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Datum:
22.02.2002
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Zeitung:
ak
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Titel:
Auf Sand gebaut
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Auf Sand gebaut
Matthias Borgmann über Gottesurteile und diverse Kuriosa
im RZ-Verfahren
Als Angeklagter etwas über das eigene laufende Verfahren zu schreiben, ist keine
einfache Sache. Es ist fast so, als ob ein Schiffbrüchiger, der
von den Wellen hin und her geworfen wird, eine Analyse des Meeres
abgeben soll. Kurz gesagt: Es mangelt an Boden unter den Füssen
und an Überblick.
Nach 54 Prozesstagen (die ersten kümmerlichen Versuche mal großzügig nicht mitgerechnet)
ist der Weg durch die Katakomben des Moabiter Gerichtsgebäudes und
die schmale Treppe hinauf zum Saal 500 fast schon Routine. Wobei
ich mich noch sehr genau an das verkrampfte Gefühl im Magen erinnere,
als ich diesen Weg das erste Mal gehen musste: Zum ersten Mal war
ich mit einer vollbesetzten Pressebank konfrontiert, den neugierigen
Blicken auch eines Teils der ZuschauerInnen ausgesetzt, kaum fähig,
vertraute Gesichter zu identifizieren und ein aufmunterndes Lächeln
zu deuten. Inzwischen ist diese Befangenheit verflogen, freue ich
mich auf ein Zuwinken.
Ähnlich zurückhaltend verlief der erste Sichtkontakt mit dem Gericht. Funktionsträger
von feindseligen Beschlüssen bekamen Alter, Aussehen, Gesicht. Die
Gerichtsvorsitzende hatte entschieden, dass uns die Käfighaltung
erspart bleiben würde - sicherlich als Beitrag gedacht, dem Verhandlungsablauf
keine weitere und zusätzliche Schärfe zu geben. Leider ließ sie
sich nur minimal dazu bewegen, die schikanösen ZuschauerInnenkontrollen
sein zu lassen. Da herrscht ungebrochen das Procedere der Terroristenprozesse
der 70er-Jahre, dem sich im Tonfall auch die Sitzungsvertreter der
Bundesanwaltschaft erwartungsgemäß anpassen.
Gerichtsmotto: Abnicken und Durchwinken
So viel zu den Äußerlichkeiten. In der eigentlichen Verhandlungsführung, einer
nachvollziehbaren, systematischen Gestaltung der Beweisaufnahme
- da war für mich keinerlei Souveränität des Gerichts mehr erkennbar.
Eine erbärmliche Fragetechnik, deren Repertoire sich erschöpfte
in "Erzählen Sie mal" und "Wie ging es dann weiter",
ist die Basis einer Hauptverhandlung, die offensichtlich als Abnick-
und Durchwinkveranstaltung der Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden
konzipiert ist. Als Beleg mag der Hinweis der Vorsitzenden in der
Hauptverhandlung am 24. August 2001 genügen. Frau Hennig greift
zu Gunsten von Mousli in die insistierenden Nachfragen der Verteidiger
nach dem Fahrer des Attentatsmotorrades ein: "Das hat er doch
in der Vernehmung schon gesagt. Der Zeuge kann sich nicht daran
erinnern." Was mich zu der Frage bringt, wenn Mousli ein so
fürsorgliches Gericht auf seiner Seite weiß, wozu braucht er dann
noch einen Zeugenbeistand?
Flankiert wird die Vorsitzende dabei von einem Berichterstatter, der seine halbwegs
vorhandenen Aktenkenntnisse dazu nutzt, sich die für die Anklage
und damit dann für das spätere Urteil passenden Punkte aus den Vernehmungen
von den Zeugen per Vorhalt bestätigen zu lassen. So kann man dann
aus Zeugen, die sich kaum noch erinnern, überhaupt am Tatort gewesen
zu sein, doch noch Brauchbares herauslocken.
Dieses an sich wohldurchdachte und dankbare Schema würde auch wunderbar funktionieren,
gäbe es da nicht das BKA und speziell das Ermittlerduo Schulzke/Trede.
Die beiden Herren, so muss man annehmen, waren die Architekten der
Ermittlungsakten. Und als solche haben sie, so sieht es heute aus,
auf Sand gebaut. Oder um es mit einem Zitat aus einem Krimi von
Mankell zu illustrieren: "Aber das Gespräch ... hatte ihn in
seiner Auffassung bestärkt, dass die Ermittlung schlampig durchgeführt
worden war. So schlampig, dass sie den Eindruck erwecken konnten,
manipuliert worden zu sein. Aber was sollte dadurch verborgen werden?"
(Hunde von Riga, S. 175)
Diese Schlampigkeit zieht sich als roter Faden durch die gesamten Akten und nährt
den Manipulationsverdacht. Es ist gepfuscht worden im Großen wie
im Kleinen. Einige der zentralen Punkte sind hinlänglich öffentlich
erörtert: Sie ranken sich um das Mysterium von Sprengstoff im Seegraben.
