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Aussageverweigerung

Aussageverweigerung

Nicht nur nach den bundesweiten Durchsuchungen am 13.06.95 (gegen A.I.Z.; radikal, K.O.M.I.T.E.E und R.A.F.)wollen die Staatsschutzbehörden mal wieder ein ZeugInnen-Karussel in Bewegung bringen. Auch in Frankfurt a./M. und Wiesbaden dreht es munter seine Kreise. Vielen Leuten dort ist schon ein Sitzplatz angeboten worden, andere haben schon ihre Runden gedreht.

Die Palette der Aussageerpressung reicht von polizeilicher bis staatsanwaltschaftlicher ZeugInnenvorladungen, letzteres mit Androhung von Ordnungsgeld bzw. Beugehaft, bis hin zur tatsächlichen Vollstreckung der Zwangsmaßnahme.

Die ganze ZeugInnenproblematik und Diskussion über Aussageverweigerung hat damit nicht nur wieder eine aktuelle Brisanz, sondern auch eine neue Dimension.

Wir, die Arbeitsgruppe zu ZeugInnenvorladungen und Aussageverweigerung des bundesweiten Treffens der Soligruppen zum 13.06.95, führen diese Diskussion seit über einem Jahr und wollen jetzt unsere "Ergebnisse", Einschätzungen, Entwicklungen, Widersprüche, Tips etc. einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.

In der linken Geschichte (aber nicht nur da) hat es immer wieder Versuche der Staatsschutzbehörden über Androhung bzw. tatsächlicher Verhängung von Beugehaft (juristisch richtig : "Erzwingungshaft"),Aussagen zu erpressen und damit Einblick in die linksradikale Zusammenhänge zu bekommen, gegeben.

Neu an den jetzigen ZeugInnenvorladungen ist der exzessive Gebrauch von Beugehaft und das maßlose Ausschöpfen des juristischen Rahmens.

Verhängung und volles Absitzen von 5 Monate sind inzwischen die Regel. (Die maximale Dauer der Beugehaft kann 6 Monate betragen- z.B. in Ermittlungsverfahren wegen Mord.)

So mußten auch wir merken, daß die Parole "Anna und Arthur haltens Maul" zu kurz greift. Sie setzt dem Staaatsschutzangriff nur wieder ein Dogma entgegen, ohne einen Raum für eine wirkliche Auseinandersetzung um Aussageverweigerung und deren Konsequenzen zu eröffnen. Das werden wir jetzt versuchen.

Allerdings bezieht sich unsere derzeitige Diskussion nur um Aussageverweigerung während der Ermittlungen bei Bullen oder staatsanwaltlichen Vorladungen bzw. vor dem Ermittlungsrichter.

Viel Spaß beim Lesen und Nachdenken!


Warum Aussageverweigerung?

Es ist eigentlich nicht so einfach die Entscheidung zu einer Aussageverweigerung schnell mal mit ein paar Sätzen zu erklären. Denn viele Komponenten geben oft den Ausschlag, ganz und gar den Mund zu halten. Es ist meist die politische Haltung diesem Staat und seiner Rechtsprechung gegenüber, weshalb wir ihm nicht durch Angaben über gesuchte/verdächtigte Freunde oder Freundinnen zuarbeiten. Der Staatsapparat versucht eineN als Zeugin/Zeuge zum Handlanger von Anklagen und Konstrukten zu machen. Dem wollen sich die betroffenen ZeugInnen entziehen und kein Fitzelchen der Staatsanwaltschaft preisgeben, die Bun- desanwaltschaft (BAW) spielt nicht mit offenen Karten und Mensch weiß nie welche Informationen für die BAW Indizien sind bzw. dazu gemacht werden. Jeder kleinste Hinweis, egal ob über die politischen Aktivitäten oder über Lieblingszeitungen, Musik etc., wird registriert und zu den Akten genommen und darüber wird dann ein Persönlichkeitsbild erstellt, ihr könnt euch vorstellen, wofür. Genauso werden auch Informa tionen über den Bekannten und Freundeskreis zu den Akten gegeben. Die werden dann vorgeladen und verdächtigt, mehr mit den Beschuldigten zu tun zu haben, unter dem Motto "besondere persönliche Nähe".

Die Anna- und- Arthur- Platitüde

In dem Moment, wenn die Staatsanwaltschaft anfängt uns zu "ihren" ZeugInnen zu machen, uns Bußgelder abknöpfen oder uns in Beugehaft sperren will, sieht alles plötzlich irgendwie anders aus. Auch wenn beides erstmal nur angedroht wird. Neu nachdenken ist angesagt. Bei unseren Überlegungen sind wir dabei erstmal vom schlimmsten Fall ausgegangen - Beugehaft könnte verhängt werden -, was unsere Gedanken vielleicht manchmal sehr tiefschürfend werden ließ. So schlimm muß es ja nicht kommen, hängt aber von der Willkür der BundesstaatsanwältInnen und BGH ab. Das solltet ihr beim Lesen im Kopf behalten. Aber unser Motto war: seien wir realistisch, alles ist möglich und bevor wir uns in Eventualitäten verfransen gehen wir vom härtesten Sanktionsmittel aus. Dadurch können wir uns Illusionen sparen und wenn es nicht so ganz hart kommen sollte, na dann ist das ja auch schön.

