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Anschläge auf Interatom in Bensberg, die Gesellschaft für
Reaktorsicherheit in Köln und einen Strommast in Kalkar
(November 82)
Schneller als der Schnelle Brüter?
1.
Die Demo vom 2.10.82 könnte ein neuer Auftakt zur weiteren
Mobilisierung gegen den Schnellen Brüter sein, obwohl sich
die Bedingungen hierfür auf den ersten Blick verschlechtert
haben. Der Klotz konnte in aller Ruhe gebaut werden, fünf Jahre
lang, ohne daß wir in der Lage waren (vor allem nach der September-
Demo 77), nennenswert zu stören. Die Vorgeschichte zu dieser
Demo ist auch Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber dem Atomprogramm
der BRD. Die Mobilisierung zur Demo waren weniger das Ergebnis einer
langjährigen Auseinandersetzung der Anti- Kalkar- Gruppen mit
dem Brüter; sie war vielmehr ursprünglich gedacht als
Entscheidungshilfe für die Abstimmung im Parlament und als
Unterstützung der "kritischen Enquetemitglieder"
und als solche von der BBU und den Grünen in die Diskussion
gebracht worden. Die Diskussion um den Demo- Aufruf hat die beiden
Linien in der Anti- Akw- Bewegung öffentlich gemacht:
Auf der einen Seite BBU und Teile der Grünen, fixiert auf
den Parlamentarismus und dessen Spielregeln - sie wollten die gewaltfreien
Massen gewaltfrei vorführen - und auf der anderen Seite die
BIs und Autonomen, die den Abriß des Brüters auf die
Tagesordnung setzten, über das Wie jedoch auch wenig äußerten.
Auf der Demo selbst spiegelten sich die Linien wieder:
Der BBU hielt eine Kundgebung ab, wenige Meter weiter versuchten
400 Leute, die Bullen auf Trab zu bringen, um so wenigstens den
Friede- Freude- Charakter der Veranstaltung zu stören. Und
zwischen den Steinewerfern und den Wasserwerfern warfen Gewaltfreie
die Arme hoch, um die Wasserwerfer und die Bullen vor den Steinewerfern
zu schützen.
2.
Der Schnelle Brüter wird nach dem Willen von Staat und Industrie
zu Ende gebaut. Bei der Hoffnung der Grünen, daß das
Gezeter um Finanzierungslücken das Signal für das langsame
Sterben bedeutet, war wohl auch der Wunsch der Vater des Gedankens.
Der Brüter und der Hochtemperaturreaktor sind Symbole für
ihren Fortschritt. Der Regierungswechsel [19]
ändert nur insofern etwas daran, als sich die CDU/FDP nicht
mehr um den letzten Schein von Sozialstaatlichkeit zu scheren braucht.
Birne macht dort weiter, wo Schmidt nicht mehr konnte, wie er wollte.
Der Weiterbau des Brüters steht für die Glaubwürdigkeit
einer Regierung, die in der umfassenden Durchsetzung einer menschenverachtenden
und zerstörenden Großtechnologie ihren Weg zu Wirtschaftswachstum,
Macht und Expansion sieht.
Obwohl Herr Riesenhuber [20]
von der Notwendigkeit der finanziellen Beteiligung der Atomindustrie
spricht, werden im neuen Haushalt große Summen des Finanzlochs
bei Brüter und Hochtemperaturreaktor aufgebracht. Die Diskussion,
die zwischen von Bülow [21]
und den EVUs (Energieversorgungsunternehmen) und Konzernen um die
Finanzierung der Projekte begann, hat zwei Funktionen:
- Die Umverteilung der Kosten müßte neu geregelt werden,
weil der Staat nicht mehr die Finanzierung von Forschung und Entwicklung
allein tragen konnte und wollte. Daß bei der Diskussion
der Deal: mehr Geldeinsatz der EVUs und Industrie gegen einfachere
Baugenehmigungsverfahren und politische Unterstützung herauskam,
zeigt, daß die AKW- Betreiber noch auf dem Vormarsch sind.
