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Aussageverweigerung
Einleitung
I. Rechtliches
- Die Aussageverweigerung als BeschuldigteR
- Die Aussageverweigerung als ZeugIn
II. Einzelfragen
III. Aussageverweigerung und Knast/Beugehaft
IV. Diskussionsbeitrag
Anhang
Die Position der konsequenten Aussageverweigerung, die wenigstens
inhaltlich auf einen breiten Konsens innerhalb der Linken zu stoßen
schien, wird heute zunehmend in Frage gestellt. Die praktischen
Erfahrungen mit der Aussageverweigerung, etwa im Startbahn-Verfahren,
weisen daraufhin, daß das so klare "Keine Aussagen!"
so klar nicht war und auch nicht ist. Das typische der jetzigen
Situation ist durch den Satz "Aussageverweigerung ja, ...aber..."
gekennzeichnet. Ein Grund für diese, Unklarheiten mag sein,
daß Kampagnen zur Aussageverweigerung in der letzten Zeit
wenig (Frankfurt: "Anna und Arthur haltens Maul" ), relativ
erfolglos und hauptsächlich regional beschränkt liefen.
Es gibt aus unserer Sicht aber noch weitere Gründe, die wir
benennen wollen, um dann darzustellen, warum wir die Position der
konsequenten Aussageverweigerung mit der Forderung Keine
Aussagen bei Bullen und Staatsanwalt! Nicht als BeschuldigteR, Nicht
als ZeugIn ihre Formulierung finden könnte, nach wie vor
für richtig halten. Desweiteren werden wir versuchen, einige
Bedingungen für eine konsequente und erfolgreiche Aussageverweigerung
zu nennen.
Wir werden in einem Diskussionsbeitrag zum Schluß thesenartig
die Verbindung zwischen Aussageverweigerung und Organisierung, die
u.E. den Kern des Problems ausdrückt, darstellen. Im ersten
Teil werden wir auf rechtliche Fragen und Probleme eingehen, ein
zweiter Teil über Einzelfragen und ein dritter über Beugehaft
und Knast schließen sich an.
Den zweiten Schwerpunkt dieser Broschüre haben wir sodann
auf Verhöre und Verhörmethoden gelegt, dieser Teil unterstützt
notwendigerweise das zur Aussageverweigerung Gesagte. Wir haben
uns zu einer ausführlichen Darstellung der Methoden von Staatsschützern
aus ihren Schriften heraus entschieden. Damit wollen wir zwei zentrale
Punkte klarmachen: nämlich erstens, daß alles, was die
Bullen/Staatsanwaltschaft abziehen, nur einem dient: daß geredet
wird, Informationen preisgegeben werden. Als zweites wird u.E. klar,
daß jedes Verhör. auch wenn mensch keine Aussagen macht,
eine kommunikative Situation ist, eine künstlich geschaffene,
in der bestimmte Verhaltensweisen provoziert werden sollen. Es ist
eben nicht so "einfach" , daß Mensch einfach dasitzen
und das Maul halten kann! Die Darstellung dieser kommunikativen
Atmosphäre, die die Gegenseite versucht zu schaffen, soll helfen,
die Methodik bei Verhören zu durchschauen.
Erwischt!
Es gibt vielfältige Situationen. in denen mensch in Gefahr
geraten kann zu reden. Neben den üblichen Verhörsituationen
nach einer Festnahme und nach einer Vorladung, fassen wir hier auch
Anquatschversuche in einem weiten Sinne darunter. JedeR kennt sie
wohl, die "Deeskalationsbullen" , die mittlerweile bei
fast jeder größeren Demo aufkreuzen und nette Flugis
verteilen. Und während die einen in echter Arbeitsteilung prügeln,
labern die anderen einen voll: Demo und Zweck seien ja gerechtfertigt
aber bitte keine Gewalt usw. usf. ... und dann mischen sich Fragen
ein: "von welcher Schule seid ihr denn?" - "Wieviele
seid ihr denn?" ... Immer noch fallen viele auf diese Masche
herein. aber mensch mache sich nichts vor: es handelt sich hier
um speziell geschulte Psycho- Bullen. die Rede und Antworten gleich
Missionaren auswendig lernen. Und sie wollen nur eins: Informationen.
Gib sie ihnen nicht. Nichts spricht dagegen, sich ein Flugi zu sichern,
bevor ein Argloser darauf hereinfällt. aber rede nichts mit
ihnen!
Nach einer Verhaftung kann es sein, daß die Bullen gleich
in der Wanne einen vollsülzen - womöglich mit der Versicherung,
es sei ja noch kein Verhör. Daß dabei die Bullen immer
auf der anderen Seite stehen, wird schnell übersehen.
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Festnahme und
Vorladung. EinE BeschuldigteR kann sich einer Vorladung sowohl von
Bullen als auch vom Staatsanwalt entziehen: Mensch muß nicht
erscheinen. Hingegen herrscht Erscheinungspflicht vor Gericht. Aber
auch hier ist eine BeschuldigteR nicht zur Aussage verpflichtet.
Einem Verhörversuch nach einer Festnahme kann mensch sich
nicht entziehen, er gerät in eine Situation und muß sich
in ihr verhalten. Das Wissen um die Rechte (Keine Aussagepflicht!)
wird überlagert und beeinflußt von der Behandlung/Verhalten
der Bullen. So werden die Bullen, z.B. während einer Hausdurchsuchung
in der ersten Aufregung vielleicht fragen: "Wer wohnt denn
noch hier?" und in der beschissenen Situation im Gefühl
des Ausgeliefertseins entsteht das verständliche Bedürfnis
nach einem Gespräch - genau darauf warten die Bullen. Oder
mensch sitzt alleine mit ihnen in der Wanne, ist vielleicht geschlagen
worden ... und die Bullen fragen: "Du warst es doch, oder?"
Demgegenüber muß mensch unbedingt versuchen. klaren
Kopf zu bewahren und genau um seine Rechte wissen. Ruhig bleiben,
auf Provokationen" und Beleidigungen nicht reagieren Jeden
nötigen Kontakt auf eine formale Ebene ziehen:
Verlange den Durchsuchungsbeschluß, verlange, den Anwalt
anzurufen, auch wenn dieses Recht oft verweigert wird.
