Aktion gegen den hessischen Wirtschaftminister Karry (Mai 81)
Wenn Tagträume Realität werden ...
"Am frühen Morgen des 11.5. gegen 5 Uhr hat sich der
in Frankfurt Seckbach einsitzende Terrorist Heinz Hubert Karry mit
vier Schüssen aus einer Kleinkaliberpistole das Leben genommen.
Karry stand unter dem dringenden Verdacht der langjährigen
Mitgliedschaft und Rädelsführerschaft in einer terroristischen
Vereinigung, der Vorbereitung mehrerer Atomsprengstoffanschläge,
massiver und kaum regenerierbarer Umweltzerstörung und - vernichtung,
des illegalen Waffenhandels, der Beihilfe zur Kriegsvorbereitung,
der Begünstigung und Strafvereitelung von wirtschaftkriminellen
Vereinigungen, der Nötigung, des schweren Landfriedensbruchs,
der schweren Körperverletzung, des versuchten und vollendeten
Mordes in zahllosen Fällen. Wie die Selbstmordwaffe in seine
Hände gelangte, ist bislang unbekannt. Als erste Maßnahme
wurde die Bewachung seiner Helfershelfer und Komplizen aus dem terroristischen
Umfeld verschärft, um weitere, die freikapitalistisch- herrschaftliche
Grundordnung erpressende Selbstmorde zu verhindern..."
So
oder ähnlich könnten wir fortfahren, würden wir die
Sprache und den grenzenlosen Zynismus der Herrrschenden weiter parodieren.
Ein Zynismus, der den Hungerstreik- Tod im nordirischen KZ Long
Kesh [23] 1981 wie die
Geisel- Hinrichtungen von Stammheim 1976/77 als "Selbstmorde"
deklariert. Ein Zynismus, der aus dem Hungerstreik gegen persönlichkeitszerstörende
Isolationshaft - im Falle des nicht- tödlichen Ausgangs - eine
"Werbung für eine terroristische Vereinigung (§129a)"
macht (K.H. Dellwo [24]
und H. Herlitz [25]) und
bei wild um sich schießenden Agenten des Systems die Notwehr
konstruiert. Dieser Zynismus, Ausdruck der Herrschaftsverhältnisse
wie der Klassenfronten, in denen wir existieren, wird in unserem
langen Kampf gegen die kapitalistische Todesmaschinerie nie der
unsrige werden.
Deshalb:
Was Rebhuhn und Co. [26]
wissen, aber zurückhalten (ausgenommen die im Spiegel [27]
kolportierte dämliche Schock- Theorie), ist: Der Tod von Karry
war nicht beabsichtigt, sondern ein Unfall.
Geplant war, durch mehrere Schüsse in seine Beine dafür
zu sorgen, daß er länger das Bett hüten muß,
als ihm und seinen Freunden lieb ist, den "Türaufmacher"
des Kapitals (Karry über Karry) für längere Zeit
daran zu hindern, seine widerlichen und zerstörerichen Projekte
weiterzuverfolgen. Hätten wir Karry umlegen wollen, hätten
wir ein anderes Kaliber benutzt und vor allem sein Kopf (bzw. seinen
Oberkörper) ins Visier genommen. Das wäre leichter gewesen.
Daß eins der vier Projektile, von denen er getroffen wurde,
seine Beckenschlagader zerfetzte und damit tödlich wurde, war
der große - nicht einkalkulierte - Zufall an der Geschichte.
Nicht zufällig ist, daß BKA und Bundesanwaltschaft, entgegen
ihrer sonstigen Gewohnheit, die Einschußstellen nicht genau
beschrieben haben.
Daß Karry durch diesen Zufall die Reise in die ewigen Jagdgründe
antreten mußte, bekümmert uns ausschließlich insofern,
als dies nicht geplant war, wir damit das Aktionsziel verfehlten.
Insoweit mußten und haben wir Selbstkritik geübt:
- Ein - schmerzhaft - aus dem Schlaf Gerissener reagiert anders,
panischer (und damit unberechenbarer) als jemand, der wach ist.
- Die zu treffenden Körperteile waren verdeckt, was die
Zielsicherheit und - genauigkeit über das akzeptable Maß
hinaus einschränkt.
