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Interview [1]
mit der Roten Zora
Juni 1984
Frage: Fangen wir damit an, wer ihr eigentlich seid?
Zora 1: Meinste das jetzt persönlich - dann sind wir
Frauen zwischen 20 und 51, einige von uns verkaufen ihre Arbeitskraft
auf dem Markt der Möglichkeiten, einige nehmen sich, was sie
brauchen, andere sind noch nicht durchs soziale Netz gefallen. Einige
haben Kinder, viele andere nicht. Manche Frauen sind lesbisch, andere
lieben Männer. Wir kaufen in ekelhaften Supermärkten,
wir wohnen in häßlichen Häusern, wir gehen gerne
spazieren oder ins Kino, ins Theater, die Disco, wir feiern Feste,
wir pflegen das Nichtstun. Klar - wir leben in dem Widerspruch,
daß viele Sachen, die wir machen wollen, hinkriegen wollen,
spontan und nach dem Bockprinzip nicht klappen können. Aber
nach gelungenen Aktionen freuen wir uns riesig.
Frage: Wie seid ihr zu eurem Namen gekommen?
Zora 2: Die "rote Zora und ihre Bande" - das ist
die wilde Göre, die die Reichen bestiehlt, um's den Armen
zu geben. Und Banden bilden, sich außerhalb der Gesetze zu
bewegen, das scheint bis heute ein männliches Vorrecht zu sein.
Dabei müssten doch gerade die tausend privaten und politischen
Fesseln, mit denen wir als Mädchen und Frauen kaputtgeschnürt
werden, uns massenhaft zu "Banditinnen" für unsere
Freiheit, unsere Würde, unser Menschsein machen. Gesetze, Recht
und Ordnung sind grundsätzlich gegen uns, selbst wenn wir uns
ein paar Rechte schwer erkämpft haben und täglich neu
erkämpfen müssen. Radikaler Frauenkampf und Gesetzestreue
- das geht nicht zusammen!
Frage: Aber es ist doch kein Zufall, daß euer Name
die gleichen Anfangsbuchstaben wie der der Revolutionären Zellen
hat.
Zora 1: Nein, natürlich nicht. Rote Zora soll auch
ausdrücken, daß wir die gleichen Grundsätze wie
die RZ haben, dieselbe Konzeption, illegale Strukturen aufzubauen,
ein Netz zu schaffen, das der Kontrolle und dem Zugriff des Staatsapparates
entzogen ist. Nur so können wir - im Zusammemhang mit den offenen,
legalen Kämpfen der verschiedenen Bewegungen - auch subversive
und direkte Aktionen durchführen. "Wir schlagen zurück!"
- diese Parole der Frauen aus dem Mai 68 [2]
ist heute in Bezug auf die individuelle Gewalt gegenüber Frauen
unumstritten. Heftig umstritten und weitgehend tabuisiert ist sie
jedoch als Antwort auf die Herrschaftsverhältnisse, die diese
Gewalt erst ständig auf's Neue erzeugen.
Frage: Was für Aktionen habt ihr bisher gemacht und
auf welchem Hintergrund?
Zora 2: Angefangen haben die "Frauen der RZ" 1974
mit einem Bombenanschlag auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe,
weil wir ja alle die Abschaffung des 218 wollten und nicht diese
jederzeit manipulierbare Indikationslösung. In der Walpurgisnacht
77 haben wir einen Sprengsatz bei der Bundesärztekammer gezündet,
weil von dort aus selbst diese reduzierte Abtreibungsreform mit
allen Mitteln hintertrieben wurde. Dann der Anschlag auf Schering
während des Duogynonprozesses. [3]
Und immer wieder Angriffe gegen Sexshops. Eigentlich sollte täglich
einer dieser Pornoläden brennen oder verwüstet werden!
Also: wir halten es für eine absolute Notwendigkeit, die Ausbeutung
der Frau als Sexualobjekt und Kinderproduzentin aus dem "Privatbereich"
herauszureißen und mit Feuer und Flamme unsere Wut und unseren
Zorn darüber zu zeigen.
