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Diskussion

Militanz-Begriff. Geschichtslosigkeit

Ich denke in der Militanz-Debatte geraten manchmal einige Begriffe durcheinander. Es wird immer mal wieder gerne kritisiert, daß die militante Strategie fehle in der militanten Politik der Linksradikalen. Diese Feststellung ist weitgehend abgekoppelt von einer Analyse der politischen Gesamtlage der (radikalen) Linken (trotzdem in keinem Text der Abschnitt über die Krise der Linken fehlt), und die alte Frage "was bedeutet eigentlich Militanz" wird an dieser Stelle meist zum Bumerang. Denn während im Grundsatz häufig betont wird, daß der Begriff Militanz nicht gleichgesetzt werden sollte mit Gewalt und daß militante Gruppen nicht zwingend Gruppen sein müssen, die konspirativ arbeiten und Anschläge verüben, schleicht sich ebendiese verkürzte Sichtweise normalerweise durch die Hintertür wieder hinein, wenn es um militante Strategien geht . Denn dann diskutieren militante Gruppen, und siehe da, das sind doch "nur" die konspirativ arbeitenden Gruppen, die Anschläge verüben. Diese Verkürzung der Subjekte (die da diskutieren) auf klandestine Gruppen, bewirkt die Verkürzung des Themas (Strategie,Politik) auf ihre Aktions-und Organisationsform. Und das bedeutet nichts anderes, als daß der Schwanz mit dem Hund wedeln will, denn die Frage der militanten Strategie, ist eine Frage der linksradikalen Politik insgesamt, während klandestine Gruppen und deren Anschläge lediglich eine bestimmte Ausdrucksform davon sind.

Diese Verwechslung hat nicht nut in der Theorie Folgen, sondern auch ganz praktisch. Ein passendes Beispiel dafür ist das Projekt "K.O.M.I.T.E.E" 194/95, dessen Mitglieder der Meinung waren, strategische politische Orientierungen für sich und die radikale Linke durch militante Aktionen (=Anschläge) und die Texte dazu erarbeiten zu können . Diese Überschätzung von sich selbst und der gewählten politischen Ausdrucksform wurde ihnen zurecht von einigen um die Ohren gehauen, nachdem sie sie in ihrer Auflösungserklärung im Herbst 1995 beschrieben hatten .Dieses Beispiel eignet sich gleichzeitig , den Blick auf die (Entwicklungs-)Geschichte jener politischen Ausdruksform zu lenken, die ich jetzt weiterhin "militante Gruppen" nenne (weil dabei vermutlich alle LeserInnen eben an konspirative Gruppen denken die Anschläge durchführen, und nicht an einfache radikale linke Gruppen).Denn eine weitere Kritik an der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. war, daß sie keine Analyse der vorhergegangenen Erfahrungen anderer militanter Gruppen vorgenommen habe und darum Fehler , die andere Jahre vorher schon öffentlich benannt hatten, wiederholt habe.

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, denn es gab und gibt Menschen, die eine solche Analyse für sich in Anspruch nehmen, aber keine oder ganz andere Fehler sehen bei den militanten Gruppen der Vergangenheit. Wie das unrühmliche Beispiel der "AIZ" (Anti- Imperialistische Zellen) Mitte der 90er gezeigt hat, gab (gibt?) es auch Menschen, die alte Konzepte der RAF weiterhin für richtig halten..... dennoch müßten eigentlich alle, die von so etwas wie "Strategien" reden, zumindest eine Analyse der Vergangenheit vorweisen können und sagen, wo sie Fehler und wo nicht. Daß das K.O.M.I.T.E.E. eine solche Analyse nicht vorweisen konnte, sondern stattdessen die Politik der radikalen Linken an sich analysierte, verweist auf die anfangs erwähnte Begriffsverwechslung: Sie kritisieren einen Inhalt, das Ergebnis der Kritik war aber ein formales- konkret: sie kritisieren z.B. die mangelhafte Solidarität der Linken mit dem Kampf in Kurdistan und schlossen daraus nicht etwa, eine stärkere politische Initiative sei nötig sondern militante Aktionen seien nötig.

Diese Verschiebung von Analyse und Folgerung ist aber gar nicht so verwunderlich, wenn ich eine grundsätzliche Geschichtslosigkeit voraussetze, die die radikale Linke allgemein durchzieht und ein wesentliches Merkmal auch der militanten Gruppen ist. Dabei ist es nicht etwa so, daß die einzelnen Menschen darin sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigen würden. Doch je kollektiver es wird, desto mehr verschwindet die Geschichtsanalyse hinter der Gegenwart. Gruppen äußern sich schon kaum mehr dazu (dafür gibt es "Broschüren", deren Halbwertzeit ca. 6 Monate beträgt, danach erinnert sich niemand mehr daran und sie verstauben in Archiven und WG-Regalen). Die diffuse militante Szene insgesamt (Gruppen, befreundete Individuen etc. ) blickt gerne in die Zukunft (...was könnte die nächste Kampagne sein?...), in die Vergangenheit meist nur, wenn sie von außen dazu geprügelt wird. Danke, Herr Generalbundesanwalt, für diese Initiativen zum Geschichtsbewußtsein!

Deswegen ist es kein Wunder, das die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. kommentarlos ein Konzept aufgriff, daß keine fünf Jahre vorher in der Diskussion um die Auflösung der zumindest einer RZ-Gruppe eingehend besprochen und kritisiert worden war, nämlich die Initierung politischer Bewegung durch militanten Eingriff(Anmerkung: Ich subsumiere unverschämterweise die Rote Zora unter dem RZ-Begriff, weil ich das Konzept der Organisierung als das selbe ansehe). Ich glaube dabei noch nicht einmal, das die K.O.M.I.T.E.E.- Leute alle so jung waren, daß sie die Debatten von 1990/91 nicht mitbekommen hatten, sondern vielmehr, daß sie die Dynamik, in der sie selbst agierten, nicht mitbekamen, weil sie keine ordentliche Analyse der Ausdrucksform "militante Gruppen" vorgenommen hatten. Ja, ja Schlaumeiern können wir alle hinterher, ich weiß. Leider stimmen ja zwei Vorwürfe, die gut zusammenpassen: Zum einen, daß die militanten Gruppen bzw. die Leute daraus fast nie etwas dazu erklären, warum sie aufhören oder anders weitermachen, und nur wenige Erfahrungen daraus weitergeben. Ein rühmliches Gegenbeispiel ist hier das sonst von mir gescholtene K.O.M.I.T.E.E.! Zum anderen, daß die nachkommenden Jüngeren das oft auch gar nicht hören wollen. Und das ist auch einer der Knackpunkte für die behauptete kollektive Geschichtslosigkeit der radikalen Linken: die einzelnen Menschen politisieren sich, bilden sich, lernen, werden älter, und je mehr sie lernen(oder zu lernen glauben), desto weniger teilen sie mit, oder sie entfernen sich in Elfenbeintürme der Theorie und Spezialisierung.

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