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Datum:
20.04.2001
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Interview:
Transkription eines mündlich geführten Interviews mit
dem Strafrechtler und Autor Oliver Tolmein/ keine autorisierte
schriftliche Fassung
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6. Die Bundesanwaltschaft nimmt das Verfahren gegen Rudolf Schindler
wieder auf und verbindet es mit dem Berliner Verfahren. Wie ist die
Auslegung, die RZ bestünde aus verschiedenen Zellen und Rudolf
Schindler könne daher auch mehrmals angeklagt werden, zu bewerten? Im
Verfahren gegen T. Mousli wurde genau das Gegenteil behauptet. Was kann das
für zukünftige Verfahren bedeuten?
Es ist politische Justiz in ihrer klassischen Form und politische Justiz
in ihrer klassischen Form lebt davon daß sie sich um rechtlich
dogmatische konsistente Begründung ihres Vorgehens herzlich wenig
schert und auch herzlich wenig scheren muß, denn die Richter im
Bundesgerichtshof sind niemanden gegenüber rechenschaftspflichtig.
Deswegen legen sie diesen Grundsatz "ne bis in idem", niemand
darf wegen einer Sache zweimal angeklagt werden, den legen sie sehr
großzügig aus, indem sie eben zu dieser aberwitzigen
Konstruktion kommen die RZ seien eigentlich gar nicht die RZ, sondern ganz
viele verschiedene RZ's und deswegen könne man da auch alles
mögliche mehrfach anklagen. Man muß sagen, diese Idee der RZ als
terroristische Vereinigung, ist sowieso auch schon ein Konstrukt das
letztenendes wenig eigentliche juristische Substanz hat. Weil eben diese
ganze Vereinigungskriminalität eben etwas ist, was in der ersten Form
§129 Bestandteil der Sozialisten- Gesetze war, in der zweiten Form
§129a eine Geschichte war die sich damals konkret gegen die RAF
gerichtet hat. Das ist eine Kriminalisierungsstrategie die darauf aus ist
Einzelne für Taten verantwortlich zu machen, strafrechtlich, die ihnen
gerade eben nicht individuell zugerechnet werden können. Damit ist der
§129a an sich schon ein Systembruch innerhalb einer liberalen
rechtsstaatlichen Tradition (zu der man auch manches sagen kann). Wenn man
sie denn nun mal als Jurist in diesem Lande vertritt, dann ist es
jedenfalls eine liberale rechtsstaatliche Tradition in der man sich
eigentlich bewegen möchte und da ist das ganze sachfremd und diese
Auslegung vom §129a die der BGH betreibt, die setzt dem ganzen die
Krone auf.
7. Ist das Verfahren für dich symptomatisch, wie die Linke mit
ihrer Vergangenheit und ihren Fehlern umgeht?
Es gibt eine Dimension in diesem ganzen Verfahren, die jetzt finde ich,
erstmal relativ unabhängig von der Frage der konkreten Nutzung
für die Solikampagne ist. Hier steht ja auch zur Debatte ein
bestimmter Abschnitt von bundesdeutscher antiautoritärer
linksradikaler Organisierung in den 70er und 80er Jahren und es ist
über die Aussagen von Tarek Mousli, wie immer man zu ihnen stehen
will, aber natürlich auch und über verschiedene andere Leute aus
diesem Zusammenhang linksradikaler Politik von damals einiges in die
Öffentlichkeit gedrungen, wie die RZ verfaßt waren oder wie sie
auch nicht verfaßt waren. Zum einem ist es charakteristisch,
daß solche Aussagen, solche Stellungnahmen und Einblicke
ermöglicht werden in Zusammenhang mit einem Strafverfahren, das hat
immer etwas damit zu tun daß die Organisationen wahnsinnig
konspirativ sind und zwar so konspirativ, daß sie eben auch nach
ihrer Auflösung eine einmal angefangene Diskussion nicht mehr
weiterführen. Gut zum Teil ist das natürlich erklärlich, es
gibt diesen Kriminalisierungsdruck, andererseits denke ich gibt es eine
ganze Reihe von Sachen die man hätte sagen können, die jetzt ja
auch gesagt werden im Verfahren, die man auch trotzdem hätte mal
diskutieren können und der Ansatz der ja auch Anfang der 90er Jahre
mit dem Papier zum Tod von Gerd Albartus gewählt wurde, ist eben auch
von den Leuten die es damals angefangen haben, einfach nicht weiter
verfolgt worden. Das heißt Leute machen ihre Geschichte, sie machen
ihre Politik, sie setzen sich danach in der Regel, also zumindest zwei drei
Jahre danach nicht mehr damit auseinander oder zumindest nicht so daß
es in der Öffentlichkeit nachvollziehbar wäre und das ist
charakteristisch für einen linken Umgang mit Geschichte. Daß die
Linke diese Geschichte nämlich Anderen überläßt. Und
wenn man sich anschaut wer Heute Bücher über linke Geschichte
verfaßt sind es entweder die Renegaten, die erklären, es war
schon immer alles schrecklich und furchtbar und entsetzlich oder es sind
die nicht ganz so renegaten, die sagen, naja ganz so schrecklich wie die
Renegaten das sagen war es nicht aber es war schon ziemlich entsetzlich
oder es sind eben bürgerliche Journalisten die sagen, ja guckt mal es
war furchtbar. Linke Ansätze zur Schreibung der eigenen Geschichte
sind sehr vereinzelt, sehr rar und ich denke das ist ein großes
Problem, das dann natürlich auch dazu führt daß, wenn die
linke Geschichte dann einmal thematisiert wird in der Regel im Rahmen so
eines Verfahrens, dann sagt man "es ist aber schwierig, Soliarbeit,
Soliarbeit ... jetzt können wir auch nicht über alles reden, weil
jetzt müssen wir ja erstmal die Gefangenen unterstützen",
was auch richtig ist, nur es führt dazu daß diese Diskussion nie
stattfindet. Aber die Schwäche die daraus erwächst, die
Schwäche die ist natürlich dauernd präsent.
