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Presse

Datum:
22.02.2002

Zeitung:
ak 459

Titel:
Lügen haben kurze Beine

Lügen haben kurze Beine

Rudolf Schindler entwirft eine Gegengeschichte zum Kronzeugen

Seit dem 18. Januar existiert neben der Version des Kronzeugen Tarek Mousli eine zweite über die "Revolutionären Zellen" (RZ) der 80er-Jahre in Berlin, nachdem sich Rudolf Schindler für eine Einlassung entschieden hat. Er sei zu der Überzeugung gekommen, "dass ich nur so aufzeigen kann, wo und in welchem Umfang die Aussagen von Tarek Mousli falsch sind". (1) In seiner Erklärung äußerte sich Schindler ausschließlich zu seiner Person und "mit ihrem Einverständnis" zu seiner Frau Sabine Eckle. Und er stellte klar, dass diese Beschränkung "in keinem Fall eine direkte oder indirekte Bestätigung der Behauptungen von Tarek Mousli über andere Personen" bedeute.

In seiner Einlassung bekannte sich Schindler als RZ-Militanter und räumte seine Beteiligung an den Knieschussattentaten auf Harald Hollenberg und Günter Korbmacher sowie am Sprengstoffanschlag auf die "Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber" (ZSA) ein. Dabei distanzierte er sich nicht von den politischen Motiven der Aktionen, sondern schilderte jeweils den politischen Hintergrund der Tat. An vielen Punkten bietet seine Einlassung eine plausible Erklärung für die vielen Widersprüche, die in der Aussage Mouslis zu Tage getreten sind. Das Kronzeugen-Konstrukt droht nun in sich zusammenzufallen.

So erklärte Schindler zum Anschlag 1986 auf den damaligen Chef der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg, er habe ihn in Schach gehalten, während seine Begleiterin auf die Beine von Hollenberg schoss. Diese Frau sei nicht Sabine Eckle gewesen, so Schindler. Laut Mouslis Version vom "Hörensagen" soll das Ehepaar die Aktion ausgeführt haben, wobei Schindler der Schütze gewesen sei. Hollenberg selbst hatte allerdings immer angegeben, eine Frau habe auf ihn geschossen. Ebenso war es in Veröffentlichungen der RZ dargestellt worden. Zudem passte die Täterbeschreibung diverser Zeugen nicht auf die schmächtige Sabine Eckle. Insofern überrascht es nicht, dass im Zuge der damaligen Ermittlungen bei einer Fotoidentifizierung eine andere Person als Täterin ausgemacht wurde. Die Anklagevertreter hatten trotz dieser längst bekannten Widersprüche allerdings kein Problem, Sabine Eckle wegen dieser Aktion anzuklagen.

Hollenberg: Tarek Mousli war begeistert

Entschieden widersprach Schindler der Darstellung Mouslis zu seiner Rolle in den RZ: "Ich war kein Gründungsmitglied der RZ und habe dies Tarek Mousli gegenüber niemals behauptet." Gleichzeitig betonte er: "Ich weiß bis heute nicht, wer die RZ gründete, denn die RZ war keine Schwatzbude, sondern, wie Bundesanwalt Griesbaum hier in der Hauptverhandlung richtig feststellte, ,eine hochklandestine Vereinigung mit einem ausgefeilten Sicherheitskonzept', in der über biografische Daten, Tatbeteiligung und Tatausführung striktes Stillschweigen gewahrt wurde. Deshalb wussten RZ-Mitglieder selbst nach längerer Zugehörigkeit nichts voneinander, was über ihre unmittelbare Zusammenarbeit hinausging."

Was Schindler über die RZ-Struktur berichtete, deckt sich dann ebenso wenig mit den Behauptungen des Kronzeugen wie seine Darstellung der Rolle Mouslis in den RZ: "Die Angaben Tarek Mouslis zur Zusammensetzung der Gruppen und dem Modus ihrer Zusammenarbeit sind komplett falsch. Während die Absicht hinter den meisten seiner Lügen entschlüsselbar bleibt, ist mir ein Rätsel, warum er Leute als Mitglieder angibt, die keine waren, und andere dafür rauslässt." Mousli sei - entgegen seiner eigenen Version - beim Sprengstoffanschlag auf die ZSA im Februar 1987 der Haupttäter gewesen: "Die ZSA war von Anfang an Tarek Mouslis Projekt." Vehement widersprach er zudem der Selbstdarstellung Mouslis als angeblich unscheinbarem Mitläufer: "Tarek Mousli war alles andere als ,schwach' oder ,weich', weder in seinen politischen Ansichten noch in seiner Praxis." Kenner der Westberliner autonomen Szene können dies bestätigen. Zwar hat Mousli dies in der Hauptverhandlung bestritten, aber noch Anfang der 90er-Jahre hat der kampfsporterprobte Kronzeuge an vorderster Front bei militanten Aktionen gegen Faschisten mitgewirkt.

