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Antiimperialismus: Neue Perspektiven und Kulturkritik
Eine grundlegende Kategorie im Denken der neuen Linken war der
Antiimperialismus. Seit Ende der fünfziger Jahre formierte sich
vorrangig in den USA und in Westeuropa eine neue intellektuelle Linke. Was
die unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen von New Left, Nouvelle
Gauche, kritischer Theorie etc. verband, war u.a. die Kritik eines
orthodoxen Marxismus - dessen ökonomistische Verengung man mit
sozialpsychologischen, ästhetischen, existenzialistischen u.a.
Ansätzen aufzubrechen versuchte -, die Kritik der institutionell
erstarrten herkömmlichen Organisationen der Arbeiterbewegung, die man
als ruhig gestellt, pazifiziert und angepaßt in der Prosperität
der Konsumgesellschaft empfand, und schließlich die Kritik an der
SU.
Auf der Suche nach den Subjekten emanzipatorischer Veränderungen
und sozialen Fortschritts fiel der Blick auf diejenigen, die am Rande der
kapitalistischen Wachstumsdynamik standen, auf die "Verdammten
dieser Erde"(14): Im internationalen Rahmen wurden die
antikolonialen Befreiungsbewegungen (Kuba, Algerien, Vietnam) zum
Hoffnungsträger. Bewiesen sie doch, wie zuvor bereits China, die
mögliche Befreiung der zumeist agrarisch strukturierten Staaten der
Peripherie und eröffneten eine neue Perspektive jenseits der
klassischen marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie. Die
Prämisse, die Zentren vom Rand her zu erschüttern, galt auch
für die Metropolen, die "Herzen der Bestie" (Che),
selbst. Als TrägerInnen künftiger Veränderungen rückten
hier die gesellschaftlichen Randgruppen, die Fürsorgezöglinge,
SchülerInnen und Lehrlinge, die JobberInnen und ArbeitsmigrantInnen,
die KünstlerInnen und StudentenInnen ins Blickfeld. Insbesondere als
Gesellschafts- und Kulturkritik des "gemästeten
Europas"(15) und seiner "eindimensionalen
Menschen"(16) artikulierte die Bezugnahme auf die
Befreiungsbewegungen, was eine ganze Generation Jugendlicher an der sie
umgebenden wirtschaftswunderlichen Selbstzufriedenheit ankotzte. Zwar
wurden die Schriften der neuen Linksintellektuellen vorrangig von
StudentInnen rezipiert - in der BRD übersetzten SDS-ler Fanon, luden
Marcuse ein usw. - doch das an die Wand geheftete Che-Guevara-Poster als
Zeichen eines neuen gegenkulturellen Lebensgefühls beschränkte
sich keinesfalls auf die engeren studentischen Kreise. Kurzum, die Suche
nach einem neuen Leben jenseits autoritärer Versteinerungen und
aggressiven Konformitätsdrucks, die Konfrontation mit Eltern, Lehrern,
Ausbildern und Bullen, die entstehende "Gegenkultur der gezielten
Aufsässigkeit"(Roth) war bereits früh deutlich
antiimperialistisch konnontiert.
Nicht zuletzt die anhaltende Repression, die unmittelbare Erfahrung
staatlicher Gewalt, die Pogromstimmung gegen "langhaarige
Dreckskommunisten" und die damit einhergehende Radikalisierung
führten dazu, daß die größtenteils recht komplexen
Theorien der neuen Linksintellektuellen manches Mal recht
haarsträubend verkürzt und vereinfacht wurden. Sei es, wie die
RAF in ihrem kritischen Rückblick auf die Studentenrevolte anmerkt,
daß die Unterschiede zwischen der konstatierten "psychischen
Verelendung" hier und dem Elend im Trikont verwischten, oder daß
"die Massenauflage der Bild-Zeitung hier mit dem
Massenbomardement auf Vietnam" verglichen wurde.(17) Oder sei es,
daß die Szenen des 2.Juni 1967, die brutale Polizeiräumung vor
der Deutschen Oper nach im Bullenjargon
"Leberwursttaktik"(in der Mitte reinstechen, damit sie an den
Enden auseinanderplatzt), die Savak-Agenten (sog.
"Jubelperser"), die quasi unter Polizeischutz auf
PassantInnen und DemonstrantInnen mit Stahlruten u.ä. knüppelten
und schließlich ein von einem Beamten, der für seinen Mord nie
zur Rechenschaft gezogen wurde, hinterrücks erschossener Demonstrant
"ein Bild der Gleichförmigkeit staatlicher Gewalt"
provozierten. Die "Unterschiede zwischen demokratischer und
diktatorischer Herrschaft schienen nicht mehr allzu groß, jedenfalls
nicht von dauerhafter Natur zu sein. Die These einer möglichen
Faschisierung der Bundesrepublik machte die Runde."(18)
Große Koalition und Notstandsgesetze taten ihr übriges zur
Plausibilität des Neuen Faschismus.
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