Zora 1: Wir beschränken uns allerdings nicht auf Strukturen
direkter, d.h. augenscheinlicher Frauenunterdrückung. Als Frauen
sind wir ebenso von den gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen
insgesamt betroffen, ob es sich nun um Stadt- oder Umweltzerstörung
handelt oder um kapitalistisch organisierte Produktionsformen, also
Verhältnisse, denen auch die Männer ausgesetzt sind. Wir
wollen keine "linke" Arbeitsteilung nach dem Motto: die
Frauen für die Frauenfragen, die Männer für allgemeine
politische Themen. Die Verantwortung für die Veränderung
unseres Alltags lassen wir uns nicht nehmen! Deshalb haben wir z.B.
die Prachtschlitten der Anwälte vom Miethai Kaußen angezündet,
die für eine ganze Reihe brutaler Häuserräumungen
verantwortlich waren. Deshalb haben wir durch den Nachdruck "echter
Fahrscheine", die wir zusammen mit den RZs im Ruhrgebiet verteilt
haben, ein bißchen den Nulltarif eingeführt.
Zora 2: Unsere letzten Anschläge richteten sich gegen
Siemens und die Computerfirma Nixdorf. Sie treiben mit der Entwicklung
neuer Herrschaftstechnologien immer ausgeklügeltere Möglichkeiten
der Kriegsproduktion und der Widerstandsbekämpfung voran. Darüberhinaus
ging es uns dabei um ihre Vorreiterfunktion bei der Umstrukturierung
von Arbeit, vor allem auf dem Rücken der Frauen weltweit. So
wie hier die Frauen in Heimarbeit, Kapovaz [4]
und Teilzeitarbeit voneinander isoliert und ohne soziale Absicherung
profitabler ausgebeutet werden sollen - mit den Technologien dieser
Firmen - so werden die Frauen in der sog. 3. Welt bei der Produktion
dieser Elektronik regelrecht verschlissen. Mit 25 sind sie total
kaputtgearbeitet, ausrangiert!
Frage: Diese Verbindung zur 3. Welt, aus Ausbeutung der
Frauen dort - inwieweit ist das wichtig für euch?
Zora 1: Diesen Zusammenhang haben wir bisher bei all unseren
Anschlägen erklärt, so auch gegen die Frauenhändler
und die philippinische Botschaft im vergangenen Jahr. Wir kämpfen
nicht für die Frauen in den Ländern der Peripherie, sondern
mit ihnen - z.B. gegen die Ausbeutung der Frauen als Ware. Dieser
moderne Sklavinnenhandel hat ja seine Entsprechung in den ehelichen
Besitzverhältnissen hier. Die Formen der Unterdrückung
sind zwar verschieden, aber sie haben gemeinsame Wurzeln. Wir wollen
uns nicht länger gegeneinander ausspielen lassen. Die Spaltung
zwischen Männern und Frauen findet international ihre Entsprechung
in der Spaltung zwischen den Völkern der 1. und der 3. Welt.
Wir selbst profitieren von der internationalen Arbeitsteilung. Wir
wollen unsere Verflechtung mit diesem System durchbrechen und unsere
Gemeinsamkeiten mit den Frauen anderer Länder rauskriegen.
Frage: Ihr habt erklärt, wie ihr eure Praxis begreift.
Warum ihr euch im Zusammenhang der RZs organisiert, geht daraus
allerdings nicht hervor.
Zora 2: Hauptgrund ist erstmal, daß diese Politik
von den RZs entwickelt wurde und wir finden sie nach wie vor richtig.
Wir haben in unserer Entwicklung eigene Inhalte bestimmt - deswegen
sind wir ja als Frauen autonom organisiert - greifen aber auf die
Erfahrungen der RZs zurück. Darüberhinaus kann eine Zusammenarbeit
von radikalen Gruppen den militanten Widerstand insgesamt stärken.
Es gab produktive Zusammenarbeit wie die Aktionen zum Reagan- Besuch
oder das Diskussionspapier zur Friedensbewegung ("In Gefahr
und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod!"). Es gibt
auch immer wieder nervige Diskussionen. Denn die Männer, die
ansonsten ihren radikalen Bruch mit diesem System in eine konsequente
Praxis umsetzen, sind oft erschreckend weit davon entfernt, zu begreifen,
was antisexistischer Kampf heißt und welche Bedeutung er für
eine sozialrevolutionäre Perspektive hat. Es ist unter uns
Frauen auch umstritten, wo die Grenzen sind, an denen uns die Zusammenarbeit
stärkt oder unseren Frauenkampf lähmt. Wir denken aber,
daß uns mit einigen Frauen der RZs unsere feministische Identität
verbindet.
