöffnet
ist, da niemand mehr erkennen kann, was alles im einzelnen fehlt.
Doch auch jede Manipulation hat Schwachpunkte und gelingt selten
perfekt.
Im Laufe dieses Verfahrens hat sich die Bundesanwaltschaft einen
zweifelhaften Ruf erworben: Sie ist Meisterin darin, unzählige
Akten und Ermittlungsvorgänge der Verteidigung vorzuenthalten
und bis heute zu unterschlagen.
Natürlich auch dem Gericht, nur daß der Senat daran
keinen Anstoß nimmt und nicht einmal aus seiner Fürsorgepflicht
den Angeklagten gegenüber, darauf hinwirkt, für Waffengleichheit
zu sorgen. Obwohl die BAW oftmals versicherte, keine weiteren Akten
zu haben, stieß die Verteidigung immer wieder auf fehlende
Aktenbestandteile.
Zur Begründung biegt sie das Recht auf Akteneinsicht bis es
zerbricht und behauptet, Akten, die nicht für dieses Verfahren
geschaffen wurden, unterliegen nicht der Akteneinsicht.
Die Auswahl jedoch, welche der in diesem Verfahrenskomplex geschaffenen
Ermittlungsvorgänge in den hiesigen Akten abgelegt werden und
welche unter anderen Aktenzeichen versteckt werden, trifft zuvor
die Bundesanwaltschaft ganz allein. Und kaum ist etwas mit einem
neuen Aktenzeichen ./. unbekannt versehen, gehört es nicht
mehr zu diesem Verfahren.
Aber der Senat lässt auch das mit sich machen, was natürlich
in einem Prozeß, in dem es nicht um Wahrheitsfindung und Aufklärung
geht, sondern darum, ein bereits feststehendes Urteil in den Deckmantel
eines ordentlichen Strafprozesses zu hüllen, nur konsequent
ist.
Das Urteil lässt sich mit oder ohne vollständige Akten
schreiben.
Bei den unterschlagenen Akten handelte es sich häufig um entlastende
Ermittlungen, die abgesondert wurden in sogenannten Strukturverfahren,
Ermittlungen, die die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen in Frage
stellen könnten bis hin zu originären Aussagen des Kronzeugen.
Einem normalen Strafgericht wäre schon längst der Kragen
geplatzt angesichts dieser unzähligen Unterschlagungen und
gleichzeitigen Beteuerungen, die Akten seien vollständig vorgelegt.
Die Hamburger Kammer im Fall Mzoudi hat nach den rechtswidrigen
Unterschlagungen von Entlastungsmaterial die richtigen Konsequenzen
gezogen und den Angeklagten sofort freigelassen, um sich nicht länger
an der Nase herum führen zu lassen.
Doch es ist nicht nur Desinteresse des Senats, oder daß es
sowieso schon zu viele Akten sind, sondern auch Hilflosigkeit gegenüber
der allmächtigen und das Verfahren führenden Bundesanwaltschaft.
So antwortete die Vorsitzende auf die Frage, warum sie denn nun
nicht endlich auf einer vollständigen Aktenvorlage bestehe
mit den Worten "Was soll ich denn machen?"
Es hätte Auswege gegeben, dem hohen politischen Druck zu entgehen:
Die Selbstablehnung.
Die Verteidigung beantragte bereits am 20.11. 2000 die Vorlage
sämtlicher TÜs und Wortprotokolle.
Mit Schreiben vom 2.2.2001 führt die Bundesanwaltschaft folgendes
aus:
"Die vom Bundeskriminalamt erstellten wörtlichen Protokollierungen
der Ferngespräche, die auf den von Tarek Mousli benutzten Anschlüssen
geführt worden sind, befinden sich in dem auch den Verteidigern
vorliegenden Band 20 der Sachakten. Darüber hinaus bestehen
keine weiteren Wortprotokolle der auf den von Tarek Mousli benutzten
Fernsprechanschlüssen geführten Telefonate"
Daß dies nicht der Wahrheit entspricht, ist inzwischen allgemein
bekannt.
Schließlich wurden zunächst 11 Stehordner mit weiteren
Wortprotokollen überreicht, aus denen sich Hinweise ergaben,
daß weitere TÜs vorhanden sind und die sodann in der
Vorlage von über 1000 Cassetten à 90 Minuten nebst weiterer
Protokolle in 23 Stehordnern mündeten.