Rechte nach einer Festnahme:
Du hast das Recht:
den Grund für die Festnahme zu erfahren. alle Aussagen zu
verweigern. nichts zu unterschreiben! gegen eine erkennungsdienstliche
Behandlung schriftlich Widerspruch einzulegen. im Verletzungsfalle
einE ÄrztIn zu verlangen und die Verletzung attestieren zu
lassen. ein Protokoll über die beschlagnahmten Sachen zu erhalten.
einen Anwalt anzurufen und nächste Angehörige zu benachrichtigen.
(Aber nicht soviel quasseln am Telefon)
I. Rechtliches
1. Die Aussageverweigerung als BeschuldigteR
Im Gegensatz zur Zeugln hat eine Beschuldigte das Recht auf eine
generelle Aussageverweigerung. sowohl bei der Polizei. wie beim
Staatsanwalt, als auch vor Gericht. Erscheinungspflicht besteht
für eine BeschuldigtE nur bei Gericht (Zum Umgang mit Ladungen
s. bei Zeugln)
Bullen
Für den/die BeschuldigteN ist als Problem der Druck, der durch
eine Verhörsituation und durch die Bedrohung mit Knast entsteht,
das zentrale Problem Die Verhörsituation kann nie vollständig
vorher berechnet und geplant werden, eine Selbstbestimmung, die
Meinung, mensch könne irgendwie aus dem Objektstatus, der ihm/ihr
zugewiesen wird, ausbrechen, ist Illusion. Uns erscheint wichtig
genau um die eigenen Rechte, sowie um mögliche Tricks der Repression
zu wissen, und dadurch - einen eventuellen Überraschungseffekt
kleinzuhalten. Es ist auch so, daß etwa bei einem Bullenverhör.
der Objektstatus von den Bullen aus aufgebrochen wird. Mensch kann
nicht einfach dasitzen und sein Maul halten, mensch will seine Angehörigen
sprechen, seineN AnwältIn sprechen. "braucht vielleicht
einen Arzt/ Ärztin ... Und die Bullen sind die letzten, die
sich darum einen Kopf machen. Die Wahrnehmung seiner Rechte fällt
auf einen selbst zurück. ständig muß mensch sich
verhalten, aktiv werden ... es ist dies eine Falle, unter vielen,
die uns die Repression stellt. Dagegen hilft nur das Wissen. wo
die Grenze zu ziehen ist, wann mensch das Maul halten muß
- also auch hier ist eine vorherige Auseinandersetzung um diese
"Aspekte der Aussageverweigerung dringend geboten.
Es darf nur die generelle Aussageverweigerung nicht zum Nachteil
des Beschuldigten gewertet werden! Das bedeutet: macht eine BeschuldigteR
auch nur eine einzige Aussage (egal. wo), und sei sie noch so unbedeutend,
so öffnet er/sie Richtern und Staatsanwälten Tür
und Tor, die ansonsten beibehaltene Aussageverweigerung gegen sie/ihn
zu verwenden. Für den Richter heißt dies "freie
richterliche Beweiswürdigung" , der jede Aussage unterliegt.
D.h.. er kann also bei wenigen Aussagen spekulieren, warum der/die
Beschuldigte auf die anderen Fragen nun gerade nichts sagen wollte!
Was also bedeutet, daß es Teilaussagen in diesem Sinne gar
nicht gibt! Welche auf bestimmte Fragen antworten, sich bei anderen
aber auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen, liefern damit immer
ein vollständiges Bild von sich selbst. Ob sie ansonsten Schweigen:
welche einmal geredet haben, liefern Zusammenhänge, einen Kontext,
den sich kein Staatsanwalt entgehen lassen wird!
Nach einer Festnahme und vor Gericht. sind Beschuldigte zu folgenden
Angaben zu ihrer Person verpflichtet: Name, Adresse, Geburtsdatum,
Geburtsort und ungefähre Berufsangabe! (Also nicht der Arbeitgeber.
Jugendliche müssen auch nicht die Adresse der Eltern angeben,
wenn sie nicht mehr bei ihnen wohnen). Welche das nicht tun, haben
vor Gericht meist mit einem Ordnungsgeld (50 DM etwa) zu rechnen.
Weitere Sanktionen (Ordnungshaft) können folgen. Welche bei
den Bullen diese Angaben verweigern, begehen das Delikt der Personalienverweigerung.
welches wiederum verfolgt werden kann. (Auf jeden Fall kann mensch
durch Beharrlichkeit und dem Verlangen nach dem Einsatzleiter bei
einer bloßen Personalienfeststellung (nicht nach einer Festnahme!)
manchmal erreichen, daß diese nicht durchgeführt wird.
Haftrichter
Es gibt einen Ort, wo eine Aussage angebracht scheint, nämlich
vor dem Haftrichter. Hier ist zunächst zu betonen: Eine Aussage
zur Sache wendet keine U-Haft ab! Der Haftrichter erläßt
den Haftbefehl wegen "dringenden Tatverdachts" . Egal,
was Du zu den Tatvorwürfen zu sagen hast, und wenn es ein Alibi
ist. auf keinen Fall kommst Du raus! Zu den Tatvorwürfen, die
auf den Ermittlungen der Polizei beruhen, und die zum Haftbefehl
führen, kommen noch sogenannte "Haftgründe"
hinzu. Der "Haftbefehl" kann, wenn die "Haftgründe"
nicht zutreffen, außer Vollzug gesetzt werden. D.h. aber nicht,
daß damit auch die Tatvorwürfe aus der Welt wären!
Was also die völlige Unsinnigkeit von Aussagen zur Sache vor
dem Haftrichter zeigt.
Haftgründe gibt es vier: Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr,
Wiederholungsgefahr und besonders schwere Tatvorwürfe. Bei
Vorwürfen, wie Mord, Totschlag und §129a wird grundsätzlich
Haftbefehl erlassen. Zu den anderen Haftgründen kann einE BeschuldigteR
Stellung nehmen. Dies sollte mensch nur zum Punkt Fluchtgefahr tun!!
Sagt mensch etwas zu den Punkten Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr,
ist unweigerlich eine Diskussion über den Tatvorwurf die Folge.
Sagen sollte mensch nur etwas zum Punkt Fluchtgefahr: Hier sollte
mensch verweisen auf einen festen Wohnsitz, eine Arbeit und andere
Bindungen wie z.B. Kinder, langjährige Freundlnnen. Die Gefahr
hierbei liegt auf der Hand: Daß mensch nämlich Namen
nennt. Es ist also zumindest aufzupassen, wen mensch nennt. Ganz
vermeiden lassen wird sich die Namesnennung sicher nie - es scheint
angebracht, sich hierüber schon vorher klar zu werden und mit
den u.U. Betroffenen darüber zu reden. - Desweiteren halten
wir es gerade auch wegen dieser Gefahren für nötig, schon
vorher eine Anwältin einzuschalten, der/die in der konkreten
Situation beraten kann.