Frage: Heißt das, daß ihr euch als Feministinnen
versteht?
Zora 1: Ja, selbstverständlich gehen wir davon aus,
daß das Private politisch ist. Deshalb sind unserer Auffassung
nach alle sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse,
die das sogenannte Private ja erst strukturieren und verfestigen,
eine Aufforderung zum Kampf gerade für uns Frauen. Das sind
die Ketten, die wir zerreißen wollen. Aber es ist zu kurz
gegriffen, die Unterdrückung von Frauen hier in der BRD zum
alleinigen Dreh- und Angelpunkt von Politik zu machen und andere
Herrschafts- und Gewaltverhältnisse wie Klassenausbeutung,
Rassismus, die Ausrottung ganzer Völker durch den Imperialismus
dabei auszublenden. Diese Haltung geht der Misere niemals auf den
Grund: daß nämlich Frauenunterdrückung und geschlechtliche
Arbeitsteilung Voraussetzung und Grundlage für Ausbeutung und
Herrschaft in jeglicher Form sind - gegenüber anderen Rassen,
Minderheiten, Alten und Kranken und vor allem gegenüber Aufständischen
und Unbezähmbaren.
Zora 2: Die Schwierigkeiten fangen für uns da an, wo
feministische Forderungen dazu benutzt werden, in dieser Gesellschaft
"Gleichberechtigung" und Anerkennung zu fordern. Wir wollen
keine Frauen in Männerpositionen und lehnen Frauen ab, die
Karriere innerhalb patriarchaler Strukturen unter dem Deckmantel
des Frauenkampfes machen. Solche Karrieren bleiben ein individueller
Akt, von dem nur einige privilegierte Frauen profitieren. Denn die
Verwaltung, die Gestaltung der Macht wird Frauen in dieser Gesellschaft
nur gewährt, wenn sie in diesen Positionen Interessen der Männer
vertreten oder der jeweilige Aufgabenbereich Fraueninteressen gar
nicht erst zuläßt.
Frage: Die Frauenbewegung war in den 70er Jahren ziemlich
stark. Sie hat auf legalem Weg einiges erreicht. Stichworte dazu
sind: Kampf gegen 218, Öffentlichmachung von Gewalt gegen Frauen
in Ehe und Familie, Vergewaltigung als Akt der Macht und Gewalt,
Schaffung autonomer Gegenstrukturen. Warum behauptet ihr dann die
Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes?
Zora 1: Sicher, die Frauenbewegung hat vieles erreicht,
und ich finde, das wichtigste Ergebnis ist, daß sich ein breites
gesellschaftliches Bewußtsein von Frauenunterdrückung
entwickelt hat. Und daß Frauen ihre Unterdrückung nicht
mehr individuell erfahren, sich gar selbst die Schuld an ihrer Misere
geben, sondern daß Frauen sich zusammengefunden und ihre gemeinsame
Stärke erfahren haben. Auch das, was durch die Frauenbewegung
aufgebaut wurde, die Frauenbuchläden, die Frauenzentren, Frauenzeitungen
oder Treffs wie die Sommeruni [5]
und Kongresse - das alles gehört mittlerweile zur politischen
Realität und ist fester Bestandteil für die Weiterentwicklung
unseres Kampfes.
Zora 2: Manche Erfolge waren auch eher Ausdruck einer gesellschaftlichen
Situation, in der Frauen Freiräume gewährt werden konnten;
klar - als man die Frauen in die Produktion und in die Büros
haben wollte, wurden mehr Kindergartenplätze geschaffen. Zur
grundsätzlichen Änderung der Lebenssituation der Frau
hat das nicht geführt. Dazu gehört eine kontinuierliche
Bewegung, deren Ziele nicht integrierbar sind, deren kompromißloser
Teil sich nicht in legale Formen zwängen läßt -
deren Wut und Entschlossenheit in außerparlamentarischen Kämpfen
und antiinstitutionellen Formen ungebrochen zum Ausdruck kommt.
