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06.04.2001
Presseerklärung Nr. 3
Die gestrige Bundestagsdebatte, in der
Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Bündnis 90/Die
Grünen) auf Antrag der Freien Demokraten aufgefordert wurde, ihre
Unterschrift unter den von uns initiierten gleichnamigen Aufruf
zurückzuziehen, ist leider deutlich lächerlicher verlaufen, als
es dem seit dem 22. März 2001 laufenden Prozess im 1. Strafsenat des
Berliner Kammergerichts zukommt.
Seit mehr als 15 bzw. elf Monaten sitzen allein auf Grundlage
der Aussagen eines unglaubwürdigen Kronzeugen vier, und seit
vergangenen Freitag mittlerweile fünf Menschen in Haft. Mit Hinzu- und
Weggedichtetem, mit Mutmaßungen und Informationen "vom
Hörensagen" beschuldigt sie der Kronzeuge Tarek Mousli,
Mitglieder der "Revolutionären Zellen" (RZ) und an
verschiedenen Anschlägen in Berlin beteiligt gewesen zu sein. Er
selbst ist im Dezember 2000 mit zwei Jahren auf Bewährung für
seine Mutmaßungen belohnt worden und wird seitdem mit monatlich DM
2.400,- aus der Staatskasse finanziert.
Obwohl die Ermittlungen in dieser Sache schon seit Sommer
2000 abgeschlossen sind, wurde die Anklage erst Ende des Jahres an die
Beschuldigten und ihre Rechtsvertretung übermittelt. Obwohl keinerlei
Flucht- und auch keine Verdunkelungsgefahr besteht, werden sie weiter in
Haft gehalten. Obwohl seit geraumer Zeit, und besonders intensiv seit
Prozessbeginn am 22. März 2001, um eine Freilassung für eine
Prozessvorbereitung in Freiheit gerungen wird, schleppt sich das Verfahren
durch fehlerhafte Rechtssprechung des Berliner Kammergerichts, die der
Bundesgerichtshof am 30. März 2001 festgestellt hat, weiter hin.
Mittlerweile kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass der Prozess erst
ab Mitte Mai fortgesetzt wird . All dies vor dem Hintergrund einer dann
fast 16-monatigen Haft.
Statt sich endlich intensiv mit der Abschaffung des
Ausforschungsparagrafen 129a auseinander zu setzen, der in der
Bundesrepublik eine unrühmliche Tradition hat und als Allzweckwaffe
nicht nur vorrangig gegen linke Organisationen angewandt wird, sondern auch
die Verteidigerrechte beschneidet, versuchen FDP und CDU/CSU sich mit
Oberflächlichkeit und Halbwahrheiten zu profilieren. Ohne den
Paragrafen 129a aber wären die Angeklagten überhaupt nicht in
Haft und könnten sich auf den Prozess in Freiheit vorbereiten. Nicht
allein wegen seiner unrühmlichen Geschichte also, sondern auch wegen
seiner aktuellen Bedeutung auf das Verfahren in Berlin, fordern wir seine
Abschaffung und die sofortige Aufhebung der Haftbefehle.
So lächerlich die von der FDP-Bundestagsfraktion
angestoßene Bundestagsdebatte erscheint, so bedenklich stimmte ihr
Verlauf: Bis in die SPD-Bundestagsfraktion hinein entstand der Eindruck,
als müsse schon die Positionierung gegen den Paragrafen 129a als
Ausdruck von Zivilcourage gewertet werden. Offensichtlich ist eine
inhaltliche Debatte um diese bürgerrechtlich hoch bedenkliche
Rechtsfigur nicht gewünscht.
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