Was passiert mit uns oder FreundInnen, wenn die wirklich was wollen? Unsere eigene Erfahrung mit vielen Leuten zeigt, daß die Überlegungen, die wir euch oben aufgeschrieben haben, schön nach Anna und Arthur aussehen, daß es aber nicht immer so funktioniert. Dann kommen alle möglichen Ängste hoch, über die kaum jemand redet, weil mensch das doch "eh'klar hat", obwohl jetzt eigentlich mal 'n paar Gespräche mit FreundInnen angesagt wären. Oft kommt der Gedanke hoch: " Mensch ich erzähl denen irgendeine Kleinigkeit, um da wieder rauszukommen", der geliebte Griff nach dem Strohhalm. Wir müssen auch die unterschiedlichen Situationen von Leuten, auch unter uns berücksichtigen, sei es, daß Leute weniger in Zusammenhängen drin stecken, mit Scenepolitik gerade weniger zu tun haben, oder seien es ganz praktische Sachen, wie die finanzielle Situation der/des Einzelnen (Miete,Krankenkasse etc.). oder wie sieht es mit dem Arbeitsplatz aus,...tja, und wie sieht es mit den Kindern aus, welche Sachen müssen abgeklärt werden (Sorgerechtsverfügung erstellen für eine andere Bezugsperson etc.).

Dann wird darüber erstmal hin und her debattiert und verzweifelt eine Lösung gesucht. Dabei gingen auch bei uns lange Gespräche einher, darüber ob es eventuell nicht doch möglich wäre irgendwas zu sagen, wobei ihr das dann in einem Prozeß vielleicht nochmal wiederholen müßt, oder sich auf den §55 (Aussageverweigerungsrecht, falls mensch sich durch eine Antwort selbst belasten würde) zu berufen. Jedoch je mehr wir darüber diskutiert haben desto mehr landeten wir am Ende immer wieder an diesem Punkt: Das einzig Richtige und Klare in dieser Situation ist es die Klappe zu halten! Das sollten alle probieren: Wir müssen die Offenheit haben, wieder und wieder darüber zureden, auch wenn es manchmal schon nervt und alle lernen müssen, daß sie schnell auf ihre Hoffnungen reinfallen und wir vieles wieder von vorne diskutieren müssen. Erst diese Gespräche über mögliche Aussagen, die uns die ganze Zeit begleiten, haben uns in diesem langen Prozeß sicherer werden lassen, daß wir nichts sagen werden.

Vielleicht sollten wir einfach mal die Themen darstellen, um die es immer wieder ging. Als allererstes zeigen die Erfahrungen, daß auch, wenn Anna und Arthur alles klar haben, es immer wieder zu ungewollten Aussagen kommt. Die Situation in einer Vernehmung ist für die wenigsten bekannt und überschaubar. Zum einen passiert es immer wieder, daß Leute auf Fragen, wo jedeR denkt, die Informationen haben die eh schon, Antworten geben, und damit scheinbar Bekanntes bestätigen. Das Problem ist dabei, daß überhaupt nicht klar ist, wo die Staatsanwaltschaft die Informationen her hat, ob die Informationen überhaupt offiziell verwertbar sind oder ob sich die Staatsorgane einfach was zusammengereimt haben, was sie nun bestätigt haben wollen. Aber oft genug weiß die Staatsanwaltschaft die einfachsten Sachen nicht und braucht die Bestätigung von uns. Es gibt einfach keine banalen Fragen bei denen, alle Fragen haben für die BAW einen Sinn, ansonsten würden sie diese ja auch nicht stellen. - (Wer denkt schon an eine miese Falle wenn er/sie gefragt wird ob die Verdächtigten sich öfter mal Zucker geborgt hätten?)- Nicht mal, wenn es so aussieht, als hätten die Fragen gar nichts mit dem Thema zu tun. Oder wenn Fragen gestellt werden, und mensch das Gefühl bekommt, wenn du das jetzt nicht beantwortest, bekommt jemand anderes Schwierigkeiten. Da ist dann ein Druck und eine Hoffnung, mit einer Aussage zu entlasten. Auch das macht überhaupt keinen Sinn. Entlastende Aussagen während der Ermittlungen führen nur dazu, daß die Er- mittlungsbehörden sich dann bessere Konstrukte ausdenken können oder daß die Ermittlungen auf die dann weiter Verdächtigten beschränkt werden können. Lassen wir sie ruhig im Dunkeln tappen, es gibt immer noch bessere Momente für entlastende Aussagen, als während einer staatsanwaltlichen Vernehmung!

Ein ganz heißes Eisen ist es wenn Leute meinen, sie überlisten mal die Staatsanwaltschaft, in dem sie falsche bzw. fingierte Aussagen machen. Oder noch schlimmer, wenn eine ZeugIn meint sie könnte durch Gegenfragen eventuell etwas aus der vernehmenden StaatsanwältIn rauskriegen. Fatal hat sich auch die Aussage erwiesen, angeblich von nichts zu wissen. z.B. wurde einmal die Frage gestellt: "Haben X und Y öfter miteinander telefoniert?" und als die befragte Zeugin mit :" ich weiß nicht" geantwortet hatte, wurde zu den Akten folgende Bemerkung eingetragen: "Die Zeugin hat mit ihrer Antwort bestätigt, daß die Verdächtigten eine konspirative Umgehensweise miteinander hatten..." Zuguterletzt halten Leute die Situation einfach nicht aus, haben Angst und beantworten deshalb die Fragen.