Zora 1: Der legale Weg ist nicht ausreichend, denn die
gewöhnlichen Unterdrückungs- und Gewaltstrukturen sind
ja die Legalität: wenn Ehemänner ihre Frauen schlagen
und vergewaltigen, dann ist das legal. Wenn Frauenhändler unsere
Schwestern aus der "3. Welt" kaufen und an deutsche Biedermänner
weiterverkaufen, dann ist das legal. Wenn Frauen für ein Existenzminimum
eintönigste Arbeit machen müssen und dabei ihre Gesundheit
ruinieren, dann ist das legal. Alles Gewaltverhältnisse, die
wir nicht länger bereit sind zu ertragen und hinzunehmen, die
nicht allein dadurch abzuschaffen sind, daß wir sie anprangern.
Die öffentliche Bewußtmachung des Ausmaßes an Gewalt
gegen Frauen ist ein wichtiger Schritt, der aber nicht dazu geführt
hat, sie zu verhindern. Es ist ein Phänomen, daß den
schreienden Ungerechtigkeiten, denen Frauen ausgesetzt sind, ein
unglaubliches Maß an Ignoranz entgegenschlägt. Es ist
eine Toleranz, die männliches Nutznießertum entlarvt.
Dieser "Normalzustand" hängt damit zusammen, daß
es wenig militante Gegenwehr gibt. Unterdrückung wird erst
sichtbar durch Widerstand. Deswegen sabotieren, boykottieren wir,
fügen Schaden zu, rächen uns für erfahrene Gewalt
und Erniedrigung, indem wir die Verantworlichen angreifen.
Frage: Wie schätzt ihr die derzeitige Frauenbewegung
ein?
Zora 2: Von der Frauenbewegung zu sprechen, finden wir falsch.
Einerseits wird unter Frauenbewegung verstanden, was aus den alten
Strukturen resultiert und davon übriggeblieben ist, von Projekten,
Treffs bis hin zur Mystik. Es gibt viele Strömungen, die sich
jedoch nicht fruchtbar ergänzen, sondern teilweise ausschließen
und bekämpfen. Andererseits gehen neue politische Impulse von
anderen Zusammenhängen aus, in denen sich Frauen als Frauen
ihrer Unterdrückung bewußt werden, die radikal patriarchale
Strukturen in Frage stellen und im Interesse der Frauen Politik
machen - z.B. die Frauen in Lateinamerikagruppen, im Häuserkampf,
in antiimperialistischen Gruppen. Deswegen stimmt auch der Satz:
die Frauenbewegung ist tot, es lebe die Frauenbewegung! Denn die
Frauenbewegung ist keine Teilbewegung wie die AKW- Bewegung oder
der Häuserkampf, die sich überleben, wenn keine AKWs mehr
gebaut werden und Spekulationsobjekte nicht länger zur Verfügung
stehen. Die Frauenbewegung bezieht sich auf die Totalität patriarchaler
Strukturen, auf deren Technologie, deren Arbeitsorganisation, deren
Verhältnis zur Natur und ist damit ein Phänomen, das nicht
mit der Beseitigung einzelner Auswüchse verschwindet, sondern
erst in dem langen Prozeß der sozialen Revolution.
Zora 1: Die Frauenbewegung hat ihre Niederlage beim 218
und bei der staatlichen Finanzierung von Projekten wie der Frauenhäuser
nie richtig analysiert. Es fehlt ein ablehnendes Verhältnis
zu staatlicher Politik. Zusätzlich wurde die Wende in der Familienpolitik
durch die Welle der neuen Mütterlichkeit [6]
in der Frauenbewegung vorweggenommen. Die Klassenfrage wurde auch
immer ausgeklammert, soziale Unterschiede wurden durch die Gleichheit
der sexistischen Ausbeutung negiert. Das erschwert gerade in der
jetzigen Krise eine Antwort auf die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
und verschärfte Ausbeutung sowie auf die reaktionäre Familienpolitik.
Das Fehlen einer Handlungsperspektive, um angemessen auf den Krisenangriff
zu reagieren, führt zu dem Dilemma, entweder offensiv gegen
die reaktionäre Politik vorzugehen oder lediglich die Entfaltung
von Subjektivität in Frauenfreiräumen zu retten. Diesen
Widerspruch können wir nicht theoretisch lösen und die
praktische Konsequenz, z.Zt. Frauenräte/Weiberräte zu
bilden, ist keine vorantreibende Lösung. Erfahrungsgemäß
erreichen wir Frauen keine Macht auf Wegen, die gerade dazu da sind,
Frauen auszuschließen, die patriarchale Herrschaft zu sichern
und zu erhalten. Deshalb sehen wir im Weiberrat, der darauf ausgerichtet
ist, Einflußnahme in Parteien und Institutionen zu organisieren,
den falschen Weg.