Klar sein muß mensch sich aber unbedingt darüber, daß
mit einer Aussage zur Sache keine U-Haft abgewendet werden kann.
Der Haftrichter ist nun wirklich der letzte Ort, wo eine Aussage
"nützt" .
Polizei:
Einer Ladung zur Polizei (auch beim LKA) brauchen weder Beschuldigte.
noch ZeugInnen Folge zu leisten. Es entstehen dadurch keinerlei
Nachteile. (Auch wenn es einem der schwer verständliche Juristentext
der Vorladung suggerieren will) Auf eine Ladung sollte mensch in
keiner Weise reagieren, also auch nie telefonisch absagen, auch
wenn darum in der Ladung gebeten wird. Bei dieser Gelegenheit wird
mensch nämlich nochmal vollgesülzt. Sofort müssen
allerdings FreundInnen, Mitbetroffene, Anwältlnnen ... informiert
werden !
Staatsanwalt:
Zeuglnnen müssen vor dem Staatsanwalt erscheinen und die Angaben
zur Person machen. (s.o.) Erscheinen ZeugInnen nicht, kann ein Vorführung
erlassen werden.
Sodann hat mensch das Recht, folgendes zu erfahren:
Um welches Verfahren es sich handelt (hier ist auf eine genaue
Bezeichnung der einzelnen Tatvorwürfe zu bestehen.)
muß der/die BeschuldigteN genannt werden. Denn mensch muß
ja die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob mensch ein Aussageverweigerungsrecht
hat.
Es gibt gute Gründe, warum ZeugInnen vor dem Staatsanwalt
nicht aussagen wollen. Sie können zu diesem Zeitpunkt nicht
ermessen, wozu ihre Aussagen verwendet werden. Sie wissen nicht
sicher, in welche Richtung der Staatsanwalt ermittelt, der Staatsanwalt
darf ZeugInnen darüber auch weitgehend in Unkenntnis halten
- und auch darüber, ab wann in seinen Augen eine Aussage die
Zeugln selbst belasten könnte! Ein Überblick über
die Zusammenhänge, in der die Aussagen stehen, dürfte
für die ZeugIn unmöglich sein. Jede Aussage beim Staatsanwalt
liefert ein Steinchen in dem Mosaik, daß er sich zusammenbastelt,
jede Aussage kann ihm dabei weitere Anhaltspunkte liefern.
Das Aussageverweigerungsrecht für Zeuglnnen wird durch die
§ 52 bis 56 der Strafprozeßordnung (StPO) geregelt. Der
§ 52 StPO sieht ein Aussageverweigerungsrecht für Verwandte
des Beschuldigten vor, daß können sein, Eltern, Geschwister,
Kinder, aber auch Verlobte ... Verlobungen sind bekanntlich ebenso
schnell zu lösen, wie sie geschlossen werden, und können
im Einzelfall, wenn es möglich ist, eine sehr elegante Lösung
sein.
Der §55 sieht ein Aussageverweigerungsrecht vor für Leute,
die in derselben Sache angeklagt sind, und für Leute, die sich
durch die Aussage selbst belasten könnten. Es ist sowohl taktisch
wie politisch falsch, diese Form der Aussageverweigerung zu benutzen.
Die Aussageverweigerung nach §55 besteht nur für spezielle
Fragen. Die Inanspruchnahme dieses Rechtes muß jeweils ausdrücklich,
unter Berufung auf die Gefahr der Selbstbelastung verlangt werden.
Die Gefahren dabei liegen auf der Hand: Zum einen wird die Staatsanwaltschaft
verlangen, daß begründet werden muß, wieso mensch
sich selbst belasten könnte ... dabei entsteht zwangsläufig
die Situation, daß mensch über die Anklagepunkte reden
muß, oder über Leute, mit denen mensch irgendwie zu tun
hat. Überlegungen. welche Aussagen dem Staatsschutz nützlich
sein können, und welche nicht, führen zu einer Situation,
die für die Betroffenen nicht mehr überschaubar ist. Sie
können immer wieder vorgeladen werden - die Bedrohung, vom
Zeugen zum Beschuldigten zu werden, immer im Hinterkopf, was immer
wieder eine Entscheidung fordert, wie sie schon bei der ersten Vorladung
zu treffen war.
Taktisch ist die Berufung auf den §55 unklug, da mensch durch
diese Begründung quasi der Justiz die Möglichkeit in die
Hand gibt, einen zum Beschuldigten zu machen. also ebenfalls ein
Ermittlungsverfahren einzuleiten denn es ist ja davon auszugehen,
daß ein Straftatbestand/Ordnungswidrigkeit vorliegt.
Wird mensch als Zeugln vorgeladen und es ist zu erwarten. daß
er/sie selbst noch ein Verfahren kriegt oder er/sie weiß es
schon, hat mensch das Recht, auch die Aussage als Zeugln zu verweigern.
Dies gilt für das gesamte Verhör.
Erwähnt sei noch, daß Ärzte, Rechtsanwältinnen,
Pfaffen und Journalisten ebenfalls ein begrenztes Aussageverweigerungsrecht
haben, welches sich natürlich nur auf ihren Berufsbereich bezieht
(§53 und 54 StPO). So müssen z.B. JournalistInnen die
Namen von InformantInnen und Interviewpartnerlnnen nicht preisgeben.
Geplant ist solch ein Recht in absehbarer Zeit auch für DrogenberaterInnen.
Was geschieht mit Menschen. sie die Aussage verweigern wollen.
obwohl sie keinen der genannten Paragraphen können bzw. wollen?
ZeugInnen, die einer staatsanwaltschaftlichen Ladung nicht folgen
wollen
Dafür werden erstmal die entstandenen Kosten aufgedrückt.
Dazu kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld erlassen, wenn dieses
nicht gezahlt wird, gibt es Ordnungshaft, rnaximal 42 Tage und nur
durch richterlichen Beschluß. Es kann die zwangsweise Vorführung
vor einem Vernehmungsrichter (Ermittlungsrichter) angeordnet werden.
Die beiden Ordnungsmittel können bei erneutem Ausbleiben wiederholt
werden.