- Die SPD hat in der letzten Phase der öffentlichen Diskussion
ihre Oppositionsrolle vorbereitet. Sie weiß sehr genau,
daß sie nach dem Verlust der Macht sich auf neue Partner
einstellen muß. Mittlerweile signalisiert selbst ein Börner
[22] Gesprächsbereitschaft
an die Grünen und Vogels [23]
Berliner Weg soll auch in Bonn gangbar gemacht werden. Die breit
geführte Diskussion um neue Mehrheiten links von der CDU
zeigt, daß die SPD in der Krise allemal in der Lage ist,
Integrationsmodelle zu entwickeln. Sie hat angefangen, ihre Legende
als ein Opfer von Verrat zu stricken, der Solidarisierungseffekt
mit dem gemeuchelten König Schmidt ist offensichtlich.
Es wird jetzt schon geflissentlich verdrängt, daß die
SPD in den letzten 13 Jahren verantwortlich die Entwicklung zum
Überwachungsstaat betrieben hat, daß sie Hochsicherheitstrakte
und Berufsverbot eingeführt hat, daß unter ihrer Regie
Genossen und Genossinnen ermordet wurden, daß sie die Ausländerfeindlichkeit
und Rassismus geduldet hat, daß unter ihr unsere Städte
gesäubert wurden von allem Menschen- und Lebenswerten, daß
die Massen ihrer Wähler in Betonburgen verwaltet werden, daß
jeder Widerstand gegen die Zerstörung mit Bullengewalt gebrochen
und verfolgt wurde, daß diese Sozialdemokraten das Leben aller
sozial Schwachen ausgrenzten aus ihrer Wachstumsgesellschaft.
In der Opposition wird sie die Grünen umgarnen und versuchen,
sie für eine um Ökoprobleme bereicherte sozialdemokratische
Politik zu gewinnen.
Die Diskussion bei den Grünen zielt genau in diese Richtung
eines Bündnisses mit der SPD. Ihre Widersprüche machen
sich nicht an dem OB fest; mit wem und mit wem nicht, gilt es zu
entscheiden.
So fanden die Gespräche von Bülows in einer Situation
statt, in der das Ministerium nicht mehr zahlen konnte. Eine Erhöhung
des Etats und die damit verbundene Belastung des Steuerzahlers konnte
in einer Zeit vor einem erwarteten Regierungswechsel nur unklug
sein.
3.
Die Durchsetzung des Brüterprogramms hat gegenüber den
anderen AKWs einen besonderen Stellenwert:
- Mit dem SNR 300 sollen die Erkenntnisse aus dem Karlsruher
Versuchsreaktor im großen Stil, unter realen (also unseren)
Bedingungen umgesetzt und getestet werden. Die Erwartungen an
diesen Großversuch bleiben nicht bei der technischen Vervollkommnung
und Weiterentwicklung stehen. Getestet werden soll auch die Auswirkung
dieses atomaren Monsters auf Menschen, d.h. auf uns Menschen in
NRW - wie wird unsere Arbeits- und Kommunikationsstruktur sich
verändern? Verändern müssen? Wie werden wir als
Menschen reagieren auf dieses zukunftsweisende Bauwerk? Mit Gewöhnung,
mit Flucht, mit Angst, mit Stolz, mit Sabotage?
- Die Brütertechnologie muß beherrscht werden, um
der BRD einen Spitzenplatz in der internationalen Konkurrenz zu
sichern, der mit jedem Jahr Verzögerung gefährdet scheint.
Die BRD verfügt nicht über eigene Uranvorkommen. Im
internationalen Atomgeschäft spielt für sie der Verkauf
von Know How und Technologie die weitaus größte Rolle.