Zora 2: Aber dazu gibt es mittlerweile auch andere wichtige
Diskussionsansätze und Analysen unter Frauen, die die zukünftige
gesellschaftliche Entwicklung zum Gegenstand haben. So werden aus
der Sicht von unten die verschärfte Ausbeutung mit Hilfe neuer
Technologien untersucht, die neuen Lohn- und Arbeitsformen werden
in ihren Folgen für die Frauen analysiert, die indirekten Gewaltstrukturen
gegen Frauen werden immer genauer erfaßt. Der Alltagskrieg
gegen Frauen - die harte Pornowelle und die zunehmende frauenverachtende
Propaganda - sowie die gesellschaftliche Aufforderung zu mehr Mütterlichkeit,
mehr Weiblichkeit werden von vielen Frauen deutlich erkannt und
abgelehnt. Ebenso, daß die Krise und die neuen Kapitalstrategien
diese rückschrittliche Frauen- und Familienpolitik zur Voraussetzung
haben. Bevölkerungspolitik - und dazu rechnen wir auch die
Änderung des 218 - ist der Versuch einer qualitativen Einflußnahme
auf die Entwicklung der Bevölkerung. Zusammen mit der staatlich
geförderten Gentechnologie ist es unter anderem Ziel, den "gesunden
deutschen Mittelstand" zu vermehren - eine Auslese, die verhindert
werden muß. Wir brauchen heute dringender denn je eine radikale
Frauenbewegung, die die Kraft hat, ganz konkret die gesellschaftliche
und sozialpolitische Einkreisung nicht nur der Frauen, sondern auch
anderer Bevölkerungsgruppen wie Ausländer und Minderheiten
zu verhindern und aufzubrechen. Eine Frauenbefreiungsbewegung, die
die Hoffnung auf Revolution nicht nur zu einem schönen Traum
verkommen läßt.
Frage: Begreift ihr euch als Teil der Frauenbewegung oder
als Teil der Guerilla oder beides und wie seht ihr den Zusammenhang?
Zora 1: Wir sind Teil der Frauenbewegung, wir führen
den Kampf um Frauenbefreiung. Neben den theoretischen Gemeinsamkeiten
gibt es noch einen anderen Zusammenhang zwischen unserer Praxis
und der legalen Frauenbewegung: nämlich den der subjektiven
Radikalisierung, die auch anderen Frauen Mut machen kann, sich zu
wehren, die dazu beiträgt, daß Frauen sich selbst und
ihren Widerstand ernstnehmen. Das Gefühl der Stärke, wenn
du sieht, du schaffst etwas, wovor du vorher Angst hattest und wenn
du siehst, es bewirkt was. Diese Erfahrung würden wir auch
gerne vermitteln. Wir denken nicht, daß das in den Formen
ablaufen muß, die wir gewählt haben. Zum Beispiel die
Frauen, die in Berlin eine Peep- Show störten, dort Frauenzeichen
und Gestank hinterließen, solche Aktionen machen uns Mut,
stärken uns und wir hoffen, daß es anderen Frauen mit
unseren Aktionen auch so geht. Unser Traum ist, daß es überall
kleine Frauenbanden gibt - wenn in jeder Stadt ein Vergewaltiger,
ein Frauenhändler, ein prügelnder Ehemann, ein frauenfeindlicher
Zeitungsverleger, ein Pornohändler, ein schweinischer Frauenarzt
damit rechnen und sich davor fürchten müßte, daß
eine Bande Frauen ihn aufspürt, ihn angreift, ihn öffentlich
bekannt und lächerlich macht - also z.B. an seinem Haus steht,
wer er ist, was er getan hat - an seiner Arbeitsstelle, auf seinem
Auto - Frauenpower überall!
Frage: Bei euren Aktionen gefährdet ihr unter Umständen
das Leben Unbeteiligter. Wie könnt ihr das verantworten?
Zora 2: Woher kommt eigentlich die Unterstellung, daß,
wer mit Unkraut- Ex oder mit Sprengstoff hantiert, all das über
Bord werfen würde, was für euch, für die Frauenbewegung,
für die Linke wie selbstverständlich gilt? Umgekehrt!
