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Diskussion

Datum:
20.04.2001

Interview:
Transkription eines mündlich geführten Interviews mit dem Strafrechtler und Autor Oliver Tolmein/ keine autorisierte schriftliche Fassung

1. Die Bundesanwaltschaft scheint sich im Berliner Verfahren auf der sicheren Seite zu wähnen. Alle Angeklagten sind seit über 15 Monaten in U- Haft, obwohl es lediglich einen Zeugen gibt. Wie ist das juristisch zu beurteilen?

Grundsätzlich ist es so, daß ein Verfahren in dem es 15 Monate Untersuchungshaft gibt sowieso schon gegen strafprozessuale Grundsätze verstößt. 6 Monate U- Haft soll eigentlich das Maximum sein und nur in ganz besonders begründeten Ausnahmefällen darf es mehr als diese 6 Monate sein. Dann nämlich, wenn Ermittlungen besonders schwierig sind. Was an den Ermittlungen, die ausschließlich auf den Aussagen eines Kronzeugen beruhen, besonders schwierig sein soll, ist jetzt nicht so ganz einsichtig. Es ist natürlich vielleicht dann besonders schwierig, wenn sich die Aussagen des Kronzeugen immer wieder als unzutreffend erweisen, wie das hier ja beispielsweise im Fall dieser Sprengstoffgeschichten offensichtlich der Fall ist. Das zeigt eigentlich daß die Bundesanwaltschaft auf der schlechten Seite stehen sollte, weil ihr Kronzeuge nicht die Zuverlässigkeit hat die er haben sollte und sie deswegen schon die strafprozessualen Grundsätze strapazieren müssen. Faktisch ist es so, und das ist glaube ich das Charakteristische an diesem Verfahren, daß es eben noch abläuft wie ein traditionelles altes §129a- Verfahren, so der Machart wie es sie in den 70er und 80er Jahren gab und das ist möglicherweise damit zu erklären daß es hier eben gegen die Revolutionären Zellen geht. Eine Gruppierung, gegen die die Bundesanwaltschaft noch keine sonderlichen Erfolge einzufahren hatte und sie daher ein besonderes Interesse hat. Schlimm ist, daß das Kammergericht das bisher mitmacht.

2. Du warst 1987 maßgeblich an der Soli- Kampagne zum Prozeß gegen Ingrid Strobl und Ulla Penselin beteiligt. Woran hat sich die Solikampagne damals inhaltlich orientiert?

