Aussageverweigerung bleibt eine konkrete Handlungsmöglichkeit,
den § 129a ins Leere laufen zu lassen!
... Für ZeugInnen kann die generelle Aussageverweigerung anders
als für Beschuldigte in der letzten Konsequenz neben Ordnungsgeld
bis zu 6 Monate Beugehaft (innerhalb des selben Tatkomplexes) bedeuten.
Dieses staatliche Druckmittel zur Durchsetzung der Denunziationspflicht
zeigt allerorts (nicht nur in der linken Szene) seine Wirkung.
Beugehaft wird nicht nur angedroht, wie zB. im Memminger Abtreibungsprozeß
(hier wurde 70 aussageunwilligen Zeuginnen Beugehaft angedroht,
mit dem gewünschten Ergebnis, daß letztlich alle Aussagen
machten), sondern auch verhängt. Jüngstes Beispiel hierfür
innerhalb der linken Szene ist Ulf aus Bremen, der im Zusammenhang
mit den Ermittlungen gegen die radikal als Zeuge geladen wurde,
die Aussage verweigerte und dafür 5 Monate Beugehaft aufgebrummt
bekommen hat, und jetzt in Heimsheim im Knast sitzt.
Insofern hat die Forderung nach Aussageverweigerung was ZeugInnen
angeht nicht nur eine politische sondern in ihren Konsequenzen für
die Betroffenen auch eine sehr persönliche Ebene.
Letztere unter den Tisch fallen lassen zu wollen, um die durch
die klare Forderung "Keine Aussagen - Keine Kooperation mit
dem Staatsschutz" erkämpfte politische Stärke nicht
zu gefährden, verhindert letztlich genau diese Stärke.
In der Realität sieht es doch zur Zeit so aus, daß
die "Anna und Arthur haltens Maul Kampagne" seit den Schüssen
an der Startbahn zwar große Kreise erreicht hat, von vielen
für richtig befunden und unterstützt wird, in der konkreten
Situation einer ZeugInnenladung und eines Verhörs dann aber
die meisten Betroffenen doch 'ne Menge erzählen.
Die weitverbreitete Aussagebereitschaft der linken Szene alleine
mit dem ständigen Wiederholen der richtingen Forderung bekämpfen
zu wollen, heißt, die Kampagne für richtig und die Menschen
für falsch zu erklären. Damit kommen wir nicht weiter...
Das folgende ist aus der sehr lesenswerten Broschüre aus
Bochum 'Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis. Infos
und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft' abgeschrieben.
Am 18.12.87 waren mit Schwerpunkt Ruhrgebiet 33 Wohnungen und
Arbeitsplätze wg. RZ und Rote Zora durchsucht worden. Ein dreiviertel
Jahr später folgten massenweise ZeugInnenvorladungen. Die meisten
von ihnen standen im Zusammenhang mit der Verfolgung damals Abgetauchter.
Zwei der Zeuginnen verweigerten die Aussage bis zum Schluß
und wurdcn deswegen in Beugehaft genommen. U.a. durch den massiven
juristischen und politischen Druck gegen dieses Vorgehen der BAW
mußten die beiden nach mehrwöchiger haft wieder entlassen
werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß wegen dem
bei einer Hausdurchsuchung im Herbst 88 (zum gleichen Komplex wg.
eines Gesuchten beschlagnahmten Materials zu Aussageverweigerung
gegen alle vier Bewohnerinnen ein 129a-Ver- fahren eingeleitet wurde.
Begründung der Staatsschutzbehörden:
Die Bereitschaft zur Aussageverweigerung zu wecken oder zu bestärken,
sei geeignet, das Vertrauen der RZ's in eine "breite solidarische
Verschwiegenheit der Szene" zu stärken und sie auf diesem
Wege zu zu einer Fortsetzung ihres "strafbaren Tuns" zu
motivieren.
"Es gibt keine entlastenden Aussagen"
Es gibt keine entlastenden Aussagen. Das Interesse der Bundesanwaltschaft
besteht gerade darin, nur Belastendes zu finden.
Anscheinend entlastende Aussagen können schnell in ihr Gegenteil
verkehrt werden. Zumal es kaum absehbar ist, welche Informationen
von der BAW zu Indizien gemacht werden können in Verfahren,
in denen es häufig noch nicht einmal einen konkreten Tatvorwurf
gibt. Die BAW ist sehr phantasievoll in dieser Hinsicht!