Sein wunderbares Auftauchen. Seiner trotz angeblich jahrelangem
Wasserausgesetztsein stofflichen Zusammensetzung. Oder die Mär vom
nicht beachteten Fax im Bundeskriminalamt. Die allerdings durch
die Vorfälle um die VS-Spitzel und die Behandlung von Anfragen im
Bundesinnenministerium eine aktuelle Wahrscheinlichkeit zurückgewonnen
hat. Aber es fehlt immer noch eine Erklärung, welchen Computer das
BKA im Einsatz hat, der mit einem schlichten Suchkriterium ausgestattet
(Gelamon 40 + RZ) dann jahrelang verschüttete Vorgänge hervorzaubert.
Und da niemand diese Daten eingegeben haben will, muss er verstaubte
Ordner gewälzt und Schreibtischschubladen durchstöbert haben. Und
die dem BKA "entfallenen" Hunderte von Kassetten mit überwachten
Mousli-und-Co-Telefonaten. Die nicht auffindbaren Observationsberichte.
Die diesbezüglichen Überwachungslücken (telefonisch und persönlich)
ausgerechnet zum Zeitpunkt seiner Haftentlassung. Das alles und
noch viel mehr stinkt zum Himmel. Und geht weit über das hinaus,
was man im Sinne einer schlichten Präparierung eines gekauften Zeugen
hinzunehmen bereit ist.
Dementsprechend auch jämmerlich der Auftritt der beiden Matadore. Schulzke, inzwischen
vorzeitig pensioniert, mimt den Trottel. Trede, auch nicht gerade
als Beförderung zum Personenschützer nach Bogotá abkommandiert,
gibt den Schweiger: Jeder Satz mit Erinnerungsvorbehalt und auch
erst nach minutenlangen Bedenken. Und dennoch werden beide bei glatten
Lügen ertappt, muss sich Trede wohl auch auf ein Meineidverfahren
einstellen. Was also muss im Hintergrund dieser Ermittlungen vorhanden
sein, dass ein Beamter mit seiner Aussage lieber einen Meineid riskiert,
als die Wahrheit zu sagen?
Lösung: Gottesurteil?
So steht das Gericht vor einer in seiner Substanz zusammengebrochenen Anklage.
Irgendetwas, was man gemeinhin als Beweisführung bezeichnen könnte,
scheint nicht mehr möglich. Und so verlegt es sich auf einen Glaubenskrieg.
Das Glaubensbekenntnis zu Mousli (was viel kostet, muss auch viel
wert sein) soll hinreichend sein, diesen Schauprozess mit einer
Verurteilung abzuschließen. Und da sich ein anständiger Schauprozess
nur mit geständigen Angeklagten gut ansieht, wird erpresst und gefeilscht,
Knast oder Geständnis. Zu allem Unglück passen die geständigen Aussagen
von Rudolf Schindler und Sabine Eckle nicht zur Variante von Mousli.
Sie lesen sich vielmehr wie das genaue Gegenteil und somit können
schlecht alle drei die Wahrheit gesagt haben. Das Gericht neigt
dazu, an seinem ursprünglichen Credo festzuhalten. Ich rege in dieser
Situation an, einem bewährten Brauch aus Inquisitionsprozessen aufzugreifen:
ein Gottesurteil. Ich schlage vor, Mousli in einen Sack zu nähen
und im Seegraben genau dort zu versenken, wo er anno 1995 den Sprengstoff
weggeschmissen haben will (der dann hundert Meter entgegen der Fließrichtung
"gefunden" wurde). Wenn ihn ein gütiges Schicksal an die
Oberfläche treibt, will ich mich widerstandslos in Tegel einsargen
lassen. Aber nur dann.
Die fachlich und sachlich kompetentere Darstellung dieses Prozesses lege ich
vertrauensvoll in die Hände meiner Verteidigerin (vgl. nebenstehendes
Interview). Und will lieber noch ein paar Worte zum Geplänkel im
Vorfeld sagen. Stichwort: Stellungnahme einiger Autonomer in der
interim von Anfang des vergangenen Jahres. Tenor: Der Prozess
ist politisch und juristisch schon verloren, bevor er überhaupt
begonnen hat. Ich weiß gar nicht, ob die Trennung in politisch und
juristisch überhaupt p.c. ist. Aber sie ist ganz praktisch, weil
sie auch mich vor dem Problem schützt, auf der einen Seite einen
Rechtsstaat zum Gegenstand meines Widerwillens zu machen und auf
der anderen über die offensichtlichen Mängel rechtsstaatlichen Handelns
und die Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze zu lamentieren.