Die Solidaritätskampagne damals in dem Verfahren gegen Ingrid Strobl und ursprünglich ja auch Ulla Penselin hatte verschiedene Ansatzpunkte. Am Anfang sah es so aus als ob hier ein Verfahren in die Wege geleitet wird, mit dem es um die Kriminalisierung der damals sogenannten anschlagsrelevanten Themen, Humangenetik vor allen Dingen, Gentechnik ganz allgemein ging. Nur so war es zu erklären, daß hier die Journalistin Ingrid Strobl und eine Aktivistin die sich im Bereich Gen und Reproduktionstechnologien einen Namen gemacht hatte, wie Ulla Penselin und noch eine ganze Reihe Andere gegen die damals ermittelt wurden ist, so gemeinsam in diesem Anklagekreis befanden. Das Verfahren gegen Ulla Penselin mußte auf Grund der eindeutigen Beweislage, auf die vor allen Dingen ihr Verteidiger hingedrungen hat, relativ schnell eingestellt werden. Es blieb dann übrig daß es ein Verfahren gegen Ingrid Strobl gab. Dieses Verfahren gegen Ingrid Strobl hatte zwei Aspekte. Das eine war ganz klar, Ingrid Strobl war eine prominente Persönlichkeit und damit wäre jetzt ein erfolgreiches Verfahren gegen sie, bei dem sie in den Knast wandert, natürlich ein erheblicher Triumph der Staatsgewalt gewesen. Gleichzeitig war die Indizienlage gegen Ingrid Strobl insofern nicht ganz so schlecht, weil es Videos gab die sie zeigten wie sie einen Wecker gekauft hatte, und es Zeugen gab die sie wiedererkannt hatten und man zumindestens eine Beweiskette legen konnte die irgendwo dahin führte daß möglicherweise dieser Wecker auch für einen Sprengstoffanschlag benutzt worden war. Das heißt es gab jetzt also nicht nur Zeugenaussagen in diesem Verfahren, sondern es gab materielle Beweise mit allerdings zweifelhaftem Aussagewert. Gleichzeitig war es aber so deutlich daß dieser Aussagewert über ihre Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen herzlich wenig aussagte und es war damals eben die Zeit in der die RZ auch noch aktiv war, relativ aktiv sogar. Deswegen war es ganz wichtig für die Solidaritätsarbeit zu dem Prozeß zum einen klarzumachen, daß Ingrid Strobl nicht in den Knast gehört, weil das was man ihr zu Last legte, Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen und Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag nicht zu beweisen war, sondern lediglich zu beweisen war daß sie einen Wecker gekauft hatte, was in dieser Republik üblich ist. Zum Zweiten kam es aber auch ganz wesentlich darauf an deutlich zu machen daß es eine Spaltung des Widerstands so nicht geben darf. Deswegen war es ganz wichtig für die Solidaritätskampagne zum Strobl- Verfahren daß es gelingt, eine breite Solidaritätsbewegung hin zu bekommen die darauf beharrt, daß man sich kritisch in verschiedener Art und Weise mit diesen Themen und den Aktivitäten zu Humangenetik Genetischer Beratung, Reproduktionsmedizin auseinandersetzen kann und auseinandersetzen muß. Deswegen war ein Teil der Kampagne, für den die clockwork 129a damals stand, sehr darum bemüht ein möglichst breites Spektrum von Unterstützern und Unterstützerinnen- Gruppen und Einzelpersonen zu finden. Das ist uns ja dann auch gelungen, es gab ja sogar SPD- Bundestagsabgeordnete die sich im Verlauf des gesamten Verfahrens für Ingrid Strobl eingesetzt hatten, es gab Leute aus dem Bereich der Grünen, es gab Leute aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, sowohl des legalen, als auch des etwas militanteren Widerstands und ich denke daß ein Kernziel der Solidaritätsarbeit neben dem anderen Ziel natürlich auch war zu erreichen, daß Ingrid Strobl möglichst schnell aus dem Knast kommt.

3. Glaubst Du daß für die Solidaritätskampagne der Bekanntheitsgrad Ingrid Strobls eine wesentliche Rolle gespielt hat?

Sicherlich war es gerade, auch was die Unterstützung in eher nicht so radikalen linken Kreisen angeht, z.B. aus der SPD, leichter Unterstützung zu erhalten, weil es mit Ingrid Strobl eine bekannte Journalistin getroffen hat, auf die jedenfalls das Klischee, das in der bürgerlichen Öffentlichkeit existiert, wie militanter Widerstand wohl aussieht (Haßkappen, Leute die irgendwie keinen geraden Satz schreiben können und die ansonsten völlig verblendet durch die Gegend rennen und eigentlich am liebsten Steine irgendwo blindlings hinschmeißen), diesem Zerrbild entsprach sie sowieso auf keinem Fall. Unabhängig von der Frage "War sie es nun oder war sie es nicht?". Es war ganz klar, es stand dort eine Intellektuelle unter Anklage und es ist sicherlich auch ein Problem der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte daß es natürlich wenig Intellektuelle gegeben hat die jemals so mit der Staatsgewalt konfrontiert waren. Das hat sicherlich einen Teil, einen besonderen Teil dieser Solidaritätskampagne und ihrer Möglichkeiten ausgemacht. Ich denke aber nicht daß das alles erklärt, sondern es ist auch wichtig daß es damals eine breite Auseinandersetzung um diese anschlagsrelevanten Themen, wie sie ja vor allem auch vom BKA genannt wurden, gegeben hat. Und daß diese breite Kampagne über das legale Thema z.B. humangenetische Beratung oder Genetik dazu beigetragen hat, eine breite Kampagne auszulösen.