Dieses Verhältnis trifft auf fast alle Rohstoffe zu, die
die BRD importieren muß. Die Industrie kauft Rohstoffe aus
Ländern, in denen mit ihren Maschinen und Ingenieuren das
Zeugs aus dem Boden geholt und verarbeitet wird. Wie wichtig auch
der Bundesregierung diese Wissensmacht ist, zeigt der letzte Forschungsetat,
der die Masse der Gelder in Brüter, HTR, Mikroelektronik
und Biotechnologie investiert und auch der neue Etat des Herrn
Riesenhuber spart überall, nur nicht an der Ecke. Brüter,
HTR, Mikroelektronik und Biotechnologie bleiben von allen Kürzungen
ausgenommen.
- Der Brüter steht für die fortschreitende Europäisierung
des Atomprogramms. Die Beteiligung von holländischen, belgischen
und englischen Firmen am SNR 300 sowie der Franzosen und Italiener
am Folgereaktor ist zwingend, wenn die BRD an der Entwicklung
anderer europäischer Brüterlinien teilhaben will. Die
Beteiligung der Deutschen am Superphenix [24]
soll einen wissenschaftlich- technischen Alleingang der Franzosen
verhindern, was die Marktchancen für die BRD schwächen
könnte.
- Die BRD sichert ihren imperialistischen Einfluß durch
Verkauf von ganzen AKWs und bestimmt damit direkt die innenpolitische
Entwicklung der betroffenen Ländern. Mit dem Bau des Brüters
muß etabliert werden, was verkauft werden soll.
4.
Auf den ersten Blick haben wir schlechte Karten. In der 'Automomie'
4/5 schrieben wir:
"Unsere Vorstellung ging dahin, die Atommafia da anzugreifen,
wo das Atomprogramm konzipiert, wissenschaftlich vorbereitet, propagandistisch
aufbereitet und materiell durchgeführt wird, also nicht den
Bauplatz als Schlußpunkt des Programms, sondern die ganze
Struktur des Atomprogramms zum Angriffspunkt zu machen. Wir glauben
immer noch, daß dadurch die Möglichkeit einer kontinuierlichen
politischen und militanten Praxis in jeder Stadt gegeben ist, wir
die Möglichkeit der überraschenden Initiative behalten
und uns nicht ausschließlich einige Standorte zu 'Entscheidungsschlachten'
aufdrängen lassen brauchen."
Das
ist heute noch die Kampfperspektive. Dabei kann es nicht nur um
die Rettung des ökologischen Gleichgewichts allein gehen -
das ist wahrscheinlich eh schon kaputt. Die Finanzierung des Brüters
wird im Angriff auf unsere Lebensbedingungen durchgesetzt. Die Milliarden
des Forschungsetats kommen aus Steuergeldern. Sozialhilfe, Kindergeld,
Arbeitslosengeld werden gekürzt, Strompreise werden erhöht.
Der Bau des Schnellen Brüters führt deshalb unmittelbar
zu einer Verschlechterung unserer Lebenssituation. So betrachtet
ist die Perspektive unseres Kampfes umfassender, schließt
die Menschen mit ein, die sich einer Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen
widersetzen, macht es uns möglich, auf viel breiterer Ebene
aufzuwiegeln und anzugreifen. [...]
Unsere Chance besteht darin, dort ein- und anzugreifen, wo der
Brüter noch fertiggestellt werden muß. Sie rechnen selbst
noch mit 5 bis 6 Jahren Bauzeit. Jahre, in denen Transporte nach
Kalkar fahren, Firmen ihre Aufträge erfüllen und Material
anliefern, in denen die Betreiber und Erbauer Steuergelder einstecken,
in denen der Niederrhein verkehrsmäßig atomgerecht verändert
wird. Jahre, in denen die EVU's versuchen werden, den Strompreis
anzuheben. Jahre, in denen wir Zeit haben zu boykottieren, zu sabotieren,
zu besetzen, zu sperren, zu sprengen. - Auf geht's!