Da die BAW diese TÜs für wertlos erachtet, folgt der
Senat dieser Auffassung natürlich ebenfalls. Die Beweisaufnahme
wird fortgesetzt, ohne daß die Verteidigung sich auf diese
riesigen Mengen weiteren Materials einstellen kann und ihre Strategie
darauf ausrichten kann.
All das ist zum Alltag im Staatsschutzprozeß geworden, einem
Prozeßalltag außerhalb des Rechts.
Die dritte Kraft im Hintergrund, die für das Gelingen des
Prozesses sorgt:
Der Verfassungsschutz
Welche Rolle der Geheimdienst wirklich gespielt hat, blieb bisher
auch in diesem Verfahren weitgehend im Dunkeln.
Die nur unvollständig vorgelegte und weiterhin geheim gehaltene
Einbürgerungsakte des Kronzeugen zeigt aber bereits, daß
alles was den Verfassungsschutz und den Kronzeugen seit Beginn der
80er Jahre betrifft, der Verteidigung vorenthalten wird.
Nur rein zufällig erhält Mousli am 20.11.1997 seine Einbürgerung,
nachdem er sich seit mindestens 1984 erfolglos darum bemüht
hatte.
Rein zufällig beginnen an diesem Tag angeblich erstmalig die
Ermittlungen mit einem Ferngespräch zwischen den Zeugen Möller
und Schulzke, in dessen Folge dann die wundersame Zuordnung des
Sprengstofffunds 1995 bei Slawinski zu den RZ überraschend
gelingt.
Die Aufklärung dieses Komplexes wird den künftigen Durchgängen
vorenthalten bleiben.
Bekannt wurden in diesem Verfahren nur sechs Gespräche des
Kronzeugen mit Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz
im Jahre 2000.
Der Inhalt ist allerdings bis heute weitgehend unbekannt und wie
immer sieht der Senat keinen Aufklärungsbedarf, um die Aussageentwicklung
des Kornzeugen nach zu verfolgen
Schließlich gehen die BAW und der Senat, der sich ihr anschließt
sogar so weit, das Verwaltungsgericht, das die Sperrerklärungen
aufgehoben hat, als inkompetent herabzuwürdigen und ihm eine
Kompetenzüberschreitung zu unterstellen.
Der blanke Hohn ist es, wenn die Ablehnung der Aussetzung am 4.7.03
mit der "Fürsorgepflicht gegenüber den Angeklagten
und der Gewährung eines fairen Verfahrens" begründet
wird. Als weiteres Argument wird die "Prozessökonomie"
herangezogen.
Nur die Wahrheitsfindung interessiert den Senat nicht.
Mit der Ablehnung der beantragten Aussetzung werden gerade eklatant
die Rechte der Angeklagten verletzt- nicht umgekehrt.
Aber offensichtlich sind dem Senat doch die Gesprächsprotokolle
ungeschwärzt bekannt, wenn er behauptet:
"Die Protokolle enthalten keine Vernehmungen des Zeugen Mousli
über Einzelheiten des hier maßgeblichen Tatgeschehens."
Gleichzeit wird eine Aussageentwicklung bei dem Kronzeugen geleugnet,
die sich sowohl dem Verwaltungsgericht als "unbefangenes"
Gericht so wie jedem Außenstehenden von selbst erschließt.
Dies ist um so mehr von Bedeutung als wesentliche Belastungen des
Zeugen vom Hörensagen stammen.
Dabei ist nicht das wesentliche, daß der Kronzeuge Hinweise
bekommt vom BfV und diese aufgreift.
Das ist eine Sache und entspricht jahrzehntelanger Praxis in der
Zusammenarbeit zwischen dem Verfassungsschutz und seinen "Mitarbeitern".
Eine kleine Szene dazu aus den Anfängen der siebziger Jahre
[zitiert nach Stefan Aust, in: "Hundert Blumen",
Seite 54 f.], die sich liest als wäre sie eben gerade
passiert:
Ulrich Schmücker zu seinen Gesprächen mit Verfassungsschützer
Rühl:
" Ich erzählte Rühl alles, was er meiner Meinung
nach hören wollte, alles, was ich mir in den vergangenen 1
½ Jahren zu Recht gelegt hatte. Ein Sammelsurium aus Angelesenem
und Hörensagen, aus frei konstruiertem und übertrieben
dargestellten Fakten, die Rühl überprüfen konnte
und solchen, die er mir selbst gegeben hatte und während des
Gesprächs gab. Ich hatte ihn so geil darauf gemacht zu hören,
was sein V-Mann in spe so alles wusste, daß er seine Skepsis
überwand und schluckte, was ich ihm vorsetzte."