4. Hatte deiner Meinung nach die politisch geführte Kampagne Einfluß auf das Verfahren?

Die Kampagne damals hatte zwei Stränge, es war ja nicht alles idyllisch damals. Es gab auch innerhalb der Solidaritätsbewegung eine zumindest verdeckt sehr wirksame Spaltung. Das war der eine Kreis der Leute die sich ganz stark und massiv auf die politische Kampagne konzentriert haben. Der gesagt hat: "Wir wollen uns hauptsächlich darum bemühen, was das Thema gegen das die RZ damals ihren Anschlag gemacht hatte betraf. Da gings um die Abschiebung von Flüchtlingen unter anderem mit Hilfe der Lufthansa und das zweite Thema mit dem sich RZ und Rote Zora beschäftigt hatten, Genetik in all ihren Formen und Facetten, das sich damit beschäftigt wird, das ist unser Hauptziel." Und es gab den zweiten Kreis der Kampagne für den die clockwork 129a stand, der gesagt hat das darf man natürlich nicht ausblenden, weil das ist das Thema mit dem man sich beschäftigt, aber es ist in diesem Fall wichtig wie ich das prinzipiell bei Solidaritätskampagnen wichtig finde, nicht aus den Augen zu verlieren, daß es hier um die Strafhaft oder U- Haft für ganz konkrete Personen geht. Eine Solidaritätskampagne hat nicht die Aufgabe in erster Linie ein Thema bekannt zu machen, sondern die Leute aus dem Knast rauszuholen, das war hier die Spaltung die es gegeben hat, sicherlich war ein großer Vorteil daß es trotzdem zur Kooperation kam und keine der Linien gesagt hat :"Das was ihr macht ist der totale Unsinn". Insofern ist die Frage "Was hat die politisch geführte Kampagne nun bewirkt?" schwer im nachhinein zu beantworten. Sicherlich ist es gelungen, das ist glaube ich ein ganz wichtiger Punkt, sich von diesem Repressionsvorstoß der mit so einem konkreten Verfahren ja immer verbunden ist, sich nicht in die Ecke drängen zu lassen und nicht dazu zu kommen die kritischen Themen Genetik oder auch Rassismus, Flüchtlinge aus den Augen zu verlieren. Auch die Unterstützer der "Ingrid Strobl muß raus - Kampagne" haben sich und wollten sich mit diesen Themen auseinandersetzen.

5. Es ist nicht gelungen im Berliner Verfahren eine vergleichsweise breite Solidaritätskampagne zu schaffen (wie im Verfahren um Ingrid Strobl und Ulla Penselin). Liegt das möglicherweise daran daß es keine Verankerung innerhalb der Linken gab oder die RZ heute überhaupt nicht mehr bekannt sind?

Bei dem Verfahren im Augenblick muß man sehen daß es unter den denkbar schlechtesten Bedingungen läuft, mit dem Blick darauf jetzt eine Solidaritätskampagne loszutreten. Das Problem ist, der Rassismus ist mittlerweile in der Gesellschaft in einem hohen Maße institutionalisiert und durchgesetzt, er ist selbstverständlicher gesellschaftlicher Alltag. Gleichzeitig ist es so die Revolutionären Zellen haben sich aufgelöst. Überhaupt ist eine militante Linke die mit diesen Mitteln operiert, verschwunden, es hat sich ja nicht nur die RZ aufgelöst, d.h. auch die Form der Mittel mit denen damals Opposition gemacht wurde ist heute nicht mehr präsent und stößt auch bei vielen Leuten auf ein gewisses Unverständnis. Bei anderen, bei denen es nicht auf Unverständnis stößt, stößt es auf schlechte Erinnerungen, daß man sowas vielleicht damals auch nicht schlecht fand oder mit betrieben hat oder was auch immer. Das heißt sowohl die Form des Widerstands, als auch der Inhalt des Widerstands sind heute eigentlich nicht mehr aktuell, das heißt die Leute sind sozusagen ein paar Jahre zu spät für diese Form von Solidaritätskampagne in den Knast gegangen. Insofern finde ich diese Frage nach der Verankerung von Widerstand und daraus zu ermessen wie stark eine Solidaritätskampagne ist problematisch. Ich glaube man muß die Frage "Wie bewertet man RZ- Politik?" loslösen von der Frage, "Wie geht man mit der Situation der Gefangenen um?" und "Wie geht man mit der Situation des Prozesses und der Entwicklung des Prozesses den es Heute gibt, um?".

zu den Fragen 6- 9

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