Allen gemeinsam ist, daß es ihnen nachher beschissen geht. Es hat sich einfach gezeigt, daß es sehr viel weiter hilft, vorher über alles mit FreundInnen zu reden, alle Ängste zu besprechen, Hoffnungen zu diskutieren, mitzukriegen, wie es den einzelnen geht und alles anzusprechen, was Euch in den Kopf kommt, auch wenns blöd erscheint. Es sind lauter solche Dinge, die uns in Verhörsituationen auf die Füße fallen, wenn wir alleine oder nur mit einer/m Anwältin oder Anwalt vor dem Staatsanwalt oder der Staatsanwältin sitzen.

Ein anderes Ding ist natürlich die Angst vor Beugehaft. Ein halbes Jahr, das ist die Obergrenze für Aussageverweigerung, ist halt eine ziemlich lange Zeit und fast alle sind sich unsicher, wie das durchzuhalten ist. In letzter Zeit sind viele Leute in Beugehaft genommen worden, mensch kann vielleicht schon inzwischen davon ausgehen, daß Ermittlungsrichter zunehmend von diesem Mittel gegen linke Zusammenhänge gebrauch machen werden, um der entstandenen Diskussion über Aussageverweigerung und dem doch relativ weit verbreiteten Wissen über die Möglichkeit, nichts zu sagen was entgegenzusetzen. Wir sollten uns nicht vormachen, daß die es nicht ernst meinen oder hoffen, irgendwie drumrumzukommen. Es ist einfach eine Möglichkeit von der alle ausgehen müssen, die als Zeugen in politischen Ermittlungen gefragt sind, auf jeden Fall, wenn es um § 129a geht. Vielen macht das Angst und für manche ist es völlig unvorstellbar, sich darauf einzulassen.

Venceremos!

Unsere Erfahrungen in der letzten Zeit, haben auch gezeigt, daß eine Auseinandersetzung über Knast und mit Leuten die schon mal längere Zeit im Knast waren das Schreckgespenst Beugehaft etwas relativiert hat. Die Berichte haben uns gezeigt, daß es auszuhalten ist, es gibt auch ein Leben im Knast, auch wenn es der einen oder dem anderen mit der vermeintlichen Einsamkeit schwer fällt. Die Beugehaftzeit ist begrenzt und das Ende ist abseh- und einkalkulierbar und mensch kann sich darauf vorbereiten, in dem er/sie sich für diese Zeit ein Projekt vornimmt wie z.B. endlich mal Zeit zu haben eine Sprache zu lernen oder was einer/einem sonst noch so einfällt. Dadurch kann man/fau dem ganzen sogar was positives abgewinnen und es nicht als "verlorene Zeit" empfinden. Besonders dann nicht wenn im Vorfeld und auch während der Zeit FreundInnen eineN auf diesem Weg begleiten.

Anna, Arthur und noch viel mehr..

Gut, nun ist das so, daß überhaupt nicht klar ist, ob sie wen in Beugehaft stecken, wenn der oder die nichts sagt. Trotzdem sollten sich alle, die nichts sagen wollen, sich damit auseinandersetzen. Wir müssen davon ausgehen, daß Aussageverweigerung nicht für alle ein selbstverständliches Mittel ist, um ihren Widerwillen gegen politische Verfahren auszudrücken und die praktische Zusammenarbeit für Verfahren und Verurteilungen zu verweigern. Unser Ziel muß es erst einmal sein, mit möglichst vertrauten Menschen offen darüber zu reden. Um Aussagen zu verweigern und die Konfrontation mit den Repressionen aufzunehmen brauchen wir eine Diskussion über unsere Ängste, Unsicherheiten und Hoffnungen, Aussa- geverweigerung als bloße politische Direktive ist zuwenig. Der parolenhafte Aufruf "Anna und Arthur halten's Maul" ist einfach nicht mehr gefüllt und leider im Laufe der Jahre zu einem hohlen Gebilde geworden. Der inhaltliche Ausdruck der Parole stimmt zwar immer noch, aber um dahin zu kommen, die Aussageverweigerung möglich zu machen und stark in die eventuelle Beugehaft reinzugehen, und vielleicht sogar stärker da wieder rauszukommen, bedarf es einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit FreundInnen und/ oder Gruppen über sich selbst und die momentane Situation in der jedeR gerade steckt. Dazu gehören die Ängste, materielle Fragen, die eigene politische Identität und ein solidarisches Verhalten von vielen. Die solidarische Unterstützung darf aber nicht nur bei der Unterstützung einzelner betroffener ZeugInnen stehen bleiben. Wir müssen wieder einen breiteren Rahmen finden um die Beugehaft an sich, als Druckmittel zur Denunziationspflicht, gesellschaftlich ins Gerede bringen, um sie schlußendlich zu kippen.

KEINE AUSSAGEN BEI STAATSANWALTSCHAFT UND BULLEN!

NICHT NUR ANNA UND ARTHUR HALTEN'S MAUL!

FÜR EINE OFFENE UND SOLIDARISCHE AUSEINANDERSETZUNG!

AUSSAGEVERWEIGERUNGSRECHT FÜR ALLE!!


RechtsanwältInnen


Irgendwann stehen wir eventuell vor dem Staatsanwalt, oder 'ner Staatsanwältin. Sinnvollerweise gehen wir da nicht alleine hin, sondern nutzen die Unterstützung von RechtsanwältInnen. Zu diesem Thema darf auch noch Einiges gesagt werden. Unser geplantes Verhalten in einer Vernehmungssituation entspricht nicht unbedingt den Vorstellungen von AnwältInnen.