Es gibt keine harmlosen Aussagen
Schon aus der Begründung laufender Ermittlungsverfahren wird
ersichtlich, daß es kaum Unverdächtiges in den Augen
der Staatsschützer gibt. So müssen zB. als Indizien herhalten:
- das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, obwohl ein
eigenes Auto vorhanden ist.
- die Beschäftigung mit sog. anschlagsrelevanten Themen.
- das Treffen im Hinterzimmer einer Kneipe ohne am Telefon ausdrücklich
den Zweck des Treffens zu nennen.
- die Bekanntschaft mit Personen, die ihrerseits eines sog. Vergehens
bezichtigt werden.
In der Begründung einiger Beugehaftanträge hieß
es, daß "Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich"
beweiserheblich seien, daß "durch persönliche, berufliche
oder gesellschaftliche Interessen erklärbares Verhalten der
Beschuldigten ermittelt werden muß, um es von Verhaltensweisen
zu unterscheiden, die ihre Erklärung in dem Engagement der
Beschuldigten für die terroristische Vereinigung RZ/ Rote Zora
finden". Welches Verhalten wozu diente wird natürlich
von Ermittlungsbeamten entschieden.
Auch Im privaten Bereich, zB. dem Zusammenwohnen in einer WG wird
es schwierig mit harmlosen Antworten. Auf Fragen nach FreundInnen,
Bekannten, Aufstehgewohnheiten, Krankheiten, Lese- und Telefoniergewohnheiten
der beschuldigten Person zu antworten, das diese Dinge nicht bekannt
seien, legt für das BKA den Sch1uß nahe, daß diese
Person konspirativ gehandelt haben muß.
Beispiel: Telefongespräche
Eine Zeugin wird gefragt, ob ihre Mitbewohnerin X mit Y bekannt
ist. Im Bemühen möglichst schwammig zu antworten, sagt
die Zeugin: "Ich weiß nicht". Nun hat aber das BKA
die Person X schon länger bespitzelt und ein Telefongespräch
zwischen X und Y abgehört. Auf diesem Hintergrund, der der
Zeugin nicht bekannt ist, wird die Aussage "ich weiß
nicht" zur relevanten Information. Verheimlicht die Zeugin
die Beziehung, weil sie ihr heikel erscheint, oder hat gar X selbst
gegenüber der Zeugin die Beziehung zu Y verheimlicht? Beides
deutete auf eine möglicherweise konspirative Beziehung zwischen
X und Y hin.
Beispiel: Rasterfahndung
Auch scheinbar banale Aussagen können zur Aufstellung von
Rastern dienen. Die harmlose Eigenschaft, Leser der Süddeutschen
Zeitung zu sein, ließ Rolf Pohle in das Fangnetz des BKA laufen.
Durch Observierung der Zeitungskioske in Athen wurde er beim Kauf
einer solchen erwischt.
Im Rahmen der Rasterfahndung ergeben dann auch Fragen nach Krankheiten,
Angewiesensein auf bestimmte Medikamente, Allergien, Kontaktlinsen
einen Sinn.
Es gibt keine banalen Fragen
Auch scheinbar banale Fragen und solche, auf die es amtliche Antworten
gibt, erfüllen ihren Zweck!!! Prinzipiell gilt, daß die
BAW keine dummen Fragen stellt.
Beispiel: Verhöhrsituation
Die BAW stellt eine Reihe Fragen wie: "wo hat X zu einem
bestimmten Zeitpunkt gewohnt?" - Natürlich wo er gemeldet
war - "wo hat X gearbeitet?" etc.
Die Zeugin überlegt angestrengt, welche Frage ihr relativ
harmlos erscheint, welche nicht. Ihr Zögern, Ausweichen, ihre
schnelle Antwort können der BAW Hinweise auf sie möglicherweise
interessierende Punkte in der Biographie der gesuchten Person geben.
ZeugInnenbefragungen finden in der Regel als Frage und Antwort-Spiel
statt. Dh. die ZeugInnen bekommen nicht einen Fragenkatalog vorgelegt,
wo sie von vorneherein einen Überblick über die einzelnen
Fragen und deren mögliche Bedeutung haben und eventuell in
Ruhe entscheiden können, welche Frage sie beantworten. Die
BAW bemüht sich um die Atmosphäre eines Gesprächs.
Blockiert eine Zeugin an einzelnen Punkten dieses Gesprächs
muß sie dies häufig begründen. Diese zermürbende
Situation hat zB. im Falle eines Hamburger Zeugen 3 Stunden gedauert.