Zeuginnen, die hingehen, aber nix sagen
Zunächst läuft alles so wie unter 1. ab. Wichtiger Unterschied
aber ist, daß damit die Ordnungsmittel verbraucht, also nicht
wiederholbar sind! Möglicherweise beantragt der Staatsanwalt
nun die Erzwingungshaft (Beugehaft). Wird diese durchgesetzt, ist
danach auch dieses Erzwingungsmittel verbraucht. Die Beugehaft kann
maximal sechs Monate verhängt werden.
Klar ist demnach: so schnell ist mensch als aussageverweigernder
Zeuge nicht im Knast!
Das geht erstmal alles seinen langen rechtlichen Gang. Zuallererst
müssen zunächst einmal die Ordnungsrnittel angewandt werden.
Staatsanwälte, die behaupten, der Zeuge könne jetzt gleich
in Beugehaft gesteckt werden, vermischen bewußt Ordnungs-
mit Erzwingungsmitteln um den Zeugen zu verunsichern.
Aussageverweigerung als Zeugln beim Richter
Alles wie bei 2. Hinzu kommt, daß die Eidesverweigerung ebenso
behandelt wird wie eine Aussageverweigerung. (s. auch Abschnitt
Falschaussagen unter II. Einzelfragen)
Zeuglnnen können zu allen Vernehmungen Anwältlnnen rnitnehmen.
Sie können eine wichtige, auch psychologische Funktion haben,
doch sollten ihre Möglichkeiten nicht überschätzt
werden. Sie haben lediglich die Funktion eines Rechtsbeistandes,
d.h. sie können nicht in die Vernehmung eingreifen, sie dürfen
nur bei formalen Fehlern des Vernehmenden eingreifen. Wenn z.B.
eine Frage juristisch nicht so gestellt werden darf, wie sie gestellt
wurde, oder wenn der Staatsanwalt keine Rechtsmittelbelehrung erteilt
hat. Aber mensch hat das Recht, sich mit der AnwältIn über
die gerade gestellte Frage im Nebenzimmer zu beraten. Dadurch kann
mensch sich erstmal Luft verschaffen und sich dem psychischen Druck
entziehen. Welche sich stark genug fühlen. können hiermit
das Verhör etwas strecken ...
Falschaussagen
Tatbestand: Falsche uneidliche Aussage, Strafrahmen: 3 Monate bis
5 Jahre. Meineid: nicht unter 1 Jahr.
EinE BeschuldigtEr darf überall lügen, eine ZeugIn hingegen
ist vor Gericht zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichtet.
Beim Staatsanwalt gibt es zwar keinen Tatbestand der "Falschaussage"
, möglich ist jedoch, daß durch eine Falschaussage der
Straftatbestand der "Strafvereitelung" erfüllt wird!
- Auch deshalb halten wir generell wenig von Falschaussagen. Sie
sind immer ein Wagnis, und können zu Verstrickungen oder gar
zu Namensnennungen führen. Die Bullen sind aber da nicht blöd,
wo sie es sich nicht leisten können. Angesichts ihrer Möglichkeiten,
gerade auch technischer Art. können Falschaussagen geradezu
zu einer immensen Gefahr werden!
Alibiaussagen
Nun sind Bullen und Staatsanwaltschaft aber auch nicht diejenigen.
vor denen wir uns "einlassen" können, Alibis hervorholen.
Da gibt es die allseits bekannten "Ausnahmen", Ulla Penselin
etwa. oder die Hamburger Antifas, die sich durch Alibibenennungen
aus der U-Haft retten konnten. Was natürlich einerseits als
Belohnung der Repression für die - objektiv betrachtet - Kooperation
zu werten ist. Andererseits sind diese Einlassungen erst nach Besprechung
mit Anwältlnnen (wobei deren jeweilige Interessen und Grenzen
gesehen werden müssen) gemacht worden, und u.U. auch sehr problematisch.
Ein Überblick über die Lage, in der die Aussagen gemacht
wurden. dürfte den Betroffenen unmöglich gewesen sein.
Der Zeitpunkt der Akteneinsicht, bis zu der in keinem Fall ein Beschuldigter
Aussagen machen darf, muß hier beachtet und in die Diskussion
eingeführt werden. (Die Möglichkeit einer politischen
Erklärung fällt schon in den Bereich Prozeßstrategie,
und verlangt zunächst nach Austausch und Diskussion mit den
Strukturen draußen, bevor hier entschieden werden kann.)
In der Ermittlungsakte ist der bisherige Ermittlungsstand von Bullen
und Staatsanwaltschaft zusammengefaßt. Vor diesem Zeitpunkt
der Akteneinsicht kann mensch nie genau wissen, in welchen Zusammenhang
seine Aussage steht, wie der Staatsanwalt sie bewertet und benutzt
und was noch alles daran hängt. Erst nach Einsicht dieser Akte
können der/die RechtsanwältIn und Du ermessen, was bedeutsam
werden kann, erst nach Einsicht ist eine möglichst objektive
Bestimmung der Aussagen möglich. Wir halten dem desweiteren
einen sehr eindrücklichen Fall aus eigener Anschauung entgegen,
durch den klar wird, wie Bullen ein sicheres Alibi zerstören
können - wenn mensch es denn vor ihnen preisgibt: Vor dem Landgericht
ist ein zweiundzwanzigjähriger Maler angeklagt, im Zusammenhang
mit dem 1.Mai einen Stein auf eine Bullenwanne geworfen zu haben.
Er wird eine Stunde nach der angeblichen Tat von einem Bullen "wiedererkannt"
("an seinem auffälligen Hemd") und verhaftet. Eine
Stunde wird er von den Bullen in der Wanne gefangenhalten und muß
sich - im rechtsfreien Raum, die üblichen üblen Sprüche
anhören. Sodann wird er zwei Stunden von einem der erfahrensten
Staatsschutzbullen (Riewendt) verhört. Der Beschuldigte weiß,
daß er zur Tatzeit noch zu Hause war, weit entfernt vorm angeblichen
Tatort. Er benennt zwei Freunde als Zeugen für sein Alibi.