Für RechtsanwältInnen widerspricht kategorische Aussageverweigerung vollständig ihrem Interesse, uns rechtlich zu unterstützen und irgendwie aus der Bedrohung als Zeugin oder Zeuge herauszubekommen. Ohne daß wir den beteiligten AnwältInnen vorher zu verstehen gegeben haben, worum es uns geht, wird es in der Vernehmungssituation zu unterschiedlichen Interessen zwischen uns und AnwältInnen kommen. Es kommt immer wieder vor, daß uns die AnwältInnen nicht so unterstützen, wie es in der Situation notwendig ist.

Unsere Position müssen wir den AnwältInnen vor der Vernehmung klar machen und es ist nicht mal sicher, daß in der Vernehmung dann ein gemeinsamsames Vorgehen funktioniert.

Der Grund ist, daß es hauptsächlich AnwältInnen gibt, die auf der juristischen Ebene jede taktische Möglichkeit nutzen, uns da herauszubekommen, ohne sich zu überlegen, was mit anderen Beteiligten in einem Verfahren passiert. Wollen wir nicht nur uns selbst schützen, sondern auch noch die Interessen von FreundInnen und GenossInnen berücksichtigen, müssen wir das vorher klarstellen. Dann sind die AnwältInnen sozusagen "Handlungsreisende".Sprechen wir vorher darüber, haben wir den Vorteil, unsere RechtsanwältInnen einschätzen zu können und zu wissen, in welchen Situationen wir uns ihrer Unterstützung sicher bzw. nicht sicher sein können. Stellt Euch darauf ein, daß ihr nicht nur Unterstützung sondern auch Diskrepanzen haben werdet, die dann schwer zu ertragen sind. Glück hätten wir auf AnwältInnen zu treffen, die die gleiche Meinung haben wie wir. Das ist aber selten!!

(Mit Vorsicht zu genießen)

Die Paragraphen 55 und 52 StPO

§55

Der § 55 beinhaltet: Wer sich durch Aussagen selber belasten würde, hat das Recht, die Aussage vor der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zu verweigern. So einfach diese Möglichkeit aussieht, die Selbstbeshuldigung muß nach den Kriterien der Staatsanwaltshft glaubwürdig belegt werden. Du mußt also Aussagen vorab machen, um dich auf den §55 berufen zu können. Wenn du im gesamten Komplex sowieso ein Ermittlungsverfahren laufen hast, oder wenn es sich aus der befragung ergibt,daß du zu den Beschuldigten zählst, kann es realistisch sein, sich auf den §55 zu berufen. Es ist schon passiert, daß vor einer ZeugInnenbefragung, bei der die ZeugIn die Aussage verweigern wollte, der/die RechtsanwältIn vorschlug, daß sich die ZeugIn auf den §55 berufe, was die ZeugIn in ihrer Entscheidung, die Aussage zu verweigern ins Wanken brachte. RechtsanwältInnen wollen meist auf juristischer Ebene jede taktische Möglichkeit nutzen, wollen sich vielleicht auf Deals einlassen, an die du nie gedacht hättest. Sie berücksichtigen eventuell kein bißchen, was mit anderen Beteiligten im Verfahren passieren könnte. Wenn du vorher darüber mit deiner RechtsanwältIn sprichst, kannst du einschätzen, ob du ihrer oder seiner Unterstützung sicher bist.

Wir wollen hier ein paar Überlegungen und Erfahrungen mit und zum §55 wiedergeben, die in letzter Konsequenz für uns dazu geführt haben, daß wir denken, dieser Paragraph ist bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht sinnvoll zu handhaben:

- Ist es wirklich schlau, sich durch eine vermeintliche 'Betroffenheit' selber zu beschuldigen? Das könnte formal zur Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft führen.

- Die letzten Erfahrungen in Frankfurt a.M. haben gezeigt, wie schwer es ist, ohne konkrete Angaben den Paragraphen durchzusetzen. Der sollte auch dort als taktisches Mittel benutzt werden. Das ist dann allerdings mit der Begründung, er würde eben nur taktisch benutzt, abgelehnt worden, die Leute gingen in Beugehaft. Alles hängt immer von der Willkür der vernehmenden StaatsanwältIn oder der ErmittlungsrichterIn ab.

- Bei ZeugInnen im K.O.M.I.T.E.E. Verfahren ist folgendes gelaufen: Es wurde sich auf den §55 berufen mit der Begründung, ein 129a-Verfahren sei unübersichtlich, die Aktenlage nicht bekannt, und es sei deswegen unklar, ob eine ZeugIn sich nicht selber belasten würde. Insbesondere, weil in 129a-Verfahren auch gegen das Umfeld ermittelt würde. Die Reaktion der Bundesanwältin ließ, nachdem die Befragung abgebrochen wurde, fünf Wochen auf sich warten, war aber dann doch die Verhängung von Ordnungsgeld. Vielleicht hat diese Begründung für die Inanspruchnahme des §55 zu dieser Zeitspanne beigetragen. Welche Spielräume wir durch solche juristischen Finessen bei der BAW haben, ist schwer einzuschätzen, Arbeit bedeutet es für die BAW jedenfalls.

Der §§-Dschungel kann aber auch uns zu viel Kopfzerbrechen machen, und am Schluß stehen wir dann doch wieder vor der Frage, ob wir die Aussage verweigern. Deswegen: Je stärker wir uns in unseren Positionen fühlen, desto sicherer können wir die Aussage ohne Begründung verweigern. Jede kleine Mitteilung zum §55 ist ein Stück in ihrem Puzzel. Schöner Eiertanz!