Gerade die Möglichkeit, Leben zu gefährden, zwingt uns
zu besonderer Verantwortlichkeit. Du weißt genauso gut wie
wir, daß wir einpacken könnten, wenn du mit deiner Frage
recht hättest. Es wäre doch paradox, gegen ein System
zu kämpfen, dem menschliches Leben nur so viel wert ist, wie
es verwertbar ist und im Zuge dessen ebenso zynisch, ebenso brutal
zu werden, wie die Verhältnisse sind. Es gibt - zig Aktionen,
die wir wieder verworfen haben, weil wir die Gefährdung Unbeteiligter
nicht hätten ausschließen können. Manche Firmen
wissen sehr genau, warum sie sich mit Vorliebe in belebten Häusern
einnisten. Sie spekulierten auf unsere Moral, wenn sie sich in Mehrfamilienhäusern
niederlassen, um dadurch ihr Eigentum zu schützen.
Frage: Was sagt ihr zu dem Argument: bewaffnete Aktionen
schaden der Bewegung. Sie tragen dazu bei, daß die Frauenbewegung
mehr als bisher überwacht, bespitzelt wird, daß sie als
terroristisch diffamiert, von der Mehrheit der Frauen abgespalten
und isoliert werden könnte?
Zora 1: Der Bewegung schaden - damit meinst du die einsetzende
Repression. Es sind nicht die Aktionen, die der Bewegung schaden
- im Gegenteil: sie sollen und können die Bewegung direkt unterstützen.
Unser Angriff auf die Frauenhändler hat z.B. mit dazu beigetragen,
daß deren Geschäfte öffentlich wurden, daß
sie sich bedroht fühlen und wissen, daß sie mit dem Widerstand
von Frauen rechnen müssen, wenn sie ihre Geschäfte weiterbetreiben.
Und wenn die Herren wissen, sie haben mit Widerstand zu rechnen,
dann ist das eine Stärkung für unsere Bewegung.
Zora 2: Die radikalen Teile mit allen Mitteln abzuspalten
und zu isolieren, um die Bewegung insgesamt zu schwächen, ist
seit jeher Strategie der Widerstandsbekämpfung. Wir haben in
den 70er Jahren die Erfahrung gemacht, wohin es führt, wenn
Teile der Linken die Propaganda des Staates übernehmen, wenn
sie anfangen, für staatliche Verfolgung, Vernichtung und Repression
diejenigen verantwortlich machen, die kompromißlos kämpfen.
Sie verwechseln dabei nicht nur Ursache und Wirkung, sondern rechtfertigen
damit implizit den Staatsterror. Sie schwächen damit ihre eigene
Position. Sie engen den Rahmen ihres Protests, ihres Widerstands
selbst ein.
Zora 1: Unsere Erfahrung ist: um unberechenbar zu bleiben
und uns vor den Zugriffen des Staates zu schützen, ist ein
verbindlicher Zusammenschluß notwendig. Wir können es
uns nicht mehr leisten, daß jede Gruppe alle Fehler wiederholt.
Es muß Strukturen geben, in denen Erfahrungen und Kenntnisse
ausgetauscht werden und der Bewegung nützen können.
Frage: Wie sollen nicht autonom/radikal organisierte Frauen
verstehen, was ihr wollt? Bewaffnete Aktionen haben doch eine "abschreckende
Wirkung".
Zora 2: Warum hat es keine abschreckende Wirkung, wenn ein
Typ Frauen verkauft, sondern wenn sein Auto brennt? Dahinter steckt,
daß gesellschaftlich legitimierte Gewalt akzeptiert wird,
während ein entsprechendes Zurückschlagen abschreckt.
Mag sein, daß es erschreckt, wenn Selbstverständliches
in Frage gestellt wird, daß Frauen, die von klein auf die
Opferhaltung eingebleut kriegen, verunsichert sind, wenn sie damit
konfrontiert werden, daß Frauen weder Opfer noch friedfertig
sind. Das ist eine Herausforderung. Die Frauen, die ihre Ohnmacht
wütend erleben, finden sich in unseren Aktionen wieder. Denn
so, wie jeder Gewaltakt gegenüber einer Frau ein Klima von
Bedrohung gegenüber allen Frauen schafft, so tragen unsere
Aktionen, auch wenn sie sich nur gegen einzelne Verantwortliche
richten, mit dazu bei, ein Klima zu entwickeln: Widerstand ist möglich!
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