Die wenigsten ZeugInnen werden sich nach einer solchen Prozedur
noch erinnern können, welche Informationen sie dem Staatsschutz
gegeben haben.
Für den eigenen Schutz!
EinE ZeugIn ist schnell BeschuldigteR
In 129a-Verfahren können ZeugInnen im Nu selbst zu Beschuldigten
werden, da die Bekanntschaft mit einer verdächtigen Person
jede und jeden selbst in den Kreis verdächtiger Personen kommen
läßt. Dies ist in der Vergangenheit schon häufig
geschehen (in RAFVerfahren).
Insbesondere mit der Verweigerung der Aussage unter Berufung auf
den § 55 belastet man/frau sich selbst. Im Kern besagt dieser
Paragraph, daß Antworten, die eine mögliche Selbstbelastung
beinhalten, verweigert werden können.
Diese Selbstbelastung kann durchaus von BKA und BAW für künftige
Verfahren erwünscht sein.
Außerdem sieht das Gesetz vor, daß jeder Bezug auf
den § 55 erstmal begründet werden muß. Eine schizophrene
Situation, weil das heißt, daß mit der Begründung,
warum eine solche Aussage etwas mit der eigenen Person zu tun hat
und belastend sein könnte, jede Menge Informationen geliefert
wird.
Ob die BAW bei der jeweiligen Frage den § 55 akzeptiert,
hängt von ihrer Wilikür ab: wurden viele andere Fragen
beantwortet, lassen sie vielleicht eine unbeantwortete zu.
Ist eine ZeugIn bereits Beschuldigte in einem anderen Verfahren,
so ergibt sich daraus noch nicht automatisch das Recht auf Aussageverweigerung
nach § 55. Denn auch in diesen Fällen behalten sich die
Ermittlungsbehörden die Entscheidung darüber vor, ob ein
Zusammenhang zwischen den Verfahren und damit ein Aussageverweigerungsrecht
besteht. Im schlimmsten Fall faßt die BAW die Berufung der
ZeugIn auf den § 55 als Bestätigung der gegen sie erhobenen
Vorwürfe auf.
Für die Zukunft ist noch vermehrt zu befürchten, daß
die Bekanntgabe von Ermittlungsverfahren solange hinausgezögert
wird, bis die ZeugInnen ihre Funktion erfüllt haben.
Aussagen schützen nicht vor weiteren Vorladungen
Die ZeugInnenvorladungen im Zusammenhang mit den Schüssen
an der Starbahn West in Frankfurt zeigen: Auch Aussagen schützen
nicht vor weiterer Verfolgung. Bei signalisierter Aussagebereitschaft
kann eine ZeugIn immer wieder vorgeladen werden....
Das eigene Gewissen
JedeR wird sich die Frage stellen: Habe ich mich so verhalten,
wie ich es richtig finde?
Bei Aussagen kann man/frau sich nie sicher sein, möglicherweise
doch jemanden belastet zu haben.
Immer bleibt die Aussicht, bei einem späteren Prozeß
Aussagen wiederholen zu müssen, die der Angeklagten Person
möglicherweise Knast einbringen.... "
... Zu den oben genannten kommt noch hinzu, daß in Verfahren,
in denen mehrere ZeugInnen geladen werden, deren gemeinsame Verweigerung
der Aussage eine Spaltung der ZeugInnen in die, die keine "gefährlichen"
Informationen zu bieten haben und solche, die eben etwas näher
dran sind. und alleine deswegen die Aussage verweigern müssen,
verhindern kann.
Zudem kann die Verweigerung der Aussage durch viele die Schwelle
der BAW erhöhen, tatsichlich Beugehaft zu verhängen.
Vergessen werden sollte auch nicht, daß schon die Empörung
darüber, daß dieser Staat das Recht hat, Menschen, die
nicht mit dem Staatsschutz zusammen arbeiten wollen, bis zu einem
halben Jahr in den Knast zu stecken, ausreichen kann, das Maul zu
halten.
Was bleibt, ist die Frage nach den Gründen für die Diskrepanz
zwischen Anspruch/Überzeugung und Wirklichkeit.
In der Wirklichkeit
Politisch wird die Aussageverweigerung mit dem Kampfverhältnis
der Linken zum Staat begründet.
