Aktion gegen das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, Dortmund
(September 87)
Soziale Revolution gegen imperialistische Flüchtlingspolitik
Nachts, zwei Uhr. Eine Gruppe Berber, Nichtseßhafter, Sozialhilfeempfänger
und Arbeitssuchende für eine schnelle Mark finden sich vor
dem Gebäude des Schnelldienstes des Dortmunder Arbeitsamtes
ein. Mit lautem Hallo und einigen Pullen Bier gegen die Kälte
und Langeweile wird der Morgen erwartet. Viele kennen sich, denn
die Prozedur wiederholt sich Nacht für Nacht. Sie kommen nicht
freiwillig.
Das Programm, das sie herzwingt, bekannt als "Zwangsarbeit
für Sozialhilfeempfänger" ist die Knute der Sozialverwaltung,
ihre Klientel zu disziplinieren, und sie führt gleichzeitig
den verschiedensten Unternehmen frei disponible Arbeitskraft zur
billigsten Vernutzung zu.
Das System funktioniert so: wenn es auf der "Schelle"
Arbeit gibt - und sei es auch nur für einen Tag - gibt es keine
Sozialhilfe; wer keine Arbeit bekommt, braucht unbedingt den Amtsstempel,
mit dem die Bereitschaft dokumentiert wird, am staatlichen Sklavenmarkt
teilzunehmen. Denn ohne Stempel keine Sozialhilfe.
Szenenwechsel: ein paar Stunden später, dasselbe Gebäude,
eine Tür weiter: hier ist die Außenstelle des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Zirndorf.
Diejenigen, die zur Arbeit gezwungen werden, sind längst weg.
Nun finden sich die ein, denen von Amts wegen für Jahre jegliche
Arbeit verboten wird: Flüchtlinge, Immigranten, AsylantragstellerInnen.
Hier
wird im ersten Anlauf festgestellt, was vom Staat als politischer
Asylgrund akzeptiert wird, was nicht. Sogenannte Entscheider, bundesrepublikweit
140 an der Zahl, befinden nach diesem Verhör über die
Anerkennung, 70.000 Verhöre in einem Jahr. Inzwischen werden
90% abgelehnt. Und Ablehnungsgründe gibt es viele. Wer aus
beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen flieht, wer gar eine
Strafverfolgung befürchtet, ist sofort aus dem Rennen. Desertation
oder Kriegsdienstverweigerung (Iran), Folter und Totschlag (Türkei),
sogar Völkermord (Tamilen) sind schon lange kein Asylgrund
mehr, weil diese Formen der Behandlung von Menschen zum normalen,
traditionellen und nicht außergewöhnlichen Instrumentarium
der jeweils herrschenden Klasse gehören.
Hektographierte Zettel als Ablehnungsbescheide mit Standardbegründungen
erleichtern das Geschäft, es ist der alltägliche zynische
Umgang mit der Macht, die über Menschenleben entscheidet.
Den Zurückgestoßenen bleibt der mühsame, erniedrigende
und erfolglose Weg über die Verwaltungsgerichte, um dort die
Rückfahrkarte und den Abschiebeknast verpaßt zu bekommen.
Die Zufälligkeit, mit der in Dortmund zwei Ausformungen derselben
Sozialpolitik örtlich zusammengeführt wurden, versinnbildlicht
den repressiven Charakter des Sozialverwaltungssystems: Sonderbehandlung
von Minderheiten mit dem Ziel der Kontrolle und der Selektion, mit
der Intention rassistisch vermittelte Klassenspaltung zu schaffen
und der stillschweigenden Akzeptanz der Auspressung in ungarantierten
Arbeitsverhältnissen.
Wo im letzten Sommer noch aus Zeltstädten und überquellenden
Sammellagern dem deutschen Stammwähler die "Asylantenflut"
den sicheren Heimatboden wegzuspülen drohte, wo des Volkes
Stimmung mobilisiert wurde, um in alter Tradition Fremdenhaß
zu säen, wird heute die Einkreisung der hier verbleibenden
Flüchtlinge organisiert.
Hatten noch Maßnahmen wie Grenzschließung, Einschränkung
der Bewegungsfreiheit und die Kasernierung Gegenkräfte mobilisiert,
scheint das Thema "Asyl" nur noch als billiges Profilierungsgequatsche
zu den Menschenrechten zu taugen. Die Torturen und die Leideswege
der Flüchtlinge der drei Kontinente sind immer noch die gleichen
geblieben.
Die Einkreisungspolitik zielt darauf ab, die restlichen Flüchtlinge
aus dem Land zu treiben, indem ihnen die Lebensgrundlagen entzogen
werden. Die geplante Herausnahme aus dem Bundessozialhilfegesetz
und die Schaffung eines Sondergesetzes, das nur noch Gelder bewilligen
soll, die dem Lebensstandard in den Heimatländern entsprechen
sollen, hungert die Menschen aus.
Die Anerkennungsquote wird systematisch runtergeschraubt. Daß
die Flüchtlinge auf diese Weise dem illegalen Arbeitsmarkt
zugeführt werden, gehört zum Repertoire kapitalistischer
Ausbeutungsmethoden. Einige Branchen setzen zunehmend auf die Vernutzung
illegaler Arbeitskraft aus dem Flüchtlingsmilieu.
Im Zusammenhang mit der Leiharbeit und dem staatlichen Zwangsarbeitssystem
wird deutlich, daß der Anteil der ungarantierten Arbeit wächst.
Gegen diesen Klassenkrieg von Oben müssen die Angriffslinien
gegen das System liegen, um die Kampagen gegen die imperialistische
Flüchtlingspolitik auszuweiten zum Kampf gegen die repressive
Sozialpolitik und ihren Vermittlungsagenturen.
Unser Angriff auf beide Orte stellt eine Verbindung her, die die
Ausweitung der Kampagne thematisiert. Dabei wissen wir natürlich,
daß unsere Aktion die Politik der Spaltung und Desorientierung
durch die Herrschenden nicht aufhebt und die rassistische Klassenstruktur
nicht überwindet. Sie gibt eine Möglichkeit für zukünftige
Konfliktlinien an.
Die verbrannten Akten in der Dortmunder Außenstelle des Zirndorfer
Amtes sollen den Flüchtlingen eine Atempause verschaffen und
ein Beitrag dazu sein, das faktische Aufenthaltsrecht durchzusetzen.
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