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Mit Faschismustheorien der Zwischenkriegszeit gegen den "hilflosen
Antifaschismus"
Damit wären wir bei einem weiteren zentralen Begriff der Neuen
Linken, dem des Faschismus. Die Referenten der Veranstaltung"Zeiten
des Zorns - Zur Geschichte und Politik der Revolutionären
Zellen", die Ausgangspunkt des vorliegenden Artikels ist,
erklärten das unreflektierte Verhältnis der Linken zu Israel und
ihren fragwürdigen Antizionismusbegriff unter anderem mit einer erst
sehr späten Auseinandersetzung der Linken mit der tatsächlichen
Geschichte des Nationalsozialismus. Dem wurde von seiten des Publikums
heftig widersprochen und v.a. die kulturrevolutionäre Bedeutung der
'68er und ihre damals avantgardistischen Auseinandersetzung mit dem
Faschismus betont. Letzteres ist durchaus richtig, allerdings mit einer
Einschränkung. Neben dem Outen diverser damaliger Größen
des öffentlichen Lebens (Politiker, Richter,
Universitätsprofessoren etc.) als ehemalige Nazis und den
Auseinandersetzungen mit den eigenen Eltern blieb die Beschäftigung
der '68er mit dem Faschismus bald auf einer zunehmend ungeprüften
theoretischen Ebene stecken. Die seit Mitte der sechziger Jahre angebotenen
universitären Vorlesungsreihen über die Zeit des
Nationalsozialismus (die überhaupt erst eingerichtet wurden als
StudentInnen Druck ausübten, indem sie belastendes Material über
Universitätsprofessoren veröffentlichten) offenbarten nicht nur
einen "hilflosen Antifaschismus"(19). Sie bestätigten vor
allem einmal mehr das berühmte Horkheimer Diktum, vom Faschismus solle
schweigen, wer nicht vom Kapitalismus reden will. Die überfällige
radikale Kritik an Deutungsmustern im Sinne der Totalitarismustheorie oder
des Hitlerismus führten zu einer Wiederbelebung marxistischer
Faschismustheorien aus der Zwischenkriegszeit [sic!], wie der
Dimitrofftheorie, den Bonapartismusansätzen von August Thalheimer und
Otto Bauer sowie Aufsätzen von Zetkin, Radek, Trotzki u.a. Das gegen
den herrschenden Diskurs notwendige Insistieren auf dem Zusammenhang
zwischen bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaft und Faschismus
mündete zunehmend in einer Ignoranz gegenüber den Besonderheiten
nationalsozialistischer Wirklichkeit - inbesondere der Shoah -
gegenüber denen der Erkenntnisfortschritt der Faschismustheorien
versagt. In dem Maße, wie die Kollision mit der Staatsmacht von den
revoltierenden Studenten nicht zuletzt aufgrund völlig fehlender
Widerstandserfahrungen ein hohes Lehrgeld forderte und Überlegungen
zur Aktualität des Faschismus in den Vordergrund rückten, wurde
die Frage nach der Tauglichkeit von Faschismustheorien für die
verschiedenen historischen Faschismen endgültig zugunsten ihrer
vermeintlichen Verwendbarkeit für die Gegenwart geopfert.(20) Dabei
bezog man bei der Verwendung des Faschismusbegriffs die politische und
moralische Diskredition des Faschismus meist nicht aus den Charakteristika,
die Faschismustheorien zu beschreiben in der Lage sind, sondern aus der
immer mitgedachten und manchmal auch genannten nationalsozialistischen
Vernichtungspolitik.
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