- Der Trick der Bullen: Die beiden Freunde werden nicht sofort verhört
- was auch eher sehr unangenehm hätte werden können -
sondern erst zwei Wochen später vorgeladen! Und dieser Zeitraum
diente denn dem Staatsanwalt Fröhlke dazu, die Aussagen der
beiden vor Gericht als "abgesprochen" zu bezeichnen. Da
sagt der Richter kalt lächelnd, das sei eben so, die Polizei
habe ja immer so viel zu tun. - Dieses Beispiel zeigt zunächst,
wie schnell mensch in so eine Situation geraten kann. Es zeigt dann,
daß ein Alibi, im Bewußtsein seiner "Unschuld"
geäußert, keinerlei Gewähr bietet. Ob Alibi oder
nicht, die Bullen wollen nur eins: daß geredet wird! Namen,
Namen! - der Rest wird sich dann schon finden. (Der Beschuldigte
wurde freigesprochen - mit der famosen Begründung, daß
die "kurze Beobachtungsmöglichkeit" für den
Bullen aus der fahrenden Wanne heraus nicht die genügende Gewähr
für ein hundertprozentiges Wiedererkennen biete!) Da zeigt
sich, daß ein Rechtsverständnis bürgerlicher Kreise
"aber ich bin doch unschuldig" für die Bullen völlig
unerheblich, ja fast lächerlich naiv angesichts der Realiltät
ist. Die Unschuld interessiert doch die Justiz immer als letztes!
Diese Einsicht verringert schlagartig die Hoffnung die mensch in
Aussagen, Kooperation setzt - aber sie muß ersteinmal vorhanden
sein!
Welche dennoch ihr Alibi nennen wollen sollten dies also in eigenem
Interesse erst vor Gericht tun, und sehr genau überlegen, was
ihre Aussage u.U. für andere bedeuten kann !!!
Entlastungszeugen:
Ein Bereich, den wir als äußerst problematisch ansehen.
Einerseits kann auch eine gute Verteidigung nicht auf entlastende
Zeugen verzichten. Andererseits sollte mensch deren Stellenwert
nicht überschätzen: ein Bullenzeuge, der seine Aussage
wenigstens halbwegs auf die Reihe kriegt - und wenns nur ein "der/die
wars!" ist - reicht allemal hin.
Daneben lauern auch auf Entlastungszeugen Gefahren, über die
vorher Bewußtsein hergestellt werden muß: Wir haben
poplige Beleidigungsprozesse erlebt, in denen es um 300 DM ging
und bei dem z. B. einem Entlastungszeugen nacheinander folgende
Fragen gestellt wurden: "Gehen Sie öfter auf Demonstrationen?
Waren Sie auch beim IWF dabei?" ... Aussagen bei Gericht bieten
die Möglichkeit der Vorbereitung. Zuschauerlnnen können
sie verfolgen, Klarheit wird so gewährleistet. Eine gemeinsame
Diskussion über Sinn und Zweck von Aussagen vor Gericht ist
möglich und überdies unbedingt notwendig, um dem Angeklagten
keinen Bärendienst zu erweisen. Gerichtsaussagen verlangen
also eine gemeinsame praktische und politische Bestimmung, die von
Fall zu Fall neu überdacht werden muß. Eine generelle,
schlagwortartige Formulierung läßt sich hier u.E. nicht
aufstellen.
RechtsanwältInnen
RechtsanwältInnen müssen vor Gericht die "Unschuld"
ihrer Mandanten beweisen, oder aber zumindest Zweifel an der "Schuld"
aufdecken. Dazu müssen sie zwangsläufig auch oft Aussagen
verlangen. Aus eigener Anschauung wissen wir, daß generell
zu schnell und zu zu vielen Aussagen geraten wird. Es gibt Fälle,
in denen Rechtsanwältlnnen zu Aussagen, insbesondere Namensnennungen,
geraten haben, um die eigene Version möglichst glaubwürdig
zu untermauern. Über die Interessen von Anwältlnnen muß
Bewußtsein hergestellt werden, auch - oder gerade - wenn mensch
sich bei einem vermeintlich "linken" Anwalt befindet.
Rät eine AnwältIn zu Aussagen. ist dies stets kritisch
zu problematisieren. Inwieweit einE AnwältIn dies zuläßt,
ist auch ein Kriterium, ob mensch eineN guten Anwältln hat.
Es lohnt sich, sich die Dinge nicht vollständig aus der Hand
nehmen zu lassen, auch wenn mensch sich dabei in juristische Niederungen
begeben muß. Verlange Erklärungen, Begründungen
für das jeweilige Verhalten der AnwältIn.
Die Versuchung, jemanden mit einer Aussage retten zu wollen, ist
manchmal groß und kann zu Unbedachtheit verleiten. Die andere
Schwierigkeit, keine Aussagen machen zu wollen, kann auftreten,
wenn mensch sich von absurden bis lächerlichen Anschuldigungen
oder massiv tendenziösen Fragestellungen herausgefordert fühlt.
Doch sobald Du etwas bestätigst oder verneinst, wird es sofort
als Deine Aussage ins Protokoll genommen!
Das Beispiel des 129a-Verfahrens um die "Wirtschaftswunderkinder"
in Hannover - 1988 wurde eine Frau wg. des Messeanschlags zu viereinhalb
Jahren Knast verurteilt - zeigt, daß es, da die Bullen durch
ihre Vorladung Anzahl und Zusammensetzung der ZeugInnen bestimmen
können, immer welche geben kann, die aussagen. Konkret teilten
sich hier die ZeugInnen in zwei Gruppen auf: Eine zahlenmäßig
kleinere Gruppe von ZeugInnen. die einen relativ willkürlichen
Zusamrnenschnitt der hannoverschen Scene bildeten, und eine Gruppe
von Angehörigen, Arbeitskollegen, Kommilitonen, Bekannten usw.
... Eine Einflußnahme auf diese Gruppe war nicht möglich,
sie haben sämtlichst ausgesagt - und sei es nur, daß
in dieser oder jener Wohnung sich oft Leute getroffen haben. ...
Da ist klar, daß manche sich, wenn auch unwillkürlich,
fragen, warum gerade er/sie das Maul halten soll. - Also auch dies
eine Methode. um kollektives Handeln und Reagieren zu erschweren.
Eine Auseinandersetzung darum, wie mit gemachten Aussagen umgegangen
werden kann, ist also dringend nötig.
Aussageverweigerung und §129a - Kampagne
Eine Kampagne zur Aussageverweigerung in Verbindung nur mit dem
§129a greift zu kurz, vielmehr ist die Propagierung von Aussageverweigerung
auch unterhalb dieser Ebene unbedingt notwendig.