Da - trotz der Verwendung eines Kalibers, das normalerweise keine
tödlichen Verletzungen hervorruft - es keine Garantie hierfür
gibt, hat diese Aktion für uns die Konsequenz, das Angriffsmittel
Knarre auch in Zukunft ausschließlich gegen Personen anzuwenden,
bei denen das Risiko des nicht- beabsichtigten Todes eingegangen
werden kann.
Wäre Karry tatsächlich so unbeschwert und schutzlos gewesen,
wie es die bürgerliche Presse anfangs weismachen wollte, hätten
wir andere Wege und Mittel gewählt, unser Ziel zu erreichen.
Denn nichts liegt uns ferner, als den Einsatz der Knarre als das
Mittel militanten Widerstands zu propagieren.
Die Art und Weise unserer Aktion war ausschließlich davon
bestimmt, Karry alleine zu erwischen und damit die Gefährdung
anderer Personen (z.B. sein Fahrer und andere Begleiter) auszuschließen
sowie selbstverständlich den größtmöglichen
Schutz für uns selbst zu gewährleisten.
Der
Terrorist Heinz Herbert Karry, posthum von den Medien als volkstümlicher,
hessisch babbelnder, Äppelwoi saufender und Rippchen mit Kraut
fressender Mann von nebenan zu verkaufen, war verantwortlich für:
- das größte Atomkraftwerk der Welt: Biblis A und Biblis
B inclusive Kompaktlager
- Plan Biblis C
- Planung Wiederaufbereitungsanlage Nordhessen
- Atomzentrum und Plutoniumlager Hanau
- Startbahn West des Frankfurter Flughafens
- jede Menge Autobahnen und Schnellstraßen (A 66, B 8,
A 49, A 661, B 448 usw.)
- als Bundesschatzmeister der FDP war er Schlüsselfigur
für Waffenlieferungen in Spannungsgebiete.
Auf der einen Seite
- muteten ihn Stingls [28]
ohnehin gedrückte Arbeitslosenstatistiken wie "Zahlenorakel"
an, denn "ein großer Teil der Arbeitslosen ist nicht
ernsthaft am Erhalt eines Arbeitsplatzes interessiert" (Warum
nur???) oder "wird vom Arbeitsamt nicht nachdrücklich
genug (!!!) vermittelt" (FR v. 16.10.1980)
- verlangte er den Verschub und die Umsiedlung von Arbeitslosen
als Manövriermasse des Kapitals.
- sollten "Begriffe wie Pflicht wieder eine größere
Rolle spielen", arbeiteten ihm die Deutschen zu wenig und
"machen zu viel blau und krank" (BILD v. 18.7.1980)
- war er Mittelsmann zwischen Unternehmen und Kassenärztlicher
Vereinigung zum Zwecke der Disziplierung "zu viel" krankschreibender
Ärzte, der Senkung der Krankheitsrate und der erhöhten
Auspressung menschlicher Arbeitskraft.
Auf der anderen Seite
- unterstützte und deckte er Preisabsprachen von Baufirmen
- forderte er von der Bundesregierung die Übernahme der
Mehr- Kosten, die den Atomfirmen durch die Verschärfung der
"Sicherheitsvorschriften" - in der Novelle des Atomgesetzes
- entstehen, damit diesen sowieso massiv subventionierten Firmen
ihre Riesenprofite in vollem Umfang erhalten bleiben. (FR v. 25.2.1981)
Stets im Dienste seiner Vaterstadt Frankfurt und ihrer High Society
betrieb er gemeinsam mit seinen Freunden Wallmann und Hesselbach
den mindestens 200 Millionen kostenden Wiederauf- und Ausbau des
Prunk- und Protzobjekts "Alte Oper".
Äußerungen wie: "Das Hearing kann ausgehen, wie
es will oder zu Ergebnissen führen, wie immer sie auch ausgehen
mögen - für die Landesregierung wird es keine Konsequenzen
geben" (FR v. 15.1.1981) sind einzuordnen unter sein Motto:
Nützlich ist, was dem Kapital nützt.
Für seine Person hat es inzwischen Konsequenzen gegeben.
Heinz Herbert Karry, Intimus von H.D. Genscher [29],
war darüber hinaus Wegbereiter und ständiger politischer
Koordinator der Wirtschaftsbeziehungen des bundesdeutschen Kapitals
mit Osteuropa und China.
