Vorbemerkung Kapitel IX
Die Bewegung gegen die Startbahn West
Als Anfang der 60er Jahre bekannt wurde, daß der Ausbau des
Frankfurter Flughafens u.a. um eine weitere Startbahn geplant wurde,
gab es Proteste aus der Bevölkerung der angrenzenden Region.
Die Erfahrungen mit den bereits existierenden Lärm- und Umweltbelastungen
durch den Flughafen führte zu einer Ablehnung dieser Ausbaupläne
durch alle lokalen politischen Parteien und sozialen Gruppen.
Es gründeten sich Bürgerinitiativen, die sich aus GemeindevertreterInnen
aller Parteien und BürgerInnen der betroffenen Gemeinden zusammensetzten.
Sie reichten Petitionen ein und engagierten sich in der Öffentlichkeitsarbeit.
In dem für den Bau der Startbahn vorgesehen Waldgelände
wurde ein Hüttendorf gebaut, gleichzeitig sammelten die Bürgerinitiativen
Unterschriften, um ein Volksbegehren zur Frage des Startbahn- Baus
zu erreichen.
Die Räumung des Hüttendorfes
Während
die Initiativen für das Volksbegehren noch nicht abgeschlossen
waren, wurden im Herbst 1981 die Vorbereitungen zur Räumung
des für die Rodung vorgesehenen Waldstücks getroffen,
das von mehreren tausend Menschen besetzt worden war.
Die Räumung des Hüttendorfes mit einem brutalen Polizeieinsatz
am 2. November 1981 führte zu einer bis dahin noch nie erlebten
Mobilisierung in der Region und in Frankfurt: Zehntausende demonstrierten
mehrere Tage in Frankfurt und in dem Waldgelände. Am 3. November
wurde mit dem Bau eines neuen Hüttendorfes begonnen, das jedoch
wenige Tage später erneut geräumt wird.
In vielen Städten der BRD fanden Solidaritätsaktionen
und - demonstrationen statt. Während eine Mauer um das Baugelände
gezogen wurde, demonstrierten am 7. November 1981 rund 40.000 Menschen
am Bauplatz, die Abgabe der Unterschriftenliste zum Volksbegehren
am 14. November wurde von 120.000 bis 150.000 DemonstrantInnen begleitet.
In dieser Phase der Anti- Startbahn- Bewegung fand der Widerstand
und Protest gegen die Startbahn in vielen verschiedenen, nebeneinander
existierenden Formen statt. Neben den Massendemonstrationen wurden
Blockaden errichtet, traten SchülerInnen in Streiks, wurden
Anschläge auf Banken und am Startbahnbau beteiligte Firmen
verübt, die Mauer um das Baugelände immer wieder angegriffen
und teilweise zerstört.
Die Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung
Als mit der Entscheidung des Staatsgerichtshofes Hessen das Volksbegehren
als verfassungswidrig abgelehnt wurde und die massive polizeiliche
Präsenz auf dem Baugelände erneute Besetzungsversuche
verhinderte, zerfiel die Breite der Bewegung. Die von Anfang an
schwelenden Auseinandersetzungen zwischen Militanten und Gewaltfreien
kamen nun voll zum Tragen, führten zu Abgrenzungen bis hin
zu Diffamierungen.
Ähnlich wie in der Friedens- bzw. Anti- Kriegs- Bewegung zielten
Autonome und Antiimperialisten auf die übergreifenden politischen
Zusammenhänge ab und thematisierten die militärische Funktion
der Startbahn für die NATO, während die Gewaltfreien und
die Bürgerinitiativen auf ein neues Volksbegehren gegen die
Raketenstationierung und die Gründung einer hessischen "Grünen
Liste" hinarbeiteten.
Trotzdem gelang es, auch nach der Rodung des Waldes, dem Baubeginn
und der Inbetriebnahme der Startbahn im April 1984, den Widerstand
gegen das Projekt aufrecht zu erhalten. Neben den wöchentlichen
Sonntagsspaziergängen zum Startbahngelände fanden subversive
Aktionen wie, Knacken der Mauerstreben oder Umsägen von Strommasten
statt.
Das Ende der Startbahnbewegung markierten die Schüsse am 2.
November 1987, als zwei Polizisten von Teilnehmern einer Demonstration
anläßlich des Jahrestages der Hüttendorfräumung
getötet wurden.
Die Revolutionären Zellen
legen im August 1983 ein umfangreiches Papier als "vorläufiges
Ergebnis unserer Aufarbeitung des Kampfes gegen die Startbahn West"
vor. Um einen Aufarbeitungs- und Diskussionsprozeß in Gang
zu setzen und aus den eigenen Fehlern zu lernen, analysieren sie
zunächst die ökonomische und militärische Bedeutung
der Startbahn und anderer Großprojekte und die daraus resultierende
Notwendigkeit der hessischen Landesregierung, die Startbahn - auch
gegen massive Proteste - um jeden Preis durchsetzen zu müssen.
Sie untersuchen den sozialen und politischen Hintergrund der linksradikalen
Bewegung, der Bürgerinitiativen und der in der Region ansässigen
Bevölkerung, und die jeweiligen politischen Interessen und
Ziele dieser drei Gruppen innerhalb der Startbahnbewegung.
Am Schluß reflektieren sie ihre eigene Beteilung am Kampf
gegen die Startbahn und setzen sich mit der "Karry- Aktion"
kritisch auseinander.
Am
11. Mai 1981 hatte eine Revolutionäre Zelle den hessischen
Wirtschaftsminister Herbert Karry erschossen. In ihrer Erklärung
begründeten sie diesen Anschlag mit der politischen und ökonomischen
Funktion Karrys, erklärten aber auch, daß sein Tod nicht
beabsichtigt war, da sie ihm nur in die Beine hätten schiessen
wollen.
Nach dem Haupttext folgen Erklärungen der RZ zu Anschlägen
auf Baufirmen, die am Startbahnbau beteiligt waren, und auf das
hessische Ministerium für Wirtschaft und Technik.
In der "Radikal" Nr. 121 und 122 wurden Kritiken am Startbahn- Papier
veröffentlicht, die von einer Revolutionären Zelle als
"diffamierend" und distanzierend abgelehnt wurden. Sie
werfen den Autoren vor, sich nicht mit dem Inhalt des Papiers und
dem Versuch, politische Strategien zu entwickeln, auseinanderzusetzen,
sondern sich nur nach eigenen Bedürfnissen zu richten.
Die Anmerkungen zu diesem
Kapitel befinden sich im Buch auf Seite 732 ff.
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