Befürworterlnnen einer Kampagne Aussageverweigerung-129a führen
zurecht die große Vermittelbarkeit von Aussageverweigerung
angesichts der Beliebigkeit der Errnittlungmöglichkeiten-der
Repression in 129a-Verfahren an. In 129a-Verfahren wird es am offensichtlichsten,
daß die ZeugInnen sich und andere in jedem Falle nur belasten
können. Demgegenüber ist aber nicht einzusehen, warum
in "kleineren" Prozessen tendenziell nicht genauso gefährliche
Aussagen, z.b. Namensnennung, gemacht werden können. Es ist
ja nicht so, daß die Bullen nur in §129a Verfahren ansetzen,
um Strukturen und Zusammenhänge auszuleuchten. Zu den von kleineren
Verfahren Betroffenen, bietet der §129a wenig Bezugsmöglichkeiten,
was sich z.B in der bundesweit einheitlich anwachsenden Repression
gegen Antifas zeigt: sie betrifft oft junge Antifas, die neu in
der politischen Arbeit sind und allgemein kaum Zugang zum Thema
Aussageverweigerung haben.
Die Forderung "Keine Kooperation mit der Justiz" ist
- in einem engen Sinne - u.E. noch eine Fiktion. Aus schon dargestellten
Gründen, aber auch, weil es doch immer Kontakt zu ihr gibt,
sei es, daß der Anwalt mit dem Richter spricht, die Vorladungen
befolgt werden usw. und er schließlich versucht, die "Unschuld"
des Verfolgten vor Gericht zu "beweisen" - d.h., daß
ein taktisches Verhältnis zur Justiz erlaubt sein muß
- ausgehend von einer gemeinsamen politischen Einschätzung
und von Stärken und Schwächen und ausgehend von der Forderung:
Keine Aussagen bei Bullen und Staatsanwaltschaft!
Nicht als BeschuldigteR, nicht als ZeugIn!
Die Diskussion um Aussageverweigerung fordert eine ständige
Thematisierung von Knast/Beugehaft, keinesfalls darf dieser Punkt
ausgeklammert und hier eine Trennung gezogen werden.
Angesichts dieses Repressionsmittels wächst bei vielen die
Aussagebereitschaft.Die fehlende Thematisierung weist auch auf den
Punkt Aussageverweigerung und Organisierung hin, eine Einschätzung
der eigenen Struktur hat meist nicht stattgefunden, drum wird auch
die Bedrohung mit Knast individualisiert: Lieber ein paar Jahre
in den sicheren Knast, als sich in der Illegalität auf die
eigenen, unsicheren Strukturen draußen verlassen... (nach
"Swing" , 9/10. 1989) Die Beugehaft (die sich nur auf
Zeuginnen bezieht) steht am Ende einer Reihe von Möglichkeiten
der Repression. die Aussageverweigernde zunächst mit Geldstrafen
bedrohen kann. Nichtsdestotrotz ist sie ein brennpunktartiger Ausschnitt,
der die reale Gefahr Knast drastisch vor Augen führt. Die Situation
für den Zeugen, als auch für den Beschuldigten ist in
Bezug auf den Knast generell dieselbe. Die Beugehaft dient zur Erpressung
einer Aussage, Benennung von "Tätern" . Die persönlichen
Folgen der Beugehaft sind eklatant. Neben dem möglichen Verlust
des Arbeitsplatzes, der Wohnung, der Beziehungen (und auch des Anspruches
auf Arbeitslosengeldl) kommen dazu die Sorgen um Kinder und die
Anhäufung von Schulden. Beugehaft ist Zivilstrafe und muß
grundsätzlich selbst bezahlt werden! (Tagessatz a´ 40
DM)
Abstrakt gesagt, hat die Bedrohung des Beschuldigten mit Knast
eine ähnliche Funktion. Knast wird eben nicht nur als Sanktion
eingesetzt, sondern auch als Erpressungmittel, die Bedrohung Knast
soll den Beschuldigten zur Kooperation zwingen, diese ihm gleichsam
als günstigere Alternative erscheinen.
Es herrscht Berührungs- bzw. Auseinandersetzungsangst bezüglich
Beugehaft, die Ausdruck einer allgemeinen Verunsicherung ist, die
z.B seinerzeits in Bochum nach den ersten Beugehaftbeschlüssen
einsetzte. Die Überzeugung der Aussageverweigerung als sicherste
Verhaltensweise gegenüber Bullen, Staatsanwalt, Staatsschutz
etc. wird dabei nicht generell in Zweifel gezogen - nur wird Beugehaft
und Aussageverweigerung getrennt behandelt, und, wenn überhaupt.
im Bereich des Individuellen thematisiert. Die Debatten kreisen
vordergründig um den Punkt: das Absitzen der Beugehaft ist
ein zu hoher Preis für die Aussageverweigerung.
Es wird ein Weg zwischen Aussage und Knast gesucht, orientiert
wird sich dabei an den persönlichen Folgen. Die politische
Konsequenz oder Funktion von Aussageverweigerung wird dabei übergangen.
Das Standhalten, bzw. Nachgeben gegenüber Knast/Beugehaft
werden zum persönlichen Problem, mit dem sich die Betroffenen
herumzuschlagen haben, was der politischen Notwendigkeit der Aussageverweigerung
eklatant widerspricht.
Fatal - aber auch bezeichnend - ist die Tatsache, daß die
Auseinandersetzung um die Beugehaft dann beginnt, wenn Beugehaftbeschlüsse
vorliegen - um zu versiegen, wenn die Leute wieder aus dem Knast
sind, was doch ein Ausdruck einer Hilflosigkeit ist.
Das Wissen um die eigene Erpressbarkeit, die Angst vor Knast und
den Folge, sowie die politische Schwäche, sind für viele
Richtlinie ihres Handelns, was zum wiederholten Male auf das Kernproblem
Organisierung stößt. Aus unsicherer Haltung heraus wird
der Zweifel an die grundsätzliche politische Funktion der Aussageverweigerung
sichtbar. Taktisches Kalkül tritt an die Stelle einer konsequenten
Aussageverweigerung.
Da, wo es mehrere Vorladungen gab, ist eine gemeinsame Vorbereitung
noch notwendiger. Diese erfordert entsprechende Bereitschaft, sich
mit den eigenen Schwächen, sowie auch mit den direkt Verfolgten
zu konfrontieren und darüberhinaus die Bestimmung einer inhaltlichen
politischen Position. Es ist wichtig, eine gemeinsame Plattform
zu schaffen, aus der sich als logische Folge kollektive Aussageverweigerung
ergibt. Die Auseinandersetzung um Knast, persönliche Situation
(auch emotionale) und um das Machbare ist auch hier vonnöten
"um die Lücke zwischen abstrakter politischer Bestimmung
und persönlicher Konsequenz zu schließen.... "(Zitat
"Auf-Ruhr").