All das drückt aus, welche zentrale Funktion er über
das Land Hessen hinaus für seine Kapitalistenklasse inne hatte
und erklärt die des "Schmerzes" vollen Äußerungen
seiner Komplizen: "Ein Heinz Herbert Karry wird für uns
nicht ersetzbar sein" (sein Zögling E. Gries in einem
Nachruf) - und das ist gut so.
Dem entsprach denn auch der Popanz, der um sein Ende veranstaltet
wurde. Die Schmidts, Genschers, Wallmänner und wie sie alle
heißen, sind selbst getroffen. Es wurde wieder einmal deutlich,
daß ihr schmutziges, blutiges Geschäft der Herrschaft,
Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung auch für
sie nicht folgenlos bleiben muß, daß sich die Waffen
auch gegen sie wenden können. Ihre "Trauer" ist Ausdruck
ihrer Angst.
Doch mit ihrer Betroffenheit wollen sie nicht unter sich bleiben.
Das Volk soll und muß mittrauern, soll den Verlust des Feindes
bedauern. Sie geben sich nicht zufrieden mit ihrer Demonstration,
nicht mit der Propaganda vom volkstümlichen Menschen wie du
und ich; sie wollen die staatlich verordnete Trauer erzwingen: So
hetzen sie jetzt - wie bei dem (distanzierenden) Buback- Nachruf
[30] - gegen die Schreiber
eines Artikels der Frankfurter Stadtschülerratszeitung, der
die Aktion verurteilt, aber ansonsten das Kind beim Namen nennt.
Schweine wie Karry müssen beweint und gerächt werden.
Wo aber sind die Tränen und die Rache für die von Figuren
wie Karry alltäglich und normal gemordeten Menschen?
Wer beklagt die Unfalltoten der Straßen, die Opfer der Produktionsverhältnisse,
die Arbeitsunfälle, wer die Tausenden mittels Alkohol, Medikamenten
und Rauschgift umgebrachten, wer die in Haftanstalten und Psychiatrieknästen
zerstörten Menschenleben, die Chemie- und Atomkranken und -
toten und schließlich die - von Produktions- und Lebensbedingungen
niedergemacht - "normal"- Sterbenden????
Die sind lediglich der Preis für Wohlstand und Macht der Mächtigen
und Besitzenden.
Was die verschiedenen Reaktionen in der Bewegung betrifft, wollen
wir auf Argumentationen eingehen, die insbesondere auf der Startbahn
West und dem B 8- Damm geäußert wurden: Solche Aktionen
fielen auf die legal operierenden Gruppen zurück, das Hüttendorf
würde deshalb geräumt etc.
Sicherlich ist es eine berechtigte Spekulation, die Räumung
des Damms zu diesem Zeitpunkt (!) mit dem Tod Karrys in Verbindung
zu bringen. Schließlich lassen die Herrschenden sich nicht
alles gefallen. Nur - und das ist an sich müßig festzustellen:
Die Räumung von Startbahn und B 8 ist (war) schon immer geplant.
Die einzige Frage ist, ob sie durchgesetzt werden kann. Das hängt
ab vom Ausmaß und der Stärke unseres kollektiven, militanten
Widerstands.
Eine Woche vor der Aktion gegen Karry wurde der Platz für
die Giftmülldeponie Mainhausen "freigemacht". Was
war wohl der Grund hierfür und wer hat das veranlaßt?
Wenn in diesem Land grundlegende Veränderungen erkämpft
werden sollen, dann muß schleunigst mit dieser Untertanen-
Logik gebrochen werden, muß sich abgewöhnt werden zu
bitten und zu betteln, genauso wie sich die Sicht trüben zu
lassen und verarschen zu lassen von der Taktik, der "Fairness
und Volkstümlichkeit" eines Karry, der es fertigbrachte,
mit einer Spende von 100,- DM die Dammbesetzer zu beeindrucken und
ihr Wohlwollen zu kaufen. (War das das Sonderangebot des Jahres?)
Knechte haben sich noch nie von ihrer Herrschaft befreit, indem
sie vor den Herrn niederknieten und um Zugeständnisse bettelten.
Gebrochenes Rückgrat oder aufrechter Gang - das war seit jeher
die Entscheidung.
Unter der Regie von Karry entwickelte sich im letzten Jahrzehnt
Hessen zum Atomland Nr. 1 und die Rhein- Main- Region zum Zentrum
der westdeutschen Atomtechnologie.
