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RZ / Rote Zora

Die Flüchtlingskampagne

Als in den gemischten Gruppen der Beschluss gefasst wurde, für eine Flüchtlingskampagne überregional zusammenzuarbeiten, war das Thema Asyl in der Öffentlichkeit kaum präsent. Dass das Flüchtlingsthema dann im Sommer '86 von der politischen Klasse und den Medien aufgekocht wurde, zeitgleich zu den ersten Aktionen, kam deren Popularität entgegen, aber damit gerechnet hatte eigentlich niemand.

Neu an diesem Beschluss war, dass erstmals der Anspruch auf ein gemeinsames Thema des Gesamtzusammenhangs erhoben wurde, um jenseits der Teilbereichsbewegungen ein eigenes Projekt zu entwickeln und darin die konkrete Funktion des bewaffneten Kampfs neu zu erproben. Die Reorganisation um ein gemeinsames Thema herum erschien auch deshalb nötig, weil sich inzwischen mehrere parallele Gruppierungen zu Wort gemeldet hatten, mit deren Auffassungen nicht immer ein Einverständnis bestand. Ober das gemeinsame Thema entwickelte sich, anders als je zuvor, auch eine gemeinsame Diskussion: nicht mehr nur zwischen Einzelnen, nicht mehr nur vermittelt über Delegierte, sondern auf Treffen, zu denen die einzelnen Zellen auch mehrere TeilnehmerInnen zulassen konnten. Auf diesen Treffen wurden natürlich nicht die einzelnen Aktionen verhandelt, die weiterhin von den Gruppen autonom bestimmt wurden, sondern es ging um eine gemeinsame, verbindliche Linie.

Vielleicht das wichtigste Argument für die Kampagne war, dass sie geeignet schien, eine antiimperialistische Strategie in der Metropole selbst zu entfalten und den Trikont ins Land zu holen, und zwar in Bezug zur konkreten sozialen Wirklichkeit. Niemand hatte ein Problem damit, eine Flüchtlingskampagne ohne Flüchtlinge zu starten, denn es lag auf der Hand, dass sich ein "sozialrevolutionärer Dialog" zwischen Selbstorganisationsformen der Flüchtlinge und den sozialrevolutionären Gruppen wenn überhaupt, dann erst im Lauf der Zeit entwickeln würde. Zunächst sollten Räume eröffnet werden für diese Selbstorganisation. Uns wäre heute sicherlich geholfen, wenn es auch heute noch Gruppen gäbe, welche die Spannung zwischen provisorischer Strategie und identitätsstiftender Rückversicherung aushalten könnten. Anfangs glaubte niemand daran, dass sich Verbindungslinien zu den linken Bewegungen, den Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängerinnen, KAPOVAZ- Arbeiterinnen usw. in absehbarer Zeit würden herstellen lassen. Die Gruppierung, die sich eine Zeitlang auf eine "proletarische Klassenlinie" bezogen hatte, beteiligte sich denn auch nicht an der Kampagne.

Es erschien attraktiv, sich aus der Verstrickung mit den "Bewegungen" zu lösen, nicht mehr "den Anschlag zum Thema" zu liefern und sich dann über schlechte Kritiken und die grüne Pazifizierung zu ärgern, sondern eine eigene Rhythmik zu entfalten. Natürlich sollte sich daraus ein neuer Dialog mit der autonomen Linken entwickeln, wie dies letztlich ja auch geschehen ist. Und auch diese Frage wurde immer wieder diskutiert: Das Niveau der Aktionen war in den Häuserkämpfen und in der AKW- Bewegung durch spontan entstandene Aktionsgruppen leicht eingeholt worden. Das entsprach dem Konzept von Massenmilitanz: nur, womit war dann der Aufwand, der in den RZ betrieben wurde, noch zu rechtfertigen? Die Antworten, die damals gegeben wurden: zum ersten die Kontinuität, die Unabhängigkeit von den Konjunkturen der Bewegungen, die Verantwortung für neue Zyklen, die sich in mehreren Fibeln und Detailkritiken niedergeschlagen hat, und zum anderen die Möglichkeiten der Steigerung, der Überwindung des Einbruchs von 1977.