Es ist unwahrscheinlich, ein kollektives Vorgehen in allen Details
zu praktizieren. Es läßt sich nicht alles "trainieren"
und vorausbestimmen, der Druck auf die Einzelnen bezüglich
der Beugehaft ist unterschiedlich. Deshalb erscheint uns also als
außerordentlich wichtig eine gemeinsame inhaltliche politische
Bestimmung. Sie erfordert von allen ein demgemäßes Verhalten
und, daß nicht alles auf die Betroffenen abgeladen wird, diesen
mit falscher, nur fordernder und nehmenden Solidarität der
Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Aussageverweigerung und Organisierung
Die Diskussion um Aussageverweigerung muß notwendigerweise
unterstützt sein von einer Diskussion über die Organisierung,
die eigene politische Struktur.
Spätestens nach den Schüsse an der Startbahn und dem
darauf folgenden Zusammenbruch des Startbahnwiderstandes ist dieses
Problem offensichtlich geworden. Es ist nicht nur der heftigen Repression
zuzuschreiben, daß Aussagen gemacht wurden, vielmehr traten
die politische Schwäche, die sich in fehlender Struktur und
damit fehlendem Bezug zueinander ausdrückten, deutlich zu Tage.
Die Repression hat es geschickt und flexibel verstanden, auf die
Verfolgten individuell einzugehen, sie durch das Aufgreifen individueller
Angriffspunkte, wie z.B. Kinder, Arbeit, Belastbarkeit ... fertigzumachen.
Sie hat sich als beweglich erwiesen - sowohl während der Ermittlungen,
als auch im Verfahren jetzt. Dem konnte keine Struktur etwas entgegensetzen,
es bot sich das Bild einer heillosen Verwirrung und Vereinzelung
der Verfolgten. Eine leistungsfähige Struktur (oder gar, weitergehend,
Organisierung) gab und gibt es nicht.
Wir sehen in dieser fehlenden Struktur, die sich unserer Meinung
nach um das Auffangen der Folgen, um politische und materielle Solidarität
zu kümmern gehabt hätte (die sich auch an ganz praktischen
Fragen wie Versorgung der Wohnung, Weiterzahlung der Miete, was
die Belastung von der/den Betroffenen nehmen bzw. auffangen muß,
zeigt) einen Hauptgrund für Aussagen. Und wir halten diese
Folgerung prinzipiell auch für übertragbar auf "kleinere"
Prozesse, in denen wir auch immer wieder auf das Problem "Warum
machen Leute, die sich als politisch begreifen, trotzdem Aussagen"
stoßen - die Antwort liegt zu einem Teil in der Auseinandersetzung
um Organisierung. Die Auseinandersetzung um Aussageverweigerung
hat einen bestimmenden offensiven Charakter, sie darf nicht defensive,
reagierende Maßnahme sein, die erst greift, wenn die Kalke
am dampfen ist, vielmehr steht die Diskussion um Aussageverweigerung
am Anfang von strukturierter politischer Arbeit und ist als einer
ihrer Stützpfeiler zu begreifen.
Auseinandersetzung um Aussageverweigerung fordert somit notwendig,
sich in Beziehung zueinander zu setzen, sie muß Klarheit und
Verbindlichkeit herstellen. Es ist auch notwendig, sich auf persönlicher,
solidarischer Ebene damit auseinanderzusetzen. Die Bereitschaft
zu Aussagen ist größer, je distanzierter und unklarer
das Verhältnis zueinander ist. Diese subjektive Ebene muß
ergänzt sein von einer objektiven, die über eine Einschätzung
einer Struktur über ihre praktischen, realen Möglichkeiten
entsteht.
Es darf nichts überspielt und verschwiegen werden, als wäre
mensch ein ganz ausgebuffter oder cooler als ein Eiswürfel.
Spätestens in Verhörsituationen kommt dies auf den Tisch
und der Gesangsverein hat ein neues Mitglied. Es geht also darum,
daß mensch sich klar mit den eigenen Grenzen befaßt
und hierüber auch Bewußtsein in Bezug auf die gesamte
Struktur entwickelt wird. Faktisch herrscht hierzu mangelnde Bereitschaft.
Verlangt werden muß eine Debatte über verbindliche organisatorische
Strukturen, die vorzugeben, bzw. zu gewährleisten, autonome
Zusammenhänge bisher nicht in der Lage gewesen sind. Diese
Organisationsstrukturen müssen, um erfolgreich wirken zu können,
über den WG-eigenen Küchentisch hinausgehen. In der Konsequenz
macht die Erforderlichkeit der konsequenten Aussageverweigerung
eine Debatte um verbindlich arbeitende Anti-Repressionsgruppen notwendig.
Die Existenz und konkrete Arbeit der RH möchten wir somit in
diesen Diskussionsprozeß gestellt sehen.
Keine Aussagen bei Bullen und Staatsanwalt!
Nicht als BeschuldigteR, nicht als ZeugIn.
Im folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus dem Aufsatz "Kriminaltaktik"
von J. Brack und N. Thomas, Boorberg Verlag 1983, S. 156-173: "Taktik,
Technik, Fehlerquellen und psychologische Grundlagen der Vernehmung"
.
Betont wird, daß ein Verhör so oder so eine kommunikative
Situation ist, in der die Verhaltensweisen des zu Vernehmenden beobachtet
werden und bestimmend für die jeweilige Vernehmungstechnik
sind. Diesem Umgang kann mensch sich nicht entziehen, und auch,
wenn mensch nichts sagt, nichts annimmt, so liefert er/sie doch
damit auch ein Bild von sich, auf das sich die Bullen in der Regel
einstellen. Da. wo die Leute (im besten Falle) schweigen, ist es
daher das Entscheidende für die Bullen, den Beschuldigten zum
Reden zu bringen, egal über was. Ist da erstrnal ein Anfang
gemacht, der Durchbruch aus Sicht der Bullen geschafft, ist meist
nichts mehr zu retten. Von dieser Grundthese gehen die meisten Bullenbücher
in Bezug auf politische Verfahren aus. Einerseits kann mensch nicht
einfach da sitzen, und das Maul halten, mensch will den Grund der
Festnahme erfahren, Anwältlnnen und Angehörige anrufen,
benötigt vielleicht einen Arzt ... andererseits sind auch genau
dies die Punkte, wo die Bullen ansetzen und eine kornmunikative
Situation fördern können, und nur, wenn sie es für
günstig erachten, lassen sie dies auch zu, natürlich nicht,
weil sie um Deine Rechte besorgt sind. In der Regel hat es sich
gezeigt, daß Bullen oft schon in der Wanne, bei Landfriedensbruchdeiikten,
den Gefangenen massiv unter Druck setzen und zu einem Eingeständnis
bringen wollen - vor weiteren "Zeugen" , und in einer
Situation, in der es mensch u.U. sehr beschissen ergehen kann.