§52

Dieser Abschnitt wurde von FrauenLesben geschrieben und fällt somit hier etwas auf. Es gibt von gemischter Seite keine Auseinandersetzung dazu, deswegen war diese Text sehr nötig.

Eine weitere Möglichkeit, als ZeugIn die Aussage zu verweigern, ist der Gebrauch des Paragraphen 52. Dieser Paragraph erläßt Verlobte, Verheiratete und nahe Verwandte der/des Beschuldigten aus der Pflicht, gegen ihren Ehemann oder Verlobten bzw. gegen seine Ehefrau oder Verlobte, oder aber gegen nahe Verwandte auszusagen.

An sich eine nette Sache. Da denkt sich frau oder denkt sich man: das haben wir doch schnell konstruiert. Ein Ja-Wort ist schnell gesprochen. Schließlich gehört das Verloben zu den wenigen Sachen, die nicht mit einer Urkunde belegt werden braucht und mit keinerlei Nebenrisiken verbunden ist. Ob frau oder man nun tatsächlich verlobt ist, spielt keine große Rolle, solange das Gegenteil nicht beweisbar ist.

Und in der Tat haben in der Vergangenheit bei politischen Verfahren einige auch von diesem Paragraphen Gebrauch gemacht und konnten so der andernfalls vielleicht bevorstehenden ZeugInnenvorladung und Folgen daraus entgehen.

Wir freuen uns über jede und jeden, die/der nicht in den Knast muß und wir finden, daß diese Möglichkeit, da wo es geht, auch genutzt werden sollte.

Aber: manchmal wundern wir uns doch, wie schnell politische Kriterien ausgerechnet an dieser Stelle über Bord geworfen werden zugunsten eines eher "taktischen" Umgangs mit der Justiz, wo doch bei vielen anderen Entscheidungen die Notwendigkeit einer politischen Haltung betont wird und eine entsprechende Konsequenz eingefordert - zumindest aber eine politische Erklärung erwartet wird.

Warum gab es keine öffentliche Diskussion darüber, ob es richtig ist, sich auf diesen Paragraphen und damit auf Strukturen zu berufen, die wir eigentlich ablehnen? Welche Bedeutung hat die Ablehnung der bürgerlichen Kleinfamilie und der Zwangsheterosexualität bei unseren aktuellen Auseinandersetzungen? Wie sehr greift das Ideal der Zweierkiste auch bei uns? Inwieweit geht es uns noch darum, alternative Konzepte von Beziehungen und Lebensgemeinschaften zu erkämpfen und diese auch politisch zu propagieren? Hat sich die (gemischte) Linke mit ihrer Moral selbst ad absurdum geführt? War sie manchmal mehr Sittenwächterin und Bettenpolizei als Motor für Veränderung?

Die Auseinandersetzung über Lebenskonzeptionen und Lebensformen wird - zumindest in gemischten Zusammenhängen - zur Zeit nur wenig geführt. Und so hat das taktische sich Berufen auf eine bürgerliche Lebenskonzeption, nämlich die Ehe, anscheinend keine politische Brisanz. Noch in den 70er und 80er Jahren war dies anders. Familie, Ehe, Sexualität gehörten zu den heiß diskutierten politischen Themen. Die Frage des Kinderkriegens, die Überlegungen zu Beziehungskonzepten waren ebenso wie die Entscheidung, lesbisch oder schwul zu leben, keine Privatsache. Sie waren von politischer Bedeutung und wurden öffentlich ausgetragen.

Heute heißt das Motto: Individualisierung!

Die Frage, ob lesbisch, schwul, bi, hetera(o), die Frage der Hierarchisierung von Beziehungen (erst die Liebesbeziehung, dann die beste Freundin/der beste Freund, dann der Hund,...), das Machen und Gebären von Kindern, sind persönliche Geschichten. Die Forderungen nach Abschaffung der bürgerlichen Kleinfamilie und der ausschließlich heterosexuellen Ehe gehören vielleicht noch zu dem politischen Gedankengut, es handelt sich aber nicht um aktuelle politischen Themen, schon gar nicht um einen Schauplatz autonomer Kämpfe für andere Verhältnisse .

Die Bedeutung der bürgerlichen Ehe, deren Funktion es ist, die Produktion von Kindern zu garantieren und die uneingeschränkte Ausbeutung der Frau als unbezahlte Arbeitskraft und Objekt der sexuellen Befriedigung des Mannes zu sichern, gerät immer mehr in Vergessenheit. Die Familie als Keimzelle des Staatsgefüges ist längst kein Politikum mehr. Die Ehe macht Heterosexualität zur Norm. Auch das wird von der Linken nicht in Frage gestellt.

Und so hat auch keineR mehr Bauchschmerzen, wenn sie/er sich auf den Paragraphen 52 beruft.

Der Gebrauch des Paragrahes 52 und das damit verbundene Beziehen auf eine Institution, die patriarchale und heterosexistische Verhältnisse aufrechterhalten soll, bleibt eine zwielichtige Sache. Ganz in dem Sinne seiner Ideologie, können nur wenige den Paragraph 52 nutzen: es kann sich immer nur eine Person als Verlobte oder Verlobter ausgeben und die Person muß anderen Geschlechts sein. Es kann also keine ganze WG sagen, sie wäre verwandt, verlobt, oder verschwägert, selbst wenn mehrere Personen ein sehr nahes Verhältnis zu der beschuldigten Person haben, näher als zu ihrer oder seiner Familie.