8. Wer sollte denn den Aussagen des Kronzeugen oder den Behauptungen
der Bundesanwaltschaft überhaupt etwas entgegensetzen, wer sollte sich
zu dem Projekt RZ verhalten ?
Das Problem hatten wir auch in dem Verfahren gegen Ingrid Strobl. Ingrid
Strobl hat ja damals glaubhaft angemerkt daß sie diesen Wecker
für einen Mr. X gekauft hat, dessen Namen sie nicht preis geben will,
weil es klar wäre der wär dann richtig lange in den Knast
gewandert. Damit war immer die Frage verbunden, warum sagt Mr. X nichts. Es
hätte ihm eh' niemand Glauben geschenkt, weil man gesagt
hätte das macht er ja nur damit die Gefangene entlastet wird. Insofern
ist es auch sehr schwierig, denke ich in dieser Situation jetzt etwas zu
den RZ zu sagen, es hat ja im Frankfurter Verfahren ein zwei Leute gegeben
die mit Aussagen versucht haben konkret zu entlasten. Das können aber
nur die Individuen in der Situation selber sagen, die nämlich
über dieses Insider- Wissen verfügen. Es ist wunderbar, es ist
nämlich genau das was man dann machen kann, wenn man überhaupt
den Eindruck hat daß es ein Verfahren ist indem solche Aussagen etwas
zählen oder indem solche Aussagen so verwendbar sind daß sie den
Legitimierungsdruck auf die Bundesanwaltschaft und das Gericht
erhöhen. Ansonsten kann man nicht sagen, ich meine es ist ganz
schwierig, man kann einfach Indizienketten aufdecken. Ich finde in dem
Berliner Verfahren ist es eigentlich sogar relativ leicht, es gibt
eigentlich nämlich wirklich tatsächlich außer
Zeugenaussagen nichts und diese Zeugenaussagen dort wo sie materialisierbar
wären haben sich als falsch erwiesen, von daher unter normalen
regulären Verhältnissen müßte diese Anklage sowieso
längst zusammenbrechen. Daß sie das nicht tut das zeigt eben nur
wie hoch der Verurteilungswille ist. Und einem ganz hohen
Verurteilungswillen wirklich was entgegenzusetzen, das ist natürlich
auch extrem schwierig. Gelingt dann aber, auch das zeigt die Erfahrung, in
der Regel nicht im Vorverfahren, im Ermittlungsverfahren, sondern gelingt
am ehesten noch im Hauptverfahren. Insofern würde ich auch davor
warnen jetzt aus dem unerfreulichen Verlauf der Geschichte bisher zu
schließen daß das Urteil schon feststeht, wenngleich es
natürlich ein großes Problem ist, daß Richter, die Tarek
Mousli schon mal als Angeklagten als glaubwürdig erklärt haben,
nun erklären warum er als Belastungszeuge das nicht sein soll, das ist
natürlich nicht ganz einfach.
9. Was haben Leute juristisch zu befürchten die sagen, ich war
in den 70er Jahren auf irgendeine Art und Weise an einem Projekt RZ
beteiligt und mache in diesem Verfahren Aussagen. Womit müssen Leute
juristisch rechnen?
Das ist nichts was man im Rahmen einer Ferndiagnose klären kann,
das hängt wirklich sehr, sehr genau davon ab, was sie gemacht haben.
Und ich würde auf jeden Fall sagen, Aussagen zu machen muß man
sich sowieso gut überlegen. In der Hauptverhandlung kann es sinnvoll
sein, es kann wirklich sinnvoll sein, weil es die Situation
grundsätzlich verändern kann. Aber Jeder und Jede die sich
überlegt Aussagen zu machen muß das dringend in ihrem konkreten
Fall mit einem Anwalt ganz ausführlich diskutieren. Alles andere ist
wirklich Wahnsinn. Und das ist wirklich eine juristische Frage um die es
dann geht, weil nur ein Anwalt oder eine Anwältin sagen kann, das
könnte zum Beispiel dazu führen daß der
Mitgliedschaftsvorwurf erhoben wird, der nicht verjährt ist oder das
sind Taten die sind verjährt und das mit der Mitgliedschaftsvorwurf
kriegt man aus dem und dem Grund auch weg. Das ist eine juristische Frage
die individuell zu klären ist. Ich würde sagen in so einem
Verfahren wie diesem, wenn es sinnvolle Aussagen gibt, sollte man die zur
Entlastung der Angeklagten machen. Wenn man das individuell vertreten kann
und das nicht noch mehr Leute gefährdet. Das muß man sich auch
immer klar überlegen, wenn jemand Aussagen macht, wird ermittelt
werden. Das ist doch ganz klar, wenn ermittelt werden wird, werden
möglicherweise noch mehr Leute mit reingezogen. Es kann aber Sinn
haben. Es hat Verfahren gegeben wo das erfolgreich war. Das
Startbahnverfahren in Frankfurt war auch ein Verfahren, wo über ganz
gezielt gemachte Aussagen am Schluß unschuldige Angeklagte
rausgekommen sind.
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