An einem zentralen Punkt bestätigte Schindler die Angaben Mouslis. Er bekannte sich dazu, dem Asylrichter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, in den Unterschenkel geschossen zu haben. Allerdings korrigierte er die Version des Kronzeugen auch hier an einem entscheidenden Punkt. Mousli will während des Anschlags in Kreuzberg den Polizeifunk abgehört haben. Laut Schindler habe er jedoch das Motorrad gesteuert, mit dem der Anschlag durchgeführt worden war. "Tarek Mousli war ... alles andere als ein Bedenkenträger. Das ist seine heutige opportunistische Verkleidung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Im Gegenteil. Er war Feuer und Flamme für diese Aktion." Bereits während der Hauptverhandlung waren Zweifel an Mouslis Aussage aufgekommen. So beharrte der Kronzeuge darauf, das Tatfahrzeug in den Wochen vor dem Anschlag mehrere Male Probe gefahren zu haben. Dabei habe er die Motorradmontur getragen, die beim Anschlag benutzt worden sei und die später im Fluchtfahrzeug gefunden worden war. Zeugen wollen allerdings das Motorrad, das in NRW gestohlen wurde, zwei Tage vor dem Anschlag am Grenzübergang Dreilinden gesehen haben. Warum hält Mousli unter diesen Umständen weiterhin an seiner Aussage fest? Wohl doch nur deshalb, um eine Erklärung parat zu haben, falls doch irgendwann die Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung der Motorradkleidung in das Verfahren eingeführt werden.

Doch das ist nicht die einzige Ungereimtheit, die bei der Aussage des Kronzeugen zum Korbmacher-Attentat auftauchte. In der Regel sind die Aussagen des Kronzeugen, wenn sie auf Hörensagen beruhen, schwammig und wenig präzise. Im Gegensatz dazu hat er den Anschlag auf Korbmacher sehr detailliert beschrieben - nur an einem Punkt ließ ihn sein Gedächtnis im Stich: partout wollte ihm nicht einfallen, wer das Motorrad gefahren hat. Dafür konnte seine ehemalige Lebensgefährtin Karmen T. den Tathergang gegenüber den Ermittlungsbehörden sehr genau beschreiben. Ihre Angaben erschienen Ende 1999 dem Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesanwaltschaft (BAW) so glaubwürdig, dass ihr die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm des BKA angeboten und der Haftbefehl gegen Mousli auf "Rädelsführerschaft" ausgeweitet wurde. Ihr Wissen über die Tat stammt von Mousli selbst, der ihr von dem Anschlag erzählt hat und sich ihr gegenüber als Schütze ausgegeben hatte. Ob sich Karmen T. an diesem Punkt irrt oder ob Mousli sich wichtig machen wollte, kann nicht geklärt werden und ist zudem auch irrelevant.

Deutlich an diesem Beispiel wird jedoch, dass die Aussagen Mouslis dem typischen System von Kronzeugenaussagen folgen: Es werden gering belastende Verwicklungen in die Tat gestanden, um so die eigene Beteiligung klein zu reden. Aussagen von Kronzeugen sind eben, was ihre Glaubwürdigkeit anbelangt, in Relation zu setzen zu den Vergünstigungen, die sie von staatlicher Seite erhalten. Wo die Beschuldigung anderer um des eigenen persönlichen Vorteils willen gefordert wird, sind falsche Bezichtigungen geradezu vorprogrammiert. Oder wie es Rolf Gössner ausdrückt: "Der Warencharakter solcher Aussagen liegt in der Natur der Kronzeugenschaft". (vgl. ak 433)

mb., Berlin

Anmerkung:

1)Die Erklärung ist dokumentiert unter www.freilassung.de. Alle kursiv gesetzten Zitate sind der Einlassung entnommen.

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