Und: es kann sich keine Lesbe und kein Schwuler auf die Liebesbeziehung zu ihrer Freundin bzw. zu seinem Freund berufen. Die Möglichkeit des Gebrauchs ist und bleibt also ein Privileg von Personen, die eine heterosexuelle Liebesbeziehung haben oder diese vorgeben können. Für eine Frau, die wegen ihrer Freundin oder für einen Mann, der wegen seines Freundes vorgeladen wird, gibt es keine Möglichkeit, sich auf ein eheähnliches Verhältnis zu berufen, da gleichgeschlechtliche Beziehungen in den Gesetzbüchern nicht als familiäre Beziehung akzeptiert werden.

Der Gebrauch des Paragraphen funktioniert nur, wenn Familienverhältnis im bürgerlich-heterosexistischen Sinne nachgeahmt werden.

Gut - wir müssen nicht immer zu jeder Zeit und in jeder Situation 100%ig unsere ganze politische Einstellung zum Ausdruck bringen. Wir können auch t a k t i s c h vorgehen. Das heißt: unser Handeln basiert darauf, verschiedene Gegebenheiten miteinander abzuwägen zugunsten eines bestimmten Zwecks.

Einem taktischen Verhalten geht also eine Entscheidung für diesen bestimmten Zweck voraus. In diesem Fall heißt der Zweck: Schutz der eigenen Person und der, über die ausgesagt werden soll, Schutz vor ZeugInnenvorladung, Schutz vor Knast. Die Voraussetzung, eine solche Entscheidung fällen zu können, ist eine Diskussion. Hat es nun diese Diskussion gegeben oder aber war es einfach die Wahl für den Weg des geringsten Widerstandes?

Wir wollen hier nicht schon wieder mit dem politischen Zeigefinger rumfuchteln und klar finden wir es gut, wenn es welchen gelingt, um Beugehaft drumrum zu kommen. Das, was uns allerdings fehlt, ist die Auseinandersetzung über den Hintergrund und den Inhalt dieses Paragraphen.

Ein "Druckmittel" : Kinder

Wir haben ja nun schon viel geschrieben über das Umgehen mit der Aussageverweigerung, deren Konsequenzen, den Ängsten und den Schwierigkeiten damit. Obwohl seit Jahren darüber debattiert wird, wurde immer ein Punkt nur scheu angerissen: was heißt das für Leute die ein oder mehrere Kinder haben?

Eine Auseinandersetzung dazu fehlt in der Linken fast vollständig. Zum einen mag es da dran liegen, daß es eh' weniger aktive Linke mit Kind/er gibt, oder da? die Leute sich mit Kind/ern aus den Strukturen herausgezogen haben.

Aber es gibt immer noch Mütter und Väter die politisch aktiv sind und bleiben wollen. Was die linke Szene gerne übersieht, da wird der Umgang und eine Auseinandersetzung, so wie das sich Verhalten zu Leuten mit Kind/ern ausgespart.

Wir wollen hier nicht herum spekulieren, wo dran das liegt, da kann sich jede/jeder ja mal selber was zu überlegen.

Für die Betroffenen stehen sich zwei Dinge gegenüber. Auf der einen Seite keine Freunde, Genossen und GenossInnen zu verraten und eine Zusammenarbeit mit den Staatsorganen grundsätzlich abzulehnen. Auf der anderen Seite der Gedanke sein/ihr Kind für längere Zeit nicht mehr zu sehen und umsorgen zu können . Nun stellt sich bestimmt die Frage, ob der Preis nicht etwas zu hoch ist.

Spätestens in dieser Situation ist es wichtig das der Freundeskreis und / oder die Gruppe eine offene und ehrliche Umgehensweise mit der / dem Betroffenen und den Kindern findet. Angefangen von den Verlustängsten, bis zur sozialen Betreuung. Das Gefühl und die Sicherheit, dem Kind wird es in der Zeit, wo Mensch in Beugehaft sitzt, an nichts fehlen, ist mit ein wichtiger Faktor um der Aussagenverweigerung stand zuhalten.

Natürlich ist eine ZeugInnenladung für niemanden eine lockere Angelegenheit. Wem fällt es leicht Freunde und Freundinnen für eine längere Zeit zu verlassen, mit einem Kind kommt die emotionale Bindung, Angst, Sorge und Verantwortung hin zu.

Wünschenswert ist es, das sich alle, die im näheren Umfeld sind, sich mit der Situation der Betroffenen auseinandersetzen und eben nicht, wenn der eine oder die andere bei einer ZeugInnenladung ins straucheln kommt, gleich abzuwinken, von wegen: "nu haben sie 'n Kind und jetzt ist mit denen auch nix mehr los".

Und wünschenswert ist es auch , das sich dann auch gemeinsam nach außen verhalten wird und es nicht durch lapidares Achselzucken abgetan wird. Das gibt auch eine Stärke und wir sagen Euch ohne diese Freunde und Freundinnen um uns herum ist der Weg zur Aussageverweigerung wesentlich schwerer.


NEBENSCHAUPLATZ


Aussage verweigert - was erwartet mensch im Knast?

Im Knast ist mensch einer ungeheueren Bürokratisierung der Abläufe ausgesetzt. Und das ist die Form der Konfrontation, auf die man/frau sich wohl oder übel einlassen muß.

Grundsätzlich ist es erstmal so, daß in der Beugehaft laut Strafvollzugsgesetz (StVG) hauptsächlich die Bedingungen wie in der Strafhaft gelten (§§ 3-122 StVG). (Es ist aber auch schon vorgekommen, daß der zuständige Ermittlungsrichter die Haftbedingungen festgelegt hat.)