Kritik, die so nichts nutzt
Wenn behauptet wird, ein Prozess sei politisch verloren, müsste dazu eine Vorstellung
existieren, worin und wie ein Gewinn ausgesehen hätte. Die Frage
wäre leicht zu beantworten, wenn es die RZ noch gäbe. Dann hätte
vielleicht durch den Bekennermut Einzelner die Organisation profitieren
können. So eine Art bescheidenes Märtyrertum wäre dann zumindest
möglich gewesen (ob sinnvoll und persönlich wünschenswert, muss
an dieser Stelle nicht diskutiert werden). Nun ist aber allgemein
bekannt, dass sich die RZ schon vor annährend zehn Jahren aufgelöst
haben. Und wenn man den damals veröffentlichten Erklärungen glauben
darf, dann hatten sie offensichtlich ihre massivsten Kritiker in
den eigenen Reihen organisiert. Warum und weshalb sie außer der
einen oder anderen widersprüchlichen Auflösungserklärung nur eine
Fülle von Erklärungen zu einer ebensolchen Fülle von Anschlägen
hinterlassen haben, die einem eventuell zu eigenem Denken und Tun
anhalten könnten, bleibt ihr Geheimnis. Vielleicht wollten sie den
ihnen angedichteten Mythos nicht nachträglich zerstören.
Politischer Gewinn ließe sich ebenfalls aus der Fragestellung erzielen, warum
und gegen wen dieses Verfahren jetzt losgetreten wird? Ist es so
eine Art Begleichung offener Rechnungen? Fürchtet die Bundesanwaltschaft
sich wirklich so sehr vor dem revolutionären Berlin, dass sie ein
abschreckendes Exempel statuieren will? Soll ein Gedankengut, für
das die RZ einmal gestanden haben (Flüchtlingspolitik, Gentechnik)
tatsächlich erst durch einen Prozess wiederbelebt und dann umso
erbarmungsloser bekämpft werden? Ist es einfach nur ein saublöder
Zufall? Ich denke, ich habe sehr klar gemacht, dass ich an diesem
Punkt keine schlaue Frage weiß und erst recht keine Antwort. Für
mich wäre es wirklich hilfreich gewesen, der erhobene Vorwurf wäre
präzisiert worden wäre.
Lügner und Verräter in Personalunion
Juristisch war dieses Verfahren mit Sicherheit im Vorfeld nicht verloren. Eine
solche Behauptung ist zumindest dann unsinnig, wenn damit nicht
gemeint sein sollte, dass es eine massive Vorverurteilung gibt.
Die gehört zu politischen Prozessen wie das Amen in der Kirche (und
nicht nur zu denen). Ich nehme an, hinter diesem Vorwurf verbirgt
sich der Streit um die Offenlegung der Ermittlungsakten. Ich kann
diesen Wunsch verstehen, aber auch nur so weit, wie ich menschliche
Neugier verstehe. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass
eine solche Forderung in RAF-Verfahren jemals erhoben, geschweige
denn praktiziert wurde. Szeneklatsch und -tratsch zu befriedigen,
scheint mir kein vorrangiges Ziel. Es gab meiner Meinung nach im
bisherigen Verfahrensverlauf auch einige taktische juristische Fehler,
aber die entziehen sich einer öffentlichen Erörterung. Jedenfalls
zum jetzigen Zeitpunkt. Ein juristischer Sieg im Vorverfahren hätte
in seiner Einstellung bestanden. Diese war nicht zu erreichen. Das
juristische Interesse der Gegenseite am Durchexerzieren eines gelungenen
Kronzeugeneinsatzes ist dazu zu hoch. Denn ob Tarek Mousli tatsächlich
der letzte einschlägige Zeuge ist, beweist sich in diesem Verfahren.
Wenn dies als einziges Beweismittel erfolgreich ist, wird es Schule
machen. Erst dann ist dieses Verfahren juristisch verloren. Und
darum macht auch eine gewisse Halsstarrigkeit im Ablegen von Geständnisses
einen Sinn, nicht wegen des Quatsch' vom schweigsamen Revolutionär.
Juristisch geht es darum, den geschmeidigen Professionellen als
Beweismittel zu verhindern.
Zum Schluss möchte ich noch einen kleinen Exkurs zum Verratsthema beisteuern.
Die Szene hat ja, begierig aufgegriffen von der Bundesanwaltschaft,
die Frage diskutiert, ob der Begriff "Verrat" etwas mit
dem Wahrheitsgehalt der Beschuldigungen zu tun hat. Ob Denunziant
oder schlicht Lügner nicht passendere Begriffe für Mousli wären?
Für mich gibt es das klassische Beispiel für Verrat in der Bibel.
Es ist Judas, der Verräter. Aber wofür hat er seine 30 Silberlinge
bekommen? Wenn meine Bibelfestigkeit reicht, war es für die gerichtliche
Falschaussage, Jesus habe sich als König der Juden ausgegeben (ein
klassischer Fall von Hochverrat nach römischem Recht). Und demnach
war Judas Verräter und Lügner in Personalunion - wie Tarek Mousli
auch.
Um auf mein Eingangsbild zurückzukommen: Der Schiffbrüchige klammert sich an
eine Planke. Darauf kann man den Schiffsnamen "Hope" entziffern.
Auch wenn kein Land in Sicht ist, zeichnet sich am Horizont Rauch
ab. Und er summt ein paar Liedzeilen von Tom Waits:
"When there's nothing left to keep you here, when
y ou're falling behind in this big blue world
You got to hold on.
Take my hand, I'm standing right there.
And just HOLD ON."
Matthias Borgmann ist einer der fünf Angeklagten im Berliner
RZ-Prozess. Alle Überschriften sind von der ak-Redaktion.
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