Es ist dies eine Situation. in der die Bullen bestimmen, und je
nach deren Vorgehen bleibt einem Platz für ein eigenständiges
Verhalten. Es empfiehlt sich dringend. jeden Kontakt auf eine ausschließlich
formale Ebene zu ziehen. Es ist dies auch immer eine Frage des Tatvorwurfs
und des Interesses der Bullen an dem Fall. U.U. kann mensch die
Bullen solange nerven, bis sie ein Telefonat mit dem Anwalt erlauben,
hingegen wird mensch nach Festnahmen, bei denen z.B. er/sie geschlagen
worden ist, alles vermeiden, um zu provozieren. Bei geringeren Vorwürfen
wird oft nur gefragt, ob die Tat eingeräumt wird, bei größeren
Anlässen verschärft sich dies aber um einiges, und dann
hilft nur, das Maul zu halten, zu erkennen zu geben, daß sie
mit ihren Methoden nicht durchkommen.
Bei Leuten, die im Knast sitzen, ist die Verhörsituation in
der Regel noch einmal erheblich schärfer. Das Gefühl des
Ausgeliefertseins, daß sie alles mit Dir machen können,
was sie wollen, potenziert sich. Meist wirst Du unverhofft aus der
Zelle geholt und den Vernehmungsbullen/ Staatsanwalt vorgeführt.
Die bekanntesten und immer noch häufig angewandten Methoden
seien hier kurz noch einmal erwähnt. Die Bullen machen einen
glauben, sie wüßten eh schon alles, hätten den Steinwurf
gefilmt, oder ein Mitgefangener hätte ausgesagt. Das ist ein
billiger Trick. Und auch wenn sie Unterschriften deiner Genosslnnen
zeigen, du fällst nicht drauf rein.
Oft wird bei Jüngeren noch die Methode harte-weiche Welle
angewandt. In dieser Situation kann mensch sich nur klarmachen:
es ist eine Methode, wie jede andere auch, es gibt keine Bullen.
die irgendein Interesse daran hätten. dir zu helfen.
Aus Gründen der vorbeugenden Selbstzensur müssen wir
betonen, daß verbotene Vernehmungsmethoden selbstverständlich
nur in amerikanischen Filmen vorkommen, dennoch seien wenigstens
einige häufige Tricks aus der Grauzone erwähnt, so wurden
im Zusammenhang mit dem Startbahn-West Komplex z.B. ZeugInnen mitten
in der Nacht von Bullen geweckt und an der Tür ausgequetscht,
oder z.B. vom Staatsanwalt angerufen, sie hätten in zwei Stunden
bei ihm zu erscheinen undundund, die Palette des Möglichen
ist lang. Natürlich braucht auf derartiges nicht reagiert zu
werden.
Eine Möglichkeit. der psychischen Drucksituatiön bei
einem Verhör zu begegnen ist, sich die wesentlichen Ziele und
Aspekte von Verhören zu vergegenwärtigen, wie u.a.: daß
die Justiz belastendes Material sammelt, daß jede Frage, die
sie stellen. mit dem Ziel gestellt wird, die Antworten gegen Dich
oder andere verwenden zu wollen, daß sie keine harmlosen Fragen
stellen. Diese benutzen sie nur, um in ein Gespräch einzusteigen.
Wichtig ist, daß Du die Möglichkeiten, mit denen sie
Druck auf Dich ausüben können, so weit wie möglich
reduzierst, indem Du im voraus all die Alltagsprobleme, die Dich
im Zweifelfall beunruhigen würden, vorher selbst klärst.
Kümmere Dich vor dem Termin darum, wer sich um Deine Kinder
kümmert. Du wirst ruhiger sein, wenn Du weißt, daß
Deine Kinder im Extremfall bei Leuten sind, bei denen sie sich wohlfühlen.
Klär vorher, wer sich um Deine Verwandtschaft kümmert,
wenn es Dir wichtig ist. Wer sich um Deinen Schriftkram kümmert,
um Wohnung, Arbeit ... Wer all die Sachen erledigt, die in der Zeit
kommen können, in der Du sie vielleicht nicht selbst erledigen
kannst.
Welche sich mit Aussageverweigerung und Verhörmethoden auseinandergesetzt
haben, haben eine Hilfe, wenn er/sie in die Situation kommt. Es
hilft, wenn nichts mehr wirklich überraschen und überrumpeln
kann. Trotz der unangenehmen Situation kann das Aneignen von Erfahrungen
anderer Sicherheit geben und gegen allerlei Angriffe wappnen.
Zum Schuß geben wir eine Literaturliste. Wir halten es für
legitim und in einem bestimmten Maße auch für notwendig,
sich mit der Gegenseite zu beschäftigen. Wer ihre Tricks und
Methoden kennt und durchschaut, hat zumindestens die Chance, dagegen
zu bestehen!
Oskar/Schubert - Die Vernehmung im Ermittlungsverfahren - Jüngling
Verlag 1983
Rainer Gundlach - Die Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren
- Lang. Frankfurt/M 1984 (Standardwerk)
Theodor Gossweiher-Saiko - Vernehmungskunde - Leykam Verlag Graz
1979
BKA - Veröffentlichungen:
Jürgen Banscherus - Polizeiliche Vernehmung - 1977 (Standartwerk)
H.W. Schmitz - Vernehmung als Aushandeln der Wirklichkeit 1983 (IN:
Wissenschaftliche Kriminalistik, Tb1)
Udo Undeutsch - Vernehmung und non-verbale Kommunikation 1983 (IN:
Wissenschaftliche Kriminalistik, Tb 1)
C. Brockmann - Vernehmungstechniken - AUS: Brennpunkte der Polizeipsychologie
(Hrsg. Frank Stein) Verlag für angewandte Psychologie 1990
Kriminalistisches Handbuch Bd. II, S. 139-204 Vernehmungstechnik
und -taktik
NICHTS SAGEN, NUR DAS IST SICHER
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