Demgegenüber kam die hiesige AKW- Bewegung im gleichen Zeitraum
über zaghafte Ansätze kaum hinaus. Die Augen vor dem verschließend,
was unmittelbar vor der eigenen Nase passierte, erschöpften
sich unsere Aktivitäten weitgehend in fernen Großdemonstrationen.
Whyl, Brokdorf, Kalkar, Grohnde, Gorleben und wieder Brokdorf heißen
die Stationen. "Mit Brokdorf steht und fällt das gesamte
Atomprogramm" ist eine - falsche - von vielen Argumentationen,
die die Legitimation für die eigene Untätigkeit, Unentschlossenheit
und Phantasielosigkeit liefern sollen. Warum sollen immer nur Bauplätze
zur Wiese gemacht werden?
Warum ist es kein realistisches Ziel, die Stillegung von Biblis
"A" und "B" zu erkämpfen und "C"
zu verhindern? Wurde und wird doch gerade am Beispiel Brokdorf das
Problem der "offenen Feldschlachten" thematisiert und
die Notwendigkeit, den Kampf in die Städte zu tragen, propagiert!
An Angriffszielen und - möglichkeiten mangelt es im Rhein-
Main- Gebiet wirklich nicht.
Der ökologische und menschliche Vernichtungsfeldzug der Großindustrie
ist kein Auswuchs, sondern gleichzeitig Bestandteil und Konsequenz
des kapitalistischen Systems. Er ist nicht immanent, d.h. in den
vorgegebenen Strukturen zu stoppen oder gar rückgängig
zu machen. Jeder Widerstand, der die Grundlagen des Systems nicht
in Frage stellt, verkommt deshalb zwangsläufig zur reformerischen
Marotte.
Darum konnte das 4- tägige Landtagshearing zur Startbahn West
im Februar dieses Jahres durch das immanente Agieren der Bürgerinitiativen
auch auf nichts anderes hinauslaufen als auf die altbekannte "Güterabwägung"
zwischen sogenannten Arbeitsplätzen und drohendem Fortschreiten
der ökologischen Zerstörung. Auch die Fixierung auf das
nun angestrebte Volksbegehren bedeutet eine weitere Verlagerung
und Beschränkung der Aktivitäten auf die traditionelle
politische Ebene. Im wahrsten Sinne des Wortes verschleißt,
lähmt und inaktiviert es die Kräfte des Widerstands. Nicht
umsonst ist es in letzter Zeit um die Startbahn West sehr ruhig
geworden, wurde aus der geplanten Errichtung eines hölzernen
Wachturms ein Trauerspiel. Das mit solcher Ausschließlichkeit
betriebene Volksbegehren entpuppt sich damit als legalistischer
Strohhalm, der den Untergang nur noch beschleunigen wird, wenn diese
Fixierung nicht bald durchbrochen wird.
Eine freie, menschliche und ökologisch orientierte Gesellschaft
ist nur als antikapitalistische denkbar. Ökologischer Widerstand
wird entweder revolutionär oder er bleibt wirkungslos. Ziele
wie Aktionsformen revolutionären Widerstands sind unterschiedlich
und vielschichtig. Dabei ist die Sabotage die notwendige und effektivste
Kampf- und Aktionsform.
Sabotage ist immer, überall und jederzeit möglich: In
ihr erorbern wir uns die Freude und Phantasie zurück, die uns
die Herrschenden genommen haben und ständig zu nehmen versuchen.
Ihr Ziel ist einfach und klar: An allen Ecken und Enden die kapitalistische
Maschinerie ins Stocken, Schwanken und Rotieren bringen.
Sie ist individuell und kollektiv ausführbar.
Sie ist Ausdruck für den radikalen Bruch mit und die Kompromißlosigkeit
gegenüber dem kapitalistischen System, für das Bedürfnis
und den Willen nach Veränderung.
Sie richtet sich gegen Maschinen, Institutionen, Personen. Gegen
alles, was uns kaputtmacht, zerstört und unterdrückt.
Sie ist nicht blind, sondern zielgerichtet: Freiheit, Frieden,
Liebe und Glück für die Menschen und Krieg den Fabriken,
Ämtern und Palästen der Herrschenden.
Sie kennt - selbstredend - nicht die Aktion, die die Verhältnisse
"kippt", sondern nur viele, viele einzelne Aktionen, deren
gemeinsames Ziel die Offensive gegen das System ist!
Der Kampf geht weiter!
Schafft viele Revolutionäre Zellen!
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