Mehrere Gruppen waren in der glücklichen Position, dass aus den Teilbereichsbewegungen, wenn auch vereinzelt, neue Kräfte hinzugekommen waren. So schien es nun möglich, das Niveau der "bewaffneten Propaganda" und der "Nadelstiche" zu überwinden.

FlüchtligsheimDabei ging es weniger um das Kaliber der Eisen oder die Menge von Stoff, und schon gar nicht um die Illusion, man befände sich im Krieg, sondern viel schlichter ging es darum, ob es gelingen würde, die Lagerhaltung und Abschiebung der Flüchtlinge konkret zu behindern, die Verantwortlichen einzuschüchtern und den Flüchtlingen selbst Luft zu verschaffen. Mehrere Aktionen zielten in diese Richtung: die Orte der Erfassung der Flüchtlinge anzugreifen und so die Abschiebungen konkret zu verhindern, sowie die Anonymität des Verwaltungsapparats aufzubrechen und einzelne Verantwortliche zu kennzeichnen.

Ob es aus der Situation selbst heraus begründet war, zu diesem Zweck einzelne "Pigs anzukratzen", war zwischen den Gruppen nicht unumstritten. Dass man mit Kaliber 22 niemanden töten würde, erschien zwar -trotz Karry -gesichert. Aber ging es bei diesen Aktionen nicht doch mehr um biographisch begründete Steigerungen als um die Sache selbst? Um einen Rückbezug auf die 70er Jahre, deren Erbe auch in den 80ern immer wieder auftauchte? Da es schließlich in der öffentlichen Diskussion gegen die Knieschüsse viel weniger Einwände gab als in der internen Diskussion selbst, waren bald andere Themen dringlicher. Insbesondere hätte man gern nicht nur punktuell eingegriffen, sondern in einigen Städten eine Präsenz aufgebaut, die einen beständigen Schutz für die Flüchtlinge bedeutet hätte. Zum Beispiel schien es im Bereich des Möglichen, Ausländerbehörden zu entern, die Hausmeister und Nachtdienste in Sicherheit zu bringen und die Gebäude substanziell zu zerstören, statt nur Löcher in die Wände zu machen, oder man diskutierte den Plan, in den Stadtstaaten für jeden abgeschobenen Flüchtling einen Sachschaden bestimmter Höhe in den Glitzerwelten der Innenstädte anzudrohen.

Wäre das schon ein Stück "Gegenmacht" gewesen? Einige Genossen bestanden immer wieder darauf, dass allein am Umgang mit der Machtfrage die revolutionäre Qualität des Zusammenhangs gemessen werden könnte. Andere waren da weniger orthodox und scherten sich kaum darum, dass ihnen "bewaffneter Opportunismus" vorgeworfen wurde, wenn nur die Zwischenbilanz stimmte. Außerdem ging es nicht um Macht, sondern um die Zerstörung derselben. Sollte man "Macht" nicht besser durch "Präsenz" ersetzen? In der Tat: die Vergegenwärtigung des weltweiten Antagonismus in den Metropole selbst war und ist noch die beste Bestimmung für den BK - wenn es klar bleibt, dass trotz eines weltweiten sozialen Kriegs in den Metropolen selbst kein Krieg geführt oder gewonnen werden kann. Dies ist ein zweifelhaftes Privileg des Metropolenmenschen, aber auch unser Dilemma.

Eine Steigerung dieser Präsenz konnte man sich vor 15 Jahren noch sehr wohl vorstellen. Dabei sollte vermieden werden, sich in eine Spirale der Gewalt hineinzubewegen, wie in den 70er Jahren, und stattdessen hätte die "weiche Flanke" des Imperialismus in den Metropolen selbst zum Angriffsziel werden müssen: die weitgehend ungeschützten Kommunikationseinrichtungen, die Konsumtempel, Glasfassaden, Glitzerwelten. Vielleicht hätte die Kampagne gegen KAPOVAZ bei Horten, die wiederholt diskutiert wurde, Erfolge gezeitigt? Vielleicht auch wäre heute das Kappen von Glasfaserkabeln so üblich wie damals das fällen von Strommasten? Es waren dann die Frauen, die uns zeigten, wie mit einfachen, gut plazierten Mitteln beträchtliche Erfolge zu erzielen waren.

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