Ausnahmen regeln die §§ 171-175 StVG, die besondere Rechte für Beugehäftlinge beeinhalten. So unter anderem, daß kein Zwang zur Arbeit besteht, daß eine "Unterbringung" mit anderen Gefangenen nur mit Zustimmung erfolgen kann und daß der Einkauf im Knast (Lebensmittel, Tabak etc.) mit Eigengeld erlaubt ist, d.h. über das persönliche Knastkonto, auf das Geld von außen überwiesen werden darf. Und außerdem darf mensch für diese Vorzugsbehandlung noch zahlen: Unterkunft und Verpflegung 40.-DM/Tag.

Alles im Knast ist genau geregelt, im Strafvollzugsgesetz in Verbindung mit der "Hausordnung" des jeweiligen Knastes. Doch die Unterschiede von Knast zu Knast können da teilweise sehr groß sein. Beispielsweise bei der Anzahl der Besuche oder 14-täglicher oder wöchentlicher Einkauf.

Das StVG bestimmt Pflichten und Rechte von gefangengehaltenen Menschen. Über die Pflichten wird mensch sicher informiert, wenn auch unzureichend. Mit den Informationen über die Rechte wird dagegen richtig gegeizt bzw. sogar falsch informiert. Andererseits werden permanent im Knastalltag die Rechte von Gefangenen verletzt. Um sich dagegen wehren zu können und Rechte durchsetzen zu können gehört das Wissen um diese.

Es ist wichtig sich auf jeden Fall vorher zu informieren, was im Rahmen von Beugehaft meist auch möglich ist. Und ein paar konkrete Fragen sollten schon vorher gestellt bzw. mit FreundInnen durchgesprochen werden. Z.B. wäre es bei der ärztlichen Eingangsuntersuchung von Vorteil zu wissen, was "sie" genau wollen (Welche Fragen werden gestellt? Welche Untersuchungen werden durchgeführt) und welche Konsequenzen eine, auch teilweise, Weigerung mit sich bringen kann.

Wichtig ist auch, sich vorher zu überlegen, welche Informationen gleich in der ersten Zeit im Knast sind. Hier nur ein Beispiel: Der Einkauf ist nur an einem festgelegten Wochentag möglich, meist auch zu einer bestimmten Uhrzeit, wird dieser versäumt, weil der Einkauf z.B. direkt am Morgen nach der Einlieferung ist, muß mensch sich ausschließlich mit dem Knastfrass zufrieden geben.

Empfehlenswert für die Vorbereitung auf den Knastalltag sind der "Ratgeber für Gefangene" (nicht mehr erhältlich, also rumfragen) und Gespräche mit Leuten, die Knasterfahrung haben.

Zum einen nimmt es ein Stück Unsicherheit, schwarz auf weiß zu sehen, worauf mensch Anspruch hat, zum anderen hilft es, sich in den Auseinandersetzungen, die gerade am Anfang vermehrt zu führen sind, zu behaupten. Und nicht zuletzt verschafft man/frau sich Respekt gegenüber den Bütteln und Wachteln, wenn klar ist, daß mensch sich nicht mit jeden Mist, mit dem sie einen abspeisen

wollen, abfindet.


Nebenschauplatz


Inteview mit Gabi und Gaby die Frühjahr '89 in Beugehaft saßen.

...bei mir war es so, daß sich nach einiger Zeit eine Zweiteilung des Tages ergeben hat.

Der Vormittag gehörte mir....und Abend war dem Leben drinnen vorbehalten. ich habe viel mit anderen geredet, mir Ihre Geschichten angehört, geholfen.... .

Esgibt eine besondere Sorte von Knasthumor. Du hast oft einfach auch deinen Spaß gehabt.

Knast erinnert an Fabrik -nur daß du bei Regelverstößen nicht rausfliegst!

Doch wenn du dich erstmal drauf eingestellt hast, drin zu sein holt dich der Knastalltag schnell ein.

Es war ein bißchen wie in der klassischen Kleinfamilie.

aus "Wenn die Sache zu Irre wird, werden die Irren zu Profis" Anti- Beugehaft- Gruppe Bochum, 7/89


Grundlage dieses Zeitungsartikels sind Texte, die wir im bundesweiten ZeugInnen-Treffen (13.06.1995) erarbeitet haben. Die ausführlichen Diskussionspapiere könnt Ihr demnächst als Broschüre in einschlägigen Buch- und Infoläden erwerben:.


  • We'll never give up
  • "Ergänzungen zur Diskussion um Aussageverweigerung"
  • August 1996
  • Broschüre der bundesweiten ZeugInnen-AG im Rahmen der Soli-Gruppen zum 13.06.1995
  • Nix ist umsonst...
  • Wenn ganz viele auch nur wenig spenden, haben einige doch schon viel, zumindest 'ne finanzielle Absicherung, die auch euch 'nen gewissen Druck nehmen kann
  • Die Rote Hilfe e.V. hat ein spezielles Konto eingerichtet:
  • Rote Hilfe e.V. - Stichwort: Beugehaft
  • Postbank Dortmund - BLZ: 440 100 46 - Kto. Nr.: 191 100-462
  • Für Spenden im Zusammenhang mit den Frankfurter Verfahren wegen Weiterstadt bzw. zu der Fritzlarer Straße gilt folgendes Konto:
  • E. Bauer - Stichwort: Fritze
  • Bank für Gemeinwirtschaft - Blz 500 101 11 - Kto. Nr.: 355 785 390 1

Nebenschauplatz


..., der erste Gedanke, das war nur, ich geh' nich in'n Knast, so. ... Naja, du kannst halt abhauen, aber dann hätte ich die Sachen, die ich hier hätte machen wollen, auch nicht machen können.