Vergessen werden darf dabei aber nicht, daß Repression unter
anderem häufig deswegen so gut greift, weil sie eben auch Leute
trifft die gar kein solches Verhältnis zum Staat haben, beziehungsweise
mit eskalierten repressiven Mitteln überzogen werden, die ihrer
eigenen Ebene des Widerstandes/Angriffs nicht entsprechen (zB. wenn
"Autonome" plötzlich von Anti-Terror-Einheiten bekämpft
werden, die früher gegen die Guerilla eingesetzt wurden).
Es ist eben ein Unterschied, ob Aussageverweigerung zu einem Teil
der eigenen politischen Identität wird, oder aber ob die Politisierung
erst über die Konfrontation mit der staatlichen Repression
beginnt. Hier sind Geduld und Einfühlungsvermögen mehr
angesagt, als das Konfrontieren mit super-straighten Positionen,
die letzlich dem Druck der Beugehaft, nur einen weiteren Druck,
nämlich den der politischen Ansprüche. entgegenstellen.
Es erscheint unwahrscheinlich, daß ein, solchermaßen
im Schnellverfahren "überzeugter" (funktionalisierter?)
Mensch Monate Knast durchstehen würde.
Aus Erfahrung wissen wir auch, daß die Bereitschaft zu Aussagen
umso größer ist, je mehr Diskrepanz zu den verfolgten
Inhalten oder Taten besteht (zB. Startbahn) bzw. je heftiger die
Vorwürfe sind (zB. Kaindl-Verfahren), dem etwas entgegenzusetzen
scheint häufig fast aussichtslos.
Zudem werden viele Menschen sehr unvorbereitet mit der Verhörsituation
konfrontiert und reagieren dann aus Angst und Überforderung
anders, als sie es vielleicht eigentlich beabsichtigt hatten....
Die Aussageverweigerungskampagne läßt sich nicht konsumieren,
sie ist immer nur so stark wie die ernstgemeinte konsequente und
gemeinsame Auseinandersetzung mit diesem Thema, die ja erst ermöglicht,
daß die einzelnen sich entsprechend verhalten...
Der Preis
Hierzu nochmal einen Abschnitt aus der Bochumer Broschüre:
"Die Repressionsmöglichkeit der Beugehaft trifft jeden
EinzelneN in ihrer gesamten Lebenssituation:
Sie/er ist nicht nur mal eben ein halbes Jahr weg vom Fenster,
sondern sie hat weitreichende Konsequenzen zu tragen. An diesem
Punkt stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit
zwischen dem Preis, der für die Verweigerung zu zahlen ist
(nämlich Knast) und dem Schaden, den eine Aussage anrichten
kann. Es gibt kein Patentrezept, was diese Frage eindeutig lösen
könnte, denn jedeR ZeugIn ist in einer unterschiedlichen Situation,
was ihre persönliche Lebensituation und den möglichen,
von ihr/ihm gestifteten Schaden angeht."
Auch wenn wir meinen, daß jede nicht gemachte Aussage ein
Gewinn ist, können wir die anfangs aufgeführten Argumente
für Aussageverweigerung nicht einfach jeder individuellen Lebensituation
überstülpen.
... Wir können die Entscheidung keineR abnehmen, ob sie/er
letztlich bereit ist, die Gefahr auf sich zu nehmen, bis zu einem
halben Jahr in den Knast zu gehen.
Wir können nur die Grundlagen, auf denen diese Entscheidung
gefällt wird, zumindest zu einem Teil verändern:
Dazu gehört als allererstes ein solidarisches und genaues
Diskussionsklima, in dem Ängste und Zweifel offen geäußert
werden können. Das heißt nicht, die Richtigkeit der Aussageverweigerung
zu bezweifeln, sondern anzuerkennen, daß der Staat ieser Verweigerung
einen hohen Preis abverlangen kann, den nicht immer jede und jeder
zahlen kann.
Zudem liegt es in der Verantwortung der Linken, zumindest die
materiellen Kosten der Aussageverweigerung für die einzelnen
gemeinsam zu tragen ... und nicht zuletzt ist es unsere politische
Verantwortung, nicht nur für Aussageverweigerung zu streiten,
sondern auch für die Abschaffung der Beugehaft als Mittel,
den verordneten Denuziationszwang durchzusetzen, zu kämpfen...
Aussageverweigerung bleibt eine konkrete Handlungsmöglichkeit,
den § 129a ins Leere laufen zu lassen!
Laßt uns die Bedingungen schaffen, daß möglichst
viele Männer und Frauen diesen Weg gehen können!
Ana Lyse
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