Wenn Schmücker sich nicht mehr genau erinnern konnte, wenn
ihm Namen, Daten und Fakten fehlten, sprang Rühl helfend ein.
"Wie war das denn noch?"
Daraufhin packt Rühl ein paar mitgebrachte Aktenordner auf
den Tisch, die mit "VS vertraulich" gekennzeichnet waren.
Er blätterte und las Schmücker vor, was dieser vergessen
hatte. Dann legte Rühl Schmücker eine Liste mit sämtlichen
Sprengstoff- und Brandanschlägen von Herbst 71 bis Frühjahr
72 mit Datum, Ort, Zeit, Beschaffenheit der Bomben vor.
"Welche Anschläge gehen dabei auf das Konto der Bewegung
2. Juni?"
Schmücker antwortete so gut er konnte. Rühl gab ihm konkrete
Anhaltspunkte und Schmücker stellte die Zusammenhänge
her. Als die beiden mit ihrer Gemeinschaftsarbeit fertig waren,
packte Rühl die Schreibbogen zusammen und sagte:
"Ich muß das Protokoll zum dienstinternen Gebrauch natürlich
weiterleiten, aber weder Polizei noch Justiz werden davon erfahren.
Machen Sie vor Oberstaatsanwalt Braun auf keinen Fall weiter gehende
Aussagen."
So arbeitete der Verfassungsschutz Anfang der 70 er Jahre -und
wie man im hiesigen Verfahren verfolgen konnte, kontinuierlich bis
heute.
Es mag Verständnis dafür geben, daß jemand Gedächtnisstützen
braucht, es mag sogar angehen, daß Namen und Fakten geliefert
werden. Das alles ist noch nicht wirklich das entscheidende Problem.
Das Problem stellt sich dann, wenn der Kronzeuge wahrheitswidrig
angibt, daß es sich um seine eigenen Erkenntnisse handelt,
vorgibt "es sei ihm jetzt noch etwas eingefallen" er wolle
noch etwas ergänzen.
Doch auch das ist noch nicht das eigentlich skandalöse, daß
Zeugen die Unwahrheit sagen.
In diesem Verfahren war es trotz der Schwärzungen der Protokolle
des VS möglich, nachzuweisen, zwar nicht erkennbar für
diesen Senat, aber erkennbar für ein Verwaltungsgericht, daß
der Kronzeuge vor den Gesprächen mit dem Verfassungsschutz
auf bestimmte Fragen keine Antwort wusste, dann die entsprechenden
Informationen geliefert bekam und in der nachfolgenden Vernehmung
beim BKA genau diese Erkenntnisse als eigene kund tat.
Die Regeln des Strafprozesses gelten hier nicht mehr - "ausnahmsweise",
weil es um Terrorismusbekämpfung geht, haben sie zurückzutreten,
und ordnen sich den geheimen Regeln des Geheimdienstes unter, denn
es geht denen ja auch um Terrorismusbekämpfung.
Und die Aufgabe aller Regeln wird sogar gegen ein Verwaltungsgericht
durchgesetzt, das Sperrerklärungen aufhebt und zumindest doch
eine genauere Begründung für die Geheimhalterei des Geheimdienstes
haben möchte, eines Geheimdienstes, der mit dem vom Feind zum
Freund gewechselten Kronzeugen sogar seine Geheimnisse austauscht.
So vollendet kann der Rollenwechsel sein.
Zum Abschluß ein Zitat von dem Philosophen , Mathematiker
und Physiker Blaise Pascale, der zutreffend beschreibt: [Blaise
Pascale in: Pensées, I, VIII,9]
"Gerechtigkeit unterliegt dem Streit; Macht ist klar zu erkennen
und unstreitig. Deshalb konnte man die Gerechtigkeit nicht mit Macht
ausstatten, denn die Macht hat der Gerechtigkeit widersprochen und
gesagt, sie sei ungerecht: vielmehr sei sie, die Macht, gerecht.
Da man also nicht zuwege bringen konnte, daß das, was gerecht
ist, mächtig werde, hat man dafür gesorgt, daß das,
was mächtig ist rechtens sei."
Wollte sich der Senat wenigstens auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit
begeben, dann bliebe nur eine einzige Entscheidung :
F r e i z u s p r e c h e n
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