...

Dann ist nachher der Prozeß gegen M. und ich werde dann aufgerufen, als Zeuge der Anklage, muß das da wiederholen und diene dazu, ihn da fertig zu machen... Das war auch 'ne ekelige Vorstellung, wo ich gedacht hab', das geht nicht.

...

Im Knast ging's mir so, daß ich mich gut versorgt gefühlt hab'. ... es sind schon einige Sachen verschlurt worden, aber im großen und ganzen hab' ich mich schon gut versorgt gefühlt, hab'viel Post gekriegt, um meine Sachen wurd sich gekümmert, was natürlich 'ne Super-Hilfe war.

...

naja schon der Begriff Beugehaft...- ich habe mich halt nicht beugen lassen, das ist auch 'n gutes Gefühl.

...Es ist aber eben auch nicht durchzustehen, ohne die Leute von draußen. ... das geht nicht nur die Person an, die den Zettel da in der Hand hält, sondern viele Leute müssen das in der Zeit zu'nem ganz wichtigen Punkt machen; sich verbindlich bereit erklären, Arbeit zu übernehmen - dann kann das laufen.

Ulf, der 1995 fünf Monate in Beugehaft saß

zitiert nach Kassiber Feb./März 96


NEBENSCHAUPLATZ


in der jüngsten Geschichte gewühlt

Hannover 1986: §129a-Verfahren wegen versuchten Anschlag gegen "Wirtschaftswunderkinder", bei dem ein Genosse starb.

16 ZeugInnenvorladungen vor BAW, alle ZeugInnen verweigerten die Aussage, Bußgelder von 200 - 300 DM, andere ZeugInnen beriefen sich auf §55 StPO.

Berlin 1987: §129a-Prozeß wegen Plakat zu RAF-Gefangenen ("Operation für Angelika Goder, Freilassung von Günther Sonnenberg und Zusammenlegung").

Drei ZeugInnen verweigerten vor Gericht die Aussage und wurden bis Ende des Prozesses in Beugehaft genommen.

Frankfurt 1987: In dem Ermittlungsverfahren wegen der Schüsse an der Startbahn-West wurden jede Menge Aussagen gemacht. Bei nachfolgenden Vorladungen zur BAW ist der §55 akzeptiert worden. Andere verweigerten die Aussage, was mit Ordnungsgeldern von 400 DM geahndet wurde, außerdem wurden Anträge auf Beugehaft gestellt. Es wurde keine Beugehaft verhängt.

1988: In dem Ermittlungsverfahren wegen RZ/ Rote Zora gegen u.a. Ingrid Strobl ergingen im August/September über 20 ZeugInnenvorladungen zur BAW. Fast alle verweigerten die Aussage und wurden mit Ordnungsgeldern (400 DM) belegt. Ansonsten gab es zwei Teilaussagen, bei den restlichen Fragen wurde sich auf §55 berufen.

Im Dezember '88 ergingen zwei ZeugInnenvorladungen, wieder zur BAW. Beide verweigerten die Aussage und wurden mit Ordnungsgeldern belegt. Beim 2.Termin wurden wiederum die Aussagen verweigert, worauf die BAW Beugehaft beantragte.

Weitere Vorladungen führten zu 2 Aussagen und 6 weiteren Beugehaftanträgen.

Beim 3.Termin wurden 6 Teilaussagen (ansonsten Bezugnahme auf §55) gemacht. Eine Zeugin berief sich im Gesamtkomplex auf §55 und wurde in Beugehaft genommen.

Zwei Zeuginnen wurden nach 2 bzw. 7 Wochen nach Haftbeschwerden aus der Beugehaft entlassen, weil auch gegen sie ermittelt wurde.

In diesem Verfahren versuchte die BAW die Diskussion um Aussageverweigerung mittels des §129a StGB zu kriminalisieren.

Memmingen 1988: Im sog. Abtreibungsprozeß gegen einen Frauenarzt wurden 146 rechtskräfttig verurteilte Frauen zu Zeuginnen der Anklage gemacht. Zuerst wurden ihnen schriftlich 100 Fragen vorgelegt, die "Bitte" um Beantwortung wurde mit der Drohung einer gerichtlichen Vorladung bekräftigt. Wegen z.T. lückenhaftausgefüllter Fragebögen wurde etwa die Hälfte der Betroffenen vor Gericht geladen (zuerst die "nichtdeutschen" Frauen).

Trotz zweimaliger Aufforderung erschien eine Frau nicht und wurde zu 500DM verdonnert, verbunden mit der Androhung von Beugehaft.

Anmerkung: Bei der Beschäftigung mit den zurückliegenden "Fällen" ist uns aufgefallen, daß in der Entwicklung der politischen Diskussion um Ausageverweigerung am Anfang oft eine ziemlich konsequente Haltung zur Aussageverweigerung vermittelt wurde, die aber sehr schnell kippte, wenn es richtig zur Sache ging. D.h. Entscheidungen wurden relativiert, wenn am Ende der Entscheidung Ordnungsgeld bzw. Beugehaft stand.

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http://www.freilassung.de/div/texte/aussagev/av5.htm