Wir haben angefangen, die Brütermafia anzugreifen. Möglichkeiten
sind da viele, denn das Netz von Brüter- Entwicklern, Brüter-
Forschern, Brüter- Bauern etc. ist ausgedehnt.
Angefangen haben wir mit Interatom und der Gesellschaft für
Reaktorsicherheit (GRS). In der Nacht vom 1.10. haben wir einen
Sprengsatz bei Interatom in Bensberg und in Köln bei der GRS
gezündet. Interatom mußte seinen Lehrlingen einen Tag
freigeben. Bei der GRS ist die Druckwelle nicht nur hinten rein
gegangen, sondern auch vorne wieder raus mit 'ner ziemlichen Wucht,
wobei eine Menge Scheiben auf der Strecke geblieben sind.
Interatom gehört zu 100% der KWU und die wiederum voll und
ganz Siemens. Interatom sitzt in Bensberg und besitzt seinerseits
wiederum zu 70% die INB - Internationale Brutreaktorengesellschaft
(neben einer belgischen und niederländischen Firma). Selbige
ist erst 1972 zum Zweck des Brüterbaus gegründet worden.
Im Produktionsprogramm von Interatom finden sich neben den Schnellen
Brütern auch gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren, auch
Urananreicherungsanlagen mit Gaszentrifugen- und Trenndüsenverfahren.
Da werden Trainingsreaktoren und Forschungsreaktoren und Brennelemente
angeboten. Selbst Standortuntersuchungen und Gutachten zur Reaktorsicherheit
verkaufen die. Interatom hat selbst wieder 'ne Tochter - die GHT,
Gesellschaft für Hochtemperaturtechnik - und noch andere nukleare
Teiltöchter. Interatom ist ein Gesellschafter in der Kenntnisverwertungsgesellschaft
für Schnelle Brutreaktoren. Interatom baut in Indonesien einen
Forschungsreaktor. Interatom ist zu 10% bei NUCLEI beteiligt, eine
(bis auf 15% STEAG) brasilianische Gesellschaft, die dort eine Demonstrationsanlage
zur Urananreicherung nach dem Trenndüsenverfahren baut. Interatom
liefert mit STEAG zusammen den Ingenieur- Architekt zu diesem Projekt.
Know- How, der Export davon, mitmischen im europäischen Wissenshandel
- genug, um ihnen etwas anzutun, wenn's auch noch zu wenig war.
In der Gesellschaft für Reaktorsicherheit sind die TÜVs
verschiedener Länder und des Bundes zusammen mit dem Lloyd
vertreten. Neben der Beratung des BMI bei kerntechnischer "(Un)Sicherheit"
und des nuklearen "Umgebungsschutzes" hat die GRS eine
Reihe anderer Funktionen. Sie erstellt Gutachten im Auftrag des
BMI und der atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden,
untersucht neue Konzepte und Systeme bei kerntechnischen Anlagen
und arbeitet Vorschläge für Forschungsvorhaben aus. Zu
ihren Aufgaben gehört auch die Durchführung von Forschungs-
und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der "Sicherheit"
von kerntechnischen Anlagen und sie arbeitet an Regeln und Richtlinien
im Bereich "Sicherheits"- Technik mit. Die Öffentlichkeit
und interessierte Stellen werden von ihr in allen Fragen der "Sicherheit"
von Atomanlagen "beraten", und sie betreut die Reaktorsicherheits-
und Strahlenschutzkommission fachlich und organisatorisch.
Am 1. November haben wir einen Sprengsatz an einem Strommast gelegt,
der schnurstracks und ausschließlich zum Brüter führt.
Wir wollten damit eine Zwangspause für wenigstens einige Tage
erreichen, in denen im Gelände lediglich mit Notgeneratoren
das Notwendigste beleuchtet und belüftet werden kann.
Jeder Tag Verzögerung beim Bau in Kalkar heißt Geld
und Ärger und Gerede für sie - und